Die Mainzer Fastnachtsgrößen am Montagabend waren sich einig: Die Fastnachtskampagne 2021 wird stattfinden – egal wie. Doch genau das ist die Frage: Wie sollen Schunkeln, Feiern und Frohsinn in Zeiten von Abstand und Hygieneregeln denn aussehen? „Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo Innovation gefragt ist“, sagte am Montagabend der Präsident des Gonsenheimer Carnevals Verein (GCV), Martin Krawietz, im Gespräch mit Mainz&. Virtuelle Sitzungen, ein Rosenmontagszug, den die Zuschauer laufen, und nicht die Teilnehmer, und Sitzungen, die zurück zu den Wurzeln der Fastnacht führen – die Coronapandemie könnte einen wahren Kreativschub in der Mainzer Fastnacht auslösen.
„Ich persönlich freue mich auf die Kampagne 2021“, sagte der Präsident des Karnevals Clubs Kastel (KCK), Dirk Loomans, am Montagabend: „Das ist eine wunderbare Gelegenheit, Mainzer Fastnacht zu feiern.“ Worauf sich der KCK-Präsident so freute, war allerdings keineswegs die klassische Mainzer Fastnacht mit Umzügen, Großveranstaltungen und Schunkeln auf engstem Raum: „Das ist eine ganz große Chance, die sich der Fastnacht jetzt bietet“, betonte Loomans vielmehr: „Das ist die Chance, ganz neue Wege zu gehen, kreativ zu sein, kleinteiliger zu arbeiten und zu feiern.“
Die Coronakrise als Chance – das gilt nicht nur für neue Geschäftsmodelle und Umdenken in der Gesellschaft, auch für die Fastnacht als Ganzes gilt das durchaus. Seit vielen Jahren hagelt es Kritik an der Kommerzialisierung der Mainzer Fastnacht, an den Partymeilen und Besäufnisritualen, die mit dem eigentlichen Sinn der Fastnacht gar nichts mehr zu tun haben. Die Coronapandemie werde keine Massenveranstaltung mit 500.000 Menschen erlauben, sagte GCV-Präsident Krawietz im Gespräch mit Mainz&: „Es wird kleiner sein, aber das muss ja nicht weniger lustig sein – im Gegenteil.“
Die Mainzer Fastnacht 2021 könnte so ein gutes Stück zurückkehren zu ihren Wurzeln: kleinere Veranstaltungen, individueller, anarchischer, sozusagen – so, wie es die Anfänge der Mainzer Fastnacht ursprünglich auch waren. Schon seit einigen Jahren läuft die Suche nach neuen Formaten, experimentiert wird mit Brauereifastnacht, Stehung, Straßenbahnsitzungen und vielem mehr. Nun könnte die individuelle Fastnacht ein Comeback feiern: „Wir gehen davon aus, dass viele Leute da ein privates Happening draus machen werden“, sagte Krawietz: „Wir beim GCV freuen uns sehr darauf herumspielen und herumexperimentieren zu können. Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo Innovation gefragt ist, und wir haben große Freude daran, uns da auszuprobieren.“
Und so läuft die Suche nach neuen, Pandemie geeigneten Formaten auf allen Ebenen auf Hochtouren: Die traditionellen Kammerspiele des GCV rund um den 11.11. werde es in diesem Jahr als Online-Sitzung geben, live und im Internet, sagte Krawietz: „Wir betreten damit Neuland“, fügte der GCV-Präsident hinzu. Die Erkenntnisse aus der Online-Sitzungen wolle der GCV dann nutzen, um weitere Online-Formate im Frühjahr 2021 zu kreieren – und die Erkenntnisse auch allen anderen Vereinen zur Verfügung stellen.
Erste Erfahrungen habe der GCV mit seinem „Liederkranz“ gemacht, sagte Krawietz weiter: Die Mitsingabende, 2019 außerhalb der Kampagne ins Leben gerufen, erfreuen sich großer Beliebtheit – in der Coronapandemie veranstaltete der GCV auch dieses Format kurzerhand virtuell übers Internet. „Die Frage war ja schon: ein Mitsingabend ohne Publikum – wie soll das gehen“, sagte Krawietz. Doch die Erfahrung habe gezeigt, wenn das Programm gut sei und abwechslungsreich, dann komme auch das an. „Es gab überwältigende Rückmeldungen, dass wir das noch mal machen sollen“, sagte Krawietz, das mache auch Hoffnung für Online-Formate bei Sitzungen.
Die Experimentierfreude hat indes auch den ehrwürdigen Mainzer Carnevals Verein (MCV) erfasst – auch hier plant man mit völlig neuen Formaten. „Wir werden auf irgendeine Art und Weise ein virtuelle Sitzung anbieten“, sagte MCV-Präsident Urban im Gespräch mit Mainz&, und das gelte nicht nur deshalb, weil sich das in der Coronazeit anbiete, sondern aber auch, „weil wir kreativ für die Zukunft sein wollen“, betonte Urban. Wenn die Idee ankomme, werde ein solches Format in Zukunft auch dauerhaft verankert werden können, sagte der MCV-Präsident, und freute sich beinahe: „Jetzt kann man was ausprobieren, und das ohne dass mich einer beschimpft, ich würde die Tradition verletzen.“
Auch für die Straßenfastnacht ist Kreativität gefragt, große Umzüge, gar mit 500.000 Besuchern wie sonst an Rosenmontag, wird es mit Sicherheit 2021 nicht geben können. Und so plant der MCV auch hier mit völlig neuen Formaten: Der 11.11. könnte etwa in kleinerem Format stattfinden, der Schillerplatz abgegrenzt werden für ein begrenztes Publikum mit Abstand, so die Überlegungen. „Es wird eine Straßenfastnacht geben, und zwar von Fastnachtsdonnerstag bis Dienstag“, ist Urban überzeugt, „aber anders als sonst.“
Statt einem großen Rosenmontagsumzug könnten die Motivwagen in der Stad verteilt stehen, die Zuschauer daran vorbeiflanieren – einen „Rosenmontagszug der Zuschauer“, nennt Urban das. Der Bereich vom Schillerplatz bis zum Theater könnte eingezäunt werden für eine begrenzte Zahl von Besuchern, mit Voranmeldung etwa übers Internet. „Wir haben un schon Gedanken über ein Hygienekonzept gemacht“, sagt Urban, „wir sind entschlossen, nicht im Sinne von Hasardeuren wie auf Mallorca, sondern unter Beachtung von Regeln zum größtmöglichen Schutz unserer Gäste dennoch Straßenfastnacht zu bieten, um Lebensfreude zu spenden.“
Eine Herausforderung werde diese „andere Fastnacht“ in jedem Fall, betont Urban, doch die Mainzer politisch-literarische Fastnacht sei etwas „Einzigartiges“, deshalb werde es in jedem Fall Motivwagen geben. Wie viele Motivwagen der MCV für 2021 bauen könne, sei aber noch unklar, das hänge auch von Sponsoren ab. Ein Zugplakettcher wie in normalen Jahren wird es ebenfalls nicht geben, die üblichen aufwändigen Umhängefiguren mit Blinklichtern hätte der MCV „schon lange bestellen müssen“, sagte Urban. Stattdessen werde es nun möglicherweise einen Button zum Anstecken oder zum um den Hals hängen geben, etwas, das nicht aus Plastik sei und damit auch umweltfreundlicher.
Ein großes Problem sind indes die Sitzungen: Die Kosten für Saalmiete und Catering sind hoch, mit einer deutlich reduzierten Anzahl von Besuchern rechnet sich das für die meisten Vereine nicht mehr. „Nach den derzeitigen Preisen würde ich 10.000 Euro pro Sitzung als MCV drauflegen“, sagte Urban: „Ich fürchte, das rechnet sich unter dem Strich nicht.“ Mehrere kleinere Vereine haben ihre Veranstaltungen für 2021 deshalb bereits abgesagt.
„Gerade die kleineren Vereine, die nicht auf Sponsoren zurückgreifen können, sehen momentan ein hohes finanzielles Risiko“, sagte Markus Perabo, neuer Vorsitzender der Mainzer Fastnachts-Genossenschaft. Die Fastnachts eG wolle deshalb „Modelle entwickeln, dass Vereine eine bestehende Videotechnik gemeinsam nutzen könnten“, sagte Perabo. Das Problem dabei: Die Stimmung im Saal könne man nicht so einfach in die Wohnzimmern „streamen“.
„Die Hoffnung ist schon, dass wir ein kleines Publikum haben können“, sagt auch Krawietz, und auch der Sitzungspräsident der Mainzer Fernsehfastnacht, Andreas Schmitt, geht von einer Fernsehsitzung mit Publikum aus: Im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz würden dann eben nur 300 bis 400 Zuschauer sitzen, sagte Schmitt am Montagabend – aber sie würden eben da sitzen, die Fernsehsitzung stattfinden – und Lebensfreude in die Wohnzimmer bringen.
Als 2016 der Mainzer Rosenmontagszug wegen des Orkantiefs Ruzicka kurzfristig abgesagt wurde, bildeten sich am Rosenmontag spontan kleine Gruppen von feiernden Narren in den Straßen von Mainz, zogen Guggemusiken und Garden in anarchischer Form durch Mainz. Der Mainzer Fastnachtsforscher Günter Schenk bekam damals förmlich leuchtende Augen: Diese spontane Fastnacht in ihrer anarchischen Form fernab der großen, organisierten Fastnacht, sagte Schenk damals: „Das ist die echte Fastnacht.“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Ankündigung der Mainzer Fastnachtszene, die Kampagne 2021 stattfinde zu lassen, findet Ihr hier bei Mainz&.