Kurz vor dem Jahrestag der Reichskristallnacht hat es in der niederländischen Stadt Amsterdam regelrechte Jagdszenen von Palästinensern auf Juden gegeben – Anlass war ein Fußballspiel. „Amsterdam ist der Vorbote für Deutschland“, warnte daraufhin der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker. Denn auch in Deutschland fühlen sich Juden zunehmend unsicher, auch in Mainz hat es bereits antisemitische Vorfälle gegeben, berichten jüdische Studenten von der Uni Mainz. Der 9. November – er wird immer mehr ein Tag zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie heute. Zur Rettung eilte auch die Freiwillige Feuerwehr in Mainz-Hechtsheim herbei – für ein Friedhofstor.
Am 9. November 1938 jagten die Nationalsozialisten Juden durch die Straßen von Deutschland, zündeten Häuser, Geschäfte und Synagogen an – auch in Mainz. Der von SA- und SS-Einheiten organisierte Pogrom war aus Berlin angeordnet worden, im gesamten Deutschen Reich wüteten Nationalsozialisten, demolierten, plünderten und verschleppten Juden aus ihren Häusern zur Deportation in Konzentrationslager.
86 Jahre danach erlebt die Stadt Amsterdam zwei Tage vor dem 9. November 2024 regelrechte Jagdszenen auf Juden: Randalierer seien „aktiv auf die Suche gegangen nach israelischen Fans, um sie anzugreifen und zu misshandeln“, teilten Stadt und Polizei laut ZDF Heute in einer gemeinsamen Erklärung mit. „Hooligans“ auf Motorrollern hätten nach israelischen Fußballfans in der Stadt gesucht, sagte die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema.
Becker: „Hasserfüllte Jagdszenen auf Juden sind Vorboten“
Der Anlass: Ein Fußballspiel in der Europaleague zwischen Ajax Amsterdam und dem israelischen Fußballclub Maccabi Tel Aviv. Die Jäger: pro-palästinensische Hooligans oder Randalierer, die Darstellungen darüber gehen auseinander. Dass aber 86 Jahre nach der Reichspogromnacht durch die Nazis erneut Jagdszene auf Juden in Europa stattfinden, sorgte für tiefes Entsetzen. „Amsterdam ist der Vorbote für Deutschland“, warnte der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker am Freitag: „Was sich gestern auf den Straßen in Amsterdam abgespielt hat, kann morgen auch bei uns in Deutschland geschehen.“
Denn die Bilder „von hasserfüllten Jagdszenen auf israelische Fußballfans sind ein weiterer Beleg für ein Anwachsen der Gewaltbereitschaft beim israelbezogenen Antisemitismus in Europa“, kritisierte Becker: „Das waren keine Auseinandersetzungen zwischen Fußballrowdys, sondern blanker Judenhass.“ Und der nimmt immer weiter zu: Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 6. Oktober 2023 habe es „mehrere Vorfälle gegeben, die antisemitische Tendenzen auf dem Campus der Uni Mainz zeigen“, berichtet David Rosenberg, Vorsitzender des jüdischen Studierendenverbandes Rheinland-Pfalz und Saarland.
Es habe antisemitische Schmierereien und Parolen gegeben, unter jüdischen Studierenden „gibt es leider eine spürbare Unsicherheit und Bedrohung“, berichtete Rosenberg weiter: „Viele fühlen sich aufgrund der Vorfälle verunsichert und nicht mehr sicher auf dem Campus.“ Auslöser waren auch hier vor allem Aktionen einer Gruppe, die sich „Students for Palestine Mainz“ nennt. Diese Gruppe habe etwa im Juni Broschüren verkauft, in denen das Massaker der Hamas an Israelis als „legitimer Akt im nationalen Befreiungskampf“ verharmlost werde.
„Viele jüdische Studierende fühlen sich an der Uni nicht mehr sicher“
„Die Gruppe ‚Students for Palestine Mainz‘ arbeitet daran, israelbezogenen Antisemitismus, Entmenschlichung und Ausgrenzung von Israelis, Zionistinnen und Zionisten (also Personen, die Israel ein Existenzrecht zusprechen) sowie die Relativierung der islamistischen und in Deutschland mit einem Betätigungsverbot verhängten Terrororganisation Hamas an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz salonfähig zu machen“, heißt es in einer Resolution, die der Jüdische Studierendenverband im Juni gemeinsam mit den Hochschulgruppe der Jusos, der Liberalen Hochschulgruppe sowie dem CDU-nahen RCDS verfasste und an die Unileitung schickte.
Auch Becker warnt, schon jetzt sei deutlich „die toxische Verschmelzung von linksextremistischem und palästinensisch-islamistischem Israelhass“ zu sehen. „Wenn wir nicht noch konsequenter und schneller die Instrumente gerade im Kampf gegen den israelbezogenen Antisemitismus schärfen, wird die Gewalt gegen Juden auch bei uns in Deutschland zunehmen“, warnte er. Dann sei es „vom Terror auf der Straße bis hin zum Terrorismus nur noch ein kurzer Weg.“
„Der 9. November 1938 mahnt uns eindringlich, jeder Form von Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit mit aller Kraft entgegenzutreten“, sagte der neue rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD): „Auch wir müssen heute unsere freiheitliche Gesellschaft verteidigen.“ Niemand dürfe sagen: „Antisemitismus geht mich nichts an“, betonte auch die Beauftragte für Jüdisches Leben und gegen Antisemitismus Monika Fuhr: „Denn Judenhass verletzt Menschen in ihrer Würde. Und Antisemitismus bestreitet Juden und Jüdinnen das Recht, frei und sicher leben zu können.“ Es sei Auftrag und Pflicht , der jüdischen Gemeinschaft ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen.
Schleichender Antisemitismus und Hass vergiften Gesellschaft
Doch das gelingt Deutschland immer schlechter: Ein schleichender Antisemitismus frisst sich seit Jahren zunehmend durch alle Schichten der Gesellschaft – er geht einher mit Wut, Hass und Gewalt, die Konjunktur haben wie lange nicht mehr. „Rechtsextremistisches, fremdenfeindliches Gedankengut ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – in allen Schichten, in allen Bundesländern, in allen Generationen“, sagte bereits 2017 der damalige Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) zum Jahrestag der Reichspogromnacht.
Über Nacht gekommen ist diese Entwicklung genauso wenig wie das 1938 der Fall war: „Der millionenfache Mord an den Juden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten kam nicht über Nacht“, erinnerte auch Schweitzer: „Es gab eine zunehmende Radikalisierung von Menschen und Maßnahmen vom Judenboykott am 1. April 1933 über den 9. November 1938 bis hin zur Schoa.“ Die Pogromnacht 1938 schließlich „der perfide Test des NS-Regimes, wie weit die Menschen in Deutschland die Gewalt gegen Juden und Jüdinnen mitgehen“, betonte Schweitzer.
Wie tief sich Hass und Hetze in eine Gesellschaft fressen und geradezu gleichgültig hingenommener Alltag werden können – genau das demonstrieren gerade die USA. Es war der 9. November 2016, als Mainz aufwachte mit einem neuen US-Präsidenten namens Donald Trump. Damals herrschten weithin Fassungslosigkeit über die Hasstiraden, die Lügen und die Verunglimpfungen des Republikaners, der ausgerechnet damit das Weißem Haus erobert hatte.
Donald Trump: Faschist mit Plan auf dem Weg ins Weiße Haus
Acht Jahre danach wütet Donald Trump enthemmter denn je, bezeichnen ihn seine eigenen hochrangigen Mitarbeiter von damals als „Faschisten“, der ungeniert von Massendeportationen und der gewaltsamen Verfolgung seiner politischen Feinde im Inneren redet – und seine Anhänger stört es nicht im Geringsten. Acht Jahre danach wurde Donald Trump am 5. November 2024 erneut zum Präsidenten der USA gewählt – und dieses Mal hatte er sein Manifest in Form des „Project 2025“ vorher detailliert aufschreiben lassen. Laut CNN sollen die Massendeportationen von unregistrierten Einwanderern unmittelbar nach seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 starten.
Rund 74 Millionen Amerikaner wählten trotzdem den Republikaner erneut ins Weiße Haus – man möge ja den Mann nicht unbedingt, „aber ich mag seine Wirtschaftspolitik“, sagte so mancher unbekümmert in die Kameras. Das klang wie ein Echo von 1930, als die Deutschen – schwer mitgenommen durch die Weltwirtschaftskrise – einen gewissen Adolf Hitler mit Mehrheit im Reichstag ausstatteten, weil sie „seine Wirtschaftspolitik mochten“. Dass der Mann vorher ein Pamphlet verfasst hatte über Massenmord an Juden, kümmerte die Wähler nicht. Es werde schon nicht so schlimm kommen, meinten sie.
Es kam schlimmer: Millionen von Juden wurden in Konzentrationslager deportiert, die zu regelrechten Vernichtungsmaschinen ausgebaut wurden. Deportiert wurden aber auch Widerständler, Homosexuelle, Behinderte, Sinti & Roma – Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden, weil sie „anders“ waren und nicht zu einer Ideologie von Rassenwahn und Überheblichkeit passten. Allein rund 340 Stolpersteine erinnern inzwischen in Mainz an die Menschen, die von den Nazi-Schergen deportiert wurden und für immer verschwanden.
Hechtsheimer Feuerwehr sanierte Tor zum Jüdischen Friedhof
Der 9. November 1938 sei eine bleibende Mahnung, dass Demokratie und Freiheit niemals selbstverständlich seien, betonte denn auch Schweitzer – und heute mehr denn je verteidigt werden müssten. Und dabei kommt gerade in diesen Jahren die jüdische Kultur und Geschichte immer mehr in den Herzen der Mainzer an: Zu ihrem 150-jährigen Bestehen sanierte die Hechtsheimer Freiwillige Feuerwehr das in die Jahre gekommene Tor des Jüdischen Friedhofs in der Heuerstraße.
„Das Wetter, vor allem der Regen, hatte dem eisernen Eingangstor zum Jüdischen Friedhof an der Hechtsheimer Heuerstraße stark zugesetzt“, berichtete Ottmar Schwinn, Vorsitzender des Vereins Hechtsheimer Ortsgeschichte. Der ursprünglich grüne Lack ist abgeblättert und gibt so einen Blick auf frühere Farbanstriche frei. Wie gut, dass sich in den Reihen der Freiwilligen Feuerwehr ein Experte fand: Daniel Muth, Spross eines alteingesessenen Hechtsheimer Malerbetriebs, selbst mit abgeschlossener Maler- und Lackiererlehre ausgestattet.
Der derzeitige Student des Bauingenieurwesens nahm die Sanierungsarbeiten in die Hand, nach Absprache mit der jüdischen Kultusgemeinde konnte es losgehen: In insgesamt drei Terminen wurde das Tor von seinen alten lackschichten befreit – „eine mühevolle Arbeit“, berichtet Schwinn: „Mehrere Farbschichten kratzen die Feuerwehrleute unter Aufsicht von Daniel Muth ab – von schwarz über hell- bis dunkelgrün.“ Danach wurden die Fugen der Türbleche erneuert, ein erster Anstrich mit einem neuartigen Lack mit starkem Korrosionsschutz folgte.
„Das Wetter spielt bei der Renovierung nicht immer mit, denn auf feuchtem Eisen haftet der Lack nicht“, erinnert sich Schwinn weiter. Damit einbrechende Dunkelheit an manchen Tagen die Arbeiten nicht zusätzlich erschwerte, leuchtete die Feuerwehr mit Strahlern Friedhofstor und -mauer aus. „Letzte fachmännische Feinarbeiten besorgt der Malerbetrieb Muth“, berichtete Schwinn – jetzt glänze das Tor in einem satten dunkelgrünen Ton.
Der Verein Hechtsheimer Ortsgeschichte wiederum bedankte sich bei den fleißigen Wehrleuten mit einem kräftigen Imbiss, natürlich mit Weck und Worscht, wenn auch mit alkoholfreiem Bier. Auch Wehrführer Sebastian Nolte zeigt sich zufrieden mit der Arbeit seiner Wehrleute: „Es ist schön, dass wir helfen konnten, ein Hechtsheimer Wahrzeichen zu erhalten.“
Info& auf Mainz&: Die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Mainz gemeinsam mit der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen findet am Sonntag, den 10. November 2024 um 11.00 Uhr in der Neuen Synagoge in der Mainzer Neustadt statt – mehr dazu hier im Internet. Mehr zu den Deportationen von Juden aus Mainz in die Konzentrationslager der Nazis könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.