Die dritte Auflage einer Ampel-Koalition ist seit Montagabend in greifbare Reichweite gekommen. Die Mainzer Grünen entschieden sich auf einem Parteitag mit großer Mehrheit dafür, Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP aufzunehmen. Die SPD hatte zuvor schon einhellig für eine Neuauflage der Ampel-Koalition gestimmt. Damit beugen sich die Grünen auch dem kategorischen Nein der Sozialdemokraten, die jegliche Gespräche mit der Linken abgelehnt hatten. Das schmeckte denn auch nicht allen Grünen: Gleich mehrere Parteimitglieder plädierten dafür, sich nicht von der SPD die Bedingungen diktieren zu lassen – und stattdessen erst einmal im Stadtrat mit wechselnden Mehrheiten zu arbeiten. Trotzdem beschloss der Parteitag mit großer Mehrheit die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen – Mainz& kommentiert: Wirklich noch mal fünf Jahre Lagerbildung, Koalitionsarroganz und vergiftete politische Kultur?

Wahlplakat der Grünen im Kommunalwahlkampf 2019. - Foto: gik
Mainz, Dainz – wem gehört die Stadt? Wahlplakat der Grünen im Kommunalwahlkampf 2019. – Foto: gik

27,6 Prozent hatten die Grünen bei der Kommunalwahl Ende Mai geholt, die SPD war hingegen auf 20,5 Prozent abgerutscht – das verändert die Machtverhältnisse im Stadtrat. Und offenbar haben die Parteien damit ganz schön zu kämpfen: Die SPD lege auch nach der Wahl ein völlig überzogenes Selbstverständnis an den Tag, schimpfte der frühere Ortsvorsteher Matthias Gill und warnte: „Das wird sich auch nicht ändern.“ Die Parteienlandschaft habe sich aber verändert, und das müssten die Grünen jetzt auch deutlich machen, forderte er.

„Die Ampel ist eben nicht alternativlos“, betonte Gill, es müssten verschiedene Modelle des Regierens erwogen werden. In anderen Städten werde schon lange mit wechselnden Mehrheiten in den Stadträten gearbeitet, das könne auch für Mainz funktionieren, fand der Ebersheimer. „Die SPD hat es uns doch stellenweise sehr schwer gemacht“, sagte auch Ute Wellstein, deshalb plädiere sie erst einmal dafür, „mit wechselnden Mehrheiten loszulegen um zu sehen, ob die SPD wirklich mit uns stimmt.“

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Der Antrag für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen komme „zur Unzeit“, fand auch Renate Ammann aus der Mainzer Altstadt – es sei falsch, diese Entscheidung vor der OB-Wahl am 27. Oktober zu treffen. Sollte die Grüne Tabea Rößner tatsächlich Oberbürgermeisterin werden, werde das die Kräfteverhältnisse in der Stadt noch einmal erheblich verschieben. „Wir müssen jetzt Flagge zeigen“, forderte Ammann, „wir lassen uns da jetzt einfach von der SPD den Schneid abkaufen.“

Grüne feiern in der Wahlnacht ihren Erfolg, hier Bürgermeister Günter Beck. - Foto: gik
In der Wahlnacht feierten die Grünen, seither aber kommt die Koalitionsbildung nicht voran. – Foto: gik

„Glaubt Ihr, es wird ohne Koalition besser im Stadtrat? Ich finde das ein sehr gefährliches Spiel“, warnte hingegen Jonas König. CDU, SPD und FDP könnten die Grünen nämlich im Stadtrat auch „schön blockieren“, zumal die anderen Parteien derzeit neidisch auf den Erfolg der Grünen schielten und kein Interesse daran hätten, ihnen Erfolge zu gönnen. Wenn es keinen klaren Fahrplan zur Durchsetzung der grünen Inhalte gebe, könne das schwer werden, warnte er. Das sahen auch mehrere andere Parteimitglieder so: Das Risiko, dass die Grünen im Stadtrat blockiert würden, sei viel zu groß, die Suche nach wechselnden Mehrheiten zu viel Arbeit, das könnten Ehrenamtler nicht leisten – eine Koalition sei da der sichere Weg zur Durchsetzung grüner Inhalte.

„Wir brauchen keine Koalition nur um eine Koalition zu haben, aber um grüne Inhalte durchzusetzen, dafür Ja“, sagte Parteichef Christian Viering. „Ich bedaure es wirklich zutiefst, dass sich die Sozialdemokraten den Gesprächen über eine grün-rot-rote Koalition komplett verweigert hat“, sagte Viering zudem, „ich halte das für einen Fehler.“ Zweimal hätten die Grünen die SPD zu ersten Kontaktgesprächen mit den Linken eingeladen – vergeblich. Dabei habe man nicht einmal ein Problem mit der FDP: „Das Gespräch mit der besten Atmosphäre war das mit der FDP“, bekannte Viering. Mit den Linken aber hätte es von den Inhalten her eine Mehrheit für „eine Koalition für Klimaschutz, moderne Mobilität und soziale Gerechtigkeit“ gegeben – das hätte man doch wenigstens mal sondieren müssen.

Die SPD hatte sich praktisch schon in der Wahlnacht auf eine Fortsetzung der Ampel-Koalition festgelegt, obwohl es auch bei den Sozialdemokraten Sympathien für ein Arbeiten mit wechselnden Mehrheiten im Stadtrat gegeben hatte. Trotzdem votierte die SPD mit großer Mehrheit für eine Neuauflage der Ampel: Man sehe darin am ehesten die Möglichkeit, „weiter eine sehr breite gesellschaftliche Mehrheit der Mainzer Bevölkerung im politischen Meinungsbildungsprozess einzubeziehen“, sagte SPD-Parteichef Marc Bleicher schon Anfang August.

Wahlplakat der Grünen bei der Kommunalwahl 2019: Grün geht's weiter. - Foto: gik
„Grün geht’s weiter“, versprachen die Grünern im Kommunalwahlkampf – wie es aber seither im Stadtrat weiter geht, ist noch immer unklar. Die Grünen müssen liefern. – Foto: gik

Die Linke hatte die Absage der SPD ausdrücklich bedauert und auf erhebliche Gemeinsamkeiten in der Programmatik sowohl mit SPD als auch mit den Grünen verwiesen. „Die SPD will auf Teufel komm raus die FDP in die Regierung bringen, die Grünen haben dazu Ja gesagt“, schimpfte der linke OB-Kandidat Martin Malcherek schon Ende August. Viering wiederum kündigte auf dem Parteitag harte Verhandlungen an: „Ich sage in aller Deutlichkeit: Wir werden nicht um jeden Preis eine Koalition zusammenzimmern“, betonte er. Die Absage der SPD müsse man respektieren, fügte er hinzu: „Wir können niemanden zu seinem Glück zwingen.“ Einen fertigen Koalitionsvertrag wird es vor der OB-Wahl in keinem Fall mehr geben – frühestens Ende des Jahres könnte eine neue Koalition stehen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Sondierungsgesprächen hatten wir hier schon mal Anfang August aufgeschrieben. Mehr zum Ausgang der Kommunalwahl könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.

Kommentar& auf Mainz&: Wirklich „Weiter so“-Ampel? Weiter mit Lagerbildung, Stillstand, vergifteter politischer Kultur?

Man fragt sich wirklich, was das für eine Koalition geben soll – den Ausgang der Kommunalwahl hat ja ganz offensichtlich noch keine Partei verdaut. Die SPD kämpft mit dem Verlust ihrer Position als stärkster Koalitionspartner, die Grünen fremdeln mit ihrer Rolle als stärkste Kraft. Da wird sich beäugt, übereinander gelästert und im OB-Wahlkampf vor und hinter den Kulissen bis aufs Messer gekämpft – und das beileibe nicht nur mit feinen Mitteln. Die Gerüchteküche wird fröhlich angeheizt, schnell mal Fakenews gestreut nach dem Motto: Es wird schon was hängen bleiben. Und vor allem wird an der politischen Arbeit des bisherigen Partners kein gutes Haar gelassen. Und das soll nach der OB-Wahl urplötzlich in eine friedlich-harmonisch-konstruktive Zusammenarbeit münden?

Rot und Grün blinkt die Mainzelmännchen-Ampel am Neubrunnenplatz. - Foto: gik
Rot und Grün blinkt die Mainzelmännchen-Ampel am Neubrunnenplatz – noch liegen aber zwischen SPD und Grünen Welten. – Foto: gik

Schon die vergangenen fünf Jahre zeichnete sich die Ampel ja nun nicht gerade durch eine Politik des Aufbruchs aus, im Gegenteil: Man klammerte sich an vereinbarten Themen fest und versuchte ansonsten, sich möglichst wenig zu bewegen. Geschlossenheit nach außen war das oberste Gebot, um die zu erreichen wurde möglichst wenig kommuniziert – mit den Bürgern schon mal gleich gar nicht. Die Arbeit der Ampel war ein „Closed Shop“, Beschlüsse wurden hinter verschlossenen Türen ausgekungelt, im Stadtrat mit taktischen Spielchen alle Versuche einer Revolte ausgetrickst. Arbeit für den Bürger? Transparenz von Entscheidungen? Offene Diskussionen oder gar Offenheit für Vorschläge der Opposition? Aber bloß nicht!

Auf der Strecke blieben dabei wichtige Themen und Weichenstellung – vor allem im Bereich Klimaschutz, aber auch in der Verkehrspolitik – und jegliche Form eines Aufbruchs bei welchem Thema auch immer. Das bitterste Opfer dieser Politik war aber vor allem eine: die politische Kultur der offenen Diskussion im Mainzer Stadtrat – jegliches offene Ringen um die besten Lösungen für die Stadt wurde aus Angst vor „Abweichlern“ und „Machtverlust“ unterbunden. Na bravo. Die Aussicht, dass das noch einmal fünf Jahre so weitergehen soll, verheißt nichts Gutes für Mainz.

Die Wähler haben am 26. Mai entschieden, wie sie entschieden haben, es liegt jetzt an den Parteien, etwas Sinnvolles daraus zu machen. Bislang zieht aber offenbar noch immer die SPD die Fäden der Macht, bislang hatten die Grünen dem nicht viel entgegen zu setzen. Doch der Wähler hat die Grünen zur stärksten Kraft gemacht, sie müssen jetzt beweisen, dass sie auch gestalten können – die Grünen müssen jetzt liefern.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein