Angesichts eines bevorstehenden sonnigen Frühlingswochenendes hat Innenminister Roger Lewentz (SPD) noch einmal eindringlich an die Rheinland-Pfälzer appelliert, sich weiter an Abstands- und Hygieneregeln zu halten. „Der dringende Appell lautet, auch an diesem Wochenende wirklich diszipliniert zu bleiben und die Gesundheit der anderen immer im Blick zu haben“, sagte Lewentz: „Das ist nicht ein Appell oder eine Bitte, das ist eine Verpflichtung, dies auch einzuhalten.“ Zum Ende der ersten Woche der Corona-Lockerungen zeigen sich vor allem Virologen hochbesorgt: Es drohe eine zweite Infektionswelle – und die werde erheblich gefährlicher als die erste. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte deshalb im Deutschen Bundestag eindringlich davor, das bisher Erreichte nicht zu verspielen.
Bislang ist Deutschland ausgesprochen gut durch die Corona-Pandemie gekommen, vor allem im Vergleich zu unseren Nachbarländern: In Frankreich starben laut Johns Hopkins Universität bereits 22.245 Menschen an der durch das neue Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19, in Spanien waren es 22.524 und in Italien inzwischen sogar 25.969 (Stand Samstag, 25. April, 2.30 Uhr). Für Deutschland verzeichnet die amerikanische Universität hingegen zwar stolze 154.545 Infizierte – aber „nur“ 5.723 Tote.
Unter dem Druck der Wirtschaft erlaubte die Politik nun an diesem Montag die Wiedereröffnung kleinerer Läden mit einer Fläche bis 800 Quadratmetern. Der Preis für diese Lockerung könnte allerdings hoch sein: Viele Mainzer nahmen die Öffnung der Läden offenbar als Zeichen, das Schlimmste der Corona-Pandemie sei nun überstanden. Abstandsregeln wurden nur noch nachlässig eingehalten, Masken zu Beginn der Woche so gut wie gar nicht getragen – bis Rheinland-Pfalz am Donnerstag dann doch eine Maskenpflicht ab kommendem Montag erließ.
Die Regierung habe mit den Lockerungen „ein falsches Signal gesendet“, sagte die Virologin Melanie Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Institut im Spiegel-Interview, und warnte: „Ich befürchte, dass viele das Virus jetzt nicht mehr so ernst nehmen und wieder mehr Kontakte treffen.“ Ein großer Teil der Bevölkerung habe offenbar „das Ausmaß der Situation noch nicht realisiert“, kritisierte Brinkmann weiter. Es sei aber „eine Illusion, dass wir von einer Besserung sprechen können“, betonte die Virologin: „Wir stehen immer noch am Anfang der Pandemie, das vergessen viele.“
Werde das Coronavirus und seine Ansteckungsgefahr auf die „leichte Schulter“ genommen, drohe eine zweite Infektionswelle, die wesentlich schwerer verlaufen werde als die bisherige. Bisher nämlich habe es in Deutschland in erster Linie einige regionale Infektionsherde wie den in Heimsberg gegeben, aber eben keine flächendeckende große Infektionswelle im ganzen Land. Eine zweite Welle werde aber nicht mehr nur lokal begrenzt sein, weil nun viel mehr Menschen in Deutschland infiziert seien – es drohe eine viel schlimmere zweite Welle.
Das sieht man auch beim Robert-Koch-Institut (RKI) so: „Wenn wir alle weiter jetzt so tun, als ob das Problem überwunden wäre, werden wir wieder einen Ausbruch haben. Das ist ziemlich sicher“, sagte auch RKI-Vizepräsident Lars Schaade am Dienstag. Sollten die Fallzahlen in Zukunft massiv zulegen, „kann das Gesundheitssystem immer noch sehr schnell überlastet werden“. Besonders am Osterwochenende wurden offenbar auch in Rheinland-Pfalz viele Menschen wieder laxer – und besuchten doch schnell noch Familie oder Freunde. Die rheinland-pfälzische Polizei zählte an dem Osterwochenende landesweit 1.112 Verstöße gegen die Corona-Verordnung, am ersten Aprilwochenende waren es noch 717.
Nach Angaben des Innenministeriums wurde am Osterwochenende 368 Mal das Nichteinhalten des Mindestabstands von 1,5 Metern geahndet, 550 Verstöße gegen Versammlungen im öffentlichen Raum von drei bis zehn Personen wurden mit Bußgeldern belegt, dazu sogar 28 Veranstaltungen mit mehr als 10 Personen. Am vergangenen Wochenende gingen die Zahlen dann auf 189 Verfahren wegen Nichteinhalten des Mindestabstands und insgesamt 289 Verstöße gegen Ansammlungen zurück – insgesamt notierte die Polizei landesweit nur noch 490 Verstöße.
Allerdings geben diese Zahlen nur die tatsächlich ausgesprochenen Bußgeldverfahren wieder, Ermahnungen oder Kontrollen ohne Ordnungswidrigkeitsverfahren sind darin nicht enthalten. Tatsächlich stellt sich so die Frage, inwieweit diese Zahlen die tatsächlich Verstoßmentalität der Rheinland-Pfälzer wiedergeben – aus der Mainzer Neustadt und vom Mainzer Rheinufer wird immer wieder von Studentenparties, Treffen mit laxem Abstand oder gar Picknicks berichtet.
Innenminister Roger Lewentz (SPD) attestierte der Bevölkerung am Donnerstag besonnenes Verhalten: „Die Zahlen sagen, es gibt die große Disziplin in der Bevölkerung“, sagte Lewentz, „die Bevölkerung muss aber auch wahrnehmen: diese Maßnahmen gelten fort.“ Das Abstandsgebot von 1,50 Metern gelte weiter, ebenso das Gebot zum Händewaschen – im Übrigen gilt bis einschließlich 3. Mai auch weiter die Kontaktsperre, die Gruppen von mehr als zwei Personen außerhalb des eigenen Haushalts untersagt.
Weitere Lockerungen werde es aber nur geben können, wenn Abstand, Hygieneregeln und Maskenpflicht auch eingehalten würden, warnte Lewentz: „Der Ernst der Lage, die Bedrohung unserer Gesellschaft ist in keinster Form weniger geworden, ich will Disziplin einfordern.“ Von dem Verhalten der Bevölkerung bis nach dem 1.-Mai-Wochenende wird es nun auch abhängen, ob es weitere Lockerungen der Corona-Regeln geben kann – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte eigentlich mit den Ministerpräsidenten der Länder am 30. April über weitere Lockerungen beraten, inzwischen sollen Entscheidungen aber frühestens eine Woche später, am 6. Mai fallen.
„Die Situation ist trügerisch, und wir sind noch lange nicht über den Berg, denn wir müssen im Kampf gegen das Virus immer im Kopf haben: Die Zahlen von heute spiegeln das Infektionsgeschehen von vor etwa zehn bis zwölf Tagen wider“, betonte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag. Die heutige Zahl der Neuinfizierten sage also nicht, „wie es in einer oder zwei Wochen aussieht, wenn wir zwischendurch ein deutliches Mehr an neuen Kontakten zugelassen haben“, warnte Merkel.
Die Kanzlerin hatte schon zu Wochenbeginn scharfe Kritik an einer „Öffnungsdiskussionsorgie“ in den Ländern geübt, am Donnerstag erneuerte sie ihre Kritik in abgewandelter Form: Die Umsetzung der Lockerungsbeschlüsse wirke auf sie „in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen: zu forsch“, sagte Merkel. Tatsächlich hat die Öffnung der Läden Begehrlichkeiten in vielen Bereichen der Wirtschaft geweckt: Just am Freitag forderten Gastronomen in ganz Deutschland einen Fahrplan zur Wiedereröffnung ihrer Unternehmen, in Hessen forderte der Industrie- und Handelskammertag gar auch die Wiederöffnung der Reisewirtschaft – obwohl weltweit weiterhin eine Reisewarnung gilt. In Rheinland-Pfalz forderten die Grünen eine Öffnung der Kinderspielplätze, zumindest perspektivisch, während am Montag die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung der Schulen starten.
„Ich sehe es als meine Pflicht an, zu mahnen, und so mahne ich in diesem Sinne auch im Gespräch mit den Ministerpräsidentinnen und auch in diesem Hohen Hause: Lassen Sie uns jetzt das Erreichte nicht verspielen und einen Rückschlag riskieren“, warnte Merkel. Gerade weil die bisherigen Zahlen zur Corona-Pandemie in Deutschland Hoffnungen auslösten, „sehe ich mich verpflichtet, zu sagen: Dieses Zwischenergebnis ist zerbrechlich. Wir bewegen uns auf dünnem Eis, man kann auch sagen: auf dünnstem Eis.“
Deutschland stehe beileibe nicht am Ende der Pandemie, sondern noch immer am Anfang, unterstrich Merkel. Bleibe Deutschlands nun, am Anfang, diszipliniert, „werden wir es viel schneller schaffen, Gesundheit und Wirtschaft, Gesundheit und soziales Leben wieder gleichermaßen leben zu können“, sagte die Kanzlerin – und machte sehr deutlich: Bei weiteren Infektionswelle werde es erneut einen Shutdown geben: „Mit Konzentration und Ausdauer – gerade am Anfang – können wir vermeiden, von einem zum nächsten Shutdown zu wechseln oder Gruppen von Menschen monatelang von allen anderen isolieren zu müssen“, betonte Merkel.
Auch Deutschland drohe noch immer, „mit furchtbaren Zuständen in unseren Krankenhäusern konfrontiert zu sein, wie es in einigen anderen Ländern leider der Fall war.“ Je ausdauernder und konsequenter die Gesellschaft aber jetzt die Einschränkungen ertrage, umso eher werde es gelingen, das Infektionsgeschehen nach unten zu drücken, Infektionsketten konsequent zu ermitteln und somit das Virus zu beherrschen. „Es wäre jammerschade“, sagte Merkel, „wenn uns die voreilige Hoffnung am Ende bestraft.“
Info& auf Mainz&: Die ganze Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnt Ihr hier im Internet beim Bundeskanzleramt nachlesen. Das Spiegel-Interview mit der Virologin Melanie Brinkmann gibt es hier im Netz, einen ausführlichen Hintergrundbericht, wie wichtig Mund-Nasen-Masken sind und was sie bringen lest Ihr hier bei Mainz&. Alle unsere Informationen, Artikel und Hintergründe zur Coronakrise findet Ihr weiter auf unserer Sonderseite „Alles zum Coronavirus“ genau hier bei Mainz&.