An diesem Freitag ruft nicht nur die Bewegung Fridays for Future zu einer Großdemonstration in Mainz auf, auch die Landwirte wollen erneut gegen neue Verordnungen in der Landwirtschaftspolitik des Bundes protestieren. Die Bewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) ruft für den heutigen Freitag bundesweit zu Protesten auf, in Mainz und Rheinhessen wird das erhebliche Auswirkungen haben: Die Landwirte wollen durch Rheinhessen „die längste fahrende Traktorenkette der Welt“ bilden – angefangen auf dem Mainzer Lerchenberg. Dafür kommen am Nachmittag voraussichtlich auch Dutzende von Traktoren aus Hessen – über die eigentlich gesperrte Theodor-Heuss-Brücke.

Aufruf zum Schlepper-Flashmob von Land schafft Verbindung Ende Dezember 20129. - Grafik: Land schafft Verbindung
Aufruf zum Schlepper-Flashmob von Land schafft Verbindung Ende Dezember 20129. – Grafik: Land schafft Verbindung

„Land schafft Verbindung“ protestiert seit Ende 2019 vehement gegen die neue Düngeverordnung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Klöckner will vor allem die Menge der ausgebrachten Düngemittel in stark belasteten Gebieten begrenzen, die Menge der Düngemittel soll um 20 Prozent sinken, aber nicht etwa pro Betrieb, sondern im Durchschnitt der Betriebe. Die Regelung soll zudem nur für besonders stark belastete, sogenannte „rote Gebiete“ gelten – Rheinhessen und die Pfalz gehören dazu.

Deutschland verstößt seit vielen Jahren gegen die EU-Richtlinien zu Nitrat-Grenzwerten im Grundwasser, das Nitrat kommt in allererster Linie durch zu viele Düngemittel aus der Landwirtschaft in den Boden. Das Problem ist seit 20 Jahren bekannt, geändert hat sich daran – nichts. „Die höchsten Nitratgehalte des oberflächennahen Grundwassers werden in Rheinland-Pfalz mit 200 bis 350 mg/Liter an Messstellen in den Gemüseanbaugebieten um Frankenthal und Ludwigshafen gemessen“, heißt es auf der Internetseite des Mainzer Umweltministeriums. Der EU-weite Grenzwert für Nitrat im Grundwasser liegt bei 50 Milligramm pro Liter. Deutlich erhöhte Nitratwerte gebe es ferner „in den Wein- und Obstbaugebieten am Haardtrand bzw. in der Rheinhessischen Rheinniederung.“

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Ein zu hoher Nitratwert im Trinkwasser kann Säuglinge und Menschen mit angeschlagener Gesundheit gefährden und auch Krebs auslösen, das Problem entstehe in erster Linie durch Überdüngung, warnt das rheinland-pfälzische Umweltministerium schon seit Jahren – vergeblich. Die EU hatte Deutschland deshalb verklagt, der Europäische Gerichtshof urteilte 2018: die EU hat Recht. Klöckner will deshalb die Menge der Düngemittel besonders in Hanglagen und Gewässerrandstreifen begrenzen, um den drastischen Folgen der Gerichtsurteils zu begegnen: Deutschland drohen nun Strafzahlungen von 800.000 Euro – pro Tag.

Überdüngung mit Nitraten in Deutschland, die roten Zonen sind die hochbelasteten Gebiete. - Grafik: NABU
Überdüngung mit Nitraten in Deutschland, die roten Zonen sind die hochbelasteten Gebiete. – Grafik: NABU

Die Landwirte ficht das nicht an, Lösungen zur Reduzierung der Nitratwerte haben sie bislang nicht vorgelegt. Der EU lägen „veraltete und nicht repräsentative Nitratmesswerte vor“, klagt „Land schafft Verbindung“ – trotz der Tatsache, dass in Deutschland rund 1.600 Messstellen in Sachen Nitrat im Grundwasser allein in Rheinland-Pfalz gibt. Die neue Düngeverordnung „würde dem Boden an vielen Stellen mehr Schaden zufügen als Gutes tun, das Nitratproblem nicht lösen, aber den Anbau vieler Kulturen in Deutschland unmöglich machen“, klagt hingegen „Land schafft Verbindung“: „Dies würde viele landwirtschaftliche Betriebe in Existenznöte bringen.“ Bereits 2017 sei eine neue Düngeverordnung erlassen worden, ihre Auswirkungen seien noch gar nicht klar.

Die Landwirte rufen deshalb für diesen Freitag zu einer Traktorenkette von Mainz über Wörrstadt nach Alzey und von dort aus Richtung Bockenheim (Pfalz) auf, entlang der Strecke soll es zusätzliche Aktionen wie Mahnfeuer geben. Die Strecke sei „nicht zufällig gewählt“, sondern führe „durch Gebiete, die besonders hart von der neuen
Düngeverordnung betroffen wären“ – Rheinhessen und die Pfalz stehen bundesweit an der Spitze der Nitratwerte in den „roten Gebieten“. Man brauche eine „faktenbasierte Sachpolitik, in der nicht ideologische Überzeugungen “ eine Rolle spielten, betonnen die Landwirte.

Plakataufruf zur Demonstration "Wir haben es satt" am kommenden Samstag in Berlin. - Foto: gik
Plakataufruf zur Demonstration „Wir haben es satt“ am kommenden Samstag in Berlin. – Foto: gik

Gleichzeitig wollen sie gegen viel zu billige Lebensmittel protestieren: „Wer billig kauft, verkauft die Natur und die Landwirtschaft“, gibt „Land schafft Verbindung“ zu bedenken. Gesunde Lebensmittel, die unter höchsten Produktionsstandards und naturverträglich produziert würden, hätten ihren Preis, das müsse jeder Verbraucher lernen und vor allem an der Ladenkasse umsetzten. „Dazu rufen die Landwirte auf und fordern zudem ein Verbot von Werbung für billiges Fleisch, Obst, Gemüse und Milch sowie einheitliche Standards in der Lebensmittelproduktion in Europa“, heißt es weiter. Auch das Mercosur-Abkommen mit Südamerika sei kritisch zu sehen, das den Import billiger Lebensmittel mit niedrigeren Produktionsstandards fördert. Das sei „ein Angriff auf die deutsche Landwirtschaft.“

Der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) sieht das ebenso: „Die Düngeverordnung in ihrer jetzigen Form ist nicht praxistauglich“, die Bundesregierung gefährde damit die Existenz der Bauern, sagte Wissing gerade. Der Minister droht mit einem Nein zur Düngeverordnung im Bundesrat und fordert eine Überarbeitung der Novelle. Es gebe keine Planungssicherheit – kein Landwirt wisse, wie er im Frühjahr düngen solle, betonte Wissing, der sich zudem für mehr Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft aussprach.

Der rheinland-pfälzische Imkerverband warf Wissing deshalb „Realitätsverlust“ vor: Dass in der Landwirtschaft ein „sehr präziser Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ herrsche, „dem widersprechen wir entschieden“, sagte der stellvertretende Vorsitzende Franz Botens. Gerade zeigten neue Daten Rückstände von über 50 verschiedenen Wirkstoffen an einem einzigen Bienenstand. Damit sei unter der staatlich gesteuerten chemischen Landwirtschaft des Herrn Wissing Rheinland-Pfalz bundesweit zum Spitzenreiter avanciert. „Chemikalien werden dadurch zum Pflanzenschutzmittel, dass sie entsprechend den Reglementierungen zielgenau auf eine Zielpflanze angewandt werden“, sagte Botens, „Bienenvölker sind aber keine Zielpflanzen. Dieser Grundsatz wird ganz offensichtlich in Rheinland-Pfalz missachtet.“

Plakat der NABU-Aktion Glyphosat stoppen. - Grafik: NABU
Plakat der NABU-Aktion Glyphosat stoppen. – Grafik: NABU

Kurioserweise wendet sich das Bauernprotestbündnis zugleich explizit gegen die Demonstrationen von Umweltverbänden und ökologisch wirtschaftenden Landwirten, die am Samstag wieder einmal unter dem Motto „Wir haben es satt!“ in Berlin zu einer Großkundgebung aufrufen. „Wir haben es satt!“ protestiert gegen viel zu billige Lebensmittel, für hohe Lebensmittelstandards samt Tierwohl sowie für eine auskömmliche, umweltschonenden Landwirtschaft. Man distanziere sich ausdrücklich von dieser Bewegung, „denn deren Ansichten sind weit abseits von der Meinung der Bauern“, heißt es in einer LsV-Pressemitteilung. Bei „Wir haben es satt“ fordern gerade Öko-Landwirte gutes Essen, artgerechte Tierhaltung und eine klimagerechte Landwirtschaft, die von ihren Erträgen leben kann.

„Wer mit dem Rücken zur Wand steht kann nur nach vorne“, findet hingegen LsV und ruft für Freitag zur Traktorenkette nach Mainz auf. Erwartet werden ab 15.00 Uhr am ZDF auf dem Mainzer Lerchenberg nach Informationen des Internetportals „Boostyourcity“ rund 2.000 Traktoren, einige Hundert davon aus Hessen. Und die sollen am Nachmittag über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz hinein rollen. Die eigentlich gesperrte Brücke ist offen für alle Fahrzeuge, die nicht schneller als 60 km/h fahren können – die Theodor-Heuss-Brücke ist die einzige Nicht-Autobahn-Querung in Mainz und im Umkreis von 150 Kilometern. Das könnte ein interessantes Zusammentreffen geben: In Mainz demonstriert ab 12.00 Uhr die Bewegung Fridays for Future für mehr Umweltschutz und deutlich mehr Maßnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe. Erwartet werden bei der Großdemo bis zu 10.000 Menschen, der Protestzug will von 13.00 Uhr bis etwa 14.30 Uhr durch die Mainzer Innenstadt ziehen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Inhalten des Agrarpakets sowie zu der Problematik rund um Nitratwerte und Pestizidverbote lest Ihr hier bei Mainz&. Gerade erst schlug der rheinland-pfälzische Imkerverband Alarm, weil in Honigpollen in Ingelheim die bundesweit höchste Konzentration von Pestiziden gefunden wurde – bis zu 34 verschiedene Pestizide in einer einzigen Probe, und das schon 2018. Unseren Vorbericht zur Fridays for Future-Demo am heutigen Freitag findet Ihr hier bei Mainz&.