Nun also doch: Die Antragsfrist für Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds für das Ahrtal wird um drei Jahre verlängert. Betroffene Bürger und Kommunen sollen nun die Anträge für Hilfegelder bis zum 30. Juni 2026 einreichen können, das teilte die Mainzer Staatskanzlei am Dienstag mit: Die Bundesregierung habe dem nun zugestimmt. Damit geht ein Tauziehen zwischen Berlin und Mainz um die Frist zu Ende – sonst hätte womöglich ein Verfallen eines Großteils der mehr als 15 Milliarden Euro schweren Hilfen gedroht.
Das Ahrtal ist auch mehr als ein Jahr nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 noch eine riesengroße Baustelle: Zahllose Häuser stehen noch immer als halbe Ruinen da, viele Orte sind Orte ohne Erdgeschoss, weil dort die Schäden noch immer nicht beseitigt werden konnten. Grund sind komplizierte Antragsverfahren und stockende Bearbeitung bei Versicherungen sowie bei der landeseigenen Investitions- und Strukturbank von Rheinland-Pfalz.
Dazu kommt: Viele Betroffene haben Stand Herbst 2022 Anträge auf Wiederaufbauhilfen noch gar nicht gestellt, darunter viele Winzer, deren erste Priorität auf der Sicherung der Ernten 2021 und 2022 lag, aber auch Privatleute, denen Wiederaufbaupläne bislang verzögert wurden oder sogar noch unklar sind. In den Kommunen wurden viele Infrastrukturmaßnahmen wie der Neubau von Brücken oder andere große Wiederaufbaumaßnahmen noch gar nicht begonnen – doch Ende Juni 2023 sollte eigentlich Schluss sein.
30 Milliarden Euro hatten Bund und Länder nach der Flutkatastrophe 2021 für einen Wiederaufbaufonds zur Verfügung gestellt, Rheinland-Pfalz erhält davon 54,5 Prozent – knapp 17 Milliarden Euro. Die ungeheure Summe aber hätte eigentlich bis zum 30. Juni 2023 verplant sein müssen – bis zu diesem Datum wollte der Bund die Anträge vorliegen haben. In den vergangenen Wochen zeichnete sich immer mehr ab, dass diese Frist nicht zu halten war: Ein Jahr nach der Flut waren gerade einmal rund 1,6 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bewilligt.
Bürgermeister und Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) schlugen deshalb seit Wochen Alarm und forderten, die Antragsfrist für die Hilfen zu verlängern. Doch im Bund stellte man sich quer, die Landesregierung Rheinland-Pfalz musste mehrfach vehement intervenieren – nun endlich gibt es eine Lösung: Das Bundeskanzleramt habe eine Verlängerung der Antragsfrist um drei Jahre bis zum 30. Juni 2026 zugesagt“, teilte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Dienstag mit.
Dreyer will am Mittwoch gemeinsam mit dem neuen Innenminister Michael Ebling (SPD) das Ahrtal besuchen, die Fristverlängerung begrüßte sie ausdrücklich: „Das ist eine sehr gute Nachricht für die flutbetroffenen Bürger, Kommunen und Unternehmen in Rheinland-Pfalz“, sagte Dreyer, und betonte: „Wir haben uns sehr für diese Fristverlängerung eingesetzt – und unsere Argumente wurden in Berlin gehört.“ Trotz aller bereits erreichten Wiederaufbauschritte benötige man die zusätzliche Zeit, da die Zerstörungen sowohl hinsichtlich der Schadensintensität als auch der Großflächigkeit immens seien.
Die Verlängerung sei „dringend notwendig“, denn gerade für die unzähligen schwer betroffenen Privatpersonen sei der Wiederaufbau eine erhebliche Herausforderung, betonte Dreyer zudem: Durch Beschaffung von Ersatzgrundstücken, fehlende Gutachter und Baumaterialien sowie Mangel an Handwerkern komme es „zu Verzögerungen, die nicht von den Flutbetroffenen zu vertreten sind“, unterstrich sie weiter.
Neben den Anträgen von Privatpersonen gebe es auch beim Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur wie Brücken, Schulen, Kläranlagen oder Rathäusern große Herausforderungen, räumte die Ministerpräsidentin zudem ein. Die Kommunen bauten hier Infrastruktur auf, „die normalerweise in Jahrzehnten gebaut würde“, sagte Ebling: „Die Fristverlängerung stärkt den kommunalen Anpackern ordentlich den Rücken.“
Auch Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) begrüßte die Verlängerung als richtigen Schritt: „Aus vielen Gesprächen mit Unternehmern, Winzern oder Landwirten ist mir bewusst, wie komplex der Weg in die Zukunft ist“, sagte Schmitt. Denn im Ahrtal gehe es nicht nur um Wiederaufbau, sondern auch um zukunftsfähige und nachhaltige Konzepte für eine ganze Region. „Zeitdruck ist dabei kontraproduktiv“, betonte die Ministerin.
So würden etwa im Tourismus gerade viele Ideen und Visionen entwickelt: „Das geplante und nun entwickelte Konzept kann nun ohne den Druck der Antragsfrist, die die Menschen als ‚erdrückend‘ beschrieben haben, umgesetzt werden“, sagte Schmitt. Zudem entspanne sich die Situation auch für Unternehmer, die bisher den Wiederaufbau noch nicht angehen konnten, weil Gutachten fehlten oder notwendige Bauarbeiten aus anderen Gründen noch nicht eingeleitet werden konnten.
Bürgermeister im Ahrtal fordern deshalb schon lange eine „Sonderzone Ahrtal“, schon im August 2021 hatten die Kommunalvertreter im Ahrtal eine Sonderwirtschaftszone mit Ausnahmen im Baurecht und beim Steuerrecht gefordert – anders sei der Wiederaufbau nicht zu stemmen. Gekommen ist diese Sonderwirtschaftszone nie – auch der Gemeinde- und Städtebund hatte Ähnliches gefordert: Die aktuell „zaghaften Ansätze“ reichten für die notwendigen Innovationen beim Wiederausbau nicht aus, kommentierte der GdStB schon 2021 – und forderte unter anderem ein Wiederaufbau-Beschleunigungsgesetz für Genehmigungsverfahren und Steuererleichterungen beim Wiederaufbau.
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