Gestern Abend war es wieder so weit: Amphitryon gab sich im antiken Römischen Theater die Ehre. Hier deshalb noch einmal unser Text vom 14. Juni 2024: Es waren einst Tausende, die hier den Versen von Plautus und Terenz lauschten – 2000 Jahre später muss die Unsichtbare Römergarde die Ränge füllen, die einst Hunderte Meter in die Höhe ragten. Am Donnerstagabend erklangen wohl zum ersten Mal seit der Antike wieder klassische Verse in dem Römischen Theater von Mainz, agierten Mimen in der Orchestra, andächtig beobachtet von rund 100 Gästen. „Amphitryon“ hieß das Stück, das vom „Theater in der Provinz“ gegeben wurde – es wurde ein magischer Abend voll Götter und Erdenwitz.
„Mich sendet Jupiter zu Euch, er hat Gewichtiges mitzuteilen!“ Merkur, der Götterbote spricht’s, und seine Rede gilt der Dame „Nacht“. Sie will er bitten, die Dunkelheit noch auszudehnen, den Tag nicht in die Welt zu lassen, solange Jupiter in den Armen seiner Geliebten liegt. Die aber glaubt, es sei ihr Ehegatte: Amphitryon, der stolze Feldherr aus Theben, zurückgekehrt von der Eroberung Athens.
„Nichts soll dich an das Eheband und Pflichten gemahnen“, umgarnt der vermeintliche Gatte die treue Alkmene: „Mag deine Treue auch dem Gatten gelten, Liebe sollst du dem anderen schenken.“ Göttervater Jupiter höchstselbst ist gekommen, sein verliebtes Sehnen nach der Fürstin zu stillen, und die sinkt bezirzt in seine Arme, ist der „Gatte“ doch plötzlich so viel romantischer und stürmischer als sie es sonst gewohnt. Doch ach, der echte Gatte kehrt am nächsten Morgen nachhause zurück, und sieht sich genötigt zu beteuern: „Bei meiner Ehre, ich war das nicht“ – was wiederum seine Ehefrau nachhaltig verstimmt.
Erstmals seit 2000 Jahren wieder Sprechtheater im antiken Rund
Und so entfaltet sich vor den Augen und Ohren von rund 100 Zuschauern das alte Verwirrspiel um Götter und Erdenmänner, um Liebe, Treue, Verrat und um die Frage: „Was ist jetzt Wahrheit, was ist Lüge“ – so fragt verwirrt der wahre Feldherr: „Ich glaube, die Götter grollen mir, und mein Liebesglück ist in Gefahr!“ Ja, die Götter der Antike erlaubten sich so manchen Scherz mit den Sterblichen. Aus der Verbindung von Jupiter und Alkmene wird einst der Halbgott Herakles hervorgehen, im Stück aber ringen Fürsten und Diener darum, das böse Spiel zu durchschauen, bis sich die Wahrheit offenbart.
Ganze fünf Schauspieler bilden das Ensemble des „Theaters in der Provinz“ unter der Leitung der Schauspielerin und Bühnenautorin Marie-Luise Thüne, seit 2015 widmet sich die kleine Truppe der Adaptierung von Klassikern für ein meist rheinhessisches Publikum. In diesem Jahr nahm sich die Gruppe den „Amphitryon“ vor, und das aus gutem Grunde: 2000 Jahre nach dem Bau des Römischen Bühnentheaters im antiken Mogontiacum erklangen am Donnerstagabend erstmals wieder Verse eines Sprechtheaters in den alten Mauern.
42 Meter breit erhob sich einst die stolze Bühnenrückwand des Römischen Theaters zu Mainz, die Sitzreihen maßen 116 Meter im Durchmesser und reichten bis hinauf zum Giebel der heutigen Lutherkirche. Mehr als 10.000 Menschen fanden auf den Rängen des im 1. Jahrhundert nach Christus erbauten Römischen Theaters, hier fanden die Festspiele zu Ehren des verstorbenen Feldherrn Drusus statt, dessen Grabmal nur wenige Meter entfernt auf der heutigen Zitadelle steht. Hier aber wurden auch Tragödien und Komödien der großen Dichter der Antike gegeben, hier feierte das Volk von Mogontiacum Theaterfeste und lauschte Versen und Musik.
Theatermagie und antike Akustik gegen Zuglärm
Im Jahr 2024 ist das Theater nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Orchestra, ein sandiger Rasenplatz, wird eingefasst von einem unscheinbaren und stark verwitterten Holzkonstrukt zur Begrenzung des Bühnenrunds. Von den einst steilen Besucherrängen sind lediglich ein paar Pfeilerstummel erhalten, eine schnöde Glaswand trennt das antike Theater vom modernen Bahnsteig 4 des Mainzer Südbahnhofs, von dem Gongs und Durchsagen herüberschallen.
Und doch entfaltet sich an diesem kühlen Sommerabend die Magie des Theaterzaubers: Sobald die ersten Verse erklingen, versinkt das Rauschen der Züge und der Lärm der Moderne wie hinter einem Vorhang, den ein gütiger Gott vor die moderne Szenerie gezogen hat. Die Mimen brauchen keine Mikrofone, selbst leiseste Worte dringen klar vernehmbar durch das Theaterrund – die sagenhafte Akustik des antiken Baus funktioniert selbst in seinem rudimentären Zustand ganz hervorragend.
„Ich habe gehört, heute lachen sich hier die Römer schlapp“, begrüßte Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) die knapp 100 Gäste, die auf Stühlen und den alten Holzbohlen Platz genommen hatten. Dass die antike Stätte durch Kultur neu belebt werde, „das ist ein ganz großer Schritt“, freute sich Grosse, und versprach wieder einmal: „Ich hoffe und weiß, dass Weiteres folgen wird.“
Vergnügliche Komödie nach Molière mit Fastnachtern
Was folgte war erst einmal eine vergnügliche Komödie nach dem französischen Dichter Molière: Der hatte 1668 seinen „Amphitryon“ erstmals in Paris auf die Bühne gebracht, das Verwirrspiel sollte wohl dem damaligen Sonnenkönig Ludwig XIV. einen Spiegel wegen dessen zahlloser Liebesabenteuer vorhalten. Da passte es gut, dass die Mimen der Moderne weitgehend aus der Fastnacht kamen: Ranzengardistin Marie-Luise Thüne selbst spielte die Alkmene, den zweifachen Amphitryon gab mit viel Witz und facettenreichem Mienenspiel der Präsident des Karneval Clubs Kastel (KCK), Dirk Loomans.
Hans-Uwe Klügel spielte einen herrlich arroganten Merkur, der dem armen Diener Sosias das Haus und die Ehefrau verleidet. Trudi Hartung wiederum gab eine höchst bodenständige Cleanthis, die gerne mal tiefstes Rhoihessisch schwätzt. Mit Thomas Hayer hatte sich die Truppe zudem einen „Scheierborzeler“ des MCV ins Team geholt: Die Truppe vom Mainzer Carneval Verein bringt jedes Jahr die Fastnachtsposse zur Aufführung, kein Wunder, dass Hayer nicht nur viel Schwung und verschmitzten Charme, sondern auch ein paar Lieder mit auf die Bühne brachte.
Molière wiederum hatte seinen Komödienstoff einem antiken Dichter abgeschaut: dem „Amphitruo“ von Plautus, jenes großen Komödiendichters, der um das Jahr 200 vor Christus große Bühnenhits seiner Zeit schuf. Dass Molière sich bei einem antiken Stoff der Römer bediente, erklärt auch den Göttervater namens Jupiter, der natürlich eigentlich Zeus hätte heißen müssen – des Dichters Freiheit galt schon in der Antike. Plautus Komödien gehörten zu den großen Bühnenhits seiner Zeit, und so darf man wohl mit einiger Sicherheit annehmen, dass auch die Soldaten und Bürger im antiken Mogontiacum den Versen des Plautus lauschten – genau hier, in diesem Theater.
„Das Spiel ist aus, zuende ist mein Glück“, seufzte schließlich Amphitryon alias Loomans. Das Glück aber war am Donnerstagabend auf Seiten der modernen Mainzer: Sie erlebten, wie das Leben in das antike Theater zurückkehrte, und es war, als lauschten die uralten Steine andächtig dem Geschehen. „Die Unsichtbare Römergarde“, sagte Initiator Christian Vahl, Vorsitzender der Initiative Römisches Mainz noch, „war vollständig angetreten.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum antiken Römischen Theater von Mainz findet Ihr auf dieser Internetseite der Gebäudewirtschaft Mainz, von der auch die Rekonstruktionsgrafik stammt. Das Stück „Amphitryon – und die Götter lachen sich schlapp“ wird noch ein letztes Mal im antiken Römischen Theater zu Mainz gegeben, und zwar am 04. September 2024, Infos dazu hier. Wer hingehen will, muss sich beeilen: Die Karten sind wegen der begrenzten Zuschauerzahl schon wieder fast ausverkauft. Karten kosten 18,-. Euro, bestellen könnt Ihr sie über die Email taberna(at)roemisches-mainz.de. Und natürlich darf eine kleine Fotogalerie nicht fehlen: