Die Fastnacht tobt in den Sälen, der große Sitzungsreigen der Kampagne 2019 hat begonnen – da stürzen sich 355 närrische Gestalten in ihren Nachthemden auf die Straße, denn auch wenn die Kampagne gar nicht kurz ist: Es gilt jede Nachtstunde zu nutzen…. 2017 rief der Karneval Club Kastel seine legendäre Nachthemdensitzung aus den 1950er Jahren wieder ins Leben, sie wurde umgehend ein Hit. Zumal der KCK ein modernes, zeitgemäßes Konzept aufgelegt hat: Zwei Bühnen an den Enden des Saals, ein Moderator statt einem Komitee, und eine rasante, drei Stunden kurze Sitzung mit viel Schwung und tollen Rednern. Keine Chance zum Wegnicken – hier wird echte Meenzer Fassenacht gefeiert!
„Ein Hoch auf uns, auf diese Stadt, ein Hoch auf Mainz“, singt die Spassmacher Company gleich zu Beginn der Sitzung, und nein, verschlafen kommt da gar nicht in Frage: Die Gesangstruppe heizt dem Saal höchst schwundvoll ein. Es ist Freitagnacht, und im Saal tummeln sich höchst altertümliche Nachthemden und Nachtkappen, Zibbelkappe eben – und genau so lautet auch der Schlachtruf: „Zibbel – Kapp!“
Auch die Vereinsoberen vom KCK sind selbstverständlich im Nachthemd erschienen, ein Komitee gibt es nicht, dafür zwei Bühnen an jedem Ende des kleinen Bürgerhauses. „Im Nachthemd sind alle gleich, da machen wir lieber Programm“, hält sich der Conferencier des Abends gar nicht erst mit Begrüßungsarien auf – und der Moderator ist niemand anderes als Detlev Schönauer. Der Kabarettist, der sonst als Bio-Lehrer auf der närrischen Rostra steht, führt gekonnt und höchst schwungvoll durch den Abend und würzt seine Zwischenstücke mit so manchem gut gesetzten Gag.
„Die Rente heißt jetzt Abwrackprämie“, und statt ins Seniorenheim geht’s auf Kreuzfahrt, „das ist billiger, und der Service ist besser“, sagt der Schönauer – und schickt die Gäste auf große Kreuzfahrt mit Johannes Bersch als Direktor. Der servierte höchst zweideutige Narrenkost à la „schön, dass Sie alle eingeschifft sind, dann werden wir in Kürze sicher auch auslaufen“, schwimmt höchst vergnüglich mit elf Meter pro Secco durchs Kalauermeer und erzählt Witze passend zum Unter-Nachthemd – Gürtel hat’s ja grad keine.
„Von mir gibt es kein Duplikat“, sagt es Nadienchen, Nadine Meurer serviert einen Fastnachts-Quando mit viel Rhythmus. „Es hätt‘ so schee werde könne“, seufzt danach Marcus Schwalbach, der Gardist hatte sich so auf die Kampagne mit dem Gardisten-Motto gefreut – und jetzt? „Der General ist verschwunden, und er hat noch gerufen: Attacke Männer, wer sich morgen nicht erinnert, war nicht dabei“, berichtet Schwalbach, und sucht den Gardegründer sogar beim ökologisch-veganen Karnevalsverein Wiesbaden. Klar, dass man da nur mit Leberwurst-Smoothie das Buffet mit Tofu-Törtcher überlebt… Schwalbach nimmt grandios das Gardistenleben und das aktuelle Fastnachtsmotto auf die Schippe und wird völlig zu Recht frenetisch vom Publikum gefeiert.
Ein Fest fürs Auge ist das Ballett Inkognito, das dieses Jahr einen ganzen Zirkus auf die Bühne zaubert, Die Bänkelsänger kommen selbstverständlich auch im Nachthemd daher und singen sehr ausgeschlafen eine tiefböse Politposse über die Wiesbadener Schikeria, die Mainz unsicher macht, und einen Wiesbadener OB, der Erholung im Urlaub sucht und schließlich in Gonsenheim ein Eiskalter Bruder wird… Großartig. Markus Weber kommt beinahe unerkannt daher – nämlich als er selbst. Der Mann, der sonst in großer Maske Fräulein Baumann mimt, seziert als Kurpfälzer Mainzer die Wechseljahre des Mannes, aber vor allem die Anatomie der Mainzer Nase – eine furiose, gereimte Hommage an den Mainzer Zinken, der so exakt ins Schobbeglas passt…
Den Nachtvogel aber schießen Horst Siegholt und Pit Karg als Dr. Fred von der Flachzange und Herr Vilzbacher ab: Im unglaublichen Zwiegespräch nehmen sie die Fußballersprache so auseinander, dass von den Zuhörern im Saal keiner in der nächsten Zeit ein Fußballspiel sehen kann, ohne Rot zu werden. Wie doppeldeutig doch Manndeckung, Lattenkracher und Einlauf sein können…. Das ist große Narrenposse und man möchte mit Herrn Vilzbacher singen: „Ein Hoch auf Dich und meine Rebe, und auf die Promill, die in mir bleibt!“
Am Ende haben die Gäste einen ordentlichen Nachttrunk voller purster Narretei intus und wurden mit den träumenden Altrheinstromern ins (Bauern)Bett geschickt, und dort den fetzigen Bembeljeescher und ihrer Guggemusik übergeben. Nein, die Nachthemdensitzung ist nix für Schlafmützjer oder Nachtkappen. Doch eines tun die Kasteler Nachthemden jedes Jahr: sie küren einen „Nachthemdenbruder zu Arm und Leuchter“, und der „Träger des hölzernen Armleuchters“ (sic!) war in diesem Jahr ausgerechnet Sven Gerich. Gerade am Vortag hatte der Wiesbadener Oberbürgermeister (SPD) verkündet, wegen einer Affäre um Urlaubsreisen, Einladungen und dem Verdacht auf Vorteilsnahmen nicht zur Wiederwahl antreten zu wollen.
Nun wurde er auf die Narrenbühne gebeten und musste feierlich „bei meinem Nachthemd und meiner Zibbelkapp“ geloben, sein Nachthemd an jedem 11. zu tragen, immer aus eigener Tasche einen Nachttrunk auszugeben und ständig auszurufen: „Rechts des Rheins ist auch noch Mainz!“ Und Gerich stellte sich der Aufgabe ausgesprochen gut gelaunt und rief mit fester Stimme aus: „Ich gelobe feierlich bei meinem Nachthemd und meiner Zibbelkapp!“ Wie sagen doch die Mainzer so treffend: Nur wer sich selbst zum Narren macht, feiert echte Meenzer Fassenacht.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Rücktritt von Sven Gerich lest Ihr hier, mehr zur Fastnacht beim KCK hier bei Mainz&.