Am Sonntag jährt sich die Flutkatastrophe im Ahrtal zum dritten Mal, wenige Tage zuvor veröffentlichte der SWR eine Umfrage, die wie ein Paukenschlag wirkt: 71 Prozent gaben dabei an, unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Landesregierung zu sein, knapp 40 Prozent sahen Versäumnisse in erster Linie beim Land – und 72 Prozent urteilten, die Landesregierung werde ihrer Verantwortung für den Wiederaufbau nicht gerecht. Das besondere an der Umfrage: Sie wurde unter Betroffenen der Flut gemacht. Die Umfrage belegt mit Zahlen, was im Ahrtal deutlich zu spüren ist: Der Frust über den schleppenden Wiederaufbau und das mangelhafte Management der Politik. Macht der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) einen Neuanfang der Wiederaufbaupolitik?

Verwüstungen bei Kreuzberg an der Ahr zehn Tage nach der Flutkatastrophe am 14. Juli 2021. - Foto: gik
Verwüstungen bei Kreuzberg an der Ahr zehn Tage nach der Flutkatastrophe am 14. Juli 2021. – Foto: gik

Vor drei Jahren tobte in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 eine gigantische Flutwelle durch das Ahrtal, ausgelöst durch tagelange Regenfälle mit hohen Regenmengen, die auf durchweichte Böden fielen. Das Tief „Bernd“ sorgte im gesamten Eifelraum, im Raum Trier sowie im Nachbarland Belgien für verheerende Überschwemmungen und große Schäden, doch die schlimmste Katastrophe geschah im Ahrtal: Hier baute sich eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle auf, genährt durch überquellende Seitenbäche und durch mitgerissene Bäume, Campingwagen, Autos und tonnenweise Schutt aus Häusern und Dörfern.

Die ersten Menschen starben auf dem Campingplatz Stahlhütte in Dorsel am späten Nachmittag des 14. Juli, die letzten gegen 2.00 Uhr am frühen Morgen in Sinzig an der Mündung der Ahr in den Rhein in einem Behindertenwohnheim – obwohl die Flutwelle Stunden bis zur Mündung brauchte, und obwohl es sogar Videos aus einem Polizei-Hubschrauber gab, wurden die meisten Bewohner im Ahrtal nur unzureichend oder gar nicht gewarnt. Viele Menschen starben im Schlaf in ihren Erdgeschosswohnungen, weil Warnungen gerade am Unterlauf der Ahr viel zu spät kamen und Evakuierungen ausblieben. Viele kämpften über Stunden auf Dächern oder in Bäumen um ihr Leben in den tosenden Fluten.

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SWR-Umfrage zeigt erstmals Stimmung unter Flut-Betroffenen

Am Ende stand auf fast 40 Kilometern Länge fast keine Brücke mehr, waren ganze Häuser in den Fluten versunken, dazu Straßen, Eisenbahnbrücken, Scheunen, Sportplätze. 42.000 Menschen erlitten Schäden durch die meterhohen Fluten im Tal, 17.000 Menschen verloren ihr gesamtes Hab und Gut, mehr als 7.100 Häuser wurden beschädigt, rund 470 Gebäude komplett weggerissen – darunter Wohnhäuser, Geschäfte, Hotels und Werkstätten. Rund 800 Menschen wurden nach den offiziellen Zahlen verletzt – und 136 wurden von den Fluten in den Tod gerissen, davon wird ein Mann bis heute vermisst.

Leer stehendes Haus in Altenahr drei Jahre nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Leer stehendes Haus in Altenahr drei Jahre nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Seither herrschen Wut und Fassungslosigkeit im Tal, denn nicht nur die Katastrophenvorsorge vor der Flut wird bis heute scharf kritisierte, sondern auch das miserable Management der Katastrophe danach – bis heute steht vor allem die Landesregierung mit der Dienstaufsichtsbehörde ADD und der Landesbank ISB für ihre schleppenden Hilfen in der Kritik. „Schnelle und unbürokratische Hilfe“ hatte die Politik direkt nach der Flutnacht versprochen, für viele Betroffene klingt das heute nur noch wie Hohn: Drei Jahre danach warten immer noch zu viele Flutbetroffene im Tal auf Finanzhilfen und Baugenehmigungen, stehen Bauruinen neben brandneu wiederaufgebauten Häusern, verhindern tiefe Erschöpfung und Frust einen echten Aufbruch.

Die Stimmung im Tal hält jetzt eine Umfrage des SWR in Zahlen fest: Für die repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap wurden im Juni 2024 erstmals direkt Betroffene der Flutkatastrophe befragt, und zwar genau 1.184 Bewohner in den Landkreisen Ahrweiler, Bernkastel-Wittlich, im Eifelkreis und der Vulkaneifel sowie in Trier und dem Landkreis Trier-Saarburg. Auch in der Eifel und im Raum Trier hatte es große Flutschäden gegeben.

Große Unzufriedenheit mit Krisenmanagement des Landes

Das Ergebnis spiegelt also erstmals die Stimmungslage unter den Betroffenen in Zahlen wieder – und die ist drei Jahre nach der Katastrophe alles andere als gut: 71 Prozent der Befragten gaben demnach an, unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Landesregierung nach der Hochwasserkatastrophe zu sein, lediglich ein Fünftel (20 Prozent) kam zu einem positiven Urteil. Im Landkreis Ahrweiler zeigten sich gar 51 Prozent „gar nicht zufrieden“ und 29 Prozent „weniger zufrieden“, nur 14 Prozent äußerten sich hier zufrieden mit dem Krisenmanagement des Landes.

Zerstörter Hotel Lang in Altenahr drei Jahre nach der Flut. - Foto: gik
Zerstörter Hotel Lang in Altenahr drei Jahre nach der Flut. – Foto: gik

Die Zahlen veröffentlichte der SWR ausführlich auf seinem Internetauftritt, hier kann man die Ergebnisse auch nach Regionen filtern – im Ahrtal erhält die Politik besonders schlechte Noten. So machen laut Umfrage 39 Prozent aller Befragten vor allem die Landesregierung für Versäumnisse nach der Flut verantwortlich, 31 Prozent aber die Landkreise – im Ahrtal sind es laut Umfrage aber 48 Prozent für den Landkreis und 28 Prozent für die Landesregierung. Im Kreis Ahrweiler sagten jedoch zugleich 72 Prozent der Befragten, die Landesregierung werde ihrer Verantwortung für den Wiederaufbau nicht gerecht – eine Ohrfeige für die Landesregierung.

Und gerade im Ahrtal sagen 61 Prozent der befragten, der Wiederaufbau sei wenig vorangekommen, 4 Prozent geben sogar an, er stehe noch am Anfang – drei Jahre nach der Flut. Lediglich 28 Prozent sehen den Wiederaufbau als „weit vorangekommen“, 2 Prozent sehen ihn nur als abgeschlossen. Allerdings geben zugleich 42 Prozent an, der Wiederaufbau ihres persönlichen Eigentums sei bereits abgeschlossen, bei weiteren 29 Prozent ist er „weit vorangekommen.“

Weiter schleppende Antragsbearbeitung durch ISB

Dem SWR zufolge hakt es aber nicht nur beim Krisenmanagement der Landesbehörden, auch die landeseigene Investitions-und Strukturbank (ICB) steht weiter scharf in der Kritik. Hier konnten Flutbetroffene Anträge auf finanzielle Unterstützung stellen, davon machten aber der Umfrage zufolge nur 15 Prozent der Befragten Gebrauch – 8 Prozent bemühten sich erfolglos um die Hilfen. Eine große Mehrheit von 68 Prozent habe angegeben, sich um die Unterstützung erst gar nicht bemüht zu haben, darunter vor allem viele weniger stark Betroffene.

Hausruinen in Altenburg im mittleren Ahrtal im März 2024. - Foto: gik
Hausruinen in Altenburg im mittleren Ahrtal im März 2024. – Foto: gik

Bei der ISB heißt es in der aktuellen Bilanz, man habe 12.320 Anträge auf Hausrat-Finanzierungen erhalten, davon seien bislang 11.840 genehmigt worden, das entspreche einem Volumen von 144,3 Millionen Euro. Mit Bezug auf Gebäude gingen demnach 4.067 Anträge bei der ISB ein, genehmigt wurden davon bislang 3.570 Anträge, das entspricht 581,3 Millionen Euro. Noch schlechter sieht es bei Unternehmenshilfen aus: Von 885 Anträgen wurden erst 653 mit einem Volumen von 545,1 Millionen Euro genehmigt – wie viel von den bewilligten Geldern zur Auszahlung gekommen sind, teilte die ISB dabei nicht mit.

Auch diese Zahlen belegen, was viele im Ahrtal umtreibt: Der Wiederaufbau stockt, im Tal fehlen Handwerker – und manche Versicherungen haben bis heute nicht gezahlt. Das wiederum nimmt den Betroffenen auch die Möglichkeit, sich bei anderen Stellen wieder ISB oder dem Bündnis Deutschland hilft um zusätzliche Mittel zu bemühen, weil erst klar sein muss, wie groß der Beitrag der Versicherung ist. Zudem gibt es weiter keine verpflichtende Elementarschadensversicherung in Deutschland, was zuletzt die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz deutlich kritisierte: Da der Bund es nicht hinbekomme, fordere man das Land auf, eine Pflichtversicherung auf Landesebene einzuführen – nach französischem Vorbild.

Schulzentrum Altenburg mit Realschule plus bis heute Ruine

Doch auch Land und Landkreis hinken beim Wiederaufbau zum Teil massiv hinterher: Die Ahrtalschule in Altenburg, eine Realschule plus, stand noch im März 2024 als Ruine in der Ahrlandschaft, die benachbarte Grundschule war ebenso wenig in Betrieb – drei Jahre nach der Flut sah es rund um die Schulgelände noch aus, wie kurz nach den Aufräumarbeiten. Die große Turnhalle musste abgerissen werden, die bereits sanierte Grundschule hätte gerne eine kleine Mensa, erzählt eine Bürgerinitiative aus dem Ort – die werde aber nicht finanziert, weil die Grundschule keine Ganztagsschule sei.

Die in der Flutnacht zerstörte Realschule plus in Altenburg ist bis heute eine Ruine - drei Jahre nach der Flut. - Foto: gik
Die in der Flutnacht zerstörte Realschule plus in Altenburg ist bis heute eine Ruine – drei Jahre nach der Flut. – Foto: gik

Dabei müsse die Grundschule in den nächsten Jahren ohnehin den Anspruch auf Ganztagsplätze erfüllen, dann brauche es ohnehin eine Mensa, berichten sie hier – statt unbürokratischen und guten Lösungen herrscht weiter Stillstand. Und so gaben in der Umfragen denn auch 71 Prozent an, ihre persönliche Situation sei sehr belastend oder belastend gewesen.

Deutlich mehr als die Hälfte meint zudem, Rheinland-Pfalz sei weniger gut oder schlecht auf zukünftige Katastrophen vorbereitet – vermisst werden Dämme und Schutzmauern, Überschwemmungsflächen aber auch ein besseres Frühwarnsystem und ein besseres Krisenmanagement, heißt es beim SWR.

Frust über Justiz, Lichtblick: der große Zusammenhalt

Zur erheblichen Unzufriedenheit trug zuletzt vor allem auch die Staatsanwaltschaft in Koblenz bei: Sie hatte die Ermittlungen gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU) eingestellt und verweigerte eine Anklageerhebung – viele im Ahrtal halten das für einen Skandal und sehen sich um die Möglichkeit einer juristischen Aufarbeitung der Versäumnisse in der Flutnacht gebracht. Das spiegelt nun auch die Umfrage: 82 Prozent der Befragten im Kreis Ahrweiler sind mit der rechtlichen Aufarbeitung der Katastrophe unzufrieden, nur 8 Prozent äußerten sich zufrieden.

Eine "Zusammenheld"-Bank vor der Vinothek von Michael Land in Marienthal im Ahrtal, in der Vinothek gibt es eine Fotoausstellung zur Flutnacht des 14. Juli 20221. - Foto: gik
Eine „Zusammenheld“-Bank vor der Vinothek von Michael Land in Marienthal im Ahrtal, in der Vinothek gibt es eine Fotoausstellung zur Flutnacht des 14. Juli 20221. – Foto: gik

Einziger Lichtblick für die Menschen im Ahrtal: Den Zusammenhalt vor Ort bewerten die Menschen im Ahrtal als herausragend: 43 Prozent fanden ihn „eher gut“, 45 Prozent sogar „sehr gut“ – macht zusammen 88 Prozent. Vielleicht liegt es daran, dass 90 Prozent in der Umfrage auch angaben, sie hätten sich nach der Flut keine psychologische Hilfe gesucht – für so etwas muss man zudem Kraft und Zeit haben.

Und noch etwas könnte die Stimmung im Ahrtal heben: der neu gewählte Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), Nachfolger der aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen Malu Dreyer, versprach in seinen ersten Statements und Interviews, er wolle den Wiederaufbau im Ahrtal zu seinem wichtigsten Schwerpunktthema machen – und er wolle ihn „besser und schneller machen“.

Kommt von Schweitzer eine Entschuldigung fürs Ahrtal?

Und auf die Frage, ob er nun die lange von Dreyer geforderte, aber nie erfolgte offizielle Entschuldigung für die gemachten Fehler in der Flutnacht und danach leisten wolle, sagte Schweitzer im SWR-Sommerinterview: „Ich habe mich sehr stark mit der Frage beschäftigt, und ich habe für mich Folgendes entschieden: Ich will erst einmal im Ahrtal unterwegs sein, Gespräche führen, mit Bürgern, Betroffenen und Kommunalen sprechen – und die Frage wirken lassen.“

Der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer im SWR-Sommerinterview; Macht er einen Neuanfang fürs Ahrtal? - Foto: gik
Der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer im SWR-Sommerinterview; Macht er einen Neuanfang fürs Ahrtal? – Foto: gik

Damit erteilte Schweitzer erstmals als ein Verantwortlicher des Landes dieser Frage nicht sofort eine klare Absage. Im September will Schweitzer eine Regierungserklärung im Mainzer Landtag halten, mit einer Ernst gemeinten Entschuldigung könnte er tatsächlich einen Neuanfang machen, und so verloren gegangenes Vertrauen womöglich wieder zurückholen. Er wolle „im Ahrtal nahbar sein“, sagte Schweitzer noch, „und die Frage dann auch für mich so sortieren.“

Im September wird auch der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe öffentlich einsehbar sein – es dürfte ein Dokument des Scheiterns von Politik auf allen Ebenen, auch in der Landespolitik sein. Mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Schweitzer kündigte im SWR-Interview an, er wolle den Bericht zunächst abwarten und lesen – bevor er sich näher äußere.

Info& auf Mainz&: Alle Ergebnisse der SWR-Umfrage zum dritten Jahrestag der Flutkatastrophe mit individuell anpassbaren Grafiken findet Ihr hier im Internet. Mehr zur Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Ahrtal aus politischer Sicht, lest Ihr im Buch von Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein „Flutkatastrophe Ahrtal – Chronik eines Staatsversagens“:

Buch „Flutkatastrophe Ahrtal – Chronik eines Staatsversagens“ arbeitet politisches Versagen in der Flutnacht auf