Plastik in unseren Weltmeeren, Plastik in unserem Essen – der Planet Erde droht in Plastik zu ersticken. Mehr als sechs Millionen Tonnen Plastik wurden im Jahr 2017 in Deutschland verbraucht, nicht einmal die Hälfte wird wiederverwertet. „Die Vermüllung der Natur und unserer Lebensmittel mit Plastik ist neben dem Klimawandel und dem Artensterben eine der größten globalen Umweltkrisen“, sagt die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne). Anfang Dezember startete sie einen Selbstversuch: Kann man eine Woche arbeiten, leben einkaufen – ganz ohne Plastik zu verwenden? Wir waren neugierig, und haben Rößner bei ihrem Selbstversuch begleitet. Und stellten fest: Im Alltag Plastik komplett zu vermeiden, ist praktisch unmöglich – aber in vielen, sehr vielen Fällen kann der Griff zum Plastik vermieden werden. Vermeiden statt Vermüllen, das ist durchaus angesagt.
„Alles in Plastik verpackt“, sagt Tabea Rössner, „kann ich alles nicht kaufen.“ Wir stehen in einem ganz normalen Supermarkt in Mainz an einem ganz normalen Wochentag und wollen einen ganz normalen Einkauf tätigen. In der Kühltheke vor uns: Plastik. Butter, Käse, Wurst, alles in Plastik. Die Biogurken – in Plastik verpackt. Einkaufen ohne ein einziges Stück Plastik – fast unmöglich.
Eine Woche lang wollte die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabeas Rößner (Grüne) komplett plastikfrei Leben, Einkaufen, Essen. „Unser Planet droht regelrecht im Plastik zu ersticken“, sagt Rössner, die verbraucherschutzpolitische Sprecherin ihrer Fraktion ist. Seit 2005 ist die Menge an Plastikmüll in Deutschland um über 40 Prozent gewachsen. 6,15 Millionen Tonnen Plastik wurden 2017 in Deutschland verbraucht, „das entspricht einem Müllberg mit dem Gewicht von mehr als 600 Eiffeltürmen“, sagt Rößner. Das Schlimme dabei: Fast die Hälfte, nämlich drei Millionen Tonnen, kommen aus privaten Haushalten. Dazu zähle man zwar auch Kleingewerbe und Freiberufler, teilte die Bundesregierung gerade auf Anfrage Rößners mit – dennoch: Es sind die Endverbraucher, unter deren Händen der Plastikberg besonders stark wächst.
Das wundere mit Blick auf den Online-Handel und in die Regale der Supermärkte nur wenig, sagt Rößner. Das gelte ganz besonders für die Weihnachtszeit: Lebkuchen und andere Plätzchen kommen, natürlich, in Plastik daher, dazu Adventskalender, Nikoläuse – alles in Plastik verpackt. Geschenkverpackungen – enthalten häufig Kunststoff. Auch in Deutschland, das sich so gerne als Recycling-Weltmeister feiere, „nimmt der Verpackungsirrsinn seinen Lauf“, kritisiert Rößner. Mit ihrer Aktionswoche wollte sie denn auch auf das Thema aufmerksam machen, Bewusstsein schaffen. „Wir müssen Politik mit dem Einkaufskorb machen“, sagt sie.
Doch das Vermeiden ist alles andere als einfach: „Es ist praktisch unmöglich, für den alltäglichen Bedarf etwas ohne Plastik zu kaufen“, sagt Rössner am vierten Tag ihres Selbstversuchs. Das gelte vor allem für Menschen, die viel unterwegs sind, lange arbeiten. „Man plant seinen Einkauf meistens ja gar nicht, man springt schnell zwischendurch in einen Supermarkt“, sagt Rößner: „Da bin ich meist gezwungen, Plastik zu nehmen.“
Salat, in Plastik eingeschweißt, ebenso die Biogurken – „völlig absurd“, findet Rößner. Die Bio-Zitronen kommen zwar im Netz daher, aber auch das ist aus Plastik. Immerhin: Bei der Supermarktkette Rewe haben sie gerade die dünnen Plastiktüten an der Gemüsetheke abgeschafft, nun hängen hier Mehrweg-Frischenetze. „Das ist super, aber dafür müssten Gemüse und Obst auch lose zu kaufen sein“, sagt Rößner.
Beim Gemüse finden wir nur Möhren, Lauch, Radieschen, Fenchel und Kresse einzeln und ohne Plastik, beim Obst sind immerhin die meisten Äpfel plastikfrei. Milch gibt es in Glasflaschen, Joghurt ebenso – bei Mineralwasser in kleinen Mitnehmflaschen finden wir hingegen ausschließlich Plastik. „Besonders schwierig sind Hygieneartikel“, sagt Rössner: Shampoo, Duschgel oder Toilettenpapier kommen ausschließlich in Plastikverpackungen daher, manches wie die Zahnpasta ist sogar doppelt verpackt. „Unsinnig, überflüssig“, findet Rößner.
Immerhin landen inzwischen neuesten Zahlen des Bundes zufolge fast drei Millionen Tonnen Plastik in der Wiederverwertung, aber noch immer wird über die Hälfte des Plastiks verbrannt oder anderweitig entsorgt. Und noch immer gelangt viel zu viel Plastik einfach in die Umwelt, wird von den Flüssen ins Meer transportiert. Gigantische Plastik-Teppiche haben sich mittlerweile in den Ozeanen gebildet, der Plastikmüll ist zu einer der größten Umweltbelastungen unserer Zeit geworden. Jedes Jahr gelangen mehr als 32 Millionen Tonnen Plastik in die Umwelt, allein 13 Millionen Tonnen landen in den Weltmeeren – Rößner spricht gar von „einer der größten globalen Umweltkrisen.“ Ab 2050, so Prognosen, könne mehr Plastik als Fische im Meer schwimmen, „das sind bittere Aussichten“, sagt Rößner: „Es ist allerhöchste Zeit, Plastikmüll den Kampf anzusagen.“
Zum Einkauf hat Rößner einen Korb dabei, eine Stofftasche habe sie immer eingepackt, sagt sie: „Das ist reine Gewohnheit.“ Auch eine Glasflasche schleppt sie mit, um sich Wasser abfüllen zu lassen, wo es geht – Refill heißt etwa eine Initiative, bei der Geschäftsleute einen solchen Service anbieten. Bei langen Sitzungstagen im Bundestag nehme sie sich inzwischen Snacks selbst mit, sagt Rössner, und zeigt auf eine schicke Edelstahl-Lunchbox. „Jeder kann viel zur Müllvermeidung beitragen“, betont sie.
Einkaufen ohne Verpackung, das geht vor allem auf dem Markt und beim Erzeuger im Hofladen. In Mainz gibt es seit drei Jahren einen Unverpackt-Laden, 380 verschiedene Produkte bieten sie hier an, alle zum Selbstabfüllen. Mehl, Kaffee, Reis und Öl gibt es da, selbst die Nudeln kommen einzeln daher. Auch Waschpulver und Putzmittel wartet lose in großen Behältern, dazu gibt es zahlreiche Produkte mit natürlichen Materialien wie Holzzahnbürsten – selbst das Toilettenpapier ist hier nicht in Plastik, sondern in Papier verpackt. Wer hierher kommt, will bewusst Verpackungen vermeiden, die Kunden bringen eigene Dosen mit, die vor dem Einkauf gewogen werden. Auch wer ohne Behälter im Laden steht, geht nicht leer aus: Gespendete Gläser stehen für den schnellen Einkauf zwischendurch bereit. Der Laden boomt und zieht zum Jahreswechsel in größere Räume im Bleichenviertel um, das Interesse sei riesig, sagen sie hier.
„Man kann selbst einiges tun, die Krise aufzuhalten“, sagt Rössner, „es fängt bei jedem einzelnen von uns an.“ Sehr viel mehr tun müssten aber auch Politik und Handel: „Ich würde mir wünschen, dass Supermärkte Verpackungen stärker auf den Prüfstand stellen“, sagt Rößner, denn wer habe schon einen Unverpackt-Laden vor der Haustür? Doppelverpackungen abschaffen spare Geld und schone Ressourcen. Und auch die Bundesregierung müsse sich stärker bewegen, fordert die Grüne: „Wir müssen eine klare Strategie der Vermeidung verfolgen.“ Die Politik müsse einen kunststoffarmen Einkauf ermöglichen und konsequent auf Vermeidung dringend, anstatt auf freiwillige Selbstverpflichtungen zu setzen. „Wir sehen ja, wie aufwändig es ist, Plastik wieder aus den Meeren zu holen“, sagt Rößner, „Vermeiden ist da einfacher.“
Info& auf Mainz&: Der „Unverpackt“ Laden in Mainz zieht zum neuen Jahr in einen größeren Laden im Bleichenviertel um, mehr zu dem Laden, seinem Sortiment und seinem Konzept findet Ihr hier im Internet – auf der Seite gibt es auch Informationen zum Werkstoff Plastik. Infos und Tipps zum Thema Abfall und dessen Vermeidung gibt es übrigens auch im Umweltinformationszentrum der Stadt Mainz in der Dominikanerstraße – und auch hier im Internet.