Er ist leuchtend blau. In ihm schwimmen ein Schuh, eine Rettungsweste, eine verbogene Bratpfanne und eine Weinflasche, eingefroren, wie in ein Stück ewige Flut-Zeit. Der große blaue Kubus ist der erste Baustein eines künftigen Flutmuseums, bis Freitagabend war er in der St. Laurentiuskirche in Ahrweiler zu sehen – seit Sonntag begrüßt er die Besucher der ProWein, der weltgrößten Weinmesse in Düsseldorf. Mainz& hat mit dem Initiator Daniel Koller gesprochen – über Geschichten, Schlagzeilen und die Notwendigkeit, an die Schrecken der Ahrflut immer wieder zu erinnern.

Winzer Peter Kriechel (Links) und Marketingexperte Daniel Koller vor dem blauen Kubus. - Foto: gik
Winzer Peter Kriechel (Links) und Marketingexperte Daniel Koller vor dem blauen Kubus. – Foto: gik

Der Anblick lässt einen nicht mehr los: Der leuchtende, blaue Würfel zieht den Besucher sofort in seinen Bann. 1,40 Meter misst der Kubus in Länge, Breite und Höhe – und dann noch 07 Zentimeter mehr. „Er trägt das Datum 14.07 schon in seinen Maßen“, sagt Peter Kriechel, Winzer aus Ahrweiler und Vorsitzender von Ahrwein e.V. Kriechel ist aber auch jener Winzer, der im Juli 2014 gemeinsam mit seinem Freund Daniel Koller die Aktion „Flutwein e.V.“ ins Leben riefen, bei der Schlamm überzogene Weinflaschen aus der Ahrflut als Hilfe für die von der Flutkatastrophe betroffenen Winzer verkauft wurden.

Nun haben Kriechel und Koller ein neues Projekt gestartet: „Momahr“, ein Museum of Modern Arts, das an die Flutnacht und ihre Folgen erinnert. Das erste Objekt war die Flutwein-Flasche No. 14 aus dem Weingut Kriechel, ein Spätburgunder des Jahrgangs 2012, der – aus den Fluten der Ahr geborgen – im Juli 2022 versteigert wurde. Die Flutweinflasche wurden mit 30.000 Euro Erlös zur teuersten, jemals versteigerten Weinfalsche in Deutschland – nun schwebt sie in Ewigkeit eingefroren in dem blauen Kubus der Ahrflut.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Ein Würfel aus leuchtend blauem Kunstharz, Maße: 14007

Mainz& hat mit dem Initiator Daniel Koller über die Entstehung des Kubus gesprochen – und was er alles in sich trägt.

Mainz&: Hallo Daniel, was für ein beeindruckendes Objekt – woraus besteht der Kubus?

Koller: Der Würfel besteht aus 3.500 Liter Kunstharz, Epoxidharz. Das ist ein Polymer, das ähnlich wie Glas in einer ähnlichen Struktur eine feste Masse wird, die transparent bleibt. Gefertigt wurde er Schicht für Schicht, 37 Schichten insgesamt, die wurden gegossen über fast ein Jahr hinweg.

Leuchtend blaue eingefrorene Flut-Zeit: Der Kubus des MomAHR. - Foto: gik
Leuchtend blaue eingefrorene Flut-Zeit: Der Kubus des MomAHR. – Foto: gik

Mainz&: Was genau ist da drin?

Koller: Das sind Gegenstände, die aus den Fluten der Ahr gefischt wurden, oder die – wie etwa die Rettungsweste von Helfershuttle-Erfinder Thomas Pütz – uns gestiftet wurden. Hinter den Objekten stehen symbolisch Schicksale von Betroffenen, und hinter diesen Schicksalen oder auch Fakten steckt eine übergeordnete Geschichte: wie zum Beispiel die ungeheure Solidarität für die Ahr, oder aber die Tatsache, dass es bestimmte Sachen gab, aus denen man lernen sollte.

130 Objekte erinnern an Schlagzeilen, Menschen, Schicksale

Es sind um die 130 Objekte insgesamt. Manche haben einfach einen symbolischen Charakter wie ein Weinblatt, von denen mehrere da drin herumschwimmen, andere wie die Winzerschere stehen symbolisch für die Solidarität derer, die gekommen sind – in diesem Fall die Winzer aus dem ganzen Land -, um an der Ahr zu helfen, Laubschnitt zu machen, damit die Winzer hier an der Ahr nach der Flutkatastrophe überhaut die Möglichkeit hatten, eine Ernte zu haben. Und ganz hinten oben schwebt die Flasche „Flutwein No. 14“, die offiziell die teuerste, jemals in Deutschland versteigerte Flasche ist.

Mainz&: Wie entstand die Idee dazu?

Die Flutwein-Flasche No. 14, eingefroren in dem Kubus des MomAHR. - Foto: gik
Die Flutwein-Flasche No. 14, eingefroren in dem Kubus des MomAHR. – Foto: gik

Koller: Die Idee entstand im gleichen Team, aus dem Flutwein entstanden ist, und auch zum gleichen Zeitpunkt, als wir mit Flutwein gearbeitet haben. Wir haben ständig mit Menschen gesprochen, die immer wieder wiederholt haben: Vergesst uns nicht! Und wir haben überlegt: wie kann man denn alle diese Geschichten zusammenbringen, diese Geschichten, die alle mal Schlagzeilen waren: Thomas Pütz mit dem Helfershuttle, Andy Neumann mit seinem Buch „Es war doch nur Regen?!“ – das auch im Kubus schwimmt -, Peter Kriechel mit Flutwein – alles Menschen, die Schlagzeilen gemacht haben.

Aber Schlagzeilen verlieren irgendwann an Bedeutung, irgendwann werden sie nicht mehr gefunden, verlieren an Aktualität. So etwas in einem Mahnmal zu verbinden, hat noch einmal einen ganz anderen optischen Eindruck – und dieser optische Eindruck regt hoffentlich zur Diskussion an. Denn hinter den Gegenständen verbergen sich eben auch ernste Themen.

Ein Stück eingefrorene Flut-Zeit, eine Zeitkapsel der Flut

Mainz&: Und es ist sicher kein Zufall, dass das Ganze an Wasser erinnert?

Koller: Nein. Die Idee war ursprünglich so: Wenn wir einen Taucher herunterschicken würden in die neun Meter der Flut, während das Wasser an der Ahr gestiegen ist, und er würde die Zeit einfrieren, und einen Block raussägen – wie würde das aussehen? Das war der Gedanke.

Eingefrorene Zeit: Eine verbogene Bratpfanne aus der Flutnacht an der Ahr. - Foto: gik
Eingefrorene Zeit: Eine verbogene Bratpfanne aus der Flutnacht an der Ahr. – Foto: gik

Im Englischen sagt man: „The Earth stood still“ – die Welt steht still, hat sich aufgehört zu drehen. So ist das auch hier: Es ist ein Stillstand in der Zeit, dafür steht ja auch eine Zeitkapsel. Und so einen Stillstand in der Zeit haben die Menschen hier erlebt, und zwar kurz nach der Katastrophe. Und jetzt, im Wiederaufbau, ist der Stillstand ja auch immer wieder zu sehen, es gibt weitere Themen, bei denen man das Gefühl hat: Man kommt einfach nicht voran.

Ein solches Thema sind die Spenden: Wir haben einen offenen Appell gehabt, einen Brief in Videoform an Christian Lindner und das Bundesfinanzministerium, weil wir eine Reform des Spenden- und Abgabenrechts brauchen, damit im Katastrophenfall klar ist, wie die Zivilbevölkerung helfen kann, ohne belangt zu werden. Und dafür ist dort eben auch ein 20-Euro-Schein, für immer zerstört, in diesem Würfel – symbolisch. Das Ding ist kaputt und steht dort still, fest und starr – so, wie auch Millionen von Spendengeldern, die eben noch nicht einfach, unbürokratisch verteilt werden können, weil es dafür keine Gesetzesgrundlage gibt, die wir zwingend bräuchten.

Und so erzählen wir diese Geschichten. Auf der Internetseite Momahr.de stehen die Geschichten, die wir schon aufbereitet haben. Wir haben Interviews mit den Menschen hinter den Objekten gemacht, die ihre Geschichte erzählen und in ihre Seele blicken lassen.

Geschichten hinter den Schlagzeilen erzählen, erinnern, mahnen

Mainz&: Wie viele Geschichten erzählt Ihr dort denn?

Koller: Aktuell sind es 25, die wir bereits verfilmt haben. Es gibt aber noch ganz viele Geschichten, die wir noch nicht verfilmt haben – weil das alles ehrenamtlich gemacht wird. Wir versuchen, das als belebtes Projekt weiterzutreiben.

Mainz&: Wo wurde der Kubus gefertigt?

Geschichten hinter den Schlagzeilen (von links): Daniela Koller, Peter Kriechel, Buchautor Andy Neumann und Nadine Wenigmann von der Arche. - Foto: gik
Geschichten hinter den Schlagzeilen (von links): Daniela Koller, Peter Kriechel, Buchautor Andy Neumann und Nadine Wenigmann von der Arche. – Foto: gik

Koller: Gefertigt wurde er in Prittriching, das ist eine kleine Stadt bei Augsburg, in einer Auto-Tuning Werkstatt namens Caruso Composits. Die sind auch Harz-Spezialisten – es war nämlich gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der aus 3,5 Tonnen Kunstharz ein Mahnmal baut. Die haben gesagt: Wir trauen uns das zu – deren Garage war mehr als ein halbes Jahr blockiert.

Mainz&: Was passiert jetzt mit dem Kubus?

Koller: Der Würfel wird jetzt heute Abend, Freitag, aus der Kirche getragen und geht dann auf die ProWein. Dort wird er ab Sonntag die Besucher begrüßen, und zum Stand von Ahrwein e.V. leiten. Danach soll er bundesweit wandern, an wichtige Orte, Berlin vielleicht – dorthin, wo die wichtigen Leitmessen sind, aber auch die wichtigen Ämter. Wir würden es begrüßen, wenn der Würfel mal im Bundestag zu sehen sein wird, um den Menschen zu zeigen: da steckt eine Botschaft drin.

Am Ende soll der Würfel aber ein permanentes Zuhause an der Ahr bekommen. Er steht als ein erstes Exponat für eine Erinnerungskultur, und gehört deshalb in ein Flutmuseum – diese Erinnerungskultur muss nun an der Ahr entstehen.

Mainz&: Vielen Dank, Daniel! Für das Gespräch, und dieses absolut beeindruckende Mahnmal…

Projekt Flutmuseum: Machbarkeitsstudie für Standort und Konzept

Das Flutmuseum ist ein Projekt, das bereits aktiv in Planung ist, wie David Bongart von Ahrtal-Tourismus am Freitagabend bei einem Besuch von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Ahrweiler verriet. „Wir beschäftigen uns damit, und sind gerade dabei, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben“, sagte Bongart: „Welchen Standort wählt man? Wie macht man das?“ Das seien Fragen, die nicht einfach zu beantworten seien. „Uns ist wichtig, einen Ort zu finden, wo man gedenken kann, aber auch eine Dokumentation des Wiederaufbaus entstehen kann“, betonte Bongart. Er hoffe, dass ein Konzept vielleicht noch in diesem Jahr umgesetzt werden könne.

Zeigte sich tief beeindruckt von dem Kubus: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). - Foto: gik
Zeigte sich tief beeindruckt von dem Kubus: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). – Foto: gik

Die Ministerpräsidentin zeigte sich von dem Kubus tief beeindruckt – und sie versprach Hilfe. „Das ist etwas sehr, sehr Besonderes und entspringt einer großen kreativen Kraft“, sagte Dreyer: „Es ist so authentisch, weil alles, was hier drin zu sehen ist, ist ein Mahnmal aus der Flut, aus dieser Zeit.“ Es sei „kaum möglich“, eine bessere Art des Mahnmals zu finden, betonte Dreyer.

Was ein Flutmuseum angehe, da gebe es „schon viele Wünsche“, sagte die Ministerpräsidentin weiter, es sei nun „wichtig, dass man das gründlich angeht“ – es gehe jetzt darum, ein Konzept für so ein Museum zu erstellen. Es werde sich dann aber „auch ein Weg finden, was das Thema Finanzen angeht“, versprach Dreyer: „Ich bin ganz sicher, dass wir da Lösungen finden werden.“ Ein Museum, das sich um den Kubus herum entwickele, könne sie sich gut vorstellen, sagte Dreyer weiter: „Dieses Mahnmal ist wirklich berührend, es hat eine unglaubliche Strahlkraft, was Emotionen angeht – man kann sich keinen besseren Baustein für das Museum vorstellen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Momahr – dem Museum of Modern Arts für die Ahr findet Ihr hier im Internet. Die Geschichte der Flutwein-Flasche No. 14 haben wir hier auf Mainz& erzählt.