Seit dem Bruch der Berliner Ampel im November 2024 kämpft die FDP um ihr politisches Überleben: Die Umfragen im Keller, das Vertrauen stark beschädigt – und doch sieht FDP-Chef Christian Lindner durchaus noch Chancen für die Liberalen im laufenden Bundestagswahlkampf. Vergangenen Donnerstag war Lindner zum großen Wahlkampf-Event in Mainz – und die Internetzeitung Mainz& hatte Gelegenheit zu einem Interview. Fünf Minuten hatten wir Zeit, Lindner unsere Fragen zu stellen – es wurden fünf spannende und intensive Minuten. Die Fragen stellte Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein.
Der große Bus mit dem Konterfei von Christian Lindner steht auf dem dunklen Parkplatz hinter der Pyramide im Gewerbegebiet von Mainz-Hechtsheim, drinnen warten bereits rund 700 Zuschauer. „Alles lässt sich ändern“ steht als großer Slogan auf dem Bus – der zentrale Wahlkampfslogan der FDP. Drinnen ist die Einrichtung nüchtern, der Schal liegt griffbereit hinter dem FDP-Chef auf dem Sofa – Winterwahlkampf. Christian Lindner grüßt freundlich und mit echtem Interesse, der FDP-Chef ist zugänglich, und das obwohl man ihm ansieht, dass er müde ist. Wahlkampfzeiten sind hart – und der FDP-Chef kämpft um das politische Überleben seiner Partei.
Mainz&: Herr Lindner, die FDP hat einen Riesen-Vertrauensverlust erlitten in dieser Ampel-Koalition und steht im Umfrage-Keller – wie wollen Sie da wieder heraus- und in den Bundestag hineinkommen?
Lindner: Die FDP ist eine Partei mit starken Nerven, die Aufs und Abs kennen wir. Ja, viele Menschen kritisieren, dass wir in der Ampel waren, und dass wir lange in der Ampel waren. Wir haben jeden Tag gekämpft für Freiheit und Eigenverantwortung, Respekt vor Leistung und Eigentum, und manches ist ja auch erreicht worden.
Am Ende ist die Ampel gescheitert, weil wir uns nicht verständigen konnten auf eine Wirtschaftswende, um Jobs und Lebensstandards zu sichern. Wir haben hohe Staatsämter aufgegeben für unsere politischen Überzeugungen – ich bin als Bundesminister der Finanzen entlassen worden, Bettina Stark-Watzinger und Marco Buschmann sind zurückgetreten. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass man es ernst meint mit seinen Überzeugungen.
Linder: Sogar Sigmar Gabriel hält FDP für unverzichtbar
Mainz&: Erleben Sie denn irgendwie eine Bewegung in Richtung der FDP, also, dass es ein Bestreben gibt, die FDP zu retten?
Lindner: Die Veranstaltungen sind voll, voller als 2021. Wir haben Eintritte in die FDP. Viele Menschen unterstützen die FDP auch mit kleinen und größeren Spenden. Und Sigmar Gabriel, der ehemalige SPD-Vorsitzende, sagte dieser Tage: Er sei kein Liberaler, aber auch als Sozialdemokrat sehe er es als erforderlich an, dass es im Bundestag ein liberales Element gibt – als Gegenlager zu den anderen Parteien, die alle staatsgläubig seien. Wenn schon ein ehemaliger SPD-Vorsitzender sagt, dass die FDP unverzichtbar ist, dann werden das viele Bürgerinnen und Bürger auch so sehen.
Tatsächlich hatte Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel am 21. Januar in der Fernsehtalkshow bei Markus Lanz gesagt: „Es ist nicht die schlechteste Zeit in Deutschland gewesen, in denen wir Liberale in den Parlamente hatten. ich bin kein Liberaler, ich bin kein FDP-Mitglied, (…) aber ich kämpfe lieber dafür, dass die FDP auch reinkommt.“ Es gebe ansonsten nämlich nur noch Parteien im deutschen Bundestag, die sehr „etatistisch“ seien, also dem Staat eine überragende Rolle zuschreiben, begründete Gabriel seine Haltung, „da ist es ganz gut, wenn da eine dabei ist, die ein Widerlager bildet.“ Die ganze Sendung könnt Ihr hier im Internet ansehen, die Aussagen Gabriels zur FDP findet Ihr ganz am Ende der Sendung.
Linder: Schwarz-Gelb im Bundestag verhindert Schwarz-Grün
Zudem haben vergangenen Freitag 50 Prominente in einer ganzseitigen Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die Wahl der FDP und deren Wiedereinzug in den Bundestag geworben. „Wir benötigen einen schlanken Staat, der seine Kernaufgaben schnell, effizient und digital erledigt, statt sich auf tausenden Baustellen teuer zu verzetteln“, heißt es in dem Aufruf. Unter den Unterzeichnern sind eine Reihe hochrangiger Manager deutscher Unternehmen, aber auch Sänger Peter Schilling, der amtierende Ironman-Weltmeister Patrick Lange, der ehemalige Regierungssprecher Béla Anda sowie der Entertainer Wigald Boning. Zum Zeitpunkt dieses Interview war die Anzeige noch nicht erschienen.
Mainz&: Das heißt, Ihre Hoffnung ist noch nicht gestorben?
Lindner: Im Gegenteil – ich spüre ein Momentum. Wenn die FDP über 5 Prozent erreicht und damit im Parlament vertreten ist, dann gibt es automatisch keine schwarz-grüne Mehrheit mehr. Dann spricht man schon über Schwarz-Rot-Gelb, die Deutschland-Koalition. Tatsächlich halte ich sogar eine schwarz-gelbe Mehrheit unverändert für möglich.
Wenn wir nämlich den vielen Menschen, die leider derzeit die AfD in Erwägung ziehen, zeigen, dass eine Wirtschaftswende, dass ein anderer Staat, der ihnen im Alltag nicht mehr im Wege steht, aber dafür sie nicht im Stich lässt bei den großen Fragen wie etwa der öffentlichen Sicherheit, dass der möglich ist. Und wenn wir es schaffen, eine Politik zu machen, die Menschen nicht bevormundet, sondern sie als Erwachsene mit ihrer Verantwortung und Freiheit ernst nimmt, ich glaube, dann kann man viele Menschen von der AfD wieder in die politische Mitte holen.
„Wir verschwenden einfach viel“ für unwirksame Klimasubventionen
Mainz&: Schadet Ihnen nicht Ihr sehr eisernes Festhalten an der Schuldenbremse? Friedrich Merz war gestern in Mainz, und hat hier gesagt, er würde zur Veränderung der Schuldenbremse „niemals nie“ sagen, er würde das nicht ausschließen.
Lindner: Man muss zu seinen Überzeugungen stehen. Dieser Staat hat fast eine Billion Euro an Einnahmen. Bildung, Sicherheit, Bundeswehr, Infrastruktur, Digitalisierung und Steuerentlastung ist finanzierbar, wenn wir einfach mal intelligenter mit dem Geld umgehen.
Wir verschwenden einfach viel: für grüne Klimasubventionen, die unwirksam sind, für einen überdehnten Staatsapparat, für die Folgen einer nicht gesteuerten Einwanderung nach Deutschland. Für einen Sozialstaat, der sich nicht nur um Schwächere und Bedürftige kümmert, sondern der auch Antriebslosigkeit beim Bürgergeld zu lange toleriert hat. Wir haben die Chance, mit unserem Geld all das zu machen, was wir brauchen, wir müssen es nur besser einsetzen.
Entlastung für untere Einkommen – und für Millionäre
Mainz&: Sie wollen ja gezielt auch die unteren Einkommensschichten entlasten, wie soll das aussehen?
Lindner: Ich bin für 1000 Euro mehr Einkommen, das komplett steuerfrei bleibt. Allein durch eine Reform des Bürgergeldes können wir den Grundfreibetrag um 1000 Euro erhöhen. Das ist ein doppelter Nutzen: Menschen werden durch Arbeitsanreize und auch durch präzisere Sanktionen im Bürgergeld veranlasst, einen Job anzunehmen. Gleichzeitig aber sind 1000 Euro an Arbeitseinkommen im Jahr steuerfrei oben drauf.
Und das zollt den Menschen Respekt, die nach dem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ein geringeres Einkommen haben, dass sie trotzdem merken, dass es sich für sie finanziell auszahlt – und das hat einen Effekt.
Mainz&: Und die Entlastung für die „Millionäre“ gibt es trotzdem…
Lindner: Die Millionäre sind oft diejenigen, die in Deutschland ein Familienunternehmen betreiben und Verantwortung tragen für viele Hunderttausende Arbeitsplätze. Wenn unser Land wieder wirtschaftliches Wachstum haben will, dann brauchen wir die Bereitschaft auch für private Investitionen im Mittelstand. Diese Leute dürfen wir nicht vertreiben.
Wir sind ein Hochsteuerland. Die Wirtschaft ist belastet mit fast 30 Prozent Körperschaftsteuer – Herr Trump überlegt das in den USA auf 15 Prozent zu reduzieren. Da Deutschland nicht doppelt so gut ist wie die USA, dürfen wir auch nicht doppelt so teuer sein.
Mainz&: Herr Lindner, vielen Dank für das Gespräch!
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Auftritt von Christian Lindner in Mainz lest Ihr morgen auf Mainz&. Alles zur Bundestagwahl in Mainz findet Ihr in unserem Mainz&-Dossier genau hier – auch zu den Auftritten der Kanzlerkandidaten von CDU und Grünen.