Er lacht viel, er gestikuliert mit den Händen, wird leidenschaftlich, wenn es um Sprache geht, um Literatur, um Politik: Abbas Khider, gerade 44 Jahre alt geworden, sitzt im saloppen Kapuzenpullover auf dem Sofa in der Stadtschreiber-Wohnung von Mainz. Er redet über seine Beziehung zur deutschen Sprache, über Politik, über Flucht, Asyl und die schier unmögliche Aufgabe, sich im Exil eine neue Heimat zu schaffen. Am Dienstag wurde der Deutsch-Iraker in sein Amt als 33. Mainzer Stadtschreiber eingeführt – es dürfte ein ausgesprochen spannendes Jahr werden: Khider nämlich ist neugierig auf Menschen und Orte. Und er ist ein genauer Beobachter seiner Umgebung – jemand, der als Schriftsteller der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Willkommen in Mainz, Mr. Eulenspiegel!
Flucht, Migration, Asyl, es sind die großen Themen von Abbas Khider in seinen bislang vier Romanen – und die großen Themen in seinem eigenen Leben. Geboren 1973 in Bagdad wurde Khider als Abiturient wegen politischer Aktivitäten gegen Saddam Hussein verhaftet, gefoltert und von 1993 bis 1995 gefangen gehalten. Nach seiner Flucht ersuchte er im Jahr 2000 in Deutschland um Asyl, seit 2007 ist er deutscher Staatsbürger und lebt heute mit seiner Familie in Berlin. „Ich wollte gar nicht hierher, ich wollte nach Schweden“, erzählte er jüngst in einem Interview dem ZDF. Khider blieb in Deutschland hängen, das erste Deutsch lernte er in Passau, studierte später in München und Potsdam deutsche Literatur und Philosophie.
„Wenn man viele philosophische Texte von Verrückten wie Heidegger und Kant liest, das ist nicht einfach zu verstehen“, sagt Khider und lacht, wieder einmal. Sein Kampf mit der deutschen Sprache, es war nicht nur ein Bemühen um das Meistern eines Studiums: Khider schrieb Gedichte, am Anfang auf Arabisch. Aber irgendwann habe ihm etwas gefehlt, sagt er: „Man lebt im Exil, man hat kein Publikum“, beschreibt er die Leere des Schriftstellers: „Man hat das Gefühl, man wäre allein, man weiß nicht, was macht man mit den Ideen, die man hat.“ Denn seine Umgebung, die war inzwischen Deutsch geworden, „die deutsche Sprache, das ist mein deutscher Alltag geworden.“
Khider studierte deutsche Literatur, las deutsche Lyrik von Hilde Domin, Rilke, Enzensberger. Deren Gedichte habe er ins Arabische übertragen und dann zurück ins Deutsche, mit seinen eigenen Worten, „um zu sehen, ob ich wirklich in Deutsch dichten kann“, erzählt er. Seine Beziehung zum Deutschen, das sei wie mit einer Frau und doch ganz anders: Bei Mann und Frau, da gehe es um Sex, „und dann irgendwann kommt eine Art Liebe“, sagt Khider. Mit der Sprache sei das ganz anders: „Da geht es um Kennenlernen, nicht um Sex, und bis man verliebt ist, dauert es Jahre.“ Dann, irgendwann, „kann man gute, schöne Stellungen schaffen“, sagt er und grinst.
Gute, schöne Stellungen, in der Tat: In seinen bislang vier Romanen schreibt Khider schnörkelloses und gleichzeitig kraftvolles Deutsch, mitreißend, direkt, virtuos. Er habe sich, sagte er einmal in einem Interview, „in der deutschen Sprache eine Heimat erfunden und lebe darin.“ Darin sei er nahe an der amerikanischen Literatur, erzählt Khider in der Mainzer Stadtschreiber-Wohnung, dort ist das Thema, sich eine Identität in der Fiktion zu schaffen, seit vielen Jahren hochaktuell. Es war 2003, als ihm klar geworden sei, dass er im Irak nicht mehr leben könne, erzählt Khider, da habe er beschlossen, „das Exil zum Projekt zu machen, es zu verfremden.“ Denn eines stelle sich jedem Geflüchteten irgendwann: „Man muss mit dem Exil umgehen, sonst kann das Exil einen umbringen.“
In Exilliteratur, sagt er noch, werde viel getrauert, das sei nicht Seins: „Ich will nicht trauern, ich will nicht die Rolle des Opfers spielen, ich will der Täter sein.“ Und so mischt sich der Deutsch-Iraker ein in die Gesellschaft, die seine geworden ist, zeichnet ihre Charaktere in genauen Porträts nach – und hält den Deutschen den Spiegel vor. 2016 tat er das meisterhaft mit seinem vierten Roman „Ohrfeige“, in dem er anhand seines Protagonisten Karim hautnah aus der Perspektive eines Flüchtlings zeigt, wie sich Deutschland anfühlt beim Ankommen, bei der Asylsuche, im Behördendschungel.
„Wir lernen bei Ihnen, wie sich Flucht und Fremde anfühlen, wie die Menschen empfinden, was sie durchmachen“, sagte am Dienstag ZDF-Kulturchef Peter Arens bei Khiders Einführung im Mainzer Rathaus. Das gelinge in einer „überwältigend schlüssigen und klaren Sprache“, die den Leser packe, die „nicht vor Autorenstolz trieft“ oder „fruchtlose Ehrfurcht“ hervorrufen solle. „Tief und facettenreich“ leuchte Khider das Motiv der Fremdheit aus und zeige zugleich, wie man Fremdheit durch Geschichten abbauen kann. Angesichts von „Abschottungswahnsinn und nationaler Egoismen sind Stimmen wie Ihre jetzt noch wichtiger als zuvor“, sagte Arens.
Khiders zwei Welten, es sind Europa und Arabien. Lachhaft sei das, was Politiker beider Welten über die jeweils andere redeten, sagte er, zornig und nachdenklich zugleich: „Es gibt nur Unwissenheit, keiner versteht den anderen, ein Kulturaustausch hat nie stattgefunden.“ Dass das Image des Arabers heute das eines Mannes ist, der Bomben wirft, dass Menschen einer Nationalität pauschal verdächtigt werden, das nehme ihnen das Zugehörigkeitsgefühl, sagt er: „Plötzlich ist man fremd, wird verdächtigt, das ist sehr gefährlich für die Zukunft des Landes.“ Wie vor allem bayrische Politiker wie Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer über Flüchtlinge redeten, das sei „menschenverachtend“ – und wäre vor zwei Jahren undenkbar gewesen. „Wir haben viel verloren“, sagte Khider, und dass die Deutschen viel zu sehr darauf warteten, dass die Politiker etwas machten. „Wir, das Volk, müssen doch diesen Zug führen“, sagt Khider, „leider ist es immer anders bei uns.“
„Uns“, sagt der Deutsch-Iraker – wann hat er begonnen, sich selbst als Teil des „Wir“ zu sehen? Khider stutzt, denkt nach, sagt, nein, das wisse er wirklich nicht mehr. „Mein Alltag ist ein deutscher Alltag“, sagte er. Er gucke Tagesschau, streite sich mit der Krankenversicherung, ärgere sich über die Steuererklärung. „Ich bin ein Teil der Gesellschaft, das sind auch meine Probleme“, sagt er und lacht. Was Deutsch an ihm ist? Dass er dauernd über das Wetter rede, noch viel mehr als die Deutschen, und dass er gerne jammere. „Perfektion“, sagt Khider, und Pünktlichkeit, beides habe er in Deutschland gelernt. „Ich bin eigentlich ein sehr chaotischer Mensch“, heute arbeite er ordentlich und systematisch.
Drei Jahre brauche er in der Regel für 200 Seiten eines Romans, erzählt Khider weiter, immer wieder schreibe er neue Versionen, probiere aus. Sechs Fassungen habe er von seinem zweiten Roman „Die Orangen des Präsidenten“ geschrieben, den Anfang 33 mal neu entworfen. „Das Versuchen an sich ist entscheidend“, sagt Khider, „man arbeitet, bis man weiß, man hat die richtige Sprache gefunden.“ In Mainz will Khider an seinem neuen Roman arbeiten, es wird sein fünftes Werk. Es werde um Waffenhändler, den arabischen Frühling und die Frauenbewegung in der arabischen Welt und teilweise in Europa gehen, verrät er. Es gebe einfach „Themen , die in einem brennen, über die man schreiben will“, sagt der 44-Jährige: „Autoren wählen nicht ihre Themen, die Themen wählen den Autor.“
Orte seien dabei nicht so wichtig, auf Mainz ist der neue Stadtschreiber aber neugierig: „Alle Möglichkeiten, die ich bekomme, werde ich wahrnehmen“, verspricht er. Im April will Khider einige Wochen in Mainz sein, hat schon mehrere Veranstaltungen in Planung. In der Pfalz, im Künstlerhaus Edenkoben, da habe er schon den großartigen Wein entdeckt, erzählt er. „Etwas Neues, neue Menschen, neue Stadt, neue Erfahrungen – das ist auch eine Leidenschaft von mir“, sagt Khider. Es klingt, als hätte Mainz damit wieder einen Stadtschreiber, der gewillt ist, sich auf die Stadt und ihre Menschen einzulassen – im Gegensatz zu Khiders Vorgänger Clemens Meyer.
Der Ostdeutsche ließ sich in seinem Stadtschreiber-Jahr in Mainz kaum blicken, jammerte wie fremd er „arme Flachlandsachse“ sich in Mainz fühle, wie er Main mit Rhein verwechsele und schwadronierte von der Großstadt Leipzig im Gegensatz zur „schmuddeligen westdeutschen Provinz“ Mainz. Bei den Mainzern kam das gar nicht gut an, Meyers Jahr als Stadtschreiber darf aus Sicht der Mainzer gut und gerne als Fehlschlag gesehen werden. Khiders Vor-Vorgänger Feridun Zaimoglu setzte sich hingegen mit Wonne in Cafés und Weinstuben und verliebte sich regelrecht in die Stadt am Rhein und ihren Menschenschlag. Der deutsch-türkische Autor ist jemand, der Deutschland aus dem Blickwinkel eines Fremden betrachten kann, der einen so genauen Blick auf die neue Heimat wirft, weil er einmal von außen kam.
Auch Khider zeichnet dieser Blick von außen auf Deutschland aus: Mit dem Blick des Fremden zeigt er schonungslos und sehr exakt auf, wie Deutschland tickt, was es ausmacht – im Guten wie im Schlechten. „Ich brauche Distanz zu den Dingen“, bekannte Khider am Dienstag in Mainz, „ohne Distanz ist Literatur seelenlos.“ Es ist auch das Lachen, der Humor, die Ironie, mit der Khider diese Distanz erreicht, und die seine Romane trotz aller Schwere der Themen Leichtigkeit, ja hohen Unterhaltungswert verleiht. „Wenn ich über Folter schreibe, muss ich meine Leser nicht foltern“, sagt Khider, der einmal das Lachen als subversive Form des Widerstands bezeichnet hat. Man könne „mit dem Lachen die lächerlich machen, die uns Leben zur Hölle machen“, sagt er beim Gespräch in Mainz, und dass Sprache vielleicht „der letzte Ort der Freiheit, auch Zuflucht“ sein könne.
Khider mache die Deutschen „wie kaum ein Zweiter mit den Träumen und Sehnsüchten, den Ängsten und Sorgen“ der Flüchtlinge, „unserer Mitmenschen vertraut“, sagte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) bei der Amtseinführung: „Wir sind gespannt, in welch ferne Welten und unmittelbare Nachbarschaften Sie uns entführen werden in Ihrem Jahr als Mainzer Stadtschreiber.“ Der Mainzer Stadtschreiberpreis wurde 1985 erstmals an die Schriftstellerin Gabriele Wohmann vergeben, der mit 12.500 Euro dotierte Preis wird an Schriftsteller vergeben, die die deutsche Literatur besonders beeinflussen oder prägen und die einen besonderen Reichtum der Sprache aufweisen.
Selten sei er glücklicher mit der Wahl der Jury gewesen als in diesem Jahr, bekannte Jury-Mitglied Arens – der Preis wird gemeinsam von ZDF und Stadt Mainz vergeben, die Wahl trifft eine Jury, in der auch Schriftsteller vertreten sind. Der Preisträger hat dazu das Recht, ein Jahr lang die kleine Stadtschreiberwohnung unterm Dach des Gutenberg-Museums zu nutzen, zudem soll er gemeinsam mit dem ZDF eine Dokumentation erstellen. „Helfen Sie uns, mit Ihren Erfahrungen und Ihrer Ästhetik, das Fremde besser zu verstehen“, bat Arens: „Erzählen Sie davon den wissbegierigen und freiheitsliebenden Mainzern. Sie werden kaum bessere Zuhörer und Verwerter finden als den formidablen homo moguntia, der auch nach der Fastnacht ein höchst geselliger Mensch bleibt.“
Khider sagte dann noch, der Preis freue ihn sehr, die Anerkennung helfe ihm und auch seinem künftigen Werk. In zwei Tagen bekommt Khider gleich die nächste Auszeichnung: den Adalbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch-Stiftung für herausragende, auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt ist. „Wir freuen uns immer, wenn wir einen Preis für unser Gesamtwerk bekommen“, verriet Khider dann noch verschmitzt: Preise für einzelne Bücher müsse man nämlich versteuern, den für ein Gesamtwerk hingegen nicht. Da war er wieder, der deutsche Alltag im Leben des Exil-Irakers Abbas Khider.
Info& auf Mainz&: Mehr zu Abbas Khider erfahrt Ihr natürlich auf seiner eigenen Homepage oder aber auch hier bei Mainz& oder hier bei der Stadt Mainz.