Mehr als vier Tonnen mit Glyphosat belasteten Honigs wollen Imker aus Brandenburg am heutigen Mittwoch in Berlin Bundesalandwirtschaftsministerin Julia Klöckner übergeben. Im Landkreis Barnim hatte ein Pestizideinsatz dazu geführt, dass die Honigernte eines Imkerpaares stark vergiftet wurde und nicht mehr verkehrsfähig ist – es ist beileibe nicht der einzige Fall kontaminierten Honigs. Ingelheim bei Mainz ist bundesweit Spitzenreiter in Sachen Pestizidrückstände in Honigpollen, 2016 wurden hier die Rückstände von insgesamt 34 verschiedenen Pestiziden gefunden – in einer einzigen Probe. Der rheinland-pfälzische Imkerverband schlug Ende 2019 Alarm, passiert ist seither: nichts. Mit einem Brandbrief wendet sich der Verein nun an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und bittet um Hilfe für ein wissenschaftliches Monitoring zur Aufklärung und Beseitigung der Ursachen.
Die Untersuchungen stammen aus dem Deutschen Bienenmonitoring der Universität Stuttgart-Hohenheim, seit 2004 wird dort jedes Jahr systematisch der Zustand der deutschen Bienenvölker erfasst, untersucht und ausgewertet. Mehr als 100 Imker bundesweit stellen dabei repräsentativ aktuelle Proben für Krankheits- und Rückstandsanalysen zur Verfügung, sieben Datensätze kommen aus Rheinland-Pfalz. Untersucht wird dabei nicht der Honig, sondern das Bienenbrot: „Das sind die von den Bienenvölkern eingelagerten Blütenpollen, die als Nahrungsgrundlage für die Aufzucht der kleinen, neuen Bienen dienen“, erklärt Franz Botens, Vizechef des Imkerverbandes Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit Mainz&.
Und genau in solchen Proben wurde bereits 2016 eine erhebliche Menge von Pflanzenschutzmitteln gefunden: In einer einzige Probe von Blütenpollen eines Ingelheimer Bienenvolks wurden die Rückstände von insgesamt 34 verschiedenen Pestiziden gefunden, das war mehr als das Fünffache der sonst üblichen Durchschnittsmenge. „Mit diesem Befund ist Ingelheim bundesweit Spitzenreiter beim deutschen Bienenmonitoring“, sagt Botens: „Wir machen uns Sorgen um unserer Bienen.“
Mit rund 380 Imkern hat Ingelheim eine besonders hohe Imkerdichte, auch Botens selbst hat dort Bienenvölker. In der Probe seien hohe Konzentrationen einzelner Wirkstoffe gefunden worden, dazu viele verschiedene Pestizide: „Da ist gar nicht klar, was da für Cocktaileffekte auftreten“, sagt Botens. Zusätzliches Problem: Ein Einzelfall ist das nicht: 2018 wurden bei 130 Proben des Bienenbrots in 92,3 Prozent Rückstände von Pflanzenschutzmitteln gefunden – und bis zu 33 Wirkstoffe in einer einzigen Probe. „Das heißt, dass auch in anderen Gebieten das Problem der Pestizidrückstände allgegenwärtig ist“, betont Botens.
In der 2016er Probe aus Ingelheim wurden 20 verschiedene Fungizide und neun verschiedene Insektizide nachgewiesen. Welche Mittel das genau seien, das wisse er aber trotz mehrfacher Nachfrage bis heute nicht, sagt Botens: „Die Probe ist weiter geheimnisumwittert.“ Er habe nun beim rheinland-pfälzischen Institut für Bienenkunde in Mayen einen Antrag auf Herausgabe nach dem Transparenzgesetz gestellt. Im Honig komme von den Rückständen bisher fast nichts an, weil Honig keine Fettanteile enthalte, sagt Botens, befürchtet aber: „Wenn das aber mehr werden sollte, haben wir es irgendwann auch im Honig.“
Im Fall der Imkerei Seusing aus dem Landkreis Barnim habe der Pestizideinsatz auf den Nachbarfeldern dazu geführt, dass mindestens vier Tonnen der Honigernte so stark mit Glyphosat verunreinigt seien, dass sie nicht mehr verkehrsfähig sind und entsorgt werden müssen, teilte die Aurelia-Stiftung in ihrer Einladung zur Honig-Übergabe an Klöckner mit. Die Aurelia-Stiftung versteht sich selbst als Lobbyverein für die Biene, sie wirbt für mehr Schutz und Wertschätzung der Biene und für eine lebensfreundliche Landwirtschaft. Und sie fordert eine Abkehr von einer intensiven, chemiegestützten Landwirtschaft, in der weiterhin Pestizide in blühende Pflanzen gespritzt werden dürfen – selbst in nächster Nähe zu Bienenstöcken. Der Schaden für die Brandenburger Imkerei betrage rund 60.000 Euro und habe das betroffene Imkerpaar „in akute wirtschaftliche Existenznöte gebracht“, betont die Stiftung – wer dafür aufkomme, sei völlig unklar.
Auch im Fall der Verunreinigungen der Ingelheimer Blütenpollen stammt die Herkunft der Pestizide laut der Analysen eindeutig aus der Landwirtschaft. Ingelheim habe einen sehr intensiven Weinbau und Obstanbau, auch Rückstände aus dem Rapsanbau wurden gefunden, sagt Botens: „Für die Imker in Ingelheim ist das verheerend“, betont er, „und auch für uns Menschen ist das ein sehr ungutes Gefühl.“ Schließlich gingen viele Menschen gerne in den Weinbergen und Obstplantagen spazieren. „Bienenvölker bilden im Blütenpollen den Zustand ihrer Umwelt ab“, betont Botens, die Pestizide seien „für die Gesundheit der Wildbienen noch viel dramatischer.“
Im Mainzer Landwirtschaftsministerium heißt es hingegen, die gefunden Wirkstoffe seien „in der fachlichen Praxis alles erlaubte Mittel“. Es sei „bekannt, dass in Gebieten, wo viele Kulturen bewirtschaftet werden, diese Werte dann erhöht sind“, sagte eine Sprecherin auf Mainz&-Anfrage. Man sei mit Imkern und Landwirten „im Austausch“, auch seien neue Zusatzuntersuchungen erfolgt, die aber noch nicht abgeschlossen seien. „Es gibt keine Erkenntnisse, dass die gefundenen Wirkstoffe negative Auswirkungen auf Bienenvölker haben“, betonte die Sprecherin. Die Zahl der Bienenvölker im Land sei sogar gestiegen.
Botens widerspricht: „Die Bienenvölker leiden durchaus darunter, auch wenn das Volk am Ende überlebt“, sagt der Imker. Botens fordert nun Transparenz und flächendeckende Untersuchungen der Rückstände. „Wenn wir wissen, woher die Wirkstoffe kommen, könnten wir gemeinsam mit den Landwirten an Gegenmaßnahmen arbeiten“, sagt er. So könnten Sprühzeitpunkte verändert, Beikräuter oder Untersaaten im Weinberg vor dem Spritzen gemäht werden. „Vielleicht ist es sogar der gut gemeinte Blühstreifen am Acker, der zu einer Giftschleuder für die Bienen wird“, vermutet Botens: „Das ist nicht nur ein Problem für uns Imker, sondern für die ganze Umwelt in Ingelheim.“
Anfang Januar nun klingt Botens noch deutlich gefrusteter: „Wir sind an beide zuständige Ministerien gegangen, aber von beiden ist nichts gekommen“, sagt er im Gespräch mit Mainz&. Das Landwirtschaftsministerium habe dazu gar nichts gesagt, „im Gegenteil“, kritisiert Botens: Landwirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) habe seinen Einsatz für weitere Zulassungen von Pestiziden angekündigt und gar auf einer Demonstration von Traktorfahrern aus der Landwirtschaft „gegen ‚Ökopopulisten‘ agiert.“ Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) wiederum schweige ebenfalls: „Sie hat sich nie wirklich dazu geäußert“, kritisiert Botens, dabei habe er persönlich das Problem in einem öffentlichen Vortrag im Umweltministerium geschildert.
Am 7. Januar schickte Botens deshalb einen Offenen Brief an Dreyer: Weil beide Ministerien das Problem „nicht lösen können oder wollen, wenden wir uns heute hoffnungsvoll an Sie“, heißt es in dem Schreiben, das Mainz& vorliegt. Darin bittet der Imkerverband weiter, Dreyer möge einen wissenschaftlichen Dialog zwischen Landwirten, Winzern, Imkern, Naturschützern und der Veraltung organisieren. „Unser Wunsch wäre, hierbei ein gemeinsames Monitoring zu vereinbaren, um eine fundierte wissenschaftliche Basis zu bekommen, die zur Entschärfung der Hotspots wie in Ingelheim beitragen könnte“, heißt es in dem Offenen Brief weiter. Bisher würden in Rheinland-Pfalz gerade einmal sieben Bienenstandorte beprobt, Nitratmessstellen gebe es hingegen rund 1.600.
„Man muss in einem größeren Gebiet um den Hotspot herum Proben nehmen, um Vergleichsdaten zu haben und den Brennpunkt eingrenzen zu können“, sagt Botens im Gespräch. Ein Dutzend Messpunkte seien nötig, „um vernünftige Informationen zu bekommen“ und vergleichen zu können, was die Landwirte ausbrächten, schätzt er. Der Landwirt selbst sei in der Verantwortung darauf zu achten, wo sein Pflanzenschutzmittel hingehe und es zielgenau auf die Kulturpflanze ausbringen. „Es muss ja gar nichts Böswilliges sein“, betont Botens, „aber man muss hingucken, sonst findet man ja keine Ursache.“ Seine Hoffnung: Nicht die Augen vor den Problemen zu verschließen – da wissen wir uns bei Ihnen, geschätzte Frau Ministerpräsidentin in mutigen Händen“, heißt es im Offenen Brief.
In der Mainzer Staatskanzlei heißt es hingegen nur schmallippig: Man nehme zu Briefen an die Ministerpräsidentin grundsätzlich öffentlich nicht Stellung. Darüber hinaus gelte die Ressortverantwortung, nach der „Ministerinnen und Minister innerhalb der Richtlinien der Politik die ihnen übertragenen Geschäftsbereiche selbstständig und in eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag leiten“, teilte eine Sprecherin auf Mainz&-Anfrage mit. Kurz gesagt: Die Frage wurde an die Ministerien zurückverwiesen.
Im Umweltministerium verweist man derweil auf bereits existierende Programme, in erster Linie die 2017 gestartete „Aktion Grün“. Bei der seien bereits mehr als 2,8 Millionen Euro in den Schutz der Arten in Rheinland-Pfalz investiert worden, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Rheinland-Pfalz stelle für vier Jahre insgesamt neun Millionen Euro für den Erhalt der Artenvielfalt zur Verfügung. Umweltministerin Höfken betonte zudem anlässlich des Themas Artensterben bei Insekten: „Die Investition in den Erhalt unserer Artenvielfalt ist mir persönlich wichtig, denn es ist eine Investition in die Zukunft und in die nachfolgenden Generationen.“ Zudem stärke das Umweltministerium den Ökolandbau und die bäuerliche Landwirtschaft und gehe gegen Lichtverschmutzung vor.
Zum Offenen Brief von Botens äußerte sich die Ministerin nicht, auch zum Vorwurf der Untätigkeit nahm sie keine Stellung. Auf die Frage, welche Maßnahmen das Umweltministerium nun in Sachen verseuchte Honigpollen in Ingelheim einleiten wolle, gab es – keine Antwort. „Das Thema Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft und Imkerei liegen im Zuständigkeitsbereich des Landwirtschaftsministeriums“, hieß es lediglich. Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) hat gerade erst betont, er wolle sich für die Zulassung weiterer Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft einsetzen.
Info& auf Mainz&: Mehr zur prekären Situation unserer Insekten, dem anhaltenden Insektensterben und warum das für unsere Umwelt und den Menschen so wichtig ist, lest Ihr in diesem Mainz&-Artikel zum Insektenatlas 2020 des BUND. Die Aurelia-Stiftung findet Ihr hier im Internet, die Informationen zum Pestizidvorfall in Brandenburg in dieser Pressemitteilung (direkter Download).