Paukenschlag an der Mainzer Unimedizin: In einem Brandbrief werfen mehr als 40 Klinikdirektoren des Mainzer Universitätsklinikums dem Land Rheinland-Pfalz Untätigkeit, und dem Kaufmännischen Leiter des Klinikums schwere Versäumnisse bei der Lenkung des Großkrankenhauses vor – bis hin zu gemeinschaftlicher Schönfärberei der Lage in der Außendarstellung. Es ist schon der zweite Brandbrief aus der Unimedizin, besonders entrüstet zeigen sich die Autoren davon, „wie wenig entschlossen“ Aufsichtsrat und Gesundheitsministerium die Krise angingen. Nun gibt es eine Sondersitzung im Landtag.

Die Mainzer Universitätsmedizin ist in schweren Turbulenzen. - Foto: Universitätsmedizin Mainz/Peter Pulkowski
Die Mainzer Universitätsmedizin ist in schweren Turbulenzen. – Foto: Universitätsmedizin Mainz/Peter Pulkowski

Es ist bereits der zweite Brandbrief von Klinikdirektoren, der in diesem Jahr beim Mainzer Gesundheitsministerium eingeht: Die Mainzer Universitätsmedizin – das einzige Uniklinikum in Rheinland-Pfalz – steckt tief im Problemsumpf. Mit 60 Kliniken, rund 1.500 Betten, etwa 320.000 Patienten im Jahr und mehr als 8.700 Mitarbeitern ist die Unimedizin in Mainz eines der größten Krankenhäuser der Republik – und seit Jahren chronisch unterfinanziert.

2016 etwa machte das Uniklinikum ein Minus von 26,1 Millionen Euro, im Vorjahr waren es 6,2 Millionen Euro Minus gewesen – gestiegene Personalkosten, teure Spezialbehandlungen, Bauvorhaben sowie Rückstellungen wegen Streitigkeiten über Abrechnungen waren unter anderem Gründe. 2020 hatte die Unimedizin ein Defizit von rund 65 Millionen Euro angehäuft, 2021 waren es noch immer rund 39 Millionen Euro. Man habe sich bei zentralen Kennziffern deutlich verbessert, der Umsatz gesteigert, es gebe „sehr positive Signale“, die „in die richtige Richtung“ wiesen, betonte Vorstandschef Norbert Pfeiffer.

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Brandbrief im Mai: Misswirtschaft, Mangelverwaltung, Ignoranz

Doch das war offenbar nur die Hälfte der Wahrheit: „Misswirtschaft, Mangelverwaltung und Ignoranz“ klagten im Mai dieses Jahres auf einmal mehr als 40 Klinikdirektoren der Mainzer Unimedizin in einem Brief an den Aufsichtsrat der Unimedizin an. Durch die Misswirtschaft der vergangenen vier Jahre sei kein Geld mehr für neue, modernste Geräte da, von dringend benötigten Klinikneubauten ganz zu schweigen, zitierte der SWR aus dem Brief. Der Ruf der Mainzer Uniklinik stehe auf dem Spiel, die Politik müsse nun handeln – und zwar schnell.

Im Zentrum der Kritik: Der Kaufmännische Vorstand Christian Elsner. - Foto: rlp.de
Im Zentrum der Kritik: Der Kaufmännische Vorstand Christian Elsner. – Foto: rlp.de

Vorsitzender des Aufsichtsrats der Mainzer Universitätsmedizin ist der Staatssekretär im Mainzer Gesundheitsministerium, Dennis Alt, ein SPD-Mann. Im Zentrum der Kritik steht aber ein anderer: Christian Elsner, Kaufmännischer Vorstand der Universitätsmedizin. Elsner ist seit dem 1. Januar 2019 Kaufmännischer Vorstand in Mainz, zuvor war er acht Jahre lang geschäftsführender Direktor des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein am Campus Lübeck. Mit Elsner, sagen die Klinikdirektoren, verschärften sich die Probleme in Mainz.

In den vergangenen knapp fünf Jahren seines Wirkens als Kaufmännischer Direktor habe Elsner „so gut wie alle Reformziele verfehlt“, kritisieren die Klinikdirektoren nun in einem zweiten Brandbrief, der bereits vom 13. Juni stammt, aber erst jetzt öffentlich wurde. Mehr noch: „Nicht nur die wirtschaftliche Lage der Universitätsmedizin ist insgesamt mehr als prekär, auch die infrastrukturelle Ausstattung ist nicht zeitgemäß“, heißt es in dem Brief, der Mainz& vorliegt. Konkret habe Elsner „die überfällige Verwaltungsreform, den Abschluss von Bauprojekten sowie die Etablierung einer zeitgemäßen IT-Infrastruktur“ in allen Bereichen des Klinikums nicht hinbekommen.

Scharfe Kritik an schlechter IT-Struktur – Blackout am Dienstag

Ein sichtbares Zeichen für eine schlechte IT-Infrastruktur lieferte das Schicksal just am vergangenen Dienstag: Bei Baggerarbeiten außerhalb des Uniklinik-Geländes war am Mittag ein Netzwerkkabel durchtrennt worden, daraufhin fielen in der Mainzer Unimedizin sämtliche IT-Anlagen aus: Bildschirme blieben schwarz, Emails konnten nicht mehr verschickt werden, auf Patientendaten hatten Ärzte und Pfleger keinen Zugriff mehr – die Notaufnahme musste komplett geschlossen werden.

Baustelle Mainzer Unimedizin: Das Hochhaus am Augustusplatz mit abgerissenem Gebäude im Vordergrund. - Foto: gik
Baustelle Mainzer Unimedizin: Das Hochhaus am Augustusplatz mit abgerissenem Gebäude im Vordergrund. – Foto: gik

Nach Mainz&-Informationen fiel der Blackout auch deshalb so heftig aus, weil Notfallsysteme viel zu weit entfernt ausgelagert worden waren und die Systeme so nicht schnell wieder hochgefahren werden konnten. „Die Universitätsmedizin Mainz ist nicht das moderne Universitätsklinikum, das sie sein könnte und sollte“, klagen die Ärzte in ihrem Brandbrief denn auch: „Strukturell und insbesondere hinsichtlich der IT sind wir nicht an der Spitze oder im Mittelfeld der Universitätsklinika in Deutschland, sondern abgeschlagen am Ende des Feldes angesiedelt.“ Ja, warnen die Ärzte sogar: „Der Versorgungsauftrag kann nicht mehr vollumfänglich erfüllt werden.“

Gleichzeitig werfen die Autoren, die ihren Brief mit dem Briefkopf der Landeskonferenz der Ärztlichen Direktoren und Leiter von Universitätskliniken in Rheinland-Pfalz verschickt haben, insbesondere dem Kaufmännischen Leiter Elsner vor, die Lage nach außen schöngefärbt darzustellen – und dem Mainzer Gesundheitsministerium, diese völlig verfälschte Darstellung mitzutragen. Wörtlich heißt es in dem Brief: „Der Kaufmännische Vorstand und Teile der Unternehmenskommunikation transportieren insbesondere in den sozialen Medien, aber auch intern, eine völlig divergente Sichtweise auf die Realität und zeichnen ein falsch positives Bild der Lage.“

„Falsch positives Bild der Lage“ nach außen präsentiert

Und weiter: „Diesen Darstellungen scheinen der Aufsichtsrat und das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz namentlich und unterschriftlich zu folgen.“ Damit werfen die Autoren niemand Geringerem als Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) und seinem Staatssekretär Alt vor, die Lage an der Unimedizin zu ignorieren und sie gleichzeitig auch noch schönfärberisch nach außen darzustellen – das ist starker Tobak: Hoch wäre derjenige, der für eine ausreichende Finanzierung der Mainzer Unimedizin zuständig ist.

Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) bei einer Feier in der Mainzer Unimedizin. - Foto: Universitätsmedizin Mainz
Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) bei einer Feier in der Mainzer Unimedizin. – Foto: Universitätsmedizin Mainz

Doch die Autoren insistieren: „Wir bitten deshalb darum, den Wahrheitsgehalt der Darstellungen und die entsprechenden Narrative eingehend zu prüfen.“ Man „bedauere es sehr, diese unbequeme Tatsache offen ansprechen zu müssen“, heißt es weiter – man sehe es aber „als unsere Pflicht an, um die Universitätsmedizin Mainz vor weiterer Stagnation und Schaden zu bewahren.“

Damit ist klar: Auch gegenüber dem Land und seinem Minister herrscht offenbar tiefes Misstrauen und wenig Zuversicht, dass von dieser Seite Abhilfe geschaffen werden kann. Stattdessen kritisieren die Klinikdirektoren das bisherige Handeln des Ministeriums deutlich: Man habe nach dem ersten Brandbrief vom Mai auf Besserung gehofft, Kooperation und aufrichtige Kommunikation angeboten, und „schriftlich und mündlich“ die Bereitschaft zugesagt, „gemeinsam, konstruktiv und verantwortungsvoll Lösungen für die schwerwiegenden Probleme der Universitätsmedizin zu finden.“

Ministerium und Aufsichtsrat „wenig entschlossen“ auf Krise reagiert

Doch passiert ist danach offenbar nichts: Man nehme „mit großer Sorge und Verwunderung zur Kenntnis, wie gelassen und wenig entschlossen  der Aufsichtsrat (…) und das zuständige Ministerium (…) hierauf regiert haben“, heißt es weiter. Im Ministerium weist man das zurück: „Die Vorwürfe aus dem Brief vom Frühjahr des Jahres nimmt der Aufsichtsrat sehr ernst“, sagte Aufsichtsratschef Alt auf Mainz&-Anfrage: „Die teils berechtigten Vorwürfe wurden mit den Beteiligten und den Betroffenen Punkt für Punkt besprochen.“

Quo vadis Mainzer Unimedizin? - Foto: Peter Pulkowski/Unimedizin Mainz
Quo vadis Mainzer Unimedizin? – Foto: Peter Pulkowski/Unimedizin Mainz

Die Thematik sei seit dem Schreiben Gegenstand der Beratungen im Aufsichtsrat, auch das Misstrauen gegenüber Elsner sei dabei Thema gewesen. „Ich habe als Aufsichtsratsvorsitzender die klare Erwartung, dass jeder seiner Position angemessen mit diesem Konflikt umgeht“, sagte Alt weiter. Alt verwies zudem auf den rund 2,2 Milliarden Euro schweren Baumasterplan, damit werde die Universitätsmedizin „zu einer der nachhaltigsten und modernsten im Bundesgebiet“ und gleichzeitig „wichtige Fragen – auch zur Infrastruktur und der Wirtschaftlichkeit – beantworten.“

Den Briefautoren reicht das bei Weitem nicht aus: In sieben Punkten kritisieren sie konkret erhebliche Mängel und Misswirtschaft – und werfen Elsner vor, gar nicht in der Lage zu sein, „den Masterplan Bau zu erfassen, und die Neuaufstellung der Universitätsmedizin konstruktiv zu begleiten.“ Zudem ist von „umstrittener Führungskultur“ Elsners die Rede – und es wird die Frage gestellt, warum angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation der Uniklinik „die Qualität der kaufmännischen Führung“ nicht hinterfragt worden sei: „Die Rationale, unter der dies nicht geschehen ist, bitten wir zu klären.“

Ärzte lehnen „Mediation“ mit Elsner ab: Kein „redliches Verhalten“

In einem Schreiben vom 2. Juni kündige der Aufsichtsrat aber stattdessen nun eine Moderation an, um die Kommunikation und Kooperation zwischen dem Kaufmännischen Vorstand und den Einrichtungsleitern zu verbessern, heißt es im Brief weiter – davon halte man indes nichts: Reformen könnten nur „in einem vertrauensvollen Miteinander“ und „geprägt von gegenseitigem Respekt, Wertschätzung und redlichem Verhalten“ zum Erfolg geführt werden. Doch: „Genau dies ist jedoch in der aktuellen Konstellation nicht gegeben.“ Einer Mediation mit Elsner „räumen wir deshalb keine Erfolgschancen ein.“

In der Mainzer Unimedizin ist es zappenduster - das Vertrauensverhältnis ist offenbar komplett zerrüttet. - Foto: Unimedizin Mainz
In der Mainzer Unimedizin ist es zappenduster – das Vertrauensverhältnis ist offenbar komplett zerrüttet. – Foto: Unimedizin Mainz

Das ist nichts weniger als ein Paukenschlag und ein ultimatives Misstrauensvotum – überraschend kommt es nicht: Die CDU-Landtagsfraktion hatte schon Ende Mai, nach dem ersten Brandbrief, personelle Konsequenzen gefordert – und zwar die Entlassung Elsners und den Rücktritt Alts vom Aufsichtsratsvorsitz. „Es reicht nicht, dass Staatssekretär Alt sich gegenüber dem Parlament hinter gesetzten Worten verschanzt, er hätte schon längst zum Wohl der Universitätsmedizin handeln müssen“, kritisierte die CDU deutlich.

Die Mainzer Universitätsmedizin stehe „seit Jahren vor dem Abgrund: baulich, personell, organisatorisch“, die Liste der Probleme sei lang. „Die Wurzel allen Übels liegt in der unzureichenden Finanzierung durch die Landesregierung“, betonten die CDU-Abgeordneten, Anspruch und Wirklichkeit klafften komplett auseinander. An diesem Mittwoch nun, nach Bekanntwerden des zweiten Brandbriefs, platzte der Opposition der Kragen: CDU und Freie Wähler beantragten eine gemeinsame Sondersitzung der Ausschüsse für Gesundheit und Wissenschaft – sie findet bereits am Freitag um 11.00 Uhr statt.

Der Mainzer CDU Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner fordert die Entlassung Elsners. - Foto: Schreiner
Der Mainzer CDU Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner fordert die Entlassung Elsners. – Foto: Schreiner

„Die Aussagen des zweiten Brandbriefs sind in ihrer Bedeutung und in ihrer Deutlichkeit ein einmaliger Vorgang“, betonte der Mainzer CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner, und wurde noch deutlicher: Die Aussagen „widersprechen klar der Position der Landesregierung, dass es hier um einen Konflikt zwischen Ärzten und Vorstand gehe, den man durch ein Mediationsverfahren lösen könne. Vielmehr wird deutlich, dass aufgrund des Missmanagements und der finanziellen Unterversorgung ein Risiko für die dauerhafte Patientenversorgung besteht.“

In der Sondersitzung müssen nun der Vorstand des Universitätsklinikums, Staatssekretär Dennis Alt sowie Gesundheitsminister Clemens Hoch zu den Vorgängen Stellung nehmen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Defiziten der Mainzer Unimedizin könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.