Es ist ein kleiner, auf den ersten Blick unscheinbarer Stein, der da am Rande von Zahlbach direkt am Aufgang zur Oberstadt steht. Doch der kleine Sandstein erinnert an große Geschichte, an Napoleon, die Franzosen, den Hauptfriedhof und eine Zeit, in der Mainz grundlegend neu geordnet wurde: Der historische Grenzstein markierte die Eingemeindung von Zahlbach nach Mainz im Jahr 1805. Für 125 Jahre gehörten Zahlbach und Bretzenheim, zwei eng verbundene Mainzer Stadtteile, zu getrennten Gemeinden. Nun wird die alte Wegmarke dem Vergessen entrissen und mit einer Stele gewürdigt.
Es begann alles im Jahr 2012 mit einer Email an die Stadt Mainz an. „Es war Freitag, der 13. April“, erinnerte sich die Ortsvorsteherin der Oberstadt, Ursula Beyer (SPD), „eigentlich ja kein gutes Omen…“ Doch auch wenn es geschlagene viereinhalb Jahre dauerte: Es gab ein gutes Ende. Am Dienstag wurde in Mainz-Zahlbach am Aufgang zum Milchpfad eine neue Stele des „Historischen Mainz“ eingeweiht. Sie markiert nun einen mehr als 200 jahre alten Stein am Wegesrand: einen alten Grenzstein aus der Zeit der Franzosen.
Kaum kniehoch, ist der rötliche Sandstein doch ein Dokument für die Folgen einer europäischen Epochenwende: Die Französische Revolution. Die begann 1789 in Paris mit dem Sturm auf die Bastille und hatte auch für Mainz erhebliche Konsequenzen. Denn die Franzosen zogen an den Rhein und eroberten die linksrheinischen Gebiete – zunächst kurzzeitig mit der Mainzer Republik 1792-1793. Die Preußen vertrieben die Franzosen 1793 wieder, doch die blieben hartnäckig: ab 1797 verleibten sie sich die linksrheinischen Gebiete um Mainz für 17 Jahre in die Französische Republik ein.
Die Franzosen brachten nicht nur die Ideale von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, sondern auch ein umfassendes Modernisierungsprogramm mit an den Rhein: Die Franzosen bauten und gestalteten die Ludwigsstraße zum Boulevard, ordneten Mainz städtebaulich grundlegend neu. Auch ein leistungsfähiges Vermessungswesen kam zum Einsatz mit einer Kartographie, deren Genauigkeit alles Bisherige weit übertraf.
Auch das Gesundheitswesen nahmen die Franzosen in den Fokus, sowohl im Bereich der Krankenversorgung als auch im Bestattungswesen. Vor allem die winzigen und völlig überfüllten Friedhöfe innerhalb der Stadtmauern, auf den Kirchhöfen, waren den neuen Herrschern ein Dorn im Auge: Von ihnen drohte die Ausbreitung von Seuchen. Um 1782 herrschte ein heftiger Expertenstreit über die Gefährdung der Lebenden durch die Ausdünstungen der Toten.
Die Franzosen folgten den modernen hygienischen Anforderungen – und legten die Jahrhunderte alten Kirchhöfe der Innenstadt still. Grund dafür war jedoch auch die Säkularisierung: Weil Napoleon Kirchen und Klöster enteignet hatte, war nun der Staat für die Bestattungen zuständig. Die Lösung war ein neuer Zentralfriedhof außerhalb der Stadtmauern, ein geeignetes Gelände dafür wurde im Tal der Römersteine gefunden: in der eigentlich selbständigen Gemeinde Zahlbach. Der französische Präfekt Jeanbon de St. André gründete dort 1803 den Mainzer Hauptfriedhof. Ein Zufall war das nicht: Bereits die Römer hatten im „Heiligen Tal“ von Mainz ihre Legionäre bestattet, der Legende nach starb hier auch um das Jahr 451 der erste Mainzer Bischof, der heilige Aureus, den Märtyrertod und wurde hier begraben.
Nun aber lag der neue Friedhof auf Zahlbacher Gemarkung, die Franzosen lösten das auf ihre Weise: Per kaiserlichem Dekret von 1805 hob Paris die Selbständigkeit Zahlbachs auf und schlug die Gemarkung der Stadt Mainz zu. Der Verlauf der neuen Stadtgrenze wurde durch Grenzsteine aus rotem Sandstein markiert – und genau ein solcher steht noch heute an der Ecke Bretzenheimer Straße und Milchpfad. Die Seite mit dem eingemeißelten „B“ wies dabei auf die Gemarkung der Gemeinde Bretzenheim, die Seite mit dem Rad auf die Gemarkung Mainz. Erst am 1. Januar 1930 wurde der Grenzstein bedeutungslos: An jenem Tag wurde Bretzenheim in die Stadt Mainz eingemeindet.
Auf der Stele neben dem Stein wird nun die Geschichte der mehr als 200 Jahre alten Wegmarke erzählt, sie gehört zur Reihe „Historisches Mainz“, deren Ziel es ist, Baudenkmäler, Orte und Plätze mit Hilfe von einheitlich gestalteten Hinweistafeln wieder stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. 200 Stück stehen bereits im ganzen Stadtgebiet, für die Realisierung und Finanzierung der neuen Stele in Zahlbach setzte sich der „Verein für Heimatgeschichte Bretzenheim und Zahlbach“ ein. Geld wurde gesammelt, auch die Ortsbeiräte von Bretzenheim und der Oberstadt gaben Geld dazu – rund 2.200 Euro kamen so am Ende für die Gedenktafel zusammen.
Zu verdanken war das alles vor allem einem Mann: Alfons Lauzi hatte in jenem April vor vier Jahren die entscheidende Email geschrieben. Dem Oberstädter war beim Spazierengehen einer der roten Grenzsteine aufgefallen, gemeinsam mit seinen Töchtern machte er sich auf die Suche. „Der Stein hier war überhaupt nicht mehr zu sehen und völlig von der Erde des Hangs überdeckt“, erzählte er nun Mainz&. Lauzi besorgte sich alte Karten, spürte dem Verkauf der Grenze nach – und grub schließlich einfach nach. „Ich hab‘ gesagt: Steck‘ mal hier den Spaten rein, hier müsste der Stein stehen“, erzählt Lauzi: „Und beim ersten Stich haben wir gleich den Stein getroffen.“
Nun wurde das Gelände um den kleinen Stein geebnet, der Hang befestigt, der Boden gepflastert. Eine kleine Nische ist entstanden, mit einer großen Stele für einen kleinen Stein. „Zahlbach ist ein Ort, der immer schon große Geschichte geschrieben hat“, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) bei der Einweihung, „nun wird das durch die Hinweisstele sichtbar.“
Info& auf Mainz&: Dienstag, 22. November 2016, 16.30 Uhr Einweihung der Stele am ehemaligen Grenzstein zwischen Bretzenheim und Mainz in Zahlbach, Ecke Bretzenheimer Straße/Milchpfad. Mehr über die Franzosen in Mainz und die Mainzer Republik erzählen wir Euch in dem Mainz&-Artikel „Wohlan die Wahl ist leicht, nur Freiheit oder Tod“. Das Offene Wohnzimmer in Mainz-Kostheim hat zudem gerade eine Veranstaltungsreihe über Adam Lux, einen Mainzer Freiheitskämpfer, der in Paris unter der Guillotine starb – mehr dazu hier. In demselben Artikel findet Ihr auch ein Video zur „Mainzer Marseillaise“.