Es war ein wahrhaft historischer Tag, dieser 30. Juni 2017: Nach jahrelangen Diskussionen beschloss der Deutsche Bundestag am frühen Freitagmorgen mit großer Mehrheit die sogenannte „Ehe für alle“. 393 Abgeordnete im Bundestag stimmten mit Ja, 226 mit Nein, vier Abgeordnete enthielten sich in der Abstimmung, in der der Fraktionszwang aufgehoben war. Auch 75 Abgeordnete von CDU und CSU stimmten für die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben – nicht jedoch die Mainzer CDU-Bundestagsabgeordnete. Die Entscheidung löste einen wahren Freudentaumel aus, nicht nur bei Homosexuellen: „Grund zum Feiern“, „endlich gleiche Liebe, gleiche Rechte“ und „ein historischer Tag für die Gleichheit“ lauteten einige der zahlreichen Reaktionen. In Treffpunkten von Homosexuellen wird heute ausgelassen gefeiert – auch in Mainz.

Auch auf dem Christopher Street Day in Mainz forderten Schwule und Lesben seit 2014 immer wieder die rechtliche Gleichstellung bei der Ehe. – Foto: gik

Schon seit rund drei Jahrzehnten hatten Vertreter von Schwulen und Lesben immer wieder gleiche Rechte für die Partnerschaft homosexueller Menschen eingefordert. „Wir sind stolz, schwul zu sein, es ist toll, einen anderen Menschen zu lieben“, hatte etwa Joachim Schulte, Sprecher des Queernets Rheinland-Pfalz, beim ersten Christopher Street Day im Juli 2014 in Mainz gefordert. Dem ersten CSD-Umzug der Landeshauptstadt war ein Transparent mit der Aufschrift „Halbe Rechte machen halbe Menschen“ voran getragen worden. Und im September 2015 hatte die Stadt Mainz dann eine Akzeptanzkampagne mit Plakatmotiven unter dem Motto „Ich liebe, wie ich lebe“ gestartet.

Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), selbst mit einem Mann verpartnert, sprach denn auch vor der Abstimmung im Bundestag von einem „guten, überfälligen“ Schritt. „Als Oberbürgermeister einer weltoffenen, bunten und toleranten Stadt freue ich mich persönlich sehr über die heutige Entscheidung des Bundestags“, teilte Ebling dann am Freitag ziemlich staatstragend-zurückhaltend mit. Durch diesen Schritt werde „eine Gleichstellung der in unserer Gesellschaft schon lange gelebten Verantwortungsgemeinschaft geschaffen.“ Ob er selbst als erster in Mainz die echte Ehe mit seinem Lebenspartner eingehen werde, wisse er noch nicht, hatte Ebling im Vorfeld noch Mainz& verraten.

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Der Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) hingegen kündigte am Freitag schon mal an, seinen Lebenspartner unbedingt noch einmal „richtig“ heiraten zu wollen. Bei anderen Politikern kam die Euphorie deutlich mehr durch: „Endlich gleiche Liebe, endlich gleiche Rechte“, jubelte der Grünen-Fraktionschef im Hessischen Landtag, Kai Klose, auch er mit einem Mann verpartnert. „Der heutige Tag ist ein Tag der Freude, ein Tag zum Feiern, ein Tag zum Schluchzen“, sagte Klose: „Endlich gilt, was das Grundgesetz seit Gründung der Bundesrepublik verspricht: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich!“

Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) bei der Eröffnung des ersten Christopher Street Days in Mainz 2014, an seiner Seite eine Drag Queen. – Foto: gik

Das aber sehen Kritiker der neuen Öffnung anders: Die Ehe sei im Grundgesetz geschützt, die Väter des Grundgesetzes aber hätten dabei die Kernfamilien-Ehe aus Vater, Mutter, Kind im Blick gehabt, betonten Konservative landauf, landab. Die Neuregelung sei deswegen grundgesetzwidrig, argumentieren sie. Im entsprechenden Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es aber lediglich: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz staatlicher Ordnung“ – wie diese Ehe oder Familie auszusehen hat, steht dort nicht.

„Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau – und deshalb habe ich diesem Gesetz heute nicht zugestimmt“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) laut den Kollegen von heute.de. Dabei war es gerade die Kanzlerin gewesen, die mit ihrer Kehrtwende am Montag den Weg für die heutige Abstimmung frei gemacht hatte – ob absichtlich oder unabsichtlich ist unklar. Merkel hatte in einer Diskussion bei der Frauenzeitschrift „Brigitte“ die „Ehe für alle“ kurzerhand zur Gewissensfrage erklärt – daraufhin zog die SPD einen fertigen Gesetzentwurf aus der Schublade und brachte die Abstimmung im Bundestag auf den Weg.

Die CDU spricht deshalb von „Koalitionsbruch“, die SPD konterte, wenn Merkel persönlich die Frage zur Gewissensfrage erkläre, könne das kein Koalitionsbruch sein. Tatsache ist: Merkel hat mit ihrer Strategie ein für die Union ausgesprochen unangenehmes Thema abgeräumt – oder durch die SPD abräumen lassen. Denn die Union präsentierte sich in der Frage der „Ehe für alle“ tief gespalten, eine einheitliche Linie wäre auch bis zum Herbst nicht in Sicht gewesen.Doch der Reihe nach hatten die anderen Parteien angekündigt, eine Koalition nach der Bundestagswahl nur eingehen zu wollen, wenn die „Ehe für alle“ umgesetzt werde: Erst die Grünen, dann die SPD – und schließlich auch die FDP. Möglicherweise war die Aussage der Liberalen der Anlass für Merkels Wende – nun steht das Thema Koalitionsverhandlungen nach der Wahl nicht mehr im Wege. Und das ist jetzt der Analyseblock. 😉

Plakataktion der Stadt Mainz im Herbst 2015 unter dem Motto „Ich liebe, wie ich lebe“ für die Akzeptanz schwuler und lesbischer Lebensweisen.

Die SPD wiederum nutzte die Gunst der Stunde und präsentierte einen Gesetzentwurf im Bundestag, der bereits in erster Lesung beraten worden war. Ausgerechnet Rheinland-Pfalz hatte die Gesetzesvorlage schon im März 2013 in den Bundesrat eingebracht und nach der Bundestagswahl vom September 2013 erneut am 5. Juni 2015. Der Bundesrat hatte den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ mit positiver Mehrheit an den Bundestag überwiesen. Die Abstimmung am Freitag war deshalb auch ein Erfolg für die rheinland-pfälzische Koalition und die zuständige Ministerin Anne Spiegel (Grüne): „Das Eheverbot für schwule und lesbische Paare ist eine konkrete und symbolische Diskriminierung und gehört deswegen abgeschafft“, betonte Spiegel: „Gleiche Liebe verdient gleiche Rechte!“

Die „Ehe für alle“ mache „unser Land ein Stück weit besser, denn sie baut Diskriminierung in unserer Gesellschaft ab“, fügte sie am Freitag hinzu. Die Ehe für alle sei „längst gesellschaftlicher Konsens“, sagte auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Menschen, die sich liebten, müsse auch ermöglicht werden, füreinander mit allen rechtlichen Konsequenzen einzustehen. Das Gesetz aus rheinland-pfälzischer Feder sieht eine Ergänzung zum Paragrafen 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches vor, das Grundgesetz muss so nicht geändert werden. Im Paragraph 1353 heißt es dann nun: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“

Die Deutsche Bischofskonferenz hingegen nannte diese Form der Änderung einer solchen gesellschaftspolitischen Grundentscheidung ein „überstürztes Verfahren“ und wegen der geäußerten „erheblichen“ verfassungsrechtlichen Bedenken „völlig“ unangemessen.“ Die Ehe sei „– nicht nur aus christlicher Überzeugung – die Lebens- und Liebesgemeinschaft von Frau und Mann als prinzipiell lebenslange Verbindung mit der grundsätzlichen Offenheit für die Weitergabe von Leben“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx: „Wir sind der Auffassung, dass der Staat auch weiterhin die Ehe in dieser Form schützen und fördern muss.“ Die Bischofskonferenz „bedauert, wenn dieser Ehebegriff aufgelöst werden soll und damit die christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinandergehen.“ Mit einer Diskriminierung von Homosexuellen habe das nichts zu tun.

Sein Vorgänger, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, war übrigens anderer Auffassung gewesen: Lehmann hatte wiederholt Sympathien für eine Gleichstellung erkennen lassen. Überhaupt reagierten auch zahlreiche Konservative anders: Es sei doch begrüßenswert, wenn auch Schwule und Lesben konservative Werte wie die Ehe leben wollten, deshalb werde sie für die Öffnung stimmen, schrieb eine Bundestagsabgeordnete in den sozialen Netzwerken. Auch in Rheinland-Pfalz gingen die Meinungen weit auseinander: Von 16 Bundestagsabgeordneten der CDU aus Rheinland-Pfalz stimmten genau acht für die Ehe für alle, acht Abgeordnete votierten dagegen mit Nein. Bei der Abstimmung war der Fraktionszwang aufgehoben.

Können jetzt befreit lachen, lieben und feiern: Schwule junge Männer beim CSD in Mainz. – Foto: gik

Zu den Nein-Sagern gehört auch die Mainzer CDU-Bundestagsabgeordnete Ursula Groden-Kranich: „Für mich ist die Ehe als christliches Sakrament und als grundgesetzlich besonders geschützte Institution unseres Staates einzig die Verbindung zwischen Mann und Frau und kann also in diesem Sinne nicht für homosexuelle Paare offen stehen“, sagte Groden-Kranich auf Mainz&-Anfrage zur Begründung. Davon „völlig unbenommen“ sei aber die umfassende rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren als Fürsorgegemeinschaft. Die zahlreichen Angleichungen der vergangenen drei Jahre im Erbrecht, Steuerrecht, Beamtenrecht und vielen weiteren Punkten begrüße sie. Zum Adoptionsrecht äußerte sich Groden-Kranich nicht.

Mit der „Ehe für alle“ steht Schwulen und Lesben nun aber erstmals auch das Recht offen, Kinder zu adoptieren, das war ihnen bislang verwehrt. Genau an diesem Punkt hatten sich im Vorfeld der Abstimmung die widerlichsten Vorwürfe konservativer Politiker gegen die Ehe für alle entzündet: Wer die Ehe für alle genehmige, mache den Weg für massenhaften Kindesmissbrauch frei, hieß es etwa, oft mit Verweis darauf, das widerspreche dem Christentum. Am gleichen Tag übrigens kamen gleich zwei Meldungen über Verfahren gegen hochrangige Priester der katholischen Kirche – wegen langjährigem Kindesmissbrauchs. Auch CSU-Politiker scheuten sich nicht, den Sex zwischen homosexuellen Menschen mit dem Sex mit Lampenständern oder Tieren zu vergleichen.

Mit der Ehe für alle werde „vielen etwas gegeben, aber niemandem etwas genommen“, hielt dagegen SPD-Fraktionschef Oppermann den Kritikern im Bundestag vor. Damit gehe „ein Vierteljahrhundert Kampf um die vollständige rechtliche Gleichstellung aller Paare auch in diesem Land zu Ende“, betonte Klose. Und auch die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) erinnerte daran, dass der Erfolg vor allem auf eine Bewegung zurückgehe, die bereits seit Jahrzehnten für die vollständige Gleichstellung kämpfe. Rößner hatte im Bundestag ebenfalls für die „Ehe für alle“ gestimmt und betonte, der Kern der Sache sei doch schlicht dieser: „Es verdient Respekt, wenn sich zwei Menschen lieben und füreinander Verantwortung übernehmen wollen – egal, ob Mann und Frau oder gleichgeschlechtliche Paare. Warum? Because it’s 2017.“

Info& auf Mainz&: Wann die erste gleichgeschlechtliche Ehe konkret geschlossen werden kann, ist noch nicht ganz klar – voraussichtlich im Herbst wird es so weit sein. Die ersten Orte dafür freuen sich aber schon: „Bei uns können ALLE heiraten“, schrieb das Kloster Eberbach am Freitag auf Facebook: Eine herzliche Einladung – ein guter Tag für unsere Gesellschaft.“ Gefeiert wird übrigens auch in Mainz: Die schwule und lesbische Community feiert in der Bar jeder Sicht in der hinteren Bleiche in Mainz mit Sekt und Traubensecco. Wer genau wissen will, wie welcher Bundestagsabgeordnete bei der „Ehe für alle“ abgestimmt hat, kann das hier bei Abgeordnetenwatch.de nachvollziehen.

 

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