„Hier tut sich etwas“, steht groß auf dem Plakat, das seit dem 22. Juli auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz steht. Noch bis zum 6. August will die Stadt Mainz hier gemeinsam mit den Mainzern Ideen für ein schöneres Regierungsviertel entwickeln, doch bislang hielt sich der Betrieb eher in Grenzen. Dazu sorgt die Vollsperrung der Großen Bleiche für erheblichen Ärger: Busse und anderer Verkehr müssen sich nun durch Straßen der Stadt quälen, während auf der Bleiche gähnende Leere herrscht – die CDU kritisiert das deutlich. Und: Das Mainzer Justizministerium und die Gerichte wollen ihren Parkplatz zurück.

Der Ernst-Ludwig-Platz in Mainz: Seit Jahren brach liegendes Potenzial. - Foto: gik
Der Ernst-Ludwig-Platz in Mainz: Seit Jahren brach liegendes Potenzial. – Foto: gik

Seit Jahren dümpelt das Mainzer Regierungsviertel vor sich hin, vor allem die Gestaltung des Ernst-Ludwig-Platzes kam bislang keinen Millimeter voran: Der alte Jubiläumsbrunnen aus dem Jahr 1962 bietet ein heruntergekommenes und trostloses Bild, Wasser floss hier schon lange nicht mehr. Auch auf den angrenzenden Wiesen tut sich wenig, dabei gab es schon viele hochfliegende Pläne für das Areal: Ein Freizeitpark sollte hier entstehen, gar die Idee eines Schlossparks nach historischem Vorbild wurde entwickelt – das Areal könnte ein wichtiger Naherholungsort für die Anwohner der Innenstadt werden.

Nun aber tut sich etwas: Im Jubiläumsbrunnen fließt auf einmal Wasser, ein schmaler Torbogen bietet auf Knopfdruck Sprühnebel – und auf der Wiese sind neben dem Großplakat Blumenregale sowie eine mysteriöse rote Konstruktion aufgetaucht. Im April hatte die Stadtverwaltung Mainz das einstmals im Jahr 2009 gegründete „Forum Regierungsviertel“ wieder aufleben lassen, und einen Beteiligungsprozess mit der Frage gestellt: Wie kann das Regierungsviertel schöner werden?

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Forum Regierungsviertel: Suche nach Aufenthaltsqualität

Man wolle „ein kleinräumliches Stadtteilentwicklungskonzept, das dem Regierungsviertel eine eigene, dem Ort und der Funktion angemessene Identität verleiht, den öffentlichen Raum in seiner Aufenthaltsqualität aufwertet und die Lebensqualität und Attraktivität des Quartiers steigert“, heißt es bei der Stadt Mainz im Internet. Dabei seien die Stärkung der Klimaresilienz und eine Erhöhung der Biodiversität von besonderer Bedeutung. Im April fand ein erstes Forum statt, im Mai und Juni weitere Foren und eine Bürgerbeteiligung, zu denen repräsentativ ausgewählte Bürger speziell eingeladen wurden.

Rote Installation mit Wänden auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz. - Foto: gik
Rote Installation mit Wänden auf dem Ernst-Ludwig-Platz in Mainz. – Foto: gik

Seit dem 22. Juli und noch bis zum 6. August werden nun auf dem Ernst-Ludwig-Platz und in angrenzenden Bereichen „Interventionen und Aktionen“ ausprobiert. Ziel sei ein „Erkenntnisgewinn für eine nachhaltige Stadtentwicklung“, so  die Stadt weiter: „Das Umgestalten und die aktive Nutzung des öffentlichen Raumes durch vielfältige Aktionen sollen den Anwohnern, Bürgern und Teilnehmenden des Forums neue Nutzungsideen für mögliche zukünftige Nutzungen des öffentlichen Raumes aufzeigen.“

Am 24. Juli war von der Aktion auf dem Ernst-Ludwig-Platz indes noch nicht viel zu sehen: Außer dem roten Gebilde, den Blumen-Regalen sowie dem Sprühnebel-Bogen hatte sich der Ernst-Ludwig-Platz nicht verändert. Die angekündigte Fahrradverleihstation war ebensowenig vorhanden wie die auf dem Plan eingezeichnete Fahrrad-Waschanlage – tatsächlich kam letztere nur zu zwei Terminen im Juli auf den Platz.  Die Waschanlage wird indes im Internet als „Highlight“ angekündigt, die Abteilung Verkehrswesen werde „voraussichtlich weitere Maßnahmen zum Thema Fahrrad ergänzen“, heißt es zudem vage.

Leer gefegte Große Bleiche, Verkehrschaos in der Bauhofstraße

Geplant sind ferner mehrere Spielaktionen und Picknicks, die allerdings immer nur punktuell an einzelnen Tagen stattfinden – so etwa eine Aktion „Wikinger-Schach“ am 3. August von 9.30 Uhr bis 12.00 Uhr. Ein wichtiger Teil der Interventionen sei ihre Auswertung, betont man bei der Stadt weiter: „Ist durch die Interventionen eine erhöhte Nutzer-Frequenz im Regierungsviertel zu erkennen? Werden die neuen Angebote im Freiraum angenommen?“

Gähnend leere Große Bleiche samt leerer Fahrradständer: Vollsperrung in der Erprobung. - Foto: gik
Gähnend leere Große Bleiche samt leerer Fahrradständer: Vollsperrung in der Erprobung. – Foto: gik

Beim Besuch von Mainz& am 24. Juli war davon nichts zu sehen: Das Areal weit weitgehend leer gefegt, einzig der Sprühnebel-Bogen weckte das Interesse von einer Familie, auf dem Kinderspielplatz vor dem Schloss herrschte leichter Spielbetrieb. Auf und entlang der Großen Bleiche herrschte indes weitgehend gähnende Leere: Die Vollsperrung der Großen Bleiche zwischen Bauhofstraße und dem Rheinufer ist ein zentraler Bestandteil der Aktion. Zu mehr Nutzung durch Radfahrer führte das indes nicht – nur sporadisch rollte mal ein Bike daher.

Hinter der Barriere in Richtung Große Bleiche herrschte hingegen erhöhtes Verkehrschaos: Der abfließende Verkehr aus Richtung Innenstadt wird nämlich während der Dauer der Sperrung komplett über die Flachsmarktstraße geführt. Das Ergebnis: Autos und Busse drängen sich im Stau durch die eng bebauten Anwohnerstraßen, während entlang der weitgehend unbebauten Großen Bleiche gähnende Leere herrscht., Zudem stauten sich Busse und Autos ein der Flachsmarktstraße erheblich, müssen die Busse doch direkt nach dem Abbiegen an der Haltestelle einen Stopp einlegen.

CDU fordert Öffnung für den Nahverkehr: unrealistischer Test

Die CDU in Mainz forderte denn auch prompt die Öffnung der Großen Bleiche für den ÖPNV und kritisierte die Verkehrsführung deutlich: „Die Sperrung in der Großen Bleiche führt aktuell zu unrealistischen Bedingungen und zu einer hohen Anwohnerbelastung an den Ausweichrouten, die unbedingt reduziert werden muss“, forderte CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster. Der ÖPNV solle auch künftig weiter durch die Große Bleiche rollen, es mache daher gar keinen Sinn, dies jetzt beim Testlauf nicht zu tun.

Verkehrsstau durch haltende Busse und wartende Pkws an der Ecke zur Bauhofstraße. - Foto: gik
Verkehrsstau durch haltende Busse und wartende Pkws an der Ecke zur Bauhofstraße. – Foto: gik

„Insgesamt wirkt das Vorgehen der Verwaltung trotz langer Vorbereitungszeit undurchdacht und vermittelt kein realistisches Bild für die geplante ÖPNV-Führung“, kritisierte Gerster weiter. In den Sommermonaten sei ein Verkehrstest ohnehin nicht repräsentativ für die tatsächliche Situation im Regierungsviertel, da die Belastung viel geringer sei als in anderen Monaten.

Tatsächlich bringt die Sperrung der wichtigen Abflussroute der unteren Großen Bleiche noch weitere Probleme mit sich: Durch die Sperrung ist auch die Tiefgarage unter dem Mainzer Landtag nicht mehr erreichbar, ebenso wenig der Innenhof des Kurfürstlichen Schlosses, wo sich die Zufahrt für Zulieferer wie Caterer oder auch für Künstler bei Konzerten oder Bühnenaktive während der Fastnacht befindet. Auch der Parkplatz auf dem Deutschhausplatz ist nur noch durch große Umwege über die Mitternacht zu erreichen, entlang der Großen Bleiche fallen zudem rund ein Dutzend Parkplätze weg.

Gerichtsverhandlungen: Verspätung wegen gesperrtem Parkplatz

Diese Parkplätze aber sind nicht nur bei Veranstaltungen im Schloss oder bei Sitzungen des Mainzer Landtags wichtig: Auch die angrenzenden Ministerien, das Abgeordnetenhaus sowie die Gerichte leiden unter den wegfallenden Stellplätzen – zumal die Aktion auch den öffentlichen Parkplatz zwischen Kurfürstlichem Schloss und dem31 Justizministerium einschließt: Der Parkplatz wurde mit Sitzgelegenheiten und Pflanzeneinrichtungen zu einer Verweiloase umgestaltet.

Große Bleiche im Vollbetrieb: Zufahrt zu Tiefgarage und Parkplätzen, Abfluss für die Innenstadt. - Foto: gik
Große Bleiche im Vollbetrieb: Zufahrt zu Tiefgarage und Parkplätzen, Abfluss für die Innenstadt. – Foto: gik

Das aber stößt auf wenig Gegenliebe bei den angrenzen Gerichten: Eine Sprecherin des Landgerichts berichtete dem SWR, dass Verhandlungen verspätet beginnen würden, seit der Parkplatz nicht mehr nutzbar sei. Zeugen, Sachverständige oder Anwälte, die sich darauf verließen, dass sie neben den Gerichtsgebäuden den Parkplatz ansteuern könnten, würden überrascht vor der Sperrung stehen, und müssten andere Parkmöglichkeiten suchen – im Regierungsviertel gibt es aber kaum freie Parkplätze für Nicht-Anwohner.

Das rheinland-pfälzische Justizministerium habe deshalb die Stadt Mainz gebeten, den Parkplatz „Schloss“ wieder freizugeben, berichtete der SWR weiter. Gerichte und Justizministerium seien zudem vorab nicht in die Pläne der Stadt eingebunden worden, kritisierte das Ministerium: Man dränge darauf, dass zumindest für Gehbehinderte schnell eine Lösung gefunden werde.

Kommentar& auf Mainz&: Tumbleweeds und Geisterstadt

„So was kommt von so was“, hat man früher gerne gesagt, es ist ein anderer Ausdruck für: Nicht nachgedacht, Schnellschuss gemacht – und alle Konsequenzen beflissentlich ignoriert. Das Experiment „Sperrung Große Bleiche“ kann man nur als restlos gescheitert bezeichnen: Statt belebtem Stadttreiben oder glücklichen Bürgern herrscht auf der Großen Bleiche eine Atmosphäre wie in einer Geisterstadt des amerikanischen Westen. Fehlen nur noch die Tumbleweeds, die vom Wind über die Straße gerollt werden – gestört würden sie jedenfalls nicht.

Großplakat Forum Regierungsviertel: "Hier tut sich etwas" - aber für wen? - Foto: gik
Großplakat Forum Regierungsviertel: „Hier tut sich etwas“ – aber für wen? – Foto: gik

Und während binnen einer Viertelstunde vielleicht eine Handvoll Radfahrer gelegentlich vorbeifuhren, während Besucher ratlos auf rote Wände, einen maroden Brunnen – jetzt mit Wasser! – und planlos verstreute Blumenregale schauten, quälten sich auf der anderen Seite Busse und Pkw mühsam durch enge Gassen und im Zickzack durch den innersten Kern der Innenstadt. Glückwunsch, Mainz. Wir dürften die einzige Stadt sein, die es schafft, Anwohner in engen Straßen MEHR mit Verkehr zu belasten, und dafür Straßen ohne Anwohner von Verkehr zu entlasten – was soll denn bitte der Sinn davon sein?

Das kommt eben davon, wenn Ideologie bestimmt, was passieren soll, aber die Realitäten eines Stadtgeschehens vor Ort beflissentlich ignoriert werden. Gerichte? Och, ist doch egal – sollen die doch mit dem Fahrrad kommen. Dass zu Verhandlungen Geladene und Anwälte aus dem erweiterten Umkreis oder gar aus dem ganzen Bundesland anreisen, hat sich wohl niemand überlegt. Und jetzt sind noch Sommerferien, herrscht dösiges Minimallevel.

Plan des Bereichs für die Neuplanungen im "Forum Regierungsviertel". - Grafik: Stadt Mainz
Plan des Bereichs für die Neuplanungen im „Forum Regierungsviertel“. – Grafik: Stadt Mainz

Was aber, wenn die Fastnacht tobt, der Landtag zu Sitzungen lädt, Gerichte auf Volllast laufen und Politik und Schulbetrieb auf Hochtouren laufen? Unmittelbar angrenzend an den Ernst-Ludwig-Platz sind allein vier Gerichte und sechs Ministerien, das Abgeordnetenhaus, diverse Landesämter, dazu der Mainzer Landtag und das Kurfürstliche Schloss.

Bliebe die Große Bleiche gesperrt, kämen Mitarbeiter nicht mehr in die Tiefgarage unter dem Landtag, Besucher und Politiker nur noch über Umwege zum Landtag – und Fastnachter und Caterer nicht mehr zum Bühneneingang des Mainzer Schlosses. Davon, dass die Große Bleiche schlicht ein wichtiger Verkehrsabfluss für Einkaufende in der Mainzer Innenstadt oder eben Arztpatienten oder Stadthaus-Besucher ist, ganz zu schweigen.

Lieber sorgen wir für noch mehr Stau auf der Rheinschiene, einen Verkehrskollaps in der Innenstadt, Pleite gehende Geschäfte, unpünktliche Busse und völlig genervte Besucher und Anwohner – aber hey! Die Große Bleiche ist autofrei! Wozu das gut sein soll? Keine Ahnung. Aber wahrscheinlich ergibt irgendeine Auswertung, wie toll der Versuch angenommen wurde, und wie wertvoll der Zugewinn der gähnend leeren Großen Bleiche war, und wie viel attraktiver alles dort wurde. Wetten? Die Tumbleweeds freuen sich schon.

Info& auf Mainz&: Infos zum Forum Regierungsviertel und dem Versuch auf der Großen Bleiche findet Ihr hier im Internet. Dort findet Ihr auch alle noch geplanten Aktionen – und den Link zu einer Online-Umfrage. Sagt Eure Meinung!