Nach der geharnischten Kritik des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz an der Unternehmensführung der Mainzer Stadtwerke, stellen die Freien Wähler bohrende Fragen zur Finanzlage des städtischen Unternehmens. Nach dem Ende der Immobilienverkäufe sowie der Geldzuschüsse der Stadt Mainz „könnten die Stadtwerke in eine finanzielle Schieflage geraten“, dazu „kursieren berechtigte Befürchtungen“, sagte der Stadtrat der Freien Wähler, Erwin Stufler – und beantragte im Mai eine Aussprache im Stadtrat. Doch die übrigen Parteien verweigerten sich der Debatte und überschütteten Stufler teilweise mit Hohn und Spott.
Im Januar hatte Stufler eine Anfrage im Mainzer Stadtrat gestellt, was denn aus dem rund 73 Millionen Euro schweren „Sommerpaket“ des Jahres 2022 der Stadt Mainz an die Mainzer Stadtwerke geworden sei. Die Stadt Mainz hatte damals Dank des Corona-Impfstofferfolges des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech Ende 2021 einen warmen Geldsegen von 1,09 Milliarden Euro an Gewerbesteuern erhalten, die Gelder wurden zum Großteil für die Entschuldung der Stadt, aber auch für städtische Projekte genutzt.
So konnte die Stadt Mainz nun auf einmal rund 25 Millionen Euro in die Sanierung des Taubertsbergbades stecken, für rund 10 Millionen Euro neue Elektrobusse anschaffen, Rasengleise bei den Straßenbahnschienen einbauen (rund 5,4 Millionen Euro) sowie Straßenbahnstrecken grunderneuern (rund 5 Millionen Euro). Was dem Stadtrat der Freien Wähler aber auffiel, war eine Besonderheit: Neben den Geldern für Investitionen, überwies die Stadt Mainz im Jahr 2022 einen Betriebskostenzuschuss an die Mainzer Verkehrsbetriebe in Höhe von 10 Millionen Euro.
Millionenpaket für Mainzer Stadtwerke nach Biontech-Geldsegen
Zudem beschloss die Stadt, den Mainzer Verkehrsbetrieben in den Jahren 2023 und 2024 jeweils weitere drei Millionen Euro an Betriebskostenzuschüssen zur Verfügung zu stellen. Die Mainzer Verkehrsbetriebe hatten – wie Verkehrsbetriebe bundesweit – durch die Coronapandemie erhebliche Einnahmeverluste zu verzeichnen, der Zuschuss der Stadt sollte vor allem im Jahr 2022 Das Defizit der MVG verringern und „zur Steigerung der Einnahmen“ beitragen, wie es in der Beschlussvorlage von Finanzdezernent und Bürgermeister Günter Beck (Grüne) vom Mai 2022 hieß.
Dumm nur: In seiner Antwort auf die Anfrage von Stufler im Stadtrat im Frühjahr dieses Jahres, schlüsselte das Finanzdezernat den Verbleib der übrigen sechs Millionen Euro nicht auf – Stufler fragte deshalb in der März-Sitzung des Mainzer Stadtrates bei Beck nach: In der Aufstellung „fehlten“ 16 Millionen Euro – was es denn damit auf sich habe? Beck antwortete damals wörtlich: „Wo die Diskrepanz herkommt, muss ich gucken“, sagte er, und fügte süffisant hinzu: „Es wird sich auflösen, es hat sich niemand die 16 Millionen in die Tasche gesteckt.“
Stufler hatte zuvor nichts dergleichen behauptet, verwies aber auf eine Folge des Zuschusses: Wie Beck selbst in seiner schriftlichen Antwort ausgeführt hatte, waren die 10 Millionen Euro Betriebskostenzuschuss in 2022 „ergebnisrelevant“ – sie verbesserten also das Betriebsergebnis, und zwar nicht nur der MVG, sondern auch der Muttergesellschaft Mainzer Stadtwerke. Beck antwortete nämlich: Die Geldzuflüsse „hatten einen positiven Ergebniseffekt bei der MSW von rund 10,9 Mio. Euro.“
Freie Wähler: Ergebniseinbruch bei Stadtwerken von 40 Prozent?
Nun hatten die Mainzer Stadtwerke für das Betriebsjahr 2022 selbst einen Jahresüberschuss von rund 24,5 Millionen ausgewiesen, nach rund 22,9 Millionen in 2021. Beim Betriebsergebnis (EBIT) standen 2022 dann insgesamt rund 14,3 Millionen Euro als Bilanzgewinn zu Buche, nach rund 11 Millionen Euro in 2021. Als Grund für den Anstieg nannten die Stadtwerke selbst in ihrer Vorlage für den Mainzer Stadtrat im Oktober 2023 „insbesondere höhere Umsatzerlöse aus Grundstücksverkäufen im Heiligkreuz-Viertel.“
Beziehe man nun ein, dass in dem Jahresüberschuss von rund 24,5 Millionen Euro im Jahr 2022 der Zuschuss der Stadt Mainz von 10,9 Millionen Euro stecke, rechnete Stufler nun der Stadt Mainz vor, dann betrage das Ergebnis der Mainzer Stadtwerke „anstatt 24,5 Millionen Euro nur 13,6 Millionen Euro“ – das aber wäre im Vergleich zum Ergebnis von 2021 „also ein Ergebnis-Einbruch von rund 40 Prozent (exakt 38,433 %)!“
Die Fragen des Stadtrates führten umgehend zu harschen Reaktionen von Seiten der Stadtwerke-Spitze. Stadtwerke-Vorstandschef Daniel Gahr warf Stufler vor, über eine „vermeintliche wirtschaftliche Schieflage der Unternehmensgruppe“ zu spekulieren, und damit „ein solide wirtschaftendes und finanziell erfolgreiches kommunales Unternehmen in Misskredit zu bringen.“ Die Stadtwerke „hätten im Geschäftsjahr 2022 mit einem Teilkonzern-Überschuss von rund 82,49 Millionen Euro ein Rekordergebnis erzielt“, betonte Gahr – welcher Teilkonzern diesen Rekord erzielte, sagte er nicht.
Landesrechnungshof wirft Stadtwerken schwere Mängel vor
Doch im Mai dieses Jahres wurde nun ein Bericht des Landesrechnungshofes Rheinland-Pfalz bekannt, der die Mainzer Stadtwerke speziell für das Jahr 2022 geprüft hatte – und dem Unternehmen schwere Mängel in der Unternehmensführung vorwarf. Gleich mehrfach rügten die unabhängigen Prüfer aus Speyer mangelnde Transparenz in der Unternehmensführung und fehlende Deckungsbeitragsrechnungen, Verträge über Dienstleistungen seien über Jahre hinweg nicht auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft worden.
Besonders übel stieß den Rechnungsprüfern Grundsätzliches auf: „Die Wirtschaftspläne der Mainzer Stadtwerke enthielten weder einen Vermögensplan, einen mittelfristigen Finanzplan noch eine Stellenübersicht“, heißt es wörtlich im Rechnungshofbericht, damals zum Stichtag Juli 2022. Und bei den Mainzer Verkehrsbetrieben „fehlten seit 2020 mittelfristige Wirtschaftsplanungen“, heißt es weiter – ausgerechnet bei der Sparte also, die ohnehin das höchste Defizit aufweist. Dazu erhöhte sich die Nettoverschuldung von 2014 bis 2019 binnen fünf Jahre um 26 Prozent, wie die Prüfer vorrechneten, und das noch vor der Corona-Pandemie.
Den Nettoverschuldungsgrad wiederum hätten die Mainzer Stadtwerke den eigenen Gremien, insbesondere dem Aufsichtsrat, gar nicht vorgestellt, rügten die Prüfer explizit: Diese Kennzahlen, ermittelt für jede Sparte einzeln, „ermöglichen aber einen objektiven Vergleich und eine Bewertung der Entwicklung insbesondere betreffend operativer Profitabilität und Verschuldung“, so der Rechnungshof weiter. Kurz gesagt: Die Stadtwerke hatten die objektiven Zahlen über den Verschuldungsgrad einzelner Sparten nicht transparent offengelegt, sondern stattdessen stets nur das Gesamtkonzernergebnis präsentiert – genau, wie Gahr auch jetzt wieder mit dem Rekordergebnis eines Teilkonzerns argumentierte.
Stadtwerke: Gerade einmal rund 15.000 Kunden für Strom und Gas
Die Freien Wähler reagierten daraufhin alarmiert: Wenn ein Teilkonzern ein Ergebnis von 83,3 Millionen Euro erwirtschafte, der Gesamtkonzern aber einen Jahresüberschuss von „nur“ 24,5 Millionen Euro ausweise – „dann muss es Konzern-Unternehmen geben, die erhebliche Verluste machen“, sagte Stufler. Es stelle sich doch nun die Frage, welche Teile des Konzerns Stadtwerke das seien – und mit welchen Unternehmensfeldern die Mainzer Stadtwerke denn künftig, nach dem absehbaren Ende der Immobilienverkäufe Geld verdienen wollten?
Tatsächlich mussten die Stadtwerke im Stadtrat Mitte Mai einräumen, dass zumindest die Sparte Strom und Gas in Mainz nur noch einen sehr geringen Markt ausmacht: 2010 hatten die Mainzer ihren 25,1 prozentigen Anteil an der Entega Vertriebs GmbH an den Energieversorger HSE in Darmstadt verkauft, seither ist die Entega der alleinige Grundversorger für Strom und Gas auch in Mainz. Sechs Jahre später, im Oktober 2016, stiegen die Stadtwerke Mainz dann jedoch wieder in den Strom- und Gasvertrieb ein – der damalige Stadtwerke-Chef Detlev Höhne sprach von „einem bedeutenden strategischen Schritt für die gesamte Unternehmensgruppe.“
Acht Jahre danach betrage dem letzten Testat zufolge der Kundenstamm der Stadtwerke gerade einmal rund 15.000 Kunden, betonte Stufler im Mai-Stadtrat – das wären ganze vier Prozent des Mainzer Marktes. Finanzdezernent Beck brachte das zum Schäumen: Stufler lasse es an Solidarität gegenüber den Mainzer Stadtwerken vermissen, er rede „das Unternehmen schlecht“, kritisierte Beck, und wetterte: „Solche Unterstellungen eines Stadtratsmitglieds können geschäftschädigend sein.“
„Früher wurden die Überbringer von Hiobsbotschaften geköpft“
„Früher wurden die Überbringer von Hiobsbotschaften geköpft, ich hoffe doch, dass ist heute nicht mehr der Fall“, konterte Erwin Stufler daraufhin in der Aktuellen halben Stunde, und warf Beck vor, „die Stadträte wohl nicht wirklich ernst“ zu nehmen. „Ihre Antworten enthielten bisher kaum Fakten, eher Ausflüchte, Herr Beck“, hielt Stufler dem Finanzdezernenten vor – Stadtwerkechef Gahr habe ihm sogar mit rechtlichen Schritten gedroht. „Dass einem Stadtrat durch einen Vorstand einer städtischen Beteiligung gedroht wird, ist für mich eine völlig neue Dimension“, sagte Stufler, und forderte in der Debatte Aufklärung zu den Vorwürfen des Landesrechnungshofes gegenüber den Stadtwerken.
Doch die Fraktionen im Stadtrat mochten dem Freien Wähler darin nicht folgen: Es sei „ein bisschen schwierig, die Fragen hier so zu stellen“, sagte FDP-Fraktionschef David Dietz: „Der Bericht des Landesrechnungshofes, den darf man diskutieren, aber an entsprechender Stelle.“ Damit meinte der FDP-Mann ausdrücklich NICHT den Stadtrat – und das, obwohl ein großer Teil des Rechnungshofberichtes öffentlich einsehbar ist.
Doch auch die übrigen Fraktionen waren sichtlich und hörbar bemüht, den Prüfbericht samt scharfer Kritik nicht öffentlich diskutieren zu müssen. „Der Prüfbericht wirft viele Fragen auf, die wir diskutieren müssen“, sagte etwa Ursula Groden-Kranich von der CDU, das dürfe aber „nicht im Hinterzimmer, aber auch nicht gegenüber der Öffentlichkeit“ geschehen. „Transparenz muss nicht gegenüber den Medien erfolgen“, betonte Groden-Kranich zudem – eine Begründung für diese Behauptung lieferte sie nicht.
Grüne und SPD werfen Stufler „Selbstmitleid“ und „Verschwörung“ vor
Schlimmer wurde es dann sogar bei den Grünen und der SPD: Sie reagierten regelrecht mit Häme gegenüber den Fragen des FW-Stadrats. „Sie sind mit ihrem Selbstmitleid kaum zu überbieten“, ätzte da etwa der Grünen-Stadtrat Daniel Köbler, Stufler habe doch lediglich die Antworten nicht verstanden. „Machen Sie Ihre Hausaufgaben, stellen sie qualifizierte Fragen“, sagte Köbler gönnerhaft, anstatt „“mit falschen Behauptungen zu polemisieren und ein Thema aufzuladen, das gar nicht existiert.“
SPD-Stadtrat Martin Kinzelbach sprach gar von „Verschwörungstheorien“, die die Reputation der Stadtwerke, auch im Wettbewerb mit anderen, beschädigen würden. Stuflers Vorwürfe seien mitnichten zutreffend, in öffentlicher Stadtrats-Sitzung die Frage zu stellen, ob die Stadtwerke ordentlich arbeiten, „das verbietet sich, und ist eine Unverschämtheit“, wetterte Kinzelbach.
Vorsichtige Unterstützung bekam Stufler nur von der Linken: „Ein Aufsichtsrat ist auch kein Fanklub und keine Marketingabteilung“, sagte Linken-Fraktionschef Tupac Orellana, die Linke sei schon immer dafür eingetreten, dass der Stadtkonzern transparenter werde. Doch stattdessen sei das Geflecht komplizierter geworden – und Stadträte, die im Aufsichtsrat tätig seien, seien „in der Geheimhaltung, das macht es für die Bürger nicht transparenter“, sagte Orellana, und betonte: „Wenn da Fragen offen sind, müssen sich die Stadtwerke dem stellen – Ende Gelände.“
Haase: Rechnungshof in Aufsichtsrat einladen
Damit spielte Orellana auf den Brief von Rechnungshofpräsident Jörg Berres an, der sich im Dezember 2023 beim Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) beschwert hatte, man vermisse einen echten Willen des Stadtwerke-Vorstands, sich mit den Rügen des Rechnungshofes auseinander zu setzen – und stelle deshalb nun die Prüfarbeit ein. Das Schreiben des Rechnungshofpräsidenten an Haase ist öffentlich, Berres weist den OB darin explizit darauf hin, dass es nun an der Stadt selbst sei, die noch offenen Probleme in Abstimmung mit den Stadtwerken und in deren eigener Verantwortung abzustellen.
Haase antwortete dazu auf Mainz&-Anfrage, er halte es „für zielführend, dass die vertiefte Diskussion hierüber im Aufsichtsrat geführt wird.“ Er habe deshalb dem Aufsichtsrat der Mainzer Stadtwerke vorgeschlagen, den Rechnungshof zu einer Aufsichtsratssitzung einzuladen. „So haben die Aufsichtsratsmitglieder die Chance, die Empfehlungen des Rechnungshofs und die Einschätzungen des Vorstands im transparenten Austausch kennenzulernen, unmittelbar Nachfragen zu stellen und Unklarheiten abschließend zu klären“, fügte Haase hinzu.
Der OB ist seit seinem Amtsantritt und qua Amt Mitglied des Aufsichtsrates der Mainzer Stadtwerke, aber nicht – wie alle seine Vorgänger – der Aufsichtsratschef. Zur Aufsichtsratsvorsitzenden wählten die Ampel-Parteien mit ihrer Mehrheit Ende Dezember 2022 die Grünen-Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross – kurz bevor der neue OB im März 2023 gewählt wurde. Auch nach Haases Amtsantritt blieb Köbler-Gross indes Aufsichtsratschefin und gab ihr Amt nicht, entgegen bisheriger Gepflogenheiten, an den neuen OB weiter.
Info& auf Mainz&: Den ganzen Mainz&-Bericht über die Rügen des Rechnungshofes und den Beschwerdebrief an den OB lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zum drohenden Rekordminus bei den Mainzer Stadtwerken könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.