Mit einem „Ackerfest“ haben am Samstag mehrere Initiativen, Vereine und Parteien gegen den geplanten neuen Biotechnologie Campus auf den Feldern an der Saarstraße in Mainz protestiert. Die Felder bei Mainz-Bretzenheim seien enorm wichtige Ackerflächen und zudem Teil eines der wichtigsten Kaltluftentstehungsgebiete für die Mainzer Innenstadt, betonten die Protestler. Zudem seien aus ihrer Sicht Alternativen nicht ausreichend geprüft worden – als Beispiele wurden die Gewerbegebiete in Hechtsheim und auf dem Lerchenberg, aber auch das alte Nestlé-Gelände am Industriehafen Mombach genannt.
Die Stadt Mainz will auf einem Erweiterungsgelände neben den Mainzer Hochschulen einen Biotechnologie-Campus entwickeln, um schnell Flächen für neue Firmen aus dem Biotech-Bereich zu schaffen. Die Hoffnung: Mit einem Biotech-Campus könnte Mainz den Erfolg des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech aus der Corona-Pandemie nutzen, um Mainz zu einem Biotechnologie-Standort zu machen – die Landesregierung unterstützt das Vorhaben erheblich.
Man wolle „das Momentum nutzen“, betonten vor allem der ehemalige Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sowie Bürgermeister Günter Beck (Grüne), die das Vorhaben auf den Weg brachten. Tatsächlich besteht in der Biotechnologie-Landschaft ein hohes Interesse an Neugründungen und Firmenentwicklungen, aktuell suchen mehrere Gründerfirmen händeringend Büros – und vor allem Laborflächen.
Erweiterungsfläche: wertvolle Böden, wichtiger Kaltluftsee
Die Stadt hatte deshalb im Oktober 2022 den Startschuss für eine Erweiterungsfläche an der Saarstraße gegeben, für zunächst rund 17 Hektar Flächen – die gesamte Vorrangfläche beträgt aber rund 50 Hektar. Der Haken dabei: Die vorgesehenen Flächen sind Ackerland, die Teil eines der wichtigsten Mainzer Kaltluftentstehungsgebiete sind: Auf den Äckern zwischen Bretzenheim und dem Lerchenberg entsteht in der Nacht ein „Kaltluftsee“, dessen Kaltluft durch das Gonsbachtal, aber auch über Bretzenheim und das Zaybachtal in die Mainzer Innenstadt fließt.
Bereits Mitte November 2022 hatte sich ein ganzes Bündnis von Umweltorganisationen gegen das geplante Biotech-Areal auf den Feldern zwischen Saarstraße und Mainz 05-Stadion ausgesprochen, genau diese Organisationen hatten nun zum „Ackerfest“ geladen. „Wir wollen auf den Wert dieser Flächen für Klima, Wasser und Ernährung aufmerksam machen“, sagte Andrea Oppacher-Friedrich, eine der Organisatorinnen des Ackerfestes.
Das Planungsgebiet sei sowohl Kaltluftentstehungsgebiet, als auch Frischluftschneise, betonten die Organisatorinnen. „Die Innenstadt leidet jetzt schon unter der Hitze, und es wird schlimmer werden, je mehr bebaut wird“, betonte Oppacher-Friedrich von der Nachhaltigkeitsinitiative Bretzenheim: „Wir müssen umdenken, das betrifft eben auch Gewerbegebiete.“ Dazu seien die Felder die Heimat diverser bedrohter Tierarten wie Rebhuhn, Feldhase und Feldhamster, zählte Oppacher-Friedrich auf.
Wertvollste Ackerböden von Mainz, Sorge um Ernährungssicherheit
Und schließlich gehörten die Felder an der Saarstraße zu den wertvollsten Böden mit dem höchsten Ertragswert für die Landwirtschaft: „Das sind hier mit die besten Ackerböden mit ganz hohen Kennzahlen“, sagte Oppacher-Friedrich weiter: „Die zuzubauen, ist wirklich eine Sünde.“ In der Corona-Pandemie und erst Recht mit dem Krieg in der Ukraine „haben wir ja gesehen, dass das mit der Nahrungssicherheit auch bei uns überhaupt nicht so weit her ist“, betonte sie – auch hier brauche es ein Umdenken.
Tatsächlich war die Hauptkritik der vertretenen Gruppierungen, dass auf dem Gelände der Stadt Mainz keine weiteren Flächen versiegelt werden dürften – auch wenn Mainz wachse. „Das sind die besten Böden, die wir in Mainz haben, die Lößböden“, sagte auch der Mainzer ÖDP-Chef Claudius Moseler: „Es ist ein Sakrileg, hier zu bauen.“ Es brauche auch eine Zukunft für die Landwirtschaft in Mainz. „Die ÖDP lehnt die Erweiterungsflächen hier an dieser Stelle kategorisch ab“, betonte Moseler.
Auch die Freien Wähler Mainz kritisierten die Erweiterungsfläche an der Saarstraße: „Das hier ist der beste Boden weit und breit für die Ernährung“, sagte der Mainzer FW-Vorsitzende Christian Weißkopf. Weltweit gebe es derzeit Naturkatastrophen, die Ernten vernichteten, da dürfe nicht der Boden mit dem höchsten Ertrag versiegelt werden. „Es gibt hier nachweislich Temperaturunterschiede von vier bis fünf Grad zu den umliegenden, bebauten Gebieten“, betonte Weißkopf: „Bau ich das zu, heizt sich die Stadt weiter auf.“
Alternativstandorte nicht ausreichend geprüft?
Es gehe doch auch um Umweltschutz, kritisierte Weißkopf vor allem die großen Fraktionen der Ampel-Koalition im Stadtrat: Es seit doch völlig unverständlich, dass ausgerechnet SPD und Grüne diesen Biotech-Campus an dieser Stelle vorantrieben. „Hier, wo es um aktiven Umweltschutz geht, und nicht um das Drangsalieren von Autofahrern, lassen sie sich nicht blicken“, schimpfte er.
Eine wichtige Kritik der Protestierenden war dabei auch, dass Alternativstandorte nicht ausreichend und ausführlich genug geprüft worden seien. „Es müssen Alternativen geprüft werden“, forderte Mehlmer, die Flächen müssten doch auch gar nicht zusammenhängen, sondern könnten dezentral sein. „Wir haben viele Brachflächen in Mainz, die wir nutzen könnten“, sagte auch Moseler. Die Alternativprüfung für das Biotech-Campus sei ausgesprochen „stiefmütterlich“ behandelt, viele Flächen nur höchst oberflächlich geprüft worden.
Es sei doch in Zeiten der Digitalisierung gar nicht mehr nötig, dass sich Wissenschaftler physisch über den Weg liefen, die Vernetzung erfolge doch heutzutage auf digitalen Wegen, betonte auch Moseler. Es gebe doch das Gewerbegebiet in Marienborn, wo jetzt auch ein Medizintechnikunternehmen baue, betonte Moseler: „Dort sind auch noch Flächen frei, und zwar entlang der Entwicklungsachsen der Stadt.“
Messegelände, Lerchenberg, Industriehafen Mombach?
Weißkopf wiederum betonte, das Mainzer Messegelände liege doch weitgehend brach, die Frage sei doch, ob Mainz überhaupt ein Messegelände brauche. „Ideal würde sich etwa auch der Lerchenberg anbieten, wo gerade weitere Laborflächen entstehen“, sagte Weißkopf weiter. Andere nannten als Beispiel das Gelände des früheren Nestlé-Werks im Gewerbegebiet am alten Industriehafen – auch hier tut sich seit Jahren nichts, das Gelände ist als alter Industriestandort umfangreich erschlossen.
Die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) konterte die Kritik indes: „Wir suchen als Stadt händeringend nach Grundstücken für Gewerbeflächen“, sagte Matz im Mainz&-Gespräch. Auch ihre Kollegen im Umland hätten solche Flächen nicht einfach freistehen. Die Flächen rund um die Messe Hechtsheim seien bereits zu 90 Prozent vergeben, das gelte ähnlich auch für den Lerchenberg.
Die fehlenden Gewerbeflächen seien derzeit „das grüßte Bottleneck und der größte Risikofaktor“ für die Entwicklung von Mainz als Wirtschaftsstandort, betonte die Dezernentin weiter: „Wir brauchen die Biotechnologie, und sind glücklich, dass wir sie haben.“ Deutschland müsse sich gut überlegen, welche Flächen es wofür verwende, und auch den Flächenverbrauch besser optimieren. „Wir haben in den vergangenen Jahren unheimlich viele Gewerbeflächen umgewandelt in Wohnareale“, sagte Matz zudem, „ich wäre froh, wenn ich die noch hätte.“
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