Die Flugblatt-Affäre um den stellvertretenden bayrischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat nun auch kuriose Auswirkungen aus Rheinland-Pfalz: Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) sagte eine Konferenz der Gesundheitsminister kommenden Montag in Bayern kurzerhand ab – weil an der Konferenz auch Aiwanger teilgenommen hätte. Die CDU-Opposition kritisierte das scharf: Hoch betätige sich als „irrlichtender Moralapostel“, anstatt seinem Job nachzukommen – auf der Konferenz sollte es um das kritische Thema Arzneimittelversorgung und Lieferengpässe gehen.

Der Bundesvorsitzende der Freien Wähler und stellvertretender bayrischer Ministerpräsident Hubert Aiwanger bei einem Festzelt-Auftritt. - Foto: Freie Wähler
Der Bundesvorsitzende der Freien Wähler und stellvertretender bayrischer Ministerpräsident Hubert Aiwanger bei einem Festzelt-Auftritt. – Foto: Freie Wähler

Ende August hatte erstmals die „Süddeutsche Zeitung“ über ein Flugblatt mit Nazi-Jargon berichtet, das Ende der 1980er Jahre im Schulranzen des heutigen bayrischen Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger gefunden worden war. Das Flugblatt – gedacht offenbar als eine Art Satire auf einen Bundeswettbewerb in Geschichte – zitiert in widerlichster Form Elemente der Judenvernichtung aus dem Dritten Reich. Aiwanger bestritt indes von Anfang an, Urheber des Flugblatts gewesen zu sein. Stattdessen meldete sich sein Bruder Helmut Aiwanger und gab an, der Verfasser des Pamphlets gewesen zu sein.

Die Affäre schlug umgehend hohe Wellen, obwohl die „Süddeutsche Zeitung“ keinen eindeutigen beleg beibringen konnte, dass Hubert Aiwanger tatsächlich der Verfasser des Flugblatts gewesen sei. Am Wochenende dann entschied der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Aiwanger dennoch im Amt zu lassen – in Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Söder argumentierte, Aiwangers Urheberschaft sei nicht bewiesen, sein Stellvertreter habe sich glaubwürdig von dem Inhalt distanziert, und sei auch in den vergangenen 35 Jahren nicht als Antisemit aufgefallen.

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Freie Wähler RLP: „Stehen uneingeschränkt hinter Aiwanger“

Aiwanger, der auch Bundesvorsitzender der Freien Wähler ist, hatte allerdings einen Fragenkatalog Söders nur ausweichend beantwortet, seine Urheberschaft an dem Flugblatt aber wiederholt kategorisch bestritten. Auch die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz hatten zunächst leise Zweifel angemeldet: Der Vorsitzende der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz, Stephan Wefelscheid, hatte betont, sollte Aiwanger tatsächlich der Verfasser sein, sei er im Amt nicht mehr tragbar. „Antisemitismus hat bei den Freien Wähler keinen Raum“, unterstrich Wefelscheid.

Hubert Aiwanger (2.v. links) 2019 bei den Freien Wählern in Groß-Gerau. Ganz links: Stephan Wefelscheid. – Foto: FW
Hubert Aiwanger (2.v. links) 2019 bei den Freien Wählern in Groß-Gerau. Ganz links: Stephan Wefelscheid. – Foto: FW

Inzwischen stellten sich auch die rheinland-pfälzischen Freien Wähler hinter ihren Bundesvorsitzenden: „Der Landesvorstand der FREIEN WÄHLER Rheinland-Pfalz steht uneingeschränkt hinter unserem Bundesvorsitzenden Hubert Aiwanger“, teilte der Vorstand schriftlich mit. Aiwanger habe „die ihm gestellten Fragen nicht nur umfassend beantwortet, sondern auch überzeugend beantwortet“, betonte Generalsekretär Christian Zöpfchen, „damit sind alle Anschuldigungen gegen Hubert Aiwanger entkräftet.“ In all den Jahren sei Aiwanger „nie antisemitisch in Erscheinung getreten“, betonte er noch, daran änderten auch Ereignisse von vor 35 Jahren nichts.

Am Dienstag wurde indes bekannt: Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) sagte seine Teilnahme an einer Konferenz am Montag indes ab. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) wollte am kommenden Montag im Rahmen einer sogenannten „Südschiene“-Konferenz mit seinen Amtskollegen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen „über Wege zur Sicherung der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten“ beraten. Ebenfalls eingeladen sind die Wirtschaftsminister der vier Bundesländer sowie Branchenverbände – damit wäre auch Aiwanger als Wirtschaftsminister bei der Konferenz.

Minister Hoch sagt Konferenzteilnahme wegen Aiwanger ab

„Länderübergreifende Beratungen zur Sicherung der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten sind inhaltlich und in der Sache relevant und mir als Gesundheitsminister besonders wichtig“, teilte Hoch auf Anfrage zur Begründung mit. Man habe als Bundesländer unter den Gesundheitsministern „bereits sehr intensive Gespräche“ zu dem Thema geführt. „Der Termin ist aber wegen der Nähe zur bayrischen Landtagswahl, und des Verhaltens und der Entscheidungen von Mitgliedern der dortigen Landesregierung in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aktuell keine Plattform und kein geeigneter Zeitpunkt für gemeinsame politische Gespräche“, fügte Hoch hinzu.

Scharfe Kritik der CDU an Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) wegen seiner Absage einer Konferenz in Bayern am Montag. - Foto: Unimedizin Mainz
Scharfe Kritik der CDU an Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) wegen seiner Absage einer Konferenz in Bayern am Montag. – Foto: Unimedizin Mainz

Das erntete am Mittwoch schärfste Kritik von der CDU-Opposition in Rheinland-Pfalz: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass sich der Minister als ‚irrlichternder Moralapostel‘ gibt und glaubt, die Integrität anderer Minister bewerten zu können, deren Teilnahmeberechtigung an Konferenzen in Frage zu stellen und seine eigene Teilnahme davon abhängig zu machen“, schimpfte CDU-Gesundheitsexperte Christoph Gensch: „Ich fordere Gesundheitsminister Hoch auf, seine Aufgaben als rheinland-pfälzischer Gesundheitsminister wahrzunehmen, und an der wichtigen Südschienenkonferenz teilzunehmen.“

Das Thema der Arzneimittelversorgung für den kommenden Herbst sei ungemein wichtig, betonte Gensch, der selbst Arzt ist: „Die Versorgung der rheinland-pfälzischen Bevölkerung ist lückenhaft geworden“, betonte Gensch, und verwies auf Probleme mit Schmerzmitteln oder Antibiotika für Kinder, mit Medikamenten für Krebspatienten oder auch Antiallergika. In Hessen warnte der Apothekerverband gerade, man steh wegen anhaltender Lieferengpässe vor einer „beispiellosen Krise“: Die Situation bei der Verfügbarkeit von Medikamenten „verschlechtert sich rapide, wir können die Sicherheit unserer Patienten nicht mehr gewährleisten.“

Gensch: „Irrlichtender Moralapostel“ statt lösungsorientierte Politik

Der Gesundheitsminister habe deshalb eine besondere Verantwortung, „wir fordern Herrn Hoch in aller Deutlichkeit auf, an der Ministerkonferenz teilzunehmen und dort aktiv an einer besseren Medikamentenversorgung zu arbeiten“, forderte Gensch: „Man stelle sich ein solches Verhalten der Bundesregierung bei internationalen Konferenzen vor.“ Jede zweite Konferenz müsse dann abgesagt werden, weil die politische Orientierung, die Staatsform oder in der Vergangenheit getätigte Äußerungen anderer Teilnehmer einer moralisierenden Regierung nicht genehm seien.

Die Gesundheitspolitik in Rheinland-Pfalz werde ohnehin „ein immer stärker wachsendes Problem“, kritisierte er weiter: „Eine Universitätsmedizin, die im finanziellen und strukturellen Chaos versinkt, ein nie dagewesenes Kliniksterben, ein eklatanter Ärztemangel, eine zusammenbrechende medizinische Versorgung in den ländlichen Regionen und nicht zuletzt eine Arzneimittelknappheit, die hunderte von Präparaten betrifft.“ Für keines dieser Probleme habe Minister Hoch „bisher überzeugende Lösungskonzepte vorgelegt“, schimpfte Hoch weiter: „Aussitzen und Negieren sind mittlerweile die Medizin des Gesundheitsministers.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Artikel zur Flugblatt-Affäre findet Ihr hier auf Mainz&. Mehr zum Thema Mainzer Universitätsklinik könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.