Mit kilometerlangen Traktoren-Korsos haben sich Landwirte auch in Rheinhessen gegen weitere Kürzungen im Bereich der Landwirtschaft gewehrt – und Konzepte für eine Zukunft der Landwirtschaft gefordert. Ab den frühen Morgenstunden wurden Autobahnauffahrten für kurze Zeit blockiert, danach rollte ein bis zu 20 Kilometer langer Protestkorso mit 1.850 Fahrzeugen auf der Autobahn A63 Richtung Mainz. Die Proteste blieben nach Angaben von Verbänden und Polizei absolut friedlich, die Wut der Landwirte ist indes groß: Die Mehrfachbelastungen seien nicht mehr zu stemmen, viele Existenzen bedroht, man fordere endlich einen verlässlichen Plan zum Umbau der Landwirtschaft in Richtung Klimaschutz.
Es dürfte der wohl größte Demozug gewesen sein, den Rheinhessen und Rheinland-Pfalz je gesehen haben: Rund 1.500 Traktoren, 250 Lkw und 100 Pkw sind am Montagvormittag in einem Protestkorso über die Autobahnen in Richtung Mainz gerollt. Rund 100 Traktoren durften in einer Demo-Abordnung einen kurzen Rundkurs durch die Landeshauptstadt drehen, die übrigen Protestierenden versammelten sich auf dem Messegelände in Mainz-Hechtsheim. Die A63 musste zeitweise voll gesperrt werden, die komplette Kundgebung blieb absolut friedlich.
Es war eine höchst beeindruckende Ansammlung von Traktoren aller Größe, Alter und Baujahr, die sich da am Stadtrand von Mainz am Montagnachmittag versammelte. Vielen hatten ihre Traktoren mit Plakaten geschmückt, darauf prangten Parolen wie „Landwirte ernähren uns alle“, „Kein Bauer = kein Bier, Schnaps, Wein“ oder „Ohne Landwirtschaft wärst Du hungrig, nackt und nüchtern.“ Viele forderten mit Plakaten mehr Respekt für die Leistungen der Landwirte ein oder kritisierten, mit weiteren Kürzungen würden nur klimaschädliche Importe von Lebensmitteln steigen.
Protestwoche gegen Ampel-Politik gestartet: „Genug ist genug“
Unter dem Motto „Genug ist genug“ hatten der Bauern- und Winzerverband und die Verbindung Landwirtschaft verbindet (LSV RLP) am Montag zu einer Großkundgebung in allen Landesteilen aufgerufen. Die Landwirte wollen damit in eine Protestwoche starten, deren Höhepunkt eine Großdemo in Berlin am kommenden Montag sein soll. Im ganzen Land kam es am Montag zu erheblichen Verkehrsbehinderungen durch kilometerlange Traktoren-Korsos und Kundgebungen.
Auch in Rheinhessen hatten Landwirte bereits am frühen Morgen ab 6.00 Uhr Kreuzungen und Autobahnauffahrten blockiert – die Kundgebungen waren angemeldet und mit Polizei und Ordnungsbehörden abgestimmt. Überall wurden Rettungsgassen freigehalten, Rettungswagen sowie dringende medizinische Fahrten wurden reibungslos ermöglicht. „Es lief alles absprachegemäß“, sagte der Sprecher der Mainzer Polizei, Rinaldo Roberto, am Mittag auf Mainz&-Abfrage. Übergriffe gegen Polizeibeamte oder auch sonstige unfriedliche Vorkommnisse habe es keine gegeben.
Tatsächlich habe auch die Bevölkerung „einen sehr entspannten Umgang“ mit den Behinderungen an den Tag gelegt, sagte Roberto weiter: „Die Menschen haben das relativ geduldig hingenommen.“ Die Stadt sei deutlich leerer gewesen als sonst an einem Montagmorgen, viele offenbar zuhause geblieben – das befürchtete Verkehrschaos sei ausgeblieben. Dabei hatte sich gegen 9.00 Uhr am Morgen ein riesiger Protestzug in Alzey in Bewegung gesetzt, die Autobahn 63 musste in Richtung Mainz zeitweise voll gesperrt werden.
Co2-Abgabe, Kürzungen bei Agrardiesel: „Mehrfachbelastung“
„Es sieht so aus, als wäre alles gut gelaufen“, sagte am Mittag auch der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, Eberhard Hartelt: „Dafür bin ich sehr dankbar.“ Im Vorfeld des Protesttages hatte es Warnungen vor der Unterwanderung oder Instrumentalisierung der Proteste durch rechtsextreme Gruppierungen gegeben, doch in Rheinhessen war davon nichts zu sehen oder zu hören. „Ich selbst habe heute Morgen in Göllheim gestanden“, berichtete Hartelt, „ich habe sehr viel Verständnis gehört aus der Bevölkerung – der Rückhalt ist da.“
Tatsächlich gaben bei einer Umfrage des Magazins Spiegel Online 70 Prozent der Befragten an, die Bundesregierung solle die geplanten Kürzungen bei den Landwirten zurücknehmen – die ganz große Mehrheit der Bevölkerung äußerte bisher Verständnis oder gar Zustimmung zu den Protesten. Die Landwirte protestieren unter dem Motto „Genug ist genug“ seit Ende Dezember gegen die geplante Kürzung der Agrardiesel-Subventionen sowie den Stopp von der Kfz-Steuerbefreiung – letztere hat die Bundesregierung inzwischen wieder fallengelassen.
„Wir fordern die Bundesregierung auf, beide Kürzungen zurückzunehmen“, betonte Hartelt indes am Montag. Die Betriebe würden ja längst nicht nur durch diese beiden Kürzungspläne belastet: „Wir sind alle auch betroffen von der CO2-Abgabe, auch Bauern sind Bürger die in Wohnungen leben, sie heizen müssen, ihre Kinder zur Schule fahren müssen“, betonte Hartelt. Zum 1. Januar 2024 hatte die Bundesregierung den Preis pro Tonne CO2 auf 45 Euro pro Tonne angehoben, damit verteuern sich in diesem Jahr Benzin, Heizöl sowie Strom noch einmal deutlich.
„Sind auf unsere Diesel angewiesen – es gibt keinen Ersatz“
„Das hier ist eine Mehrfachbelastung, hier sind die Grenzen der Belastbarkeit einfach erreicht“, kritisierte Hartelt. Dazu komme: „Wir sind in unseren Betrieben einfach auf Diesel für unsere Traktoren angewiesen.“ Es gebe schlicht keine alternative Antriebsarten, erste Ansätze zu E-Antrieben gebe es nur für Kleinschlepper und Hoftrucks, erklärte Hartelt: „Gerade bei großen Maschinen steht keinerlei alternative Lösung zur Verfügung – und das ist auch das, was uns so ärgert: Es gibt überhaupt keine Ersatzmöglichkeiten.“
„Es gibt keinerlei Alternativen, und es wird sie auch auf absehbare Zeit nicht geben“, betonte auch Jan Ruzycki von der Vereinigung „Landwirtschaft verbindet“! (LSV RLP). Dazu komme, dass Traktoren, die neu angeschafft würden, über 20 Jahre abgeschrieben werden müssten – „wir denken eben nicht in Wahlperioden, sondern in Generationen“, betonte der Landwirt und Winzer aus dem rheinhessischen Hahnheim. Die zunehmenden Belastungen für die Landwirtschaft seien vielfältig, und ein großes Thema in der Landwirtschaft: „Der Zuspruch von den Landwirten heute zeigt ja, dass es jeden trifft.“ Die Landwirte seien sehr entschlossen, gegen die Entscheidungen der Bundesregierung auf die Straße zu gehen.
„Wir erleben momentan eine Mobilisierung, die ist allein in Rheinhessen wahnsinnig“, sagte auch sein Bruder Thilo Ruzycki, Vorsitzender von LSV RLP. Mit weit mehr als 1.000 Fahrzeugen habe Rheinhessen eine der größten Veranstaltungen bundesweit auf die Straße gebracht. „Wir gehen für die Landwirtschaft auf die Straße“, betonte Thiolo Ruzycki: „Wir sehen uns als eine der Standes-Bauernvertretung, aber nicht als Sprachruhr einzelner Parteien oder Gruppierungen – egal aus welchem Bereich.“
Landwirte fühlen sich in Extremismusecke geschoben
Die Landwirte erlebten derzeit aber gerade über die sozialen Netzwerke starke Anfeindungen, berichtete Jan Ruzycki weiter: „Wir stehen in einem Kreuzfeuer, weil wir der Regierung entgegen getreten sind – aber das ist ja noch keine Extremhaltung.“ Es sei das demokratische Recht der Landwirte, „dass wir im Rahmen des Rechtsstaats den Entscheidungen entgegen wirken“, betonte er. Das Fernsehen aber lade dann „eine Extremismusforscherin ein, die über uns berichtet“, kritisierte er, und betonte: „Die Dame kann gerne mal bei uns vorbei kommen – bei uns muss sich kein Polizist fürchten ,angegangen zu werden.“
Tatsächlich aber fand sich auf dem Messegelände in Hechtsheim auch ein Traktor, der ein Galgensymbol mit sich führte, an dem eine Strohpuppe hing – dabei hatte der Bauernverband explizit betont, solche Symbole seien nicht erwünscht und nicht hilfreich. das Schild am Traktor stellte indes einen Zusammenhang mit einer angeblich erhöhten Selbstmordrate von Landwirten her – aber mit dem Spruch „Die Ampel lässt uns hängen“ auch zur Politik von SPD, Grünen und FDP.
Die überwiegende Mehrheit der Landwirte drückte sich indes deutlich demokratischer aus: „Ampel ruiniert Landwirtschaft“ heiße es da etwa, oder schlicht: „Die Ampel ist kaputt.“ Auch Aufkleber wie „No AfD“ wurden an den Traktoren gesichtet, sehr beliebt war auch ein weiterer Slogan: „Die Landwirtschaft ist bunt, nicht braun“, hieß es da – Untersuchungen zeigen, dass gerade auch die jüngere Landwirtschaft längst deutlich diverser geworden ist als früher, auch bei ihren politischen Vorlieben. „Die Landwirtschaft fühlt sich derzeit nicht gehört“, sagte Thilo Ruzycki, deshalb sehe man keine andere Möglichkeit mehr, als auf die Straße zu gehen.
Rekordumsätze sind nicht Gewinne: „Scheindiskussion“
Die Betriebe hätten bereits vor den Sparbeschlüssen der Regierung hohe Verluste bei verschiedenen Investitionstöpfen und Förderungen hinnehmen müssen, betonte Hartelt zudem, unter anderem im Bereich Altersvorsorge – „all das bringt das Fass zum Überlaufen.“ Die Investitionstätigkeit in den Betrieben habe dramatisch abgenommen, es werde nicht mehr in Anlagen, Ställe oder Hallen investiert. Das zeige, wie groß die Zweifel der Landwirte an verlässlichen Rahmenbedingungen für die Zukunft seien, unterstrich Hartelt: „Wenn das wirklich so wäre, dass wir Landwirte und Winzer mit Subventionen zugeschmissen werden, wieso haben dann seit 1970 von vier Betrieben drei ihre Hoftore geschlossen?“
Auch Ruzyckis betonten, die derzeit kolportierten hohen Unternehmensgewinne seien „eine Scheindiskussion“: Von den Umsätzen müssten Investitionen getätigt werden, lebten meist mehrere Generationen auf einem Hof – und die Arbeitszeiten decke das ohnehin nicht ab. „Eine 35 Stundenwoche, wie von der Bahn gefordert – das gibt es bei uns nicht“, sagte Ruzycki, viele Landwirte erhielten für ihre Arbeitszeit umgerechnet nicht einmal Mindestlohn.
„Wer die hohen Gewinne bekommen hat, weiß ich nicht – wir jedenfalls nicht“, betonte der Landwirt. Zudem müssten in der Landwirtschaft mit fetten Jahren auch magere Jahre ausgeglichen werden, da werde über zehn bis zwanzig Jahre gerechnet. Auch Winzer Marcel Sieben betonte, die angeblichen Rekordgewinne seien bei ihm im Winzerhof nicht angekommen: Kämen die Kürzungen gerade beim Agrardiesel, „wäre das für uns ein großes Problem“, sagte der Winzer im Interview mit Mainz&.
Gleichzeitig werde von den Landwirten auch immer mehr an Leistungen gefordert, gerade für Klima, Biodiversität und Umweltschutz, sagte Hartelt, und betonte: „Wir sperren uns als Branche nicht gegen Klimaschutz.“ Die Vereinbarung in der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ sei aber gewesen, im Gegenzug einen Ausgleich zu erhalten, der die wirtschaftliche Grundlage der Landwirte sicher stelle – doch das Gegenteil sei nun der Fall: „Was im Moment stattfindet, ist handwerklich einfach schlecht gemacht, kurzatmig und hat mit einer langfristigen Strategie nichts zu tun“, schimpfte Hartelt in Richtung Bundesregierung: „Wir fordern Planbarkeit, Verlässlichkeit und eine Antwort auf die Frage: Wie sollen Landwirte von ihrer Arbeit leben?“
„Wir fordern Politik, die in Zukunft mit Weitblick gemacht wird und die Klima und Umwelt hilft“, betonte auch Thilo Ruzycki. Die Konsequenzen der momentanen Politik erreichten aber das Gegenteil davon. „Wir brauchen Sachpolitik mit Sachverstand, und daran hapert es deutlich“, kritisierte Ruzycki. Deshalb sei die Bereitschaft, weiter zu kämpfen, in der Branche auch sehr hoch: „Die Basis ist hochmotiviert, auch über den 15. Januar hinaus für ihre Rechte zu kämpfen“, betonte Jan Ruzycki: „Es geht einfach nicht mehr anders.“
Info& auf Mainz&: Mehr Hintergründe zu den Bauernprotesten lest Ihr auch hier bei Mainz&. Ein Video vom heutigen Traktoren-Korso könnt Ihr hier auf unserer Mainz&-Facebookseite sehen – sehr eindrucksvoll. Was uns dabei besonders auffiel: Jeder, wirklich jeder Traktor grüßte, winkte und hupte beim Vorbeifahren, obwohl wir doch ganz alleine dastanden – Dankeschön! Und wir haben noch eine kleine Fotogalerie von dieser außergewöhnlichen Demo heute: