Sie sind der Oskar des deutschen Kabaretts: Jedes Jahr im Herbst verleiht das Mainzer Unterhaus die goldene Glocke – den Deutschen Kleinkunstpreis, einen der renommiertesten Preise der Kabarettszene. In diesem Jahr hat die Jury erneut wahre Meister ihrer Zunft ausgezeichnet: Der Deutsche Kleinkunstpreis in der Sparte „Kabarett“ geht an den süffisant-bissigen Sebastian Pufpaff, in der Sparte Chanson wird das Duo „Suchtpotenzial“ ausgezeichnet und im Bereich Kleinkunst der ewig näselnde Schein-Franzose Alfons mit seinem Puschelmikrofon. Der Förderpreis der Stadt Mainz geht an Christoph Fritz – und der Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz geht an die Grande Dame des Kabaretts: an Gerburg Jahnke.
Den Deutschen Kleinkunstpreis gibt es seit 1972, erster Preisträger war der legendäre Hanns Dieter Hüsch, dessen berühmte Kabarett-Glocke zum Wahrzeichen des Unterhauses und dann auch zum Symbol des Deutschen Kleinkunstpreises wurde. Es sei der älteste deutsche Preis, der in den Sparten Kabarett, Chanson/Lied/Musik und Kleinkunst verliehen wird, betont das Unterhaus. Die drei Preise sind mit jeweils 5.000 Euro dotiert, dazu stiftet die Stadt Mainz den mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis für Nachwuchskünstler. Seit 2008 wird zudem der Ehrenpreis vergeben, den das Land Rheinland-Pfalz stiftet, auch er ist mit 5.000 Euro dotiert.
2019 bekam den Kabarett-Hauptpreis Christian Ehring, im kommenden Jahr geht die Glocke an den hintersinnig-gemeinen Sebastian Pufpaff. Der sei „ein Meister der Widersprüche, der sich vom Teleshopping bis auf die große Kabarettbühne gespielt hat“, so das Urteil der Jury: „Als gut gelaunter Zyniker beleuchtet er die Welt am liebsten von ihrer dunklen Seite und zwingt sein Publikum aus der moralischen Komfortzone.“ Statt einfacher Wahrheiten biete Pufpaff Perspektivwechsel, er blase Klischees auf bis zur Selbstzerstörung und löse die komplexesten Probleme mit einer Pointe. „Er ist der Kabarettist, den diese Zeit verdient“, bilanzierte die Jury.
Auch die Sparte Chanson geht an zwei Performerinnen mit Haltung: „Suchtpotenzial“, das sind Julia Gámez-Martin und Ariane Müller, und die beiden Damen, so die Jury „singen dem Sexismus den Kampf an, rappen gegen den Paygap, jammern übers Gendern und rocken die Emanzipation. Ihre Songs sind Botschaften mit Haltung, provokant getextet, leidenschaftlich dargeboten und brillant komponiert. Geballte Frauenpower mit Sinn und Selbstironie – dank Suchtpotenzial wird Feminismus Rock’n’roll.“
In der Sparte Kleinkunst kommt einer zu Ehren, der eigentlich schon ein Urgestein des Kabarett ist: Den etwas schmuddelig daherkommenden, vertrottelten „Alfons“ gibt es gefühlt schon seit Jahrzehnten, tatsächlich erfand der Deutsch-Franzose Emmanuel Peterfalvi seine Kunstfigur bereits Mitte der 1990er Jahre. Seine Markenzeichen: Eine orangefarbene Trainingsjacke, ein übergroßes Puschelmikrofon – und absurde-hintersinnige Fragen an Passanten. „Mit Alfons zeichnet die Jury einen Künstler aus, der der Gesellschaft als medialer Eulenspiegel unterhaltsam wie entlarvend den Spiegel vorhält“, urteilt denn auch die Jury.
Seine Kunstfigur lasse Peterfalvi „entwaffnend die Herzen seines Publikums zufliegen“, zugleich „erforscht er mit kindlicher Neugier auch die abgelegensten Gefilde des deutschen Wesens. Mit sympathischem, selbstironischem Kokettieren nimmt Alfons dabei stets die Schärfe aus der Würze und serviert dennoch ein pikantes kabarettistisches Savoir-Vivre.“ Eine große Auszeichnung für einen Altmeister mit langem Atem.
Der Förderpreis der Stadt Mainz hingegen geht an einen echten Newcomer aus Österreich: Christoph Fritz wird für sein Erstlingswerk „Das jüngste Gesicht“ ausgezeichnet. „Seine zurückhaltende, jugendliche Erscheinung lässt Naivität vermuten. Zerschmettert werden die äußeren Eindrücke jedoch durch die Wucht, mit der seine tabulosen, mit knallharten Pointen gespickten Texte daherkommen“, befand die Jury. Laufend werde „durch die Diskrepanz zwischen Sein und Schein kleine bis mittlere Explosionen in den Gedanken seiner Zuschauer ausgelöst, die letztlich nur mit Humor zu verarbeiten sind.“
Mit dem Ehrenpreis schließlich wird eine ganz Große der deutschen Kabarettszene geehrt, die „First Lady“ schlechthin. In den 1980er Jahren war sie der burschikose Part des legendären Duos „Missfits“ und hob so mit ihrer Partnerin Stephanie Überall das Frauenkabarett auf die Bühnen der Szene. Mit den „Missfits“ habe Jahnke „eine neue Form des weiblichen Humors etabliert: rotzfrech, emanzipiert, klug, witzig und mit Haltung“, befand die Jury: „Seitdem ist sie prägend für ganze Generationen junger Künstlerinnen.“
„Ob mit Sendungen wie „Ladies‘ Night“ oder ihrer aktuellen Bühnenshow „Frau Jahnke hat eingeladen“: Gerburg Jahnke befördert charmant und nachhaltig Künstlerinnen dorthin, wo auch sie seit über 30 Jahren zu Recht steht: auf die deutschsprachigen Bühnen und in die Herzen der Zuschauer“, lobte die Jury. 2005 trennten sich die „Missfits“, Jahnke bleib aber dem Kabarett treu, moderierte von 2007 bis 2018 die „Ladies Night“ im WDR, die erste Frauen-Kabarettsendung im deutschen Fernsehen. Ihr Humor: immer hintergründig-bissig, aufspießend und aufdeckend – und im besten Sinne von weiblicher Sicht geprägt.
Die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises findet am 1. März 2020 im Mainzer unterhaus statt. Sie wird – wie immer – von Urban Priol moderiert, der selbst Preisträger in der Kategorie Kabarett im Jahr 2000 war.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Preisträgern des Jahres 2019 des Deutschen Kleinkunstpreises könnt Ihr hier noch einmal bei Mainz& nachlesen, ein Porträt des Unterhauses selbst zu seinem 50. Geburtstag findet ihr hier bei Mainz&. Die Preisverleihung am 1. März 2020 wird von 3sat am 8. März um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Das Mainzer Forum-Theater Unterhaus selbst samt aktuellem Programm und natürlich Karten für alle Aufführungen gibt es hier im Internet.