Er gehört zu den ältesten jüdischen Friedhöfen in Europa, auf ihm liegen Legenden der jüdischen Geschichte wie der Rabbiner Gershom ben Jehuda begraben, doch bislang fristete er ein Schattendasein: Der alte jüdische Friedhof in Mainz „Am Judensand“ soll nun endlich aufgewertet werden. Die Stadt Mainz und die jüdische Gemeinde unterzeichneten am Donnerstag einen Vertrag für die Pflege und Aufwertung des Geländes, der Schritt ist Teil der Bewerbung der drei „Schum“-Städte Speyer, Worms und Mainz als Uncesco-Weltkulturerbe. Der Alte jüdische Friedhof sei „ein Monument der Zeit“, seine Grabsteine schützenswert und unbedingt für die Nachwelt zu erhalten, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD). Auch einen Besucherweg über einen Teil des Friedhofs sowie ein kleines Besucherzentrum soll es künftig geben.
Um das Jahr 1000 gehörte das jüdische Magenza zu den wichtigsten Stätten des Judentums. Gemeinsam mit Worms und Speyer war Mainz ein Hauptzentrum des aschkenasischen Judentums in Europa, in Mainz wurden Vorschriften und Gebete entwickelt, die Juden in aller Welt bis heute befolgen und beten. Um das Jahr 1000 lehrte hier der berühmte Rabbiner Gershom ben Jehuda, genannt „Leuchte des Exils“, der eine weithin berühmte Talmudakademie in Mainz eröffnete.
In der jüdischen Gemeinde in Mainz seien im 11. Jahrhundert viele Ansätze eines modernen theologischen Denkens entwickelt worden, sagt der Mainzer Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky. Rabbi Gershom etwa habe die Polygamie abgeschafft, das Scheidungsrecht reformiert und modernisiert sowie das Postgeheimnis eingeführt. Der Friedhof „Am Judensand“ war die Grabstätte für diese blühende Gemeinde, bis heute steht dort ein Gedenkstein für Gershom. Mehrere Hundert Grabsteine umfasst das Gelände zwischen Mombacher Straße und Fritz-Kohl-Straße, rund 180 davon stammen aus dem Mittelalter. Gefunden wurde hier auch der älteste datierbare Grabstein Europas aus dem Jahr 1049, der Stein für einen Jehuda ben Schneur steht heute im Mainzer Landesmuseum.
Jüdische Gemeinde in Mainz immer wieder vertrieben
Dem Friedhof selbst war keine lange, friedliche Ruhe vergönnt: 1096 vernichtete ein Kreuzfahrerheer der Franken auf dem Weg zum Ersten Kreuzzug ins Heilige Land jüdische Gemeinden im gesamten Rheinland, auch die Mainzer Gemeinde fiel ihnen zum Opfer. Rund 1.000 Juden wurden getötet, ihre Häuser geplündert und in Brand gesteckt. Der Legende nach organisierte der Oberrabbiner Kalonymos ben Meschullah noch die jüdische Bewaffnung und Selbstverteidigung gegen die Übermacht der Angreifer, am Ende aber tötete er seine Familie und sich selbst. Die Mainzer Progrome galten in der jüdischen Welt als solches Fanal, dass sie bis heute das Synonym für Martyrium sind: An jedem jüdischen Neujahrsfest, dem Rosh Hashanna, werde in allen Synagogen der Welt das Netane Tokkef gesprochen, ein Gebet, das an die erschlagenen Juden von Mainz erinnert.
Der jüdische Friedhof wurde auch in der Folge mehrfach zerstört, 1438 etwa vertrieb die Stadtgemeinde die Juden, der damalige Mainzer Erzbischof setzte ihre Rückkehr durch, wie uns der Historiker Christoph Cluse berichtete, Cluse leitet an der Universität Trier das Projekt »Aschkenasische Juden im späten Mittelalter« der DFG-Forschergruppe »Resilienz«.
Im Sommer 1445 erfolgte die Wiedergründung der jüdischen Gemeinde, weiß man bei der Stadt Mainz. Unter Erzbischof Adolf II. jedoch folgten erneute Vertreibungen und schließlich 1470/71 die Ausweisung der Juden aus dem gesamten Mainzer Erzstift. Auch der Jüdische Friedhof wurde enteignet, das Gelände zum Teil untergepflügt, ein Weinberg ist dort verzeichnet. 20 Jahre später wurde der Friedhof den Juden zurück gegeben – allerdings nicht in voller Größe.
Wechselvolle Geschichte des Friedhofgeländes Am Judensand
Überhaupt ist die volle Geschichte des Geländes bis heute nicht voll erforscht: Wissenschaftler berichten, in dem sandigen Untergrund des Hanges seien schon zur Römerzeit Menschen bestattet worden. Nach dem jüdischen Religionsgesetz, der Halacha, darf die Totenruhe auf keinen Fall gestört werden, der Friedhof gilt nach ihren Gesetzen deshalb als unantastbar – die Ruhe der Toten ist auf jüdischen Friedhöfen auf ewig angelegt.
Im Kaiserreich boomte die jüdische Gemeinde in Mainz, 1880 wurde deshalb der Neue Jüdische Friedhof am Rande des Hauptfriedhofs Mainz-Zahlbach eröffnet. 1926 dann richtete die jüdische Gemeinde unter Leitung der Rabbiner Salfeld und Sali Levi im ältesten Bereich des Friedhofs Am Judensand einen sogenannten „Denkmalfriedhof“ ein.
Die alten jüdischen Grabsteinen wurden aufgerichtet, neu angeordnet und nach Osten ausgerichtet – eine Besonderheit. „Wir wissen deshalb heute nicht genau, wo die ursprünglichen Gräber liegen“, sagt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Anna Kischner. Der alte Teil des Friedhofs solle deshalb auch künftig nicht für Besucher zugänglich sein, damit niemand über die Gräber laufe.
In Worms allerdings ist das kein Problem: Der jüdische Friedhof dort ist eine der großen Sehenswürdigkeiten der Stadt, Besucher aus aller Welt wandeln dort zwischen den uralten Grabsteinen, hinterlassen nach jüdischer Sitte Steine auf den Grabsteinen und kleine Bittzettel auf den Gräbern der Rabbiner.
Alter Denkmalfriedhof in Mainz bleibt für Besucher geschlossen
In Mainz soll das nicht möglich sein: Der alte Denkmalfriedhof soll für Besucher nicht geöffnet werden, sagte Ebling. Das Umfeld solle „so gestalten werden, dass man nicht über den Friedhof läuft“, sagte er, auf einem zweiten Teil allerdings, dem Besucherfriedhof, könne zu bestimmten Zeiten ein Zugang ermöglicht werden.
Dieser sogenannte „Besucherfriedhof“ bezeichnet den Streifen entlang der Mombacher Straße, ein Rahmenplan aus dem Juli 2018 sieht hier einen Weg über den Friedhof vor. „Wir werden gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde einen Weg durch den Friedhof festlegen, dass man Besucher durchführen kann“, sagte die Chefin des Wirtschaftsbetriebs Mainz, Jeanette Wetterling.
Mit dem im Juli 2019 unterzeichneten Vertrag übernimmt der Wirtschaftsbetrieb nun die Pflege des Geländes. „Wir sichern heute mit einem Vertrag, dass der Friedhof eine würdige Pflege erfährt, die er momentan nicht hat“, sagte Ebling. Für eine eher kleine Gemeinde wie die jüdische Gemeinde in Mainz sei die Pflege eine solchen Geländes nicht einfach, die Gemeinde schon mit dem Zentrum und der Neuen Synagoge „sehr gefordert.“
„Wir werden die Grünschnittpflege übernehmen und auch einzelne Grabsteine behutsam instand setzen“, sagte Wetterling. Auch solle die Fläche, auf der 2007 beim Abriss der alten Landwirtschaftsschule 26 weitere jüdische Gräber gefunden wurden, nun auch optisch als Teil des Friedhofs einbezogen werden. Der Rahmenplan wurde von der Stadt Mainz im Rahmen der Vorbereitungen auf die Bewerbung als Unesco-Weltkulturerbe erstellt: Das Land Rheinland-Pfalz will im Januar 2020 eine Antrag bei der Unesco einreichen, die Schum-Städte Spira, Wormasia und Magenza – also Speyer, Worms und Mainz – als Weltkulturerbe anzuerkennen.
Die Chancen dürften nicht schlecht stehen, doch sichtbare Zeugnisse dieser Zeit sind durch die Zerstörungswut der Nationalsozialisten wenige geworden. Die große Synagoge in der Mainzer Neustadt, eingeweiht 1912, wurde in der Reichskristallnacht 1938 niedergebrannt, die neue Synagoge des Architekten Manuel Herz gehört seit ihrer Einweihung 2010 zu den Attraktionen der Stadt. Eine kleine Synagoge samt Mikwe in Mainz-Weisenau sowie eben die beiden jüdischen Friedhöfe sind alles, was von dem einst so stolzen jüdischen Magenza übrig ist.
Rabbi Vernikovsky hofft deshalb, dass die Aufwertung des alten jüdischen Friedhofs zu einer Rückbesinnung führt: „Es handelt sich um Monumente von ungeheure Bedeutung“ und Zeugnisse für die große jüdische Geschichte von Mainz, sagte Vernikovsky: Mit ihnen könne man viel stärker begreifen, „wie sehr das Jüdische in der Stadt eine Rolle gespielt hat.“
Die Stadt will den Rahmenplan nun Stück für Stück weiter umsetzen, ein kleines Besucherzentrum soll ebenfalls am Rande des Geländes entstehen. Noch in diesem Jahr solle ein Büro gesucht werden, das die weiteren Pläne dafür entwerfe, sagte die Schum-Beauftragte der Stadt, Elke Höllein. Auch ein Besucherkonzept soll laut Rahmenplan entwickelt werden, eine umfassende Kartierung der Grabsteine erfolgen – der alte Friedhof birgt noch manches Geheimnis.
Info& auf Mainz&: Mehr über die Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in Mainz könnt Ihr im Rahmen der Jüdischen Kulturtage vom 1. September bis 27. November erfahren: Am 5. September 2019 hält der Judaistik-Professor Andreas Lehnardt um 19.00 Uhr in der Neuen Synagoge unter dem Titel „Ruhe im Garten Eden“ einen Vortrag über mittelalterliche jüdische Grabsteine. Mehr über das jüdische Magenza findet Ihr hier bei der Stadt Mainz, den Rahmenplan für den Friedhof Am Judensand genau hier als pdf. Und wenn Ihr Euch jetzt fragt: War da nicht mal was mit einer Deportations-Gedenkstätte in der Nähe des Alten Friedhofs? Da können wir nur sagen: Richtig – unseren Bericht über die Pläne dazu findet Ihr hier. Zum Stand der Umsetzung dieses Projektes gab es aber am Donnerstag bei dem Pressetermin keine Auskunft.
Vielen Dank für die Berichterstattung. Das Jahr der Vertreibung ist falsch. 1438 vertrieb die Stadtgemeinde die Juden, der Erzbischof setzte dann die Rückkehr durch. Sein Nachfolger wiederum veranlasste 1470 die erneute Ausweisung. 1490 wird deutlich, dass die jüdischen Familien des Umlandes den Friedhof weiter benutzten.
Hallo Herr Cluse, vielen Dank für Ihren Kommentar mit den spannenden Ausführungen! Da hatten wir schlicht andere Informationen, womöglich veraltete… Wir werden das aber natürlich gerne ändern und ergänzen!