Analyse& – Überraschung am Montag: Die Mainzer Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) wechselt ins Bundeskabinett nach Berlin und wird dort Justizministerin. Hubig war neun Jahre lang in Rheinland-Pfalz für die Bereiche Schule und Kita zuständig, ihre Amtszeit war permanent von Konflikten geprägt: Handyverbote, Kita-Reform und das Management in der Corona-Pandemie stießen immer wieder auf scharfe Kritik, gerade aus der Praxis. Wissenschaftler warfen ihr verfälschende „Propaganda“ vor, Kritiker, in den Schulen Maulkörbe zu verteilen. Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) hat nun die Chance, ein Jahr vor der Landtagswahl den Posten neu zu besetzen.

Rheinland-Pfalz wird künftig eine ausgesprochen starke Rolle am Kabinettstisch der neuen schwarz-roten Bundesregierung spielen: Eine Woche nach der CDU stellte am Montag nun auch die SPD ihre Minister für die neue Bundesregierung von Friedrich Merz (CDU) vor – nur einen Tag vor der Wahl im Deutschen Bundestag. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte offenbar ein intensives Arbeitswochenende hinter sich: Die Liste seiner sechs weiteren Minister wartete mit etlichen Überraschungen auf, die viele Beobachter in Berlin so nicht erwartet hatten.
Klar war, dass Lars Klingbeil selbst nach dem Finanzministerium greifen und zudem Vizekanzler werden würde, obwohl der SPD-Chef keinerlei Regierungserfahrung hat. Klar war auch, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius im Amt bleiben würde – an dem mit Abstand beliebtesten Politiker der Republik kam Klingbeil nicht vorbei. Schnell zeichnete sich auch ab, dass Arbeitsminister Hubertus Heil würde gehen müssen: Heil stand für die Ära Merkel, und war dazu ein prägendes Gesicht der gescheiterten Ampel-Koalition, am Wochenende zog er gar offiziell zurück und monierte, ihm fehle der Rückhalt von der Parteispitze.
Klingbeil: Neuanfang mit vielen neuen Gesichtern im Kabinett
Das war auch kein Wunder: Klingbeil, der seit der für die SPD desaströsen Bundestagswahl bislang keinen Finger zur Aufarbeitung gerührt hat, wollte offenbar wenigstens mit neuen Gesichtern ein Zeichen eines Neuanfangs setzen. Heil, der zuletzt reichlich überheblich-arrogant agiert hatte, passte da nicht ins Konzept, zumal er der dritte Niedersachse am Kabinettstisch gewesen wäre. Stattdessen holt Klingbeil nun die gerade aus dem Amt geschiedene Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als neue Arbeits- und Sozialministerin ins Kabinett, ein kluger Schachzug.

Bas hat sich in den vergangenen drei Jahren mit ihrer ruhigen, aber bestimmten Art großes Ansehen erworben, dazu kommt sie aus dem mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen, und soll offenbar – wie Politikanalysten in Berlin berichten – als Spitzenkandidatin der SPD für die nächste Landtagswahl in NRW aufgebaut werden. Erfahrung als Ministerin hat Bas indes nicht, ebenso wenig wie ihr ostdeutscher Kollege Carsten Schneider aus Thüringen, der neuer Umweltminister wird.
Die große Überraschung waren drei weitere Frauen in Klingbeils Ministerriege: Die erst 35 Jahre alte Reem Alabali-Radovan aus Mecklenburg-Vorpommern wird neue Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Alabali-Radovan war bisher Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, geboren ist sie in Moskau, ihre Eltern stammen aus dem Irak – viel mehr multikultureller Hintergrund geht nicht.
Rheinland-Pfalz: Hubertz als Bauministerin, Hubig Justizministerin
Die beiden letzten SPD-Posten aber gehen allesamt an Rheinland-Pfälzerinnen: Die Triererin Verena Hubertz wird neue Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauen, das ist durchaus eine Überraschung, sitzt die 37-Jährige doch erste seit 2021 überhaupt im Deutschen Bundestag. Dort wurde sie aus dem Stand heraus stellvertretende Fraktionsvorsitzende, offenbar verhalf ihr auch ihre Vergangenheit als Startup-Gründerin jetzt zu einem Ministeramt – dabei hat Hubertz keinerlei Regierungserfahrung. Beobachter zweifeln, ob Hubertz jetzt schon das Format hat, gerade ein so schwieriges Ressort zu leiten.

Damit nehmen gleich zwei Frauen am Berliner Kabinettstisch Platz, die enge Vertraute von Ex-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) waren: Hubertz Karriere wurde durch die in Trier lebende Dreyer stark gefördert – und Stefanie Hubig wurde von Dreyer nach Mainz geholt. Die 56 Jahre alte Juristin wurde im Mai 2016 überraschend neue Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, dabei hatte sie mit dem Bildungsressort nie etwas zutun gehabt: Hubig gilt als exzellente Juristin. Nach dem Jura-Studium in Regensburg war die gebürtige Frankfurterin zunächst als Richterin und Staatsanwältin in Ingolstadt tätig, bevor sie im Jahr 2000 als Referentin ins Bundesjustizministerium wechselte.
Von 2008 bis 2013 arbeitete Hubig schon einmal in der Landesregierung Rheinland-Pfalz im Bereich Justiz und Verfassungsrecht, 2014 holte sie der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) als Staatssekretärin nach Berlin. Dort kam es 2015 zum Eklat: Der damalige Generalbundesanwalt Harald Range hatte nach der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente auf der Plattform Netzpolitik.org Ermittlungen wegen Landesverrats eingeleitet, darüber kam es zum heftigen Streit zwischen ihm und Maas – der Minister entließ Range kurz danach.
Schule, Kitas, Reformen: Es hagelte Kritik an Ministerin Hubig
Das Pikante dabei: Range beharrte damals darauf, Justiz-Staatssekretärin Hubig habe ihm in einem Telefonat die Weisung erteilt, die Ermittlungen wegen Landesverrats einzustellen., wie die Deutsche Welle damals berichtete – und Range mit Entlassung gedroht. Mehr als 20 Strafanzeigen gingen damals gegen Hubig wegen Strafvereitelung im Amt ein, wirklich aufgeklärt wurde die Sache nie: Hubig bestritt die Vorwürfe stets, Maas verhedderte sich in Widersprüche vor Ausschüssen – ein Geschmäckle blieb.

Im Mai 2016 holte Ministerpräsidentin Malu Dreyer die in Zweifel geratene Hubig dann nach Mainz – zur Überraschung vieler als Bildungsministerin. Erfahrung mit Schule oder Kitas hatte Hubig keine, mit beiden Themenfeldern schien sie auch im Laufe der folgenden neun Jahr nie so richtig warm geworden zu sein. Während sie als Präsidentin der Kultusministerkonferenz viel Anerkennung bekam, blieb sie in der Bildungslandschaft in Rheinland-Pfalz stets umstritten: zu kalt und distanziert das Auftreten, zu wenig Einfühlungsvermögen für Lehrer, Kitaleitungen und die Bedürfnisse des Bildungssektors.
Besonders deutlich wurde das an dem sogenannten „Kita-Zukunftsgesetz“, das Hubig 2019 auf den Weg brachte: „Die Kinder sind und bleiben die Leidtragenden“, klagte die Gewerkschaft Ver.di 2024 in ihrer Bilanz zum 5. Jahrestag der Reform. Hubig habe damals „mehr Qualität, mehr Geld, mehr Gebührenfreiheit“ versprochen, eingetreten sei das Gegenteil: Frustrierte Erzieherinnen, schlechtere Betreuung, Ausfälle von Betreuungszeiten. „Ministerin Hubig hat keine Ahnung von den katastrophalen Zuständen in den Kitas im Land“, klagte die CDU-Opposition noch in diesem Februar im Landtag.
Kita-Reform: „Schlag ins Gesicht“, Kita-System „kurz vor Kollaps“
Der wiederkehrende Vorwurf: Die Ministerin höre einfach nicht zu. Im Mai 2023 warnten fast 100 Kita-Leiterinnen und Erzieherinnen in Mainz, das Gesetz sei „ein Schlag ins Gesicht“ gewesen und habe insbesondere die Finanzierung und Personalversorgung in den Kitas prekärer anstatt besser gemacht – das Kita-System stehe „kurz vor dem Kollaps“. Reaktion der Ministerin: alles auf gutem Weg.

Genau das Gleiche erlebten Schulen und Kitas in der Coronazeit: Ihre vehementen Forderungen nach Maskenregelungen, Luftfiltern und Coronatests wurden vom Ministerium mit Schweigen und Abwehr beantwortet. Die Opposition kritisierte immer wieder mangelhaften Infektionsschutz in den Einrichtungen, Erzieherinnen zogen gar 2022 frustriert und wütend vor die Staatskanzlei – erst nach langem Druck und nur durch bundesweite Regelungen bewegte sich das Ministerium. Ministerin Hubig wälze die Verantwortung einfach auf die Schulen ab, und drücke sich vor Regelungen, hieß es immer wieder – die gleiche Kritik gab es nun in Sachen Handyverbot: Während andere Bundesländer zentrale Regelungen schaffen, verwies Hubig darauf, die Schulen könnten das doch regeln.
Dass Hubig nun erneut nach Berlin wechselt, dürfte für ein erhebliches Aufatmen in der Bildungsszene in Rheinland-Pfalz sorgen – und womöglich auch am Kabinettstisch in Mainz. Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD), noch nicht einmal ein Jahr im Amt, muss sich im März 2026 seiner ersten Landtagswahl stellen, einfach wird das für die SPD nicht. Mit Hubigs Abgang bekommt er nun die Chance, das für die Länder zentral wichtige Bildungsressort an jemanden zu vergeben, der die Herzen der Bildungsszene eher erreicht – und womöglich positive Botschaften in dem Bereich senden kann.

Schweitzer: Drei Minister in Berlin „toller Verhandlungserfolg“
Der designierte Bundeskanzler Merz allerdings bekommt nicht nur eine höchst erfahrene Ministerin an seinen Kabinettstisch, sondern auch eine vorbelastete: In der Corona-Pandemie warfen mehrere hochrangige Wissenschaftler Hubig „Propaganda“ in eigener Sache vor – Hubig hatte nach einem Symposium in ihre Hause die Aussagen der Corona-Experten genau andersherum dargestellt, als sie gefallen waren. Hubig hatte behauptet die Experten seien „sich einig gewesen“, dass „Schulen keine Treiber der Pandemie“ seien – die zitierten Experten protestierten empört: Das sei falsch und „mehr oder minder reine Propaganda“. Konsequenzen für die Ministerin: keine, Hubig schob den Fehler auf ihre Pressestelle.

Bleibt die Frage: Wieso überhaupt ist Rheinland-Pfalz auf einmal so stark am Kabinettstisch in Berlin vertreten? Die Antwort: das könnte an Friedrich Merz liegen. Der CDU-Chef hatte vor einer Woche überraschend den Eifeler Bundestagsabgeordneten Patrick Schnieder zum Bundesverkehrsminister nominiert, daraufhin brach in der rheinland-pfälzischen SPD Hektik aus: Dass kurz vor der wichtigen Landtagswahl ein rheinland-pfälzischer CDU-Mann als Minister in Berlin wirken würde, aber schon wieder kein einziger Sozialdemokrat aus Rheinland-Pfalz am Kabinettstisch sitzen würde – das sorgte für Unruhe und womöglich auch für Intervention.
Dafür spricht auch, dass Ministerpräsident Schweitzer persönlich am Montag in Berlin zur Pressekonferenz mit Hubig und Hubertz bat. „Rheinland-Pfalz wird in dieser Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen – und das ist auch gut so“, verkündete Schweitzer stolz – man habe nun drei „starke Fürsprecher für unser Land in der Bundesregierung“. Dass man gleich zwei „sehr erfahrene, kompetente und zupackende Rheinland-Pfälzerinnen nach Berlin“ schicke, sei „großartig“ und „ein toller Verhandlungserfolg.“ Wer Hubigs Nachfolgerin in Mainz werden soll, dazu äußerte sich Schweitzer nicht.
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