Das ist ein Paukenschlag, der die Verkehrswende in Mainz erheblich zurückwerfen wird: Die Mainzer Verkehrsbetriebe legen den geplanten Großausbau des Straßenbahnnetzes in Mainz vorerst auf Eis. Der Mainz Rider, das nächtliche Ruftaxi-Angebot mit E-Autos, wird zum Sommer komplett eingestellt. Neue Busse und zusätzliche Straßenbahnen sowie ein Betriebshof gehören ebenfalls zum Streichprogramm. Der Grund: Ein enormes Finanzdefizit, das auf rund 54 Millionen Euro klettern sollte – und die Mainzer Stadtwerke mit sich zu reißen drohte.

Das Hochhaus der Mainzer Stadtwerke in Mainz: Zunehmende finanzielle Schieflage. - Foto: Mainzer Stadtwerke
Das Hochhaus der Mainzer Stadtwerke in Mainz: Zunehmende finanzielle Schieflage. – Foto: Mainzer Stadtwerke

Der erste öffentliche Hinweis auf den jetzt erfolgten Paukenschlag kam Mitte Februar: Da hatte Stadtwerke-Vorstandschef Daniel Gahr im Finanzausschuss des Mainzer Stadtrates „erstmals öffentlich auf die drohenden finanziellen Überforderungen für die Stadtwerke  hingewiesen“, wie die Stadtwerke nun selbst mitteilten: Sollte das Defizit des ÖPNV-Bereichs tatsächlich in den kommenden Jahren von zuletzt rund 25 Millionen Euro jährlich auf bis zu 54 Millionen Euro klettern, sei für die Stadtwerke „ein solcher Anstieg nicht mehr alleine zu stemmen“, warnte Gahr.

In der Folge forderten die Mainzer Stadtwerke ihre verschiedenen Geschäftsbereiche auf, Einsparvorschläge zu erarbeiten – das galt insbesondere für die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG): Die MVG-Geschäftsführung sei aufgefordert worden, „deutliche Einsparvorschläge vorzulegen und ihre Mittelfristplanung zu überarbeiten“, heißt es von den Stadtwerken. Es ist vor allem der Nahverkehr, der bereits jetzt und noch mehr in den folgenden Jahren ein gigantisches Finanzloch in den Haushalt der Stadtwerke reißen wird – Schuld ist vor allem das Deutschlandticket, aber auch der geplante erhebliche Ausbau des Straßenbahnnetzes in Mainz.

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Nahverkehr: Defizit von bis zu 54 Millionen Euro drohte

Die Mainzer Verkehrsgesellschaft macht bereits seit Jahren ein Umsatzminus in zweistelliger Millionenhöhe: In der Corona-Pandemie rutschte die MVG bereits 2020 mit 22 Millionen Euro ins Minus, 2021 waren es rund 23,7 Millionen Euro. Schuld seien „die pandemiebedingt niedrigeren Umsatzerlöse sowie niedrigere Einnahmen aus dem Rettungsschirm“, hieß es im Jahresabschlussbericht für 2021. Im Jahr darauf sank das Minus immerhin auf 17 Millionen Euro, doch schon da konnten die Stadtwerke den Fehlbetrag nicht aus ihren laufenden Einnahmen decken.

Die Vermarktung des Heiligkreuz-Areals war bislang die Cash-Cow der Mainzer Stadtwerke - hier mit dem damaligen OB Michael Ebling (SPD) und Stadtwerke-Vorstandschef Daniel Gahr (ganz rechts). - Foto: gik
Die Vermarktung des Heiligkreuz-Areals war bislang die Cash-Cow der Mainzer Stadtwerke – hier mit dem damaligen OB Michael Ebling (SPD) und Stadtwerke-Vorstandschef Daniel Gahr (ganz rechts). – Foto: gik

Immerhin konnten die Mainzer Stadtwerke als Muttergesellschaft 2022 noch einen Jahresüberschuss von rund 24,5 Millionen Euro ausweisen, mehr als im Jahr zuvor und mehr als eigentlich geplant. Doch das positive Ergebnis speiste sich hauptsächlich aus höheren Umsatzerlösen aus Grundstücksverkäufen im Heiligkreuz-Viertel, wie es im Jahresabschlussbericht der MSW für den Mainzer Stadtrat 2022 heißt. Für 2023 rechnet das städtische Unternehmen nun zwar erneut mit einem Jahresüberschuss in Höhe von rund 19,6 Mio Euro, doch auch dies sei „maßgeblich von vier Baufeldverkäufen im Heiligkreuz-Viertel mit einem Nettoergebnis von rund 20,7 Millionen Euro geprägt.“

Doch nun ist ein Ende der Cash-Cow Heiligkreuz-Areal in Sicht: Die Grundstücksvermarktungen würden wohl bis zum Geschäftsjahr 2027 abgeschlossen sein, damit würden sich die Ergebnisbeiträge aus Grundstücksverkäufen aus dem Viertel reduzieren, so der Wirtschaftsplan der Stadtwerke – mit erheblichen Folgen: „Bei der MSW sind die nachfolgenden Geschäftsjahre von erheblichen Ergebniseinbrüchen gekennzeichnet“, lautet nun die Wirtschaftsprognose.

Hohe Investitionen beim Trinkwasser, Riesen-Verluste beim ÖPNV

Schon für 2024 rechnet das Unternehmen nur noch mit einem planerischen Jahresergebnis von 1,8 Millionen Euro, bis 2027 werde dann sogar ein Minus von -11,6 Millionen erwartet. Zu den negativen Aussichten tragen im Übrigen auch „die jährliche Verschlechterung der Zinsergebnisse“ bei, die vornehmlich der Finanzierung von Investitionen im ÖPNV- sowie im Wasserbereich geschuldet sei, heißt es im Wirtschaftsplan weiter. Tatsächlich hatten die Mainzer Stadtwerke in ihrer Wassersparte bereits seit 2018 erhebliche Investitionen in das Leitungsnetz angekündigt, zum Juni 2023 hatten die Mainzer Netze deshalb erneut den Wasserpreis angehoben – zum zweiten Mal binnen eines Jahres.

Der Straßenbahnausbau wird vorerst vom Gleis genommen. - Foto: gik
Der Straßenbahnausbau wird vorerst vom Gleis genommen. – Foto: gik

Man habe in den vergangenen zehn Jahren rund 75 Millionen Euro in der Wassersparte investiert, hieß es im Mai 2023 zur Begründung. Und in den kommenden fünf Jahren seien „weitere rund 90 Millionen Euro für den Ausbau und die Modernisierung der Anlagen notwendig, um auch weiterhin eine zuverlässige Versorgung mit Trinkwasser gewährleisten zu können.“ Dazu kommen nun noch die stark steigenden Verluste der Verkehrssparte, die bis 2027 rechnerisch auf -42 Millionen Euro gestiegen wären und auf bis zu 58 Millionen Euro pro Jahr hätten steigen können. Die Folge: Den Mainzer Stadtwerken hätte ein Minus von kumuliert mehr als 63 Millionen Euro für die Jahre 2026 bis 2028 gedroht.

Nun zog das Unternehmen die Reißleine, das Ergebnis ein nahezu ein Kahlschlag bei Investitionen in die künftige Verkehrswende: „Die Mainzer Verkehrsgesellschaft wird beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs das Tempo drosseln müssen“, teilten die Stadtwerke am Freitag mit – einen Tag zuvor hatte der Aufsichtsrat dem Sparpaket zugestimmt. Das trifft vor allem den 2020 vom Mainzer Stadtrat beschlossenen umfangreichen Straßenbahnausbau, der bislang das Herzstück der Mainzer Verkehrswende war: Der zügige Straßenbahnausbau in der Innenstadt sowie zum Heiligkreuz-Viertel wird vorerst auf Eis gelegt.

Straßenbahnausbau auf Eis gelegt, Angebotsverbesserung gestoppt

Man werde zwar beide Straßenbahnprojekte „zügig weiter bis zum Planfeststellungsbeschluss vorantreiben“, betont das Unternehmen: „Ein automatischer Baustart für die Straßenbahnerweiterungen mit dem Baurecht kann bei den aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen aber heute nicht zugesagt werden.“ Geplant war ein Ausbau des Straßenbahnnetzes durch die Mainzer Neustadt und weiter bis zum Dom, es sollte ein Innenstadtring entstehen – entweder entlang der Rheinallee oder via Hindenburg-/Wallaustraße.

Der Straßenbahnausbau in der Binger Straße kommt. - Grafik: Citybahn GmbH
Der Straßenbahnausbau in der Binger Straße kommt. – Grafik: Citybahn GmbH

Nicht betroffen von dem Ausbaustopp ist die Straßenbahn-Spange über die Binger Straße, die als „Bypass“ für den Hauptbahnhof gilt und bereits kurz vor dem Baustart steht. Der zweite große Ausbaustopp aber betrifft die Pläne, eine Straßenbahnlinie vom Hauptbahnhof über die Mainzer Uniklinik zum neuen Heiligkreuz-Areal zu führen, dafür hatte die MVG 2023 bereits eine groß angelegte Bürgerbeteiligung gestartet. Auch diese Erweiterung steht damit vorerst in den Sternen, die Folge: „Der ÖPNV wird durch Optimierungen in Netz und Angebot in den kommenden Jahren zwar weiter wachsen, aber lange nicht so stark wie bisher vorgesehen“, räumen die Stadtwerke ein.

Eigentlich wollte man die Zahl der Fahrgäste bis 2028 auf rund 67 Millionen im Jahr steigern, aktuell sind es 56 Millionen. „Jetzt muss hier das Tempo gedrosselt werden“, heißt es weiter: Die Zahl der Fahrten werde bis 2028 nicht wachsen können, sondern auf dem Stand von 2024 konstant gehalten werden müssen. Im Klartext: Eine weitere Angebotsverbesserung gibt es für die Mainzer im ÖPNV in der nächsten Zeit nicht, die Mainzer Mobilität rechnet jetzt nur noch mit etwa 60 Millionen Fahrgästen im Jahr 2028.

Katastrophe Deutschland-Ticket: MVG fordert Finanzierungsstrategie

„Im Vergleich zu anderen Städten, die ihren ÖPNV in den kommenden Jahren aus Kostengründen eher reduzieren müssen, peilen wir immer noch ein Plus von etwa vier Millionen Fahrgästen bis 2028 an“, betonte Vorstandschef Gahr zwar. Doch weniger Fahrgästezuwachs bedeutet auch weniger Einnahmezuwachs, wobei dieser ohnehin durch das Deutschlandticket stark eingeschränkt ist: Für die MVG ist das billige Nahverkehrsticket finanziell eine Katastrophe, eine Kompensation der Einnahmeverluste nur für 2024 geregelt – danach aber nicht mehr.

Plan für die Straßenbahn in der Binger Straße. - Grafik: Mainzer Mobilität
Plan für die Straßenbahn in der Binger Straße. – Grafik: Mainzer Mobilität

„Es muss eine langfristige Finanzierungsstrategie durch dauerhafte öffentliche Zuschüsse von Stadt, Land und Bund gefunden werden“, forderte Gahr deshalb: Gerade auf der Einnahmeseite bestünden in den kommenden Jahren „erhebliche Risiken für die Verkehrssparte.“ Für die Umsetzung der Verkehrs- und Klimawende sei „eine stärkere Unterstützung von Bund, Land und Stadt unerlässlich.“ Das Defizit des ÖPNV-Bereichs von zuletzt rund 25 Millionen Euro jährlich sei vor allem angesichts der drohenden Steigerungen für die Stadtwerke nicht mehr alleine zu stemmen.

Gestoppt wird deshalb nun auch vorerst die Anschaffung von acht zusätzlichen Straßenbahnen, die für den Ausbau des Netzes notwendig gewesen wären. Nicht gestoppt werde dagegen „die gerade angestoßene europaweite Ausschreibung von 22 neuen Straßenbahnen, die als Ersatz für 22 ältere Bahnen in den kommenden Jahren dringend erforderlich sind“, heißt es weiter.

Aus für Mainz Rider, zweiter Betriebshof auf Eis gelegt

Nicht realisiert werden könne aber zunächst auch ein zweiter Betriebshof der MVG, dieser wäre mit der Beschaffung der zusätzlichen acht neuen Straßenbahnen und dem Ausbau der Busflotte mit alternativen Antrieben unumgänglich. geworden Standortsuche und Planung liefen aber auch hier weiter, da für einen wachsenden ÖPNV in Mainz zusätzliche Kapazitäten erforderlich würden.

Für den "Mainz Rider" bedeutet das Sparprogramm das Aus. - Foto: gik
Für den „Mainz Rider“ bedeutet das Sparprogramm das Aus. – Foto: gik

Das Sparprogramm bedeutet zudem das Aus für den „Mainz Rider“, der zum Sommer eingestellt werden soll. Das „Shuttle-on-demand“-Angebot, bei dem Kunden abends und nachts über eine App eines der zehn Elektrofahrzeuge ordern und sich in fast alle Mainzer Stadtteile befördern lassen konnten, wurde 2020 als Förderprojekt des Bundes gestartet – und litt umgehend unter den Ausgangssperren der Corona-Pandemie. Seither sei die Zahl der Fahrten zuletzt zwar auf bis zu 3.500 im Monat gestiegen, so die Stadtwerke. Doch das Defizit beim „Mainz Rider“ betrage noch immer mehrere hunderttausend Euro im Jahr und sei „in der aktuellen Situation nicht darstellbar.“

Gestoppt werden zudem Pläne für die Anschaffung neuer Batteriebusse und Brennstoffzellenbusse: „Nach den 23 E-Gelenkbussen und den sechs Brennstoffzellenbussen können neue Busse mit alternativem Antrieb auch künftig nur angeschafft werden, wenn es wieder eine umfängliche Bundes- und/oder Landesförderung für die Mehrkosten gibt“, teilten die Stadtwerke mit. Doch genau diese notwendige Förderung etwa für die Anschaffung von Bussen mit alternativen Antrieben gibt es in Rheinland-Pfalz – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – bislang noch immer nicht – obwohl die Wiedereinführung der Busförderung schon vor Jahren im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung stand.

Risiko Ausbau Fernwärmenetz, Petition für Erhalt des Mainz Riders

Nun habe aber Umwelt- und Mobilitätsministerin Katrin Eder (Grüne) in Gesprächen mit dem Stadtwerke-Vorstand „erstmals signalisiert, dass ab 2025 die im Nahverkehrsgesetz Rheinland-Pfalz 2021 verankerte Kofinanzierung des Landes für den lokalen ÖPNV umgesetzt werden soll“, teilte Gahr mit. Damit werde auch in Mainz ein Teil des jährlichen Defizits im ÖPNV vom Land getragen und sich das Ergebnis der MVG verbessern. Allerdings sei die im Raum stehende Übernahme von 15 Prozent des ÖPNV-Defizits durch das Land „aus unserer Sicht nicht ausreichend, um die Verkehrswende spürbar vorantreiben zu können“, kritisierte Gahr. Der Förderanteil werde zudem dem Gesetz, das die Finanzierung als „gemeinsame Aufgabe“ der Aufgabenträger und des Landes definiere, nicht gerecht.

Mainz Rider im Einsatz auf den Straßen von Mainz. - Foto: gik
Mainz Rider im Einsatz auf den Straßen von Mainz. – Foto: gik

Die nun überarbeitete und neu vorgelegte Mittelfristplanung weise nun „durchgehend positive Ergebnisse“ für die kommenden Jahre aus, so Gahr weiter – die Risiken sind damit aber keineswegs beseitigt: Den Stadtwerken stehen erhebliche Investitionen für den Ausbau des Fernwärmenetzes bevor, auch die Re-Finanzierung des Deutschlandtickets ist eben nicht dauerhaft gesichert. Und bei einem Wegfall des zweiten Betriebshofes könnten sich in Zukunft „Kapazitätsprobleme bei der Fahrzeugabstellung und –instandhaltung sowie der Umstellung auf alternative Antriebe auf dem bisherigen MVG-Gelände ergeben.“

Ohne Widerspruch wird das Streichprogramm der Stadtwerke indes nicht bleiben: Im Internet wurde umgehend eine Petition zum Erhalt des „Mainz Riders“ gestartet, die bislang allerdings erst wenige Unterzeichner hat. „Ohne Führerschein und mit dem unzuverlässigen ÖPNV bin ich auf den Mainz Rider angewiesen“, schreibt eine Unterzeichnerin. Wer auf die öffentlichen Verkehrsmittel in Mainz angewiesen sei, kenne die Bedeutung des Anruf-Sammel-Taxis, heißt es auch beim Antragsteller der Petition: „In den frühen Morgenstunden und in den späten Abendstunden sind Busse und Straßenbahnen sehr unregelmäßig unterwegs.“ Um nach der Spätschicht nach Hause zu kommen , sei der Rider „für viele von uns die beste Alternative, um pünktlich zur Arbeit zu kommen.“ Es sei „entscheidend, dass Dienste wie der MainzRIDER weiterhin Teil unseres öffentlichen Nahverkehrs bleiben.“

Info& auf Mainz&: Sämtliche Unterlagen zu den Jahresabschlüssen der Mainzer Stadtwerke mit allen Zahlen findet Ihr im Ratsinformationssystem des Stadt Mainz hier im Internet – einfach in die Suchmaske bei „Vorlagen“ das Stichwort „Mainzer Stadtwerke“ eingeben.