Eine Woche nach dem Auftritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) wirft ihr Agieren vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal noch immer hohe Wellen. Die Freien Wähler fordern inzwischen den Rücktritt der Ministerin, ebenso wie die Junge Union in Rheinland-Pfalz. Die AfD spricht von einem „Totalversagen“ der Ministerin, die CDU sieht die „Blame Game“-Vorwürfe eher bestätigt. Bundesweit herrschte die Einschätzung in Medien vor, Spiegel habe die Vorwürfe gegen sie nicht entkräften können – ihr Agieren in der Flutnacht werfe weiter zahlreiche Fragen auf. Für Irritationen sorgte zudem, dass just am Tag ihrer Vernehmung eine Fotostrecke in der Süddeutschen Zeitung erschien – mit dem Titel: „Sagen Sie jetzt nichts.“

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. – Foto: gik

Vor genau einer Woche hatte die heutige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtag zu ihrem Agieren in der Nacht der verheerenden Flut im Ahrtal am 14. Juli Stellung nehmen müssen – Spiegel war damals Umweltministerin in Rheinland-Pfalz und damit zuständig für den Hochwasserschutz. Der Untersuchungsausschuss versucht derzeit zu klären, wie es dazu kommen konnte, dass in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 eine neun Meter hohe Flutwelle durchs Tal raste – und so gut wie niemand davor gewarnt wurde. In der Folge starben 134 Menschen im Ahrtal, Tausende verloren ihre Häuser und ihre Existenz.

Spiegel berichtete in ihrer Vernehmung am 14. März, sie sei an jenem Abend nach dem Landtagsplenum mit Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun essen gewesen, und habe sich dann in ihrer Mainzer Zweitwohnung „im Internet informiert“. Kommunizieren tat die Ministerin indes wenig: Drei mal griff angeblich zum Telefon, einmal um ein sehr kurzes Telefonat mit ihrem Staatssekretär Erwin Manz zu führen – und obwohl die Ministerin angeblich aufgewühlt und besorgt war, und der Inhalt des Telefonats sich um hochgradig dramatische Szenen im Ahrtal drehte, habe es sich nur um einen „kurzen, prägnanten Austausch“ von wenigen Minuten gehandelt, wie Manz berichtete,

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Ansonsten unternahmen Spiegel – nichts. Ihr Staatssekretär habe ihr abgeraten, ins Ahrtal zu fahren, und zudem betont, man sei nicht zuständig – das sei jetzt Sache des Katastrophenschutzes, und der liege beim Innenministerium. Die für Hochwasser zuständige Ministerin telefonierte in jener Nacht weder mit dem Innenministerium noch mit ihren eigenen Leuten in der Hochwasserzentrale, auch nicht mit der Chefin des Landesamtes für Umwelt. Spiegel ist zu jenem Zeitpunkt stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat sie dennoch in dieser Katastrophennacht keinen Kontakt – bis Donnerstagfrüh 7.30 Uhr nicht. Da hatte Dreyer Spiegel bereits 1,5 Stunden zuvor zu erreichen versucht.

Zerstörtes Haus in Schuld im Ahrtal am Morgen des 15. Juli 2021. - Screenshot: gik via SWR
Zerstörtes Haus in Schuld im Ahrtal am Morgen des 15. Juli 2021. – Screenshot: gik via SWR

Die Opposition zeigte sich danach von dem Agieren der Ministerin entsetzet: Spiegel habe in ihrer Befragung viele Fragen offen gelassen, sagte CDU-Obmann Dirk Herber: „Die ehemalige Landesministerin vermittelt den Eindruck, sie habe ihr Haus und die zuständigen Fachabteilungen nicht im Griff gehabt.“ Während sich die furchtbaren Meldungen aus dem Ahrtal häuften, in Altenahr gar „eine Familie in ihrem Haus zu ertrinken drohte, ging Ministerin Spiegel mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden Braun in einem Restaurant in Mainz Essen“, sagte Herber. Und während am Flutabend in Schuld bereits sechs Häuser eingestürzt waren, „saß der Staatssekretär zu Hause und trank nach eigenen Angaben ein ‚Bierchen‘ und schaute die Nachrichten.“ Diese Form der Untätigkeit „entspricht nicht meinem Verständnis vom Ministereid ‚zum Wohle‘ des Volkes!“, kritisierte Herber.

Auch die Freien Wähler unterstrichen, sich allein auf die Aussagen und Empfehlungen ihres Staatssekretärs Erwin Manz zu verlassen, „war fahrlässig und wurde der Dramatik der Lage nicht gerecht“, schimpfte FW-Obmann Stephan Wefelscheid – und forderte als erster den Rücktritt der Ministerin: „Anne Spiegel hat als Ministerin versagt und muss zurücktreten.“ Die Vernehmung habe den Verdacht bestätigt, wonach Spiegel am 14.Juli 2021 erst ab etwa 23.00 Uhr klar gewesen sei, dass die Flut im Ahrtal extreme Ausmaße angenommen habe, begründete Wefelscheid sein Fazit. Dabei habe die damalige Präsidentin des Landesamtes für Umwelt, Sabine Riewenherm, bereits um 18.44 von einer sich anbahnenden Katastrophe gesprochen – und dies auch Manz mitgeteilt.

Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Tatsächlich war Spiegel aber bereits am späten Nachmittag im Landtagsplenum informiert worden, Innen-Staatssekretär Randolph Stich hatte ihr mitgeteilt, es gebe „eine Lage“ im Ahrtal – es müssten bereist Menschen mit Hubschraubern vor den Wassermassen gerettet werden. Bilder der vom Wasser eingeschlossenen kursierten da bereits unter den Politikern im Landtagsplenum, Spiegel selbst betonte bei ihrer Vernehmung, sie sei schon zu diesem Zeitpunkt “betroffen” gewesen, habe sich “Sorgen um die Menschen gemacht“ – Handeln tut sie nicht.

Die AfD-Opposition wirft deshalb Spiegel sogar „Desinteresse, Unkenntnis und Inkompetenz“ vor: „Kaum ein Bemühen, sich proaktiv Kenntnisse über die Zuspitzung der Lage zu verschaffen“, kritisierte AfD-Obmann Michael Frisch Stattdessen habe Spiegel „blind“ Staatssekretär Manz vertraut, „der ganz offensichtlich selbst überfordert war und sich mit Dienst nach Vorschrift zufrieden gab.“ Spiegel habe die Schreckensprognose von einem Ahrpegel von 5,19 Metern einschätzen können, gleichzeitig aber auch keine Notwendigkeit gesehen, sich darüber von ihren Fachleuten informieren zu lassen.

 

Zu dieser Unkenntnis sei dann noch eine „seltsame Passivität“ der Ministerin in der Flutnacht gekommen, kritisierte Frisch: „Ein bizarres Bild: Während im Ahrtal Menschen um ihr Leben kämpfen, sitzt die Umweltministerin zuhause am Computer und informiert sich über die Lage. Kein einziges dienstliches Telefonat mehr nach 22.30 Uhr, kein Kontakt mit ihrem Ministerium oder mit dem für den Katastrophenschutz zuständigen Innenminister, kein Gespräch mit der Ministerpräsidentin, keine Warnungen über den SWR, keine Beratungen im Krisenstab, keine Entscheidungen, was zu tun sei.“

Opposition: „Tausende“ von Nachrichten Spiegels gab es nicht

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. - Foto: gik
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. – Foto: gik

Nicht entkräften konnte Spiegel in ihrer Vernehmung zudem den Vorwurf, sie habe sich am nächsten Morgen mehr um ihr Image als um die betroffenen Menschen gekümmert. Spiegel hatte tatsächlich zugegeben, dass sie in einem SMS-Austausch einem damaligen Berater zustimmte, sei brauche eine glaubwürdige Rolle und ein „Wording“, dass sie immer gewarnt habe – um Vorwürfe des eigenen Koalitionspartners kontern zu können. Spiegel versuchte die SMS dadurch zu entkräften, dies sei „nur ein ganz kurzer Gedanke“ gewesen, den sie nicht weiter verfolgt habe.

Die Nachrichten seien zudem nur zwei Meldungen „unter Tausenden“ gewesen, behauptete Spiegel, CDU-Obmann Herber widerspricht: Es habe keine „Tausenden“ an Nachrichten gegeben, ja: nicht einmal Hunderte, sagte Herber gegenüber Mainz&: Die Ministerin habe eben nicht umfassend kommuniziert – das bewiesen ihre Kommunikationsprotokolle. Diese Protokolle belegen die Kommunikation der Verantwortlichen in der Regierung in der Flutnacht, auf Antrag des Untersuchungsausschusses mussten die Regierenden sämtliche elektronische Kommunikation der Nacht und des darauffolgenden Tages dem Ausschuss vorlegen.

Befand das Umweltministerium in der Flutnacht für nicht zuständig: Staatssekretär Erwin Manz (Grüne). - Foto: gik
Befand das Umweltministerium in der Flutnacht für nicht zuständig: Staatssekretär Erwin Manz (Grüne). – Foto: gik

Dass sich Spiegel, wie behauptet, am Morgen des 15. Juli umfassend habe informieren und um Katastrophenmanagement getätigt habe, gehe aus den Unterlagen nicht hervor, betonte auch Frisch: „Belegen lässt sich eine solche Kommunikation vor 8.00 Uhr in den Akten nicht.“ Spiegels Darstellung, ihre einzige Priorität sei gewesen, den Menschen zu helfen, „entspricht in keiner Weise der Realität „, kritisierte der AfD-Mann: „Eine Warnung der Ministerin im Kabinett gab es definitiv nicht. Wenn überhaupt, dann wurde sie von anderen gewarnt.“ Es habe auch keine Tausenden, ja nicht einmal hunderte Seiten von Kommunikation mit der Ministerin gegeben – aber noch mehrere Tage nach der Flut sei laut darüber nachgedacht worden, wie ein geeignetes Wording aussehen könne.

„Blame Game-Brisanz nicht entkräftet“

Spiegel habe „die Blame Game-Brisanz nicht entkräften können“, findet auch Herber, und konstatiert: „Offenbar war bzw. sind Misstrauen und Rivalitäten in der Ampel-Regierung zwischen Grünen und SPD groß.“ Spiegel, Dreyer und Innenminister Roger Lewentz (SPD) müssten sich vielmehr fragen lassen, ob sich die Ministerien und die Staatskanzlei in der Flutnacht wirklich vernünftig abgestimmt hätten. „Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben, niemand sieht sich in der Verantwortung“, schimpfte Herber: „Die Ampelregierung hat in der Krise versagt.“

Zerstörte Ahr-Brücke in Altenahr im November 2021. - Foto: gik
Zerstörte Ahr-Brücke in Altenahr im November 2021. – Foto: gik

Rücktrittsforderungen überließ die rheinland-pfälzische CDU aber bisher anderen: Spiegel sei eine „Fehlbesetzung“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger laut SWR: „Sie hat bisher inhaltlich nichts geleistet – und jetzt holt sie auch noch ihr Versagen in der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz ein.“ Und CDU-Generalsekretär Mario Czaja sagte der BILD-Zeitung, Spiegels Auftritt habe mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. „Das macht mir Angst mit Blick darauf, dass sie jetzt für eine noch viel größere Aufgabe mitverantwortlich ist, nämlich die Versorgung von Tausenden geflohenen Frauen und Kindern aus der Ukraine“, sagte Czaja: „Ich bezweifle, dass Frau Spiegel dieser Aufgabe gewachsen ist.“

 

Konkret legte die Junge Union Spiegel den Rücktritt nah und schimpfte, die Grünen im Bund müssten sich fragen, „ob Anne Spiegel als Ministerin tragbar ist, wenn der Schwerpunkt ihrer Interessen im Angesicht dieser Jahrhundertkatastrophe ihr politisches Image und das richtige Gendern von Pressemitteilungen waren“, kritisierte JU-Bundesvorstandsmitglied Marc Philipp Janson: Anne Spiegels Rücktritt als Bundesministerin sei „unausweichlich.“

Grüne-Bundesspitze: Spiegel-Auftritt „voll überzeugend“

Für die Parteispitze der Grünen hingegen war der Auftritt ihrer Ministerin vor dem Untersuchungsausschuss „voll überzeugend“: Spiegel habe deutlich gemacht, „dass sie sich mit Verantwortungsbewusstsein und Empathie für die Menschen in diesem Land einsetzt und dass ihre erste Sorge den Menschen und ihrer Not galt“, fanden die Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour. Und auch die Grünen in Rheinland-Pfalz tönten, die Vorwürfe gegen das Umweltministerium seien „ins Leere gelaufen“ – „einmal mehr“ habe sich gezeigt, dass das Landesamt für Umwelt seiner Warnfunktion im Zuge der Flutkatastrophe gerecht geworden ist“, unterstrich Grünen-Obmann Carl Bernhard von Heusinger.

Schlammbedeckter Hausrat in Dernau, sechs Tage nach der Flutkatastrophe: Gewarnt worden waren die Menschen nicht. - Foto: gik
Schlammbedeckter Hausrat in Dernau, sechs Tage nach der Flutkatastrophe: Gewarnt worden waren die Menschen nicht. – Foto: gik

Dass der Grünen-Obmann dabei auch von „rechtzeitigen Flutwarnungen ohne Abstriche“ sprach, dürfte selbst eigene Leute verwundert haben: Vor dem Ausschuss hatte selbst Landesamt-Präsidentin Riewenherm von „Pannen“ gesprochen und einräumen müssen, eine wichtige Warn-Mail sei an dem Abend gar nicht herausgegangen.

Und die Ministerin selbst habe in ihrer Kommunikation „kein Wort über die schreckliche Situation, keine Worte der Empathie, keine Überlegungen, wie schnelle Hilfe geleistet werden kann“, erkennen lassen, kritisierte CDU-Fraktionschef Christian Baldauf. Stattdessen habe sie ihrer eigene „mediale Performance und machtpolitisches Taktieren über die Not der Menschen im Ahrtal“ gestellt, schimpfte Baldauf: „Das ist beschämend und unwürdig für eine Ministerin.“

Spiegel Fotostory am gleichen Tag: „Sagen Sie jetzt nichts“

Und dann stellte sich heraus: Just am Tag ihrer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss erschien eine Fotostrecke von Anne Spiegel in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Zeitung bittet regelmäßig Politiker unter dem Titel „Sagen Sie jetzt nichts“ zum phantomimischen Fotoshooting, Spiegel präsentiert sich dabei als fürsorgliche Mutter, toughe Feministin und eingefleischte Grüne. Dass die Fotostrecke mit der emotionalen Selbstdarstellung aber ausgerechnet am gleichen Tag irher Vernehmung erschien, an dem die Ministerin just unter hohem Druck stand, stieß vielfach übel auf.

Stephan Wefelscheid ist Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: Freie Wähler
Stephan Wefelscheid ist Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: Freie Wähler

„Es ist geschmacklos, dass Anne Spiegel im Untersuchungsausschuss von ihrer Betroffenheit über die vielen Toten und Verletzten der Flutkatastrophe berichtet, während zeitgleich eine Fotostory mit teils lustigen Bildern von ihr im SZ Magazin veröffentlicht werden“, kritisierte Wefelscheid. Insbesondere das Bild „Grinsebacke“ steche heraus, wo es um ihre Beförderung zur Bundesministerin gehe – „kein Wunder sein, dass sie sich über ihre ‚Beförderung‘ gefreut hat, schließlich war das die Möglichkeit der Verantwortung in Mainz zu entfliehen“, schimpfte Wefelscheid.

Und der Fraktionsgeschäftsführer der Freien Wähler, Christian Altmaier fragte entsetzt, wer denn bitte die Ministerin berate. „‚Sagen Sie jetzt nichts‘ hat sie auch am Freitag wortwörtlich genommen“, kritisierte Altmaier auf seinem Facebook-Account: „Für die Menschen im Ahrtal, die unfassbare Verluste zu verkraften haben, klingt das denke ich sehr zynisch.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht über den Auftritt von Ministerin Spiegel und Staatssekretär Manz vor dem Untersuchungsausschuss könnt Ihr hier auf Mainz& nachlesen.