Es war wie ein Deja Vue der schlimmsten Art: Lang anhaltender Starkregen, Fluten in den Straßen und überschwemmte Keller, steigende Pegel – ein Unwetter hat am Donnerstagabend die Nerven im Ahrtal bloß liegen lassen. Vor allem in Ahrweiler und Sinzig kamen bei vielen Erinnerungen an die Ahrflut von 2021 hoch, doch dieses Mal verlief es glimpflich: Die Regenmengen setzten Keller und Straßen unter Wasser – mehr nicht. Und: Das Krisenmanagement des Landkreises Ahrweiler zeigte sich deutlich besser aufgestellt.
Am Donnerstag hatte eine Unwetterfront mit Gewittern und Hagelschauern vor allem erhebliche Regenmengen im Gepäck, die die bangen Blicke wieder zum Himmel schweifen ließen: Was kam da auf Deutschland zu? Die Wetterdienste warnten vor langanhaltendem Starkregen mit bis zu 80 Liter pro Quadratmeter, vor überspülten Straßen und Unterführungen und vollgelaufenen Kellern. Im Minutentakt piepten Warn-Apps auf dem Handy: „Gehen Sie nicht in Keller oder Tiefgaragen, fahren Sie nicht durch überflutete Straßen hieß es da“ – auch vor Hochwasser und steigenden Pegeln wurde gewarnt.
Das weckte bei vielen rund um das Ahrtal böseste Erinnerungen an 2021: „Panik Angst … wieder Blaulichter… das kann keiner mehr ertragen“, schrieb eine Ahrtalerin, auch andere berichteten: „Es kommt alles wieder hoch.“ Im Juli 2021 hatte ein verheerende Flutwelle das Ahrtal auf mehr als 40 Kilometern Länge komplett verwüstet, 9.000 Häuser geschädigt und 136 Menschen in den Tod gerissen. Der Auslöser damals: lang anhaltender Starkregen. Am Donnerstag hielten deshalb viele im und rund um das Ahrtal den Atem an: „Nicht schon wieder!“ lautete der meiste geäußerte Stoßseufzer.
Starkregen, überflutete Keller – aber kein Vergleich zur Ahrflut
Tatsächlich lief es weitgehend glimpflich ab: Statt 200 Liter pro Quadratmeter wie 2021 fielen nun maximal 80 bis 100 Liter, weniger als die Hälfte von vor drei Jahren. Der Pegelstand der Ahr stieg auf maximal zwei Meter, anstatt auf sechs bis zehn Meter wie 2021. Allerdings fluteten die plötzlichen Regenmengen vor allem im unteren Ahrtal Straßen und Keller: In Sinzig standen ganze Straßen in Bahnhofsnähe unter Wasser, in Ahrweiler wurde ein winziger Bach zum reißenden Schwall, in beiden Orten zahlreiche Keller geflutet.
Für Aufsehen sorgten am Donnerstagabend vor allem zwei Videos in den sozialen Netzwerken: Eines zeigte einen Brückenpfeiler in Sinzig, aus dessen Wartungstür ein wahrer Wasserfall hervorstürzte – offenbar Regenwasser, das von der Fahrbahn durch einen Schacht nach unten schoss, und den Radweg in Sinzig an der Ahr flutete. Das ganze beeindruckende Video seht Ihr hier bei Michael Behling. Gleich mehrere Videos zeigten eine braune Sturzflut in Ahrweiler, die sich von den Weinbergen oberhalb des Ortes auf die Umgehungsstraße ergoss.
Die Umgehungsstraße rund um Bad Neuenahr-Ahrweiler musste gesperrt werden, weil sie in Teilen unter Wasser stand, das galt zwischenzeitlich auch für die Autobahn in Höhe des Ahrtals. Auch in Bad Neuenahr und Ahrweiler selbst stand das Wasser in den Straßen, weil die Kanalisation die plötzlichen Massen nicht fassen konnte. In den Straßen standen noch um 22.00 Uhr Anwohner beisammen, leuchtete in allen Fenstern der Häuser Licht, wie Ahrtalhelfer Tibor Schady gegenüber Mainz& live vor Ort berichtete – Schlafen konnte in der Lage wohl niemand.
Einsatzleitung in Ahrweiler: regelmäßige Updates und Presseinfos
Doch das Krisenmanagement des Kreises zeigte sich dieses Mal deutlich besser aufgestellt als vor drei Jahren: Die Kreisverwaltung in Ahrweiler hatte bereits am Nachmittag erste Warnmeldungen und Informationen herausgegeben, praktisch im Zwei-Stunden-Takt folgten im Laufe des Abends weitere Meldungen – an die Presse und die Bevölkerung. Gegen 14.30 Uhr berief Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) eine Grundbesetzung der Technischen Einsatzleitung des Kreises (TEL) ein – eine Meldung, die bei vielen den Puls höher schlagen ließ.
Doch die TEL sollte zunächst einfach nur „die sich dynamisch verändernde Wetterlage sowie die Pegelstände der Ahr, ihrer Nebenflüsse und -bäche engmaschig beobachten“, wie es in der Mitteilung hieß. Man werde gemeinsam mit den örtlichen Feuerwehren die Lage im Blick behalten, auch weitere Katastrophenschutz-Einheiten von DRK, DLRG und THW stünden in Bereitschaft und in engem Austausch mit der TEL. „Auch am Abend und in der Nacht werden die Niederschläge und Pegelstände weiterhin aufmerksam beobachtet“, versicherte Weigand.
Es war genau diese TEL gewesen, die in der fatalen Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 komplett den Überblick über die Lage verlor, und letztlich nicht mehr in der Lage war, die Krise zu managen oder Menschenleben zu retten. Damals saß die Einsatzleitung in einem abgeschotteten Kellerraum neben der Tiefgarage, dieses Mal war die TEL an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oberhalb von Bad Neuenahr-Ahrweiler untergebracht, wie Weigand mitteilte.
Katastrophenstufe vier, Fakenews und mehr als 300 Einsätze
Gegen 20.30 Uhr meldete der Landkreis dann: Die TEL habe nun die Einsatzleitung für den Bereich Sinzig, Remagen, Bad Neuenahr-Ahrweiler und die Gemeinde Grafschaft übernommen – aber hauptsächlich wegen der hohen Zahl der Einsätze. „Aktuell liegen mehr als 300 Einsätze vor“, heiße es weiter, der Schwerpunkt liege auf Bad Neuenahr-Ahrweiler, Personenschäden gebe es nicht. Die TEL werde seit dem Nachmittag von einem Meteorologen vor Ort unterstützt, auch Weigand selbst war in der TEL.
Am Ende wurde die Alarmstufe 4 von 5 ausgerufen, der Kreis musste sich gegen Falschmeldungen wehren, es sei „der Katastrophenfall“ – also die Warnstufe 5 – ausgerufen worden. Es habe weder Verletzte nach Evakuierungen gegeben, betonte der Landkreis um 21.22 Uhr – um 00.30 Uhr gab der Landkreis schließlich Entwarnung: „Die Lage hat sich beruhigt!“ hieß es wörtlich im 6. Update der Nacht. Es werde in der Nacht zwar weiter zu leichteren Niederschlägen kommen, diese hätten aber „nach derzeitigem Kenntnisstand und fachlicher Einschätzung jedoch kein bis geringes Unwetterpotential.“
So kam es dann auch: Insgesamt zählte die Kreisverwaltung am Freitag in ihrer Bilanz 309 unwetterbedingte Einsätze, 212 davon alleine in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Der Großteil umfasste vollgelaufene Keller sowie überflutete und überspülte Straßen, es gab keine Verletzten“, so die Mitteilung. Mehr als 500 Kräfte seien im Verlauf des späten Nachmittags und der Nacht im Einsatz gewesen, darunter auch Kräfte der Bundeswehr
Weigand: Emotional schwierige Lage für viele im Ahrtal
„Emotional war die gestrige Unwetterlage für viele Menschen nach den Erlebnissen 2021 sicher nicht einfach“, sagte Weigand zudem, „ich hoffe, dass sich die individuellen Schäden in Grenzen halten.“ Die Einsatzkräfte vor Ort und die TEL hätten ihre Arbeit bereits frühzeitig aufgenommen, die Zusammenarbeit zwischen den Katastrophenschutzeinheiten vor Ort und der Einsatzleitung sei „konzentriert und professionell“ verlaufen. Am Mittag teilte der Kreis dann noch mit, der Abfallwirtschaftsbetrieb des Kreises Ahrweiler (AWB) eine kostenfreie Annahme von Abfällen an, die durch die Unwetterfolgen entstanden seien – das gelte bis zum 18. Mai.
Im Ahrtal herrscht zwar in vielen Fällen Frust über die erneute Flutung von Kellern, doch auch die Hilfsbereitschaft ist weiter hoch: Hilfsorganisationen wie die „Dachzeltnomaden“ stellen umgehend Notstromaggregate und Pumpen bereit, Gruppen wie das „Team Ballern“, das sich nach der Flutkatastrophe 2021 formierte, halfen bereits am Freitagfrüh bei Aufräumarbeiten und Schlamm schippen. Hilfsangebote sammeln sich aktuell auf der Facebookseite des früheren Baustoffzelts Erftstadt des Ahrtal-Helfers Tibor Schady.
Die schlimmsten Schäden gab es dieses Mal in Baden-Württemberg sowie in der Eifel rund um Köln, auch in Frankfurt und teilend es Taunus gab es heftige Überflutungen – in Idstein wurde gar die Polizeistation von einem Wasserschaden stark in Mitleidenschaft gezogen. Im Ahrtal lautete zumindest ein Fazit am Freitag: In Sachen Warnungen und Krisenmanagement hat sich offenbar seit 2021 viel getan. Und auch die Medien berichteten in ganz anderem Umfang als 2021: In Radio und Fernsehen wurde fortlaufend berichtet, der SWR hatte im Internet gar einen Liveticker eingerichtet.
Info& auf Mainz&: Wie die Einsatzleitung in Ahrweiler in der Flutnacht 2021 arbeitete – und versagte – könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Eine ausführliche Aufarbeitung der Vorgänge in der Flutnacht 2021 findet Ihr hier: