Vor 20 Jahren rollten schon die Bagger, als die Rettung in letzter Minute gelang: Im August 2003 wurde im Untergeschoss der Römerpassage in Mainz das Isis- und Mater Magna Heiligtum eingeweiht. Die Präsentation antiker Tempelreste aus dem 1. Jahrhundert nach Christus gehört heute zu den Meilensteinen des römischen Mainz. Am 1. September 2023 feierte die Initiative Römisches Mainz (IRM) das Ereignis – und nichts weniger als die Geburtsstunde der Mainzer Identifikation mit dem antiken römischen Erbe. Zu den Ehrengästen zählte einer, ohne den es das Isis-Heiligtum heute nicht geben würde: der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD).

Der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) beim Festakt "20 Jahre Isistempel" in der Römerpassage in Mainz. - Foto: gik
Der ehemalige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) beim Festakt „20 Jahre Isistempel“ in der Römerpassage in Mainz. – Foto: gik

„Wir stehen hier auf dem Isistempel“, sagte Kurt Beck, bis zum Jahr 2013 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz: „Niemand würde heute mehr in Frage stellen, dass das erhaltenswert war.“ Es ist der 1. September des Jahres 2023, und in der Römerpassage in Mainz haben sich einige Hundert Gäste versammelt, um ein Ereignis zu feiern, das 20 Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre: Eine Verneigung vor dem antiken römischen Erbe. „Es ging phasenweise wie ein Stöhnen durch Mainz, wenn es hieß: schon wieder ein Römerschiff, schon wieder Römerfunde“, erinnerte sich Beck.

„Wir beginnen mit dem Jahr 1999“, sprach Christian Vahl, heutiger Vorsitzender der Initiative Römisches Mainz (IRM): „Das Bauprojekt hieß noch nicht Römerpassage, und es lief unproblematisch – bis zu diesem Fund.“ Es war im März 2000, als die Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege in der Baugrube für ein Einkaufszentrum mitten in der Innenstadt von Mainz auf Mauerreste stießen – Mauern, die Rätsel aufgaben.

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Auftrag von Vespasian: Baue mir einen Isistempel in Mogontiacum

„Man war gespannt auf jeden Quadratmeter Boden, denn in jedem Quadratmeter steckt Geschichte wie ein zugeklapptes Buch“, berichtete der damalige Landesarchäologe Gerd Rupprecht: „Und für dieses Areal an der antiken Straße hat man nicht unbedingt einen Tempelbezirk erwartet, sondern Händler und Gastronomie.“ Das antike Mogontiacum war im 1. Jahrhundert nach Christus nicht nur ein bedeutendes Legionslager an der Mündung von Main und Rhein, sondern auch eine quirlige Handelsmetropole mit Handwerksvierteln, Händlervillen und einem Tempelbezirk.

Das antike Heiligtum für die Göttin Isis sowie die Magna Mater im heutigen präsentationsraum unter der Römerpassage in Mainz. - Foto: gik
Das antike Heiligtum für die Göttin Isis sowie die Magna Mater im heutigen präsentationsraum unter der Römerpassage in Mainz. – Foto: gik

Irgendwann zwischen 70 und 79 nach Christus hatte der römische Kaiser Vespasian seinen persönlichen Kassenverwalter nach Mogontiacum geschickt, eine Geldkiste im Gepäck – und einen Auftrag: Der ägyptischen Göttin Isis, die Vespasian einen großen Sieg prophezeit hatte, einen Tempel zu erbauen – so zumindest vermuten es die Archäologen. Dass das antike Mainz mit seinen 6000 Mann pro Legion sowie der blühenden zivilen Handelsstadt im Umfeld einen großen Tempelbezirk gehabt haben musste, wussten die Forscher schon lange – im Frühjahr 2000 fanden sie ihn.

„Es war ein bedeutender Meilenstein für die Geschichte von Mainz“, betonte die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) nun, und erinnerte an die Zeit Ende der 1990er Jahre: Beim Umbau des Südbahnhofs fanden die Archäologen um Gerd Rupprecht das größte antike Bühnentheater nördlich der Alpen, und holten seine Mauerreste über Jahre hinweg mit Tausenden Freiwilligen aus dem Boden. „Und als wäre das römische Theater nicht schon sensationell genug, stieß man kurz darauf auf Teile des Isis-Heiligtums“, erinnerte sich Grosse.

Inschriften und Fluchtäfelchen wiesen auf ein Heiligtum hin: Isis

Der Nachkriegsbau der damaligen Lotharpassage lag genau über den Resten der antiken Hauptstraße, die vom Militärlager auf dem Kästrich zur Brücke über den Rhein führte. „Für dieses Areal an der antiken Straße hat man nicht unbedingt einen Tempelbezirk erwartet, sondern Händler und Gastronomie“, berichtete Rupprecht: „Das alles darf man sich als quirliges, turbulentes Leben vorstellen, dazu gehörten auch die Gebäude – die wir aber noch nicht gefunden haben.“

Fluchtäfelchen, gefunden in den Resten des antiken Isistempels, rekonstruiert und entziffert. - Foto: gik
Fluchtäfelchen, gefunden in den Resten des antiken Isistempels, rekonstruiert und entziffert. – Foto: gik

Nun aber stießen die Archäologen auf Mauerreste, am Ende sechzehn mal sechzehn Meter groß – und auf ein Rätsel: „Die Funde waren von außerordentlicher Natur, das war klar, aber wir mussten erst einmal schauen, was wir gefunden hatten“, erinnerte sich Rupprecht: „Es war keine Töpferei, kein Gräberfeld und keine römische Villa, nichts aus dem ganzen Spektrum dessen, was wir aus dem römischen Mainz kannten.“ Dann tauchten Funde auf, die auf einen Zusammenhang mit Religion hinwiesen, dann geschriebene Botschaften auf Täfelchen – Flüche gegen Rivalen und Bittschriften an die Göttin – und schließlich die Inschrift, die den entscheidenden Hinweis gab: Ein Isis-Tempel. Eine Sensation.

17 Monate hatte die Archäologie Zeit, das Bauwerk zu dokumentieren, doch die Zukunft der antiken Reste war düster: Dem Tempel drohte die Vernichtung. „Die Argumentation war einfach: Es ist alles dokumentiert, die Bagger waren schon im Anmarsch“, berichtete Rupprecht. Ungewöhnlich war das damals nicht: Ähnliches widerfuhr dem Mithräum, einem Heiligtum für den Gott Mithras, gefunden am Mainzer Ballplatz einige Jahre zuvor. Das Mainz des Jahres 2000 ging mit den Relikten seiner Geschichte nach dem Motto um: Das ist alt, das kann weg.

Petition und Demo für Erhalt: „Lasst den Archäologen Zeit!“

„Ich erinnere mich noch sehr gut an die Diskussionen, ja an die Auseinandersetzungen, die es damals hier in Mainz und anderswo gegeben hat“, berichtete Kurt Beck der Festgesellschaft: Es sei „eine Zwickmühle zwischen Bewahren und Bauen“ gewesen. Die Archäologen waren bei den Bauherren alles andere als beliebt, die antiken Reste störten und kosteten Zeit – der Wert des historischen Erbes spielte kaum eine Rolle. Die damaligen Bauherren, die Mainzer Aufbaugesellschaft MAG und die Aufbaugesellschaft Lotharpassage, „hatten bereits eine Grabungsstopp beantragt“, erinnerte der Journalist Bernd Funke, Gründungsmitglied der IRM: Ein Gericht lehnte den Grabungsstopp ab.

Zwei, die den Isistempel retteten: Der frühere Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und der damalige Landesarchäologe Gerd Rupprecht. - Foto: gik
Zwei, die den Isistempel retteten: Der frühere Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und der damalige Landesarchäologe Gerd Rupprecht. – Foto: gik

Und eine Gruppe von Mainzer Geschichtsinteressierten begann, sich gegen die Vernichtung des antiken Erbes zu stemmen: „In dieser Zeit kamen die ersten Aktionen der IRM, die ersten Appelle und schließlich die Petition: Lasst den Archäologen Zeit!“, berichtete Funke. Der IRM gelang es, binnen kürzester Zeit 10.000 Unterschriften zu sammeln, die an den damaligen Oberbürgermeister Jens Beutel (SPD) übergeben wurden. „Der sagte vordergründig, ja wir kümmern uns“, erinnerte sich IRM-Gründungsvorsitzender Gerd Krämmer.

Doch Beutel hielt sein Wort nicht: „Nach der Sommerpause hieß es auf einmal: so viel Geld haben wir doch gar nicht“, erinnerte sich Vahl – die Bauherren forderten den Grabungsstopp sowie Entschädigung für die Bauverzögerungen, die Archäologen den Erhalt und Wiedereinbau des Tempels an seinem Originalfundort. „Es war die Situation, dass da zwei Züge aufeinander zufahren, und es zu einem Crash kommen könnte“, erinnerte sich der damalige Ministerpräsident.

Die Geburtsstunde der „Römerstadt Mainz“

In dieser Lage gingen rund 2000 Mainzer in der bislang einzigen Demonstration in Deutschland für den Erhalt eines antiken Bauwerks auf die Straße. „Für mich ist es das erste Mal, dass man von der Römerstadt Mainz sprechen konnte“, betonte Vahl. Die Initiative Römisches Mainz wandte sich schließlich in einem verzweifelten Appell an Beck: Der Ministerpräsident müsse die antiken Tempelreste retten helfen.

Der frühere Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) wurde für seinen Einsatz für den Isistempel vom heutigen IRM-Vorsitzenden Christian Vahl mit der Drususmedaille ausgezeichnet. - Foto: gik
Der frühere Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) wurde für seinen Einsatz für den Isistempel vom heutigen IRM-Vorsitzenden Christian Vahl mit der Drususmedaille ausgezeichnet. – Foto: gik

„In dieser Zeit hat das gesellschaftliche Engagement eine ganz große Rolle gespielt“, erinnerte sich Beck. In gemeinsamen Gesprächen, „einem gemeinsamen Sich-Begegnen“, habe man nach einer Lösung gesucht. „Insider berichten von einem tiefen Interesse und Verständnis beim Gespräch mit Kurt Beck“, verriet Vahl. Gemeinsam mit Rupprecht und Krämmer habe man „durch intelligente Ideen und aufeinander Zugehen“ die Lösung entwickelt: Eine Translocation, ein Wiedereinbau des antiken Tempels wenige Meter versetzt vom Fundort im Untergeschoss der neuen Einkaufspassage.

„Die Frage der Finanzierung hat Kurt Beck damals quasi im Alleingang gelöst – indem er sich instinktsicher für das Richtige entschied und die Entscheidung traf: doch, wir machen das“, betonte Vahl: „Heute kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Existenz des Heiligtums ohne Kurt Beck als mehr als fraglich angesehen werden muss.“ Den Archäologen wurde von Land und Stadt Geld zur Verfügung gestellt, um länger graben und die Funde des Isistempels sichern zu können. Im Herbst 2001 begann die Sicherung der antiken Tempelmauern, im Oktober 2002 begann der Wiedereinbau in den zukünftigen Präsentationsraum im Untergeschoss der Passage, der im August 2003 eröffnet wurde.

Kithara und Cornu: Musik auf antiken römischen Instrumenten

„Die Versetzung hat wunderbar geklappt“, schwärmte Rupprecht noch heute: „Wir fanden, und das werde ich nie vergessen, in der Bauwirtschaft ungeheure Unterstützung – mancher Baggereinsatz oder Lkw war umsonst, ließ sich finden und einsetzen.“ Die Funde aber sollten nicht nur einfach im Boden liegen, sondern zu „sprechenden Funden“ werden, die ihre Geschichte erzählen. Binnen kürzester Zeit wurde die Konzeption entwickelt, erinnerte sich Rupprecht: „Jeder hatte irgendwelche Ideen, selbst der Betonierer.“

Der experimentelle Musikarchäologe Hagen Pätzold mit dem Nachbau einer antiken Kithara. - Foto: gik
Der experimentelle Musikarchäologe Hagen Pätzold mit dem Nachbau einer antiken Kithara. – Foto: gik

„Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung“, zitierte da sehr passend ein Mann in römischer Tunika und mit römischen Instrumenten: Der experimentelle Musikarchäologe Hagen Pätzold untermalte die Feierstunde mit Musik auf Nachbauten antiker römischer Instrumente: Ein Traktat an Helios, den Sonnengott, gespielt auf dem Nachbau eines römischen Cornu, das einst bei Ausgrabungen in Pompeii gefunden wurde. Oder eine griechische Weise auf dem Nachbau einer Kithara, dem Vorgänger der Harfe, wie sie auf dem römischen Orpheus-Mosaik verewigt wurde, gefunden bei Ausgrabungen in der Mainzer Badergasse.

700.000 Besucher bis heute im Isistempel in Mainz

2003 kamen 25.000 Besucher zur Eröffnung der Isis- und Magna Mater-Heiligtums in die Mainzer Innenstadt, bis heute haben mehr als 700.000 Besucher die Präsentation besucht, die noch immer ehrenamtlich von der IRM betreut wird. Der Eintritt in das Heiligtum ist weiter kostenlos, der Erhalt speist sich allein von den Ausgaben der Besucher im Shop und von Spenden. „Es wird hier ganz deutlich, wie wichtig es ist, wenn sich Bürger für ihre Gemeinschaft, für ein positives Ziel engagieren“, betonte Beck.

Der frühere Landesarchäologe Gerd Rupprecht und IRM-Gründungschef Gerd Krämmer beim Festakt "20 Jahre Isistempel". - Foto: gik
Der frühere Landesarchäologe Gerd Rupprecht und IRM-Gründungschef Gerd Krämmer beim Festakt „20 Jahre Isistempel“. – Foto: gik

Daraus entstehe dann auch „eine Kraft“, die dazu führe, dass die Verantwortlichen sich aufmachten, Wege zu einer Lösung zu suchen, gab der Ministerpräsident a.D. zu bedenken: Das damalige Vorgehen mit der gemeinschaftlichen Suche nach Lösungen könne „ein Beispiel sein für unsere Zeit.“ Das ehrenamtliche Engagement sei auch weiterhin „unheimlich wichtig“, befand denn auch Gerd Krämmer: „Es ist ja unsere Kultur gewesen, die hier begründet wurde, das Römische ist ja nach wie vor präsent bei uns.“

Mit einem Sistrum, einer antiken Rassel, habe man zu Zeiten des Isistempels „das Gehör der Gottheit öffnen können, um sein Begehr zu Gehör zu bringen“, berichtete Hagen Pätzold, und berichtete: „Es gibt im Kontext der Isisverehrung eine kleine Weise aus ägyptischer Zeit, eine Weise an Osiris, die lautet: Kommet zu mir nach Hause, du Pfeiler Heliopolis/ Denn die Feinde gibt es nicht mehr/ Oh, du schöner Sistrumspieler,/ Ich bin Isis, deine Schwester, die dich liebt!“ Vor 20 Jahren hat eine Göttin wohl zugehört.

Info& auf Mainz&: Mehr zum antiken Isistempel und der Geschichte seiner Rettung lest Ihr auch hier bei Mainz&. Mehr zur Initiative Römisches Mainz findet Ihr hier im Internet.