Genau ein Jahr nach der Flutkatastrophe vom 14. Juli gedachte das Ahrtal am Donnerstag der 134 Toten, aber auch all derer, die Verluste erlitten haben. „Am Ende der Worte bleibt noch so viel Trauer“, sagte die heutige Ahrweiler Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) in einer bewegenden Rede am Nachmittag in Bad Neuenahr. Gekommen war auch Bundesprominenz von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – viel sagen taten sie nicht. Im Tal selbst herrscht derweil viel Frust: Etwa 90 Prozent der zerstörten Häuser stehen weiter als entkernte Ruinen da.

Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) auf der Gedenkfeier im Kurpark von Bad Neuenahr. - Foto: gik
Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) auf der Gedenkfeier im Kurpark von Bad Neuenahr. – Foto: gik

Um 18.00 Uhr läuteten im Ahrtal die Kirchenglocken, in Gedenken an die 134 Menschen, die vor genau einem Jahr in diesen Stunden von den gigantischen Fluten in den Tod gerissen wurden. Zwei Menschen sind bis heute vermisst, rund 42.000 Menschen gelten als „Betroffene“. „Die Dimension der Verletzungen an Leib und Seele ist ohnehin unfassbar“, sagte Cornelia Weigand, seit Februar parteilose Landrätin des Kreises Ahrweiler.

Vor einem Jahr war Weigand noch Bürgermeisterin von Altenahr, ohnmächtig musste sie mit ansehen, wie ab 19.00 Uhr ihr Ort, ja das gesamte Ahrtal um sie herum in meterhohen Fluten versank. Es war Weigand, die noch in Telefonat um Telefonat versucht hatte, andere zu warnen, den Landrat bekniete, Katastrophenalarm auszurufen – vergeblich. Ihre Geschichte könnt Ihr ausführlich hier bei Mainz& nachlesen.

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An diesem Donnerstagnachmittag kann Weigand ihre Bewegung nur schlecht überdecken. Es ist ein bitterer Tag für das Ahrtal, ein trauriger sowieso. Im Kurpark in Bad Neuenahr, genau dort, „wo in jener apokalyptischen Nacht das Wasser stand“, wie Weigand betonte, gedachten Bürger, Helfer und Politprominenz nun der schrecklichen Ereignisse der Flutnacht. „Es hat unser aller Leben verändert“, sagte Weigand: „Unsere Trauer lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Unsere Trauer braucht Raum, sie darf sich diesen Raum nehmen, wann immer es nötig ist.“

Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) bei ihrer Rede auf der Gedenkfeier Cornelia Weigand Gedenkfeier für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) bei ihrer Rede auf der Gedenkfeier Cornelia Weigand Gedenkfeier für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Und Weigand scheute sich auch nicht, die Düsternis im Tal anzusprechen: „Zu vieles ist noch nicht aufbereitet, zu vieles geht nur langsam voran“, sagte die Landrätin: „Zu vieles harrt der Entscheidung und Realisierung.“ Überall im Tal gebe es noch Brachen, „und sie sind auch in unserem Herzen“, sagte Weigand: „Die Verstorbenen sind in uns, wir tragen sie in unseren Herzen, sie begleiten uns in unsere Zukunft.“

Und sie hätten gewollt, „dass wir zusammenhalten, dass wir weitermachen, dass wir aus dieser Nacht lernen, wie wir und wie auch andere es besser machen können“, gab Weigand den Zuhörern mit auf den Weg.

 

Unter den Zuhörern war auch viel Polit-Prominenz: Bundespräsident Frank Walter Steinmeier war eigens zum Jahrestag zu Besuch ins Ahrtal gekommen. Der Bundespräsident besuchte unter anderem eine Schreinerei, im Weingut Meyer-Näkel ließ er sich Fotos von der Flutnacht zeigen und die Geschehnisse der Nacht schildern.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier it den Schwestern Näkel vor einer Wand mit Bildern aus der Flutnacht. - Foto: gik
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier it den Schwestern Näkel vor einer Wand mit Bildern aus der Flutnacht. – Foto: gik

„Ich habe bei meinem letzten Besuch im Ahrtal versprochen: Wir werden Euch nicht vergessen –  auch deshalb bin ich heute hier, dieses Versprechen einzuhalten“, sagte Steinmeier Er wolle mit eigenen Augen sehen, was vorangekommen ist und wo es noch fehle, und Danke für geleistete Hilfe zu sagen. Steinmeier reiste danach weiter nach Euskirchen, um dort an einem Gedenkgottesdienst für die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen teilzunehmen.

Nach Ahrweiler war dafür eigens Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Gedenkfeier angereist, eine Rede hielt der Kanzler nicht. Per Pressemitteilung ließ er mitteilen: „Die schrecklichen Bilder von der Flutkatastrophe im Ahrtal vor einem Jahr bleiben unvergessen. Den vielen helfenden Händen und für die überwältigende Solidarität danke ich ausdrücklich.“

 

Und der Kanzler versprach: „Wir wollen aus dieser Katastrophe lernen, um solchen Ereignissen zukünftig besser vorzubeugen und deren Folgen wirksamer zu minimieren.“ Um das zu gewährleisten, werde an einem besseren Bevölkerungsschutz gearbeitet. Die Bürger „müssen besser gewarnt werden können“, der Hochwasserschutz noch effektiver werden, betonte Scholz, Tatsächlich stelle Bundesinnenministerin Nancy Faeser just am Mittwoch neue Maßnahmen im Katastrophenschutz vor – mehr dazu demnächst auf Mainz&.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v. links) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Vertretern des Kabinetts bei der Gedenkfeier zur Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v. links) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Vertretern des Kabinetts bei der Gedenkfeier zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Bislang nämlich ist von Verbesserungen beim Katastrophenschutz nicht viel zu sehen: Das Land Rheinland-Pfalz hat bislang so gut wie gar keine Konsequenzen aus der verheerenden Flutkatstrophe gezogen. Im Ahrtal wurde ein Programm für neue Sirenen gestartet, zwei Hubschrauber mit Seilwinden sollen nun für die Landespolizei angeschafft werden. Weitere Konsequenzen im Katastrophenschutz – Fehlanzeige.

Im Interview mit den Tagesthemen am Mittwochabend betonte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD): „Ich sehe meine politische Verantwortung darin, die Dinge aufzuklären, aber vor allem auch die Konsequenzen zu ziehen.“ Der Katastrophenschutz solle „perspektivisch“ besser aufgestellt werden, sagte die Ministerpräsidentin – was genau das bedeutet, sagte sie nicht. „Ich betone noch einmal, dass Warnungen und Evakuierungsmaßnahmen funktioniert haben“, betonte Dreyer zugleich – im Ahrtal sehen das viele anders.

 

Eine Entschuldigung für „miserable Katastrophenvorsorge, katastrophales Einsatzmanagement und für die mindestens mal sehr suboptimale administrative Abwicklung der Folgen der Flut“, wie sie etwa vergangenen Samstag der Buchautor Andy Neumann forderte, wollte Dreyer indes nicht in den Mund nehmen. Am Donnerstag unterstrich sie nun in ihrer Rede auf der Gedenkfeier. „Ich kann verstehen, dass es Ihnen manchmal nicht schnell genug geht.“

Bilder der Flutnacht und aus den Tagen danach im Weingut Meyer-Näkel. - Foto: gik
Bilder der Flutnacht und aus den Tagen danach im Weingut Meyer-Näkel. – Foto: gik

Sie könne den Menschen aber „versichern: Wir arbeiten jeden Tag sehr hart daran. Und wir nehmen Ihre Anliegen sehr ernst“, betonte Dreyer: „Auch ich ganz persönlich spüre diese sehr klare Verpflichtung, den Menschen eine gute Zukunft im Ahrtal zu geben.“

Derweil offenbart ein Gang durch das Ahrtal erschreckende Szenerien. In den meisten Orten stehen die Erdgeschoss-Ebenen der Häuser überwiegend leer, oft klaffen weite Lücken, mancherorts liegt gar noch Schutt und Dreck in den Häusern. Fachwerkhäuser stehen vielfach als reine Gerippe da: Die Wände mussten komplett entkernt werden, weil Feuchtigkeit und Giftstoffe in die Wände zogen und nicht mehr zu beseitigen waren.

 

„Ich hätte gedacht, wir wären weiter“, sagt etwa der Bürgermeister Alfred Sebastian (CDU) aus dem kleinen Ort Dernau in der Mitte des Ahrtals. Dernau wurde durch die Flutwelle in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 besonders schwer getroffen, 90 Prozent der Häuser standen teils meterhoch unter Wasser, mehrere Gebäude wurden von den Fluten weggerissen. !Maximal zehn bis 15 Prozent“ seien inzwischen wieder „einigermaßen bewohnbar – und das nach einem Jahr“, sagte Sebastian nun im Gespräch mit Mainz&.

Haus in Dernau am 7. Juli 2022 - ein Jahr nach der Katastrophe. - Foto: gik
Haus in Dernau am 7. Juli 2022 – ein Jahr nach der Katastrophe. – Foto: gik

„Seitens der Gemeinde haben wir noch keine einzige Maßnahme begonnen“, berichtete Sebastian weiter. Tatsächlich gibt es in Dernau bis heute noch keine funktionierende Straßenbeleuchtung, Hilfsmasten des THW sorgen weiter provisorisch für Licht, viele Stromleitungen hängen notdürftig gezogen von Masten. Nachts sei Dernau „ein Geisterdorf“, sagte Sebastian, Planung, Genehmigung und Ausschreibung von Maßnahmen wie die Beleuchtung kämen nicht voran.

„Das Land unterstützt, aber die Bürokratie steht ganz oben – und das ist das Problem“, sagte Sebastian. Für die Menschen sei das schwer, manche müssten gar neue Tiefschläge verkraften: Er habe ein Ehepaar aus Dernau, 85 Jahre alt, die habe gerade eben erst, vergangenen Freitag erfahren, dass sie ihr in der Flutnacht geschädigtes Haus doch noch abreißen müssten – weil die Ölkontamination nicht zu beseitigen sei. „Die jungen Menschen machen und tun und schaffen und schauen nach vorne“, sagte der Bürgermeister: „Und die alten Menschen haben die Häuser leer und den Kopf leer.“

 

Bahnhof Mayschoß, fotografiert durch den zerstörten Weinkeller der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr. - Foto: gik
Bahnhof Mayschoß, fotografiert durch den zerstörten Weinkeller der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr. – Foto: gik

„Wie soll es uns gut gehen?“ ließ Guido Orthen (CDU), Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, am Donnerstag einen Vertreter des Tals stellvertretend sagen: „Viele von uns sind einfach müde. Auch enttäuscht darüber, dass der Wiederaufbau zuhause im eigenen Haus, aber auch der Wiederaufbau der öffentlichen Infrastruktur manchmal nur langsam voran geht. Schnell und unbürokratisch ist eben nicht immer.“

„Bleib, wie Du bist, aber erfinde Dich neu“, sang das Duo „Restlos“ alias Nadja Fingerhuth und Stephan Maria Glöckner – es wir dein steiniger Weg für das Ahrtal. „Wir sind erschöpft und traurig. Unsere Gefühle fahren jeden Tag mit uns Achterbahn“, sagte Orthen: „Und: Ihr seid nicht mehr hier.“

Info& auf Mainz&: Mehr zur Bilanz Wiederaufbau ein Jahr nach der Flut lest Ihr auch hier bei Mainz&, zum Jahrestag der Katastrophe haben wir ein ganzes Dossier zur Ahrtal-Flut zusammengestellt, das Ihr hier findet. Und sechs Portraits unserer Helden der Flutnacht könnt Ihr hier auf Mainz& lesen:

Die Helden der Flutnacht im Ahrtal – Wie Hubschrauberpiloten, Wehrleiter und ein Bundeswehrarzt Menschen im Ahrtal retteten