Hammerwahl: Der Mainzer Kleinkunstpreis geht 2021 wahrlich an scharfzüngige Wortkünstler, die mit viel hintergründigem Humor der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und die grauen Zellen im Gehirn zum Tanzen bringen. Mit dem renommiertesten Kleinkunstpreis der Kabarettszene wird 2021 Florian Schroeder ausgezeichnet, im Bereich Chanson & Liedkunst dürfen sich „Lumpenpack“ freuen, und der Kleinkunst-Preis geht an Sarah Bosetti. Eine ganz besondere Wahl traf die Jury im Bereich Ehrenpreis – und erstmals wurde auch ein Stand-Up-Comedy-Preis vergeben.
Der Deutsche Kleinkunstpreis gilt als der Oskar des deutschen Kabaretts, seit 1972 wird der legendäre Preis von der Jury des Mainzer Unterhauses vergeben – der preis hat die Form einer Glocke, Wahrzeichen des ersten Preisträgers, des legendären Hanns Dieter Hüsch. Es ist der älteste deutsche Preis, der in den Sparten Kabarett, Chanson/Lied/Musik und Kleinkunst verliehen wird, betonte das Unterhaus im vergangenen Jahr – und in diesem Jahr kommt nun eine neue Sparte hinzu: Erstmals wird der Deutsche Kleinkunstpreis auch in der Sparte Stand-Up-Comedy verliehen.
Ausgezeichnet wird auch gleich der Pionier dieser Sparte in Deutschland: Michael Mittermeier, den die Jury „den wichtigsten Wegbereiter des Genres in Deutschland“ nennt. Mittermeier habe in über 30 Bühnenjahren „nichts an Leidenschaft und Spielfreude eingebüßt und setzt bis heute die Standards für höchste Qualität in seinem Genre“, begründet die Jury die Preisvergabe, und schwärmt: „Der bayerische Michl ist ein Kosmopolit des Humors, und er richtet seine Pointen als wohltuende Waffe gegen den Ernst des Lebens. Feinsinn und Unsinn sind bei ihm untrennbar im Witz verbunden und kein Thema zu schwer, um es nicht ein wenig leichter zu lachen.“ Mittermeier habe sogar der Pandemie ein eigenes Soloprogramm gewidmet – und beweise darin einmal mehr, „dass es sich lohnt, selbst im Lockdown nicht den Humor zu verlieren.“
Ja, der Deutsche Kleinkunstpreis wird auch in der Corona-Pandemie verliehen – man könnte sagen: gerade jetzt. Die Kulturbranche kämpft wie keine andere unter Lockdown und faktischen Auftrittsverboten, viele in der Branche kämpfen ums pure Überleben – und so ist auch der Deutsche Kleinkunstpreis von Anspielungen auf die Systemrelevanz der Kultur für das (Über-)Leben durchzogen. Das gilt zuvorderst für den Hauptpreis in der Sparte Kabarett: Ausgezeichnet wird der Kabarettist und Moderator Florian Schroeder, vielen bekannt aus der SWR-Comedy-Sendung „Spätschicht“.
Der gebürtige Lörracher steht seit seiner Schulzeit auf den Kabarett-Brettern, bekannt wurde er mit Politiker-Parodien, Heinz Erhardt-Stücken und neben seinen Fernsehauftritten und der Late-Night-Show „Schroeder!“ mit Radio-Comedy-Shows auf verschiedenen Sendern. Im Juli 2017 ging Schroeder mit Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf Deutschland-Tour, im gleichen Jahr startete er sein neues Soloprogramm „Ausnahmezuustand“ – Schroeder hat in der Tat einen Riecher für politische und gesellschaftliche Themen.
„Florian Schroeder hat seine Vielseitigkeit und sein Können in den vergangenen Jahren eindrucksvoll, engagiert und beharrlich bewiesen“, lobt denn auch die Kleinkunstpreis-Jury: „Ob als tagesaktueller Kabarettist oder als schlagfertiger Gastgeber seiner Sendungen, ob parodistisch leicht oder sarkastisch pointiert – Florian Schroeder steht immer mit brennender Leidenschaft auf der Bühne.“ Besonders imponierte der Jury offenbar Schroeders jüngstes, geradezu Eulenspiegel-haftes Meisterwerk: Der Kabarettist trat im August bei einer Anti-Corona-Demo in Stuttgart auf – und hielt den versammelten Maskenverweigerern und Verschwörungsanhängern eine freundliche Rede über den Sinn der Schutzmaßnahmen und die Bedeutung wissenschaftlicher Fakten.
Schröder habe bei der „Querdenker“-Demo „einen herausragenden Moment geschaffen, und inmitten von Verschwörungstheoretikern gezeigt, dass Kabarett für die Gesellschaft unverzichtbar und systemrelevant ist“, lobte die Jury. Die Gesellschaftskritik und den Eulen-Spiegel hat Schroeder denn auch mit einer weiteren Preisträgerin gemein: Sarah Bosetti erhält den deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kleinkunst. Die Autorin und Kabarettistin ist begeisterte Poetry-Slammerin, schreibt satirisch-bissige Frauen-Bücher und ist im Fernsehen unter anderem mit Auftritten in „Die Anstalt“, bei „Extra3“ und bei „Puffpaffs Happy Hour“ zu sehen.
Bosetti sei „eine moderne Heldin, die Spaß dabei entwickelt, das Unmögliche zu versuchen: Dem Hass begegnet sie mit sprachlicher Kraft, der Erregungsgesellschaft mit klugem Witz und selbst bei zutiefst männlichem Gehabe übt Sie sich heroisch in bewundernswerter Geduld und mit heldenhaftem Verständnis“, lobt die Jury: „Ihr kühler Kopf, ihr feiner Humor und ihre feste Entschlossenheit – das sind die Waffen einer Künstlerin, die in der Lage ist, die Welt auf den Kopf zu stellen, und die so den Hass mit Aufklärung besiegen möchte.“
Auch die Preisträger der Sparte Chanson/Musik stammen aus der Poetry-Slammer-Szene: Das „Lumpenpack“, ein Rock/Pop-Duo, das vor allem im Umfeld von Comedy-Festivals unterwegs ist – 2016 waren sie auf dem Mainzer Open Ohr zu Gast. „Max Kennel und Jonas Meyer, ein Beinahe-Psychologe und ein Zum-Glück-nicht-Lehrer, können mit großer Stilbreite Songs mit Witz, Humor und Hirn schreiben“, begründet die Jury die Preisvergabe, und so sei der Künstlername des seit 2012 existierenden Duos „pures Understatement“: „Die ausgezeichnete Zweimannband ‚Lumpenpack‘ ist eine kleine Offenbarung, die zwischen den Welten aus Slam-Poetry, Folk, Pop und vielen anderen Musikstilen erschienen ist“, schwärmt die Jury: „Sie sind dabei gleichzeitig erfolgreich, erhellend wie erheiternd und vermögen es, mit nur einer Gitarre einen ganzen Saal in ein Rockkonzert zu verwandeln.“
Apropos Gitarre: Die ist auch das Markenzeichen von „Miss Allie“ einer jungen Comedy-Musikerin, die sich seit 2013 in die Herzen der deutschen Slammer-Szene spielt, ihre Alben per Crowdfunding finanziert und inzwischen diverse Preise eingeheimst hat – 2019 etwa den Hessischen Kabarettpreis. Nun erhält „Miss Allie“ den Förderpreis der Stadt Mainz beim Deutschen Kleinkunstpreis, und das begründet die Jury so: Hinter der „kleinen Singer-Songwriterin mit Herz“, wie sie sich selbst nenne, stehe „eine selbstbewusste Frau, die mit ihrer Gitarre und ihren ebenso humorvollen wie auch emotionalen Songs die besonderen Momente und Situationen des Alltags auf ihre ganz eigene Weise beleuchtet, und ihre Lieder oft in einer unverhofften Wendung enden lässt. Energiegeladen, strahlend und mit einer großen, herzlichen Umarmung zieht Miss Allie Publikum und Jury in den Bann und haucht der Kunst der Singer-Songwriter neues, frisches Leben ein.“
Einen Trip zurück in die Ur-Anfänge des Kabaretts erlaubt sich die Jury dann bei der Vergabe des Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz – denn der geht an niemand geringeren als an einen der großen Altmeister des feinsinnigen Wortwitzes: Emil Steinberger. Die Figur des „Emil“, der als Verkörperung des Ur-Schweitzers gelte, „hat als sorgfältiger, subtiler Beobachter aus kleinen Alltäglichkeiten große Komik erschaffen“, verneigt sich die Jury in ihrer Begründung: „Seine Figuren sind Meisterwerke einer detailgenauen und liebevollen Betrachtung, sein Spiel ist voll Leichtigkeit und Perfektion, seine Geschichten bezaubern durch ihre Klarheit und Natürlichkeit.“
„Emil“ ist die Kunstfigur des Komikers und Schauspielers Emil Steinberger, „der wie kein anderer das Kabarett in der Schweiz geprägt hat und Generationen von Künstlern inspirierte“, so die Jury weiter. Steinberger habe als Schauspieler Filme gedreht, Bücher geschrieben, Regie geführt, ein Theater gegründet und ebenso ein Kino auf die Beine gestellt. Seine bisher rund 30 Auszeichnungen aus der Kabarett-Szene zeigten, „dass mit dem Ehrenpreis 2021 ein langes Künstlerleben geehrt wird, dass in Deutschland, inklusive DDR, Österreich und der Schweiz gleichermaßen für Begeisterung gesorgt hat.“
Vor allem aber wird mit „Emil“ eine echte Legende und ein Pionier seiner Zunft ausgezeichnet, dessen Programme „E wie Emil“ und „Emil träumt“ den Grundstein für eine große Karriere legten – mit dem Ehrenpreis kehrt der 87-Jährige auch in Sachen Preise zu seinen Wurzeln zurück: 1976 wurde Emil Steinberger mit dem Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett ausgezeichnet. Die Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises findet voraussichtlich am 21. Februar 2021 im Mainzer Unterhaus statt und wird wie immer von Urban Priol moderiert, der selbst Preisträger in der Kategorie Kabarett im Jahr 2000 war.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Preisträgern des Jahres 2020 des Deutschen Kleinkunstpreises könnt Ihr hier noch einmal bei Mainz& nachlesen, ein Porträt des Unterhauses selbst zu seinem 50. Geburtstag findet ihr hier bei Mainz&. Die Preisverleihung 2021 wird von 3sat am 28. Februar 2021 um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Das Mainzer Forum-Theater Unterhaus selbst gibt es hier im Internet.