Am 6. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden: Kabarettist, Poet, Meister der Alltagsbeobachtungen, die er in feinsinnig gedrechselten Endlos-Sätzen zu Bildern des Liebevoll-Absurden malte – ein Eulenspiegel der Nachkriegsmoderne. Die Rede ist von einem, der mehr als 40 Jahre in Mainz lebte, und dennoch heute immer mehr in Vergessenheit gerät: Hanns Dieter Hüsch. An den Meister Kabarett-Poeten erinnert nun ein kleines Büchlein, in dem sich knapp 50 Freunde, Fans und Weggefährten an Hüsch erinnern, ihn würdigen – und eine Renaissance fordern: „Man müsste Hüsch jeden Mittag auf dem Marktplatz lesen“, sagt seine zweite Frau Christiane Hüsch-von Aprath.

Hanns Dieter Hüsch und seine Glocke, die er dem Mainzer Unterhaus zu dessen Gründung vermachte. - Foto: Mainzer Unterhaus
Hanns Dieter Hüsch und seine Glocke, die er dem Mainzer Unterhaus zu dessen Gründung vermachte. – Foto: Mainzer Unterhaus

Seine Glocke wird bis heute im „Mainzer Unterhaus“ geläutet, jenem Tempel von Kabarett und Kleinkunst, von dem aus das Kabarett nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Siegeszug durch die Republik antrat. Größter Unterstützer und quasi erster Haus-Kabarettist war niemand anders als Hanns Dieter Hüsch, jener Legende des bundesdeutschen Nachkriegskabaretts. „Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Synchronsprecher und Rundfunkmoderator“, vermerkt die Homepage hannsdieterhuesch.de trocken, all das ist wahr, und doch war „HDH“, wie ihn seine Freunde nannten, vor allem eines: ein Meister der satirischen Poesie.

Geboren wurde Hanns Dieter Hüsch am 6. Mai 1925 in Moers am Niederrhein, eine Missbildung seiner Füße bewahrte ihn vor dem Wehrdienst im Nationalsozialismus, und prägte den jungen Mann zugleich tief: Das Immer-Wieder-Aufstehen, der Kampf um Normalität im Ausgegrenztsein, das prägte Hüsch tief. Nach dem Krieg kam Hüsch nach Mainz, studierte hier Theaterwissenschaften, Literaturgeschichte und Philosophie – doch vor allem begann er zu schreiben.

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Poet, Liedermacher, Meister der Allerwelts-Beobachtungen

Sein Weg führte ihn schnell ins Kabarett: Hüsch beteiligte sich am Mainzer Studenten-Kabarett „Die Tol(l)eranten“ und trat bereits 1949 als Chansonnier mit seinem ersten Soloprogramm „Das literarische Klavier“ auf“, wie es bei Wikipedia heißt. „Ganz früher – nicht in grauer Vorzeit – sondern als ich anfing, mich mit der Kleinkunst und dem Kabarett zu beschäftigen, nämlich in den Jahren 1946, 47 und 48, da war ich ja noch ein richtiger Liedermacher“, schrieb Hüsch einmal selbst, wie die Homepage Huesch.info berichtet.

Hanns Dieter Hüsch mit typischer Mimik und Gestik bei einem seiner "Konzerte". - Screenshot: gik via Youtube
Hanns Dieter Hüsch mit typischer Mimik und Gestik bei einem seiner „Konzerte“. – Screenshot: gik via Youtube

„Damals sagte man Chansonnier. Und dann erst fing ich an, neben den Liedern reine Texte zu schreiben, Gedichte und rhythmische Prosa, literarische Collagen, politische Satiren und Privatpoesien“, zählte Hüsch selbst einmal auf. Aus alle dem aber entstand vor allem immer eines: „pure Geschichten, Kleinigkeiten, Allerweltsereignisse und Alltagserlebnisse, und dann die Geschichten, wo die Zuhörer immer zu mir kommen und sagen, sie müssen bei uns im Schrank gesessen haben“, schrieb Hüsch: „Und ich sage, das kann nicht sein, denn ich war an dem Tag ganz woanders.“

Genau das war so typisch für Hüschs Texte und Geschichten: Der genaue Blick in den Alltag der Menschen, gepaart mit dieser ironischen Brechung, die so einmalig war, und eben genau jenen Blick des Eulenspiegels auf das Menschlich-Allzumenschliche seiner Mitmenschen. Hüsch erzählte „Menschengeschichten. Banalitäten. Nebensächliches. Unbedeutendes“ – scheinbar. Hüsch schrieb Psychogramme der deutschen Alltagswelt, das war nie banal und schon gar nicht unpolitisch, im Gegenteil: Im Alltäglichen, Biederen, Spießigen und Banalen machte Hüsch das Politische im Privaten sichtbar, und prangerte an. Die einen spielen Tennis, die anderen spielen Aufklärung“, sagte er einmal in einem seiner Programme – zu finden hier auf Youtube:“Die polyphonische Krankheit“.

Ein Mikrofon, eine Mini-Orgel und ein Mann mit vielen Worten

Er war der Meister der leisen Töne: Ein Mikrofon, ein einfaches Pult oder die Mini-Orgel, darauf handgeschriebene Notizseiten – und ein etwas kahlköpfiger Mann mit Brille und Bart, der beinahe ununterbrochen redete.  Den „poetischsten aller Kabarettisten“ nannte ihn der spätere Bundespräsident Johannes Rau (SPD) einmal. „Es gibt Sätze bei Hüsch, die sind von einer poetischen Kraft und zugleich von einer Konkretheit, dass sich ein Vergleich mit Tucholsky aufdrängt“, schrieb einmal der Publizist Henryk M. Broder, das war bereits im Jahr 1978.

Cover des Erinnerungsbuches an Hanns Dieter Hüsch zu seinem 100. Geburtstag. - Foto: gik
Cover des Erinnerungsbuches an Hanns Dieter Hüsch zu seinem 100. Geburtstag. – Foto: gik

Tucholsky, Bert Brecht und Thomas Bernhard gehörten zu den Lieblingsautoren Hüschs, seine Prosa machte ihn zu den Leisen auf der Bühne in einer Zeit, in der Kabarett laut, wild, schrill und anklagend daherkam. Auf dem legendären Liedermacherfestival der Burg Waldeck im Hunsrück wurde Hüsch in den 1970er Jahren genauso ausgebuht wie ein Reinhard Mey: Unpolitisch sei er, beziehe nicht klar genug Stellung, das warfen ihm die Studenten der 68-er Bewegung vor.

„Hanns Dieter Hüsch hat stets die grundlegenden Fragen gestellt, danach, was vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg geschah. Nach dem Holocaust, den Machtstrukturen im Heute“, schreibt Renate Künast, Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin der Grünen, in einer Erinnerung an Hüsch: „Er hat nicht einfach hingenommen, wie die Verhältnisse sind. Er hat sich nicht mit der Idee zufrieden gegeben, sich ins Private zurückzuziehen.“ Stattdessen habe Hüsch „mit analytischer Präzision“ gefragt, „warum die aktuelle Situation so ist, (…) und wie es stattdessen gehen könnte.“

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Erinnerungen an Hüsch: „Ich war schockverliebt“

Und genau damit habe Hüsch sie mehr angesprochen und inspiriert, als die laute Studentenbewegung: „Ich war fasziniert von der Kraft seiner Worte, von der Präzision seiner Beschreibungen, und: er drückte oftmals meine Fragen sowie meine Emotionen aus.“ Der Text ist erschienen in einem kleinen Büchlein mit dem sehr einfachen Titel: „Hanns Dieter Hüsch zum 100. Geburtstag – Erinnerungen von Freunden und Bewunderern.“ Auch ein kleiner Text der Internetzeitung Mainz& über „Hüsch & Mainz“ ist dort zu finden – es ist ein Auszug aus diesem Mainz&-Artikel vom Dezember 2024.

Malte Leyhausen, selbst einige Jahre als Profi-Kabarettist tätig, sammelte die Erinnerungen an Hanns Dieter Hüsch und gab si als Anthologie heraus - hier ein Selfie mit der Hüsch-Büste von Karlheinz Oswald. - Foto: Leyhausen
Malte Leyhausen, selbst einige Jahre als Profi-Kabarettist tätig, sammelte die Erinnerungen an Hanns Dieter Hüsch und gab si als Anthologie heraus – hier ein Selfie mit der Hüsch-Büste von Karlheinz Oswald. – Foto: Leyhausen

Gesammelt und herausgegeben hat diese Erinnerungen der Buchautor Malte Leyhausen, der einige Jahre selbst als Profi-Kabarettist aktiv war. Mit 16 Jahren habe er die ersten Sätze von Hüsch im Musikunterricht seines Gymnasiums in Neuss am Niederrhein gehört, „ich war schockverliebt“, schreibt Leyhausen selbst in seinem Erinnerungs-Essay: „Das satirische Psychogramm meiner Landsleute traf dermaßen ins Schwarze, dass ich als Pubertier Hüsch wie einen neuen Kontinent entdeckte.“ Die Verbindung zu dem Kabarett-Poeten kam aber auch übers Elternhaus zustande: Der Illustrator Jürgen „Moses“ Pankarz zählte zu den Freunden von Leyhausens Familie – und hatte immer wieder Zeichnungen über und für Hüsch angefertigt.

„Das schwarze Schaf vom Niederrhein“ – wie sich Hüsch gerne selbts bezeichnete – wurde so zu einem heute legendären Plattencover aus der Feder von „Moses“ Pankarz. „Zuverlässig, liebenswert, ein guter Zuhörer“, so erinnert sich nun Pankarz in der Hüsch-Anthologie an den langjährigen Freund: Zusammen essen, dazu ein Glas Wein. Vielleicht zwei. Oder drei. Oder… Und dann reden. Reden über Gott und die Welt. Über Menschen. Dinge. Träume, Auch Triviales, Witze eingeschlossen.“ Das Niederrheinische „vom Hölzken aufs Stöcksken“ zu kommen – so waren auch Hüschs Texte auf der Bühne.

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„Seine Freundlichkeit wurde als Harmlosigkeit missverstanden“

„Hüsch hatte nicht nur einen besonders klaren Blick für die Absurditäten des Alltags. Er hatte vor allem ein unbestechliches Ohr für die falsche Töne“, schreibt Jürgen Hardeck, ebenfalls ein Weggefährte Hüschs, und seit 2021 Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Kulturministerium in Mainz: „Seine scheinbar endlosen Assoziationsketten (…) waren meisterhaft komponierte Minimalmusiken des Lebens.“

Kultur-Staatssekretär Jürgen Hardeck erinnert sich ebenfalls an Hanns Dieter Hüsch. - Foto: MFFKI, Jana Kay
Kultur-Staatssekretär Jürgen Hardeck erinnert sich ebenfalls an Hanns Dieter Hüsch. – Foto: MFFKI, Jana Kay

Hüschs „unbeirrbare Freundlichkeit“ sei manchmal „als Harmlosigkeit missverstanden worden“, schreibt Hardeck weiter, doch Hüsch sei „durchaus immer politisch geblieben – auf seine eigen, tiefgründige Art.“ Hüsch habe immer gegen ungerechte Zustände rebelliert, er „dichtete auch wunderbare Lieder über die unaufhebbare Tragik menschlichen Daseins.“ Eines dieser Lieder, das so viele seiner Kollegen nachhaltig inspirierte, war sein „Ich singe für die Verrückten, die seitlich Umgeknickten“, in dem es weiter heißt: „An ihrem Tisch in Küchen sitzen,/ Und keiner Weltanschauung nützen,/ Die tagelang durch Städte streifen/ und die Geschichte nicht begreifen.“

Hüsch habe irgendwann aufgehört, sich mit Tagespolitik oder gar mit Politikern und Parteien in seinen Programmen zu beschäftigen, schreibt der Kabarettist Mathias Richling in seinem Vorwort zur Anthologie: „Ihm war wichtiger, die allgemeinen, großen, immergültigen Themen des Lebens, und damit auch des politischen Lebens abzuhandeln. Und damit sind seine Texte heute noch oft ausgesprochen tagesaktuell.“ Und Richling kritisiert, es sei ihm „unverständlich, dass bei dem ganzen Wiederholungswahn“ der Fernsehanstalten ausgerechnet Sendungen und Beiträge von Hanns Dieter Hüsch keinen Platz fänden.

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Warum gibt es keine Wiederholungen von Hüschs Auftritten im TV?

Vielleicht liegt es daran, dass die Gesellschaft der Social Media-Demokratie das Zuhören verlernt hat, das fehlende Interesse am Tiefgang kann es eigentlich nicht sein: Fast 50 Weggefährten erinnern sich wehmütig und liebevoll an Hüsch, darunter Kabarett-Größen wie Jochen Malmsheimer oder Arnulf Rating, Lars Reichow oder Jürgen Becker, aber auch die Sängerin Katja Ebstein oder Jürgen Kessler, langjähriger Manager und Fahrer Hüschs und langjähriger Leiter des Deutschen Kabarettarchivs in Mainz. Hier steht heute auch die Bronze-Büste, die der Künstler Karlheinz Oswald 2016 von Hüsch anfertigte.

Selfie von Malte Leyhausen mit dem Mainzer "Stern der Satire", der Hanns Dieter Hüsch gewidmet ist. - Foto: Leyhausen
Selfie von Malte Leyhausen mit dem Mainzer „Stern der Satire“, der Hanns Dieter Hüsch gewidmet ist. – Foto: Leyhausen

Herausgekommen ist ein Bändchen, in dem sich wunderbar schmökern lässt, und dass vieles der vergangenen Jahrzehnte Revue passieren lässt – von Studentenbewegung und Liedermacher-Zeit bis hin zu den Kleinkunstbühnen und Medienentwicklungen. „Radio sollte zum Dudelfunk werden. Zum Weghören“, kritisiert etwa Arnulf Rating, und zitiert Hüsch, der damals mahnte: „Genehmigt auch den freien Geist, Wenn Ihr noch wisst, was Freiheit heißt.“ Erinnerungen aber vermerken auch  zahlreiche hohe Vertreter der evangelischen Kirche in Deutschland, darunter Bischöfin und Ex-Ratsvorsitzende Margot Käßmann sowie der frühere Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland-Nikolaus Schneider.

Denn Hüsch war auch ein gläubiger Christ, trat auf Kirchentagen auf und in Kirchengemeinden, einen „theologischen Poeten“ nennt ihn Schneider, einen, dessen Worte aufrütteln und zugleich ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern. Und so überrascht es nicht, dass Richling fordert, mehr Hanns Dieter Hüsch zu wagen – vor allem im Fernsehen. Und Hüschs zweite Ehefrau Christiane erinnert am Ende des Bandes im Gespräch mit Herausgeber Leyhausen an seine Empörung über und seinen Kampf gegen den wieder aufkeimenden Faschismus in seiner Zeit. „Man müsste“, sagt sie noch, „Hüsch jeden Mittag auf dem Marktplatz lesen.“

Hanns Dieter Hüsch starb am 6. Dezember 2005 mit 80 Jahren – und nach mehr als 70 Bühnenprogrammen. Die Glocke, das Markenzeichen seiner ersten politischen Kabaretttruppe „Arche-Nova“ wird bis heute im Mainzer Unterhaus geläutet und ist wird hier als Deutsche Kleinkunstpreis verliehen. Der 274 Seiten starke Erinnerungsband ist im Books on Demand-Verlag erschienen, sein Erlös kommt dem Freundeskreis Hanns Dieter Hüsch e. V. zugute, dessen Mitglieder sich dem Andenken an den Kabarett-Poeten widmen.

Info& auf Mainz&: Das Buch „Hanns Dieter Hüsch zum 100. Geburtstag – Erinnerungen von Freunden und Bewunderern“ ist als Taschenbuch für 18,- Euro, als Hardcover für 28,- Euro oder als E-Book für 9,49 Euro zu haben. Bestellt werden kann es direkt hier bei BoD, oder auch hier die Taschenbuchausgabe bei Amazon und hier die gebundene Ausgabe bei Amazon. Auch Buchläden können es natürlich besorgen. Die Homepage von Malte Leyhausen findet Ihr hier im Internet.

Am Dienstagabend, des 6. Mai 2025, ist zudem Hüschs Tochter Anna im Deutschen Kabarettarchiv in Mainz zu Gast und erinnert mit Gedichten, Texten und Liedern an ihren Vater. Infos, Preis und Anmeldung zu „Mein Vater, der Poet“ hier im Internet.

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