Vor einem Jahr führte der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir die Lärmpausen am Frankfurter Flughafen im Probebetrieb ein, nun installierte der grüne Minister die „Pausen“ dauerhaft. Und lobte die Bündelung von Anflügen auf bestimmten Landebahnen zu bestimmter Zeit als „wirksame aktive Schallschutzmaßnahme“ für die Anwohner rund um den Flughafen. Dumm nur: In einer repräsentativen Umfrage gaben 90 Prozent der Befragten an, von Entlastung nichts zu spüren. In Mainz gilt das ohnehin – die Lärmpausen gelten nur für die östlichen Gebiete. Von „Mogelpackung“ spricht deshalb die Opposition in Hessen, von wirkungslosem Aktionismus die Fluglärmgegner.

Startender Flieger am Frankfurter Flughafen
Pause über den Köpfen durch Lärmpausen? Nicht wirklich… – Foto: gik

Es klang so schön: Eine Stunde mehr Ruhe über den Köpfen hatte Al-Wazir versprochen, die „Lärmpausen“ waren Teil des grünen Versprechens für die Koalition mit der CDU. Im Gegenzug schluckten die Grünen den ohnehin vollzogenen Bau der Nordwestlandebahn, und dass es keine Ausweitung des echten Nachtflugverbots zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr morgens geben würde. Stattdessen sollten die „Lärmpausen“ den Lärm bündeln und so Anwohner entlasten.

90 Prozent sagten in einer Umfrage: Wir merken nix

Doch der Entlastungseffekt war von Anfang an umstritten, gelten die „Lärmpausen“ doch nur für die Gebiete östlich des Flughafens in Frankfurt, Offenbach und Neu-Isenburg. Und wirklich leiser wurde es hier auch nicht: Bei einer Telefonbefragung von 1604 zufällig Befragten im Frühjahr gaben rund 90 Prozent an, keine Änderung durch die Lärmpausen bemerkt zu haben.

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Grafik Lärmpausen Messergebnisse Ministerium
Messergebnisse der Lärmpausen – Grafik: Verkehrsministerium Hessen

„Die Lärmpausen sind ein Erfolg“, betonte Al-Wazir am Montag dennoch – und präsentierte dafür Messungen der Fraport, nach denen es morgens in Neu-Isenburg zwischen 4 und 6 Dezibel, abends in einer Linie von Sachsenhausen bis Offenbach-Nord gar um zehn Dezibel leiser geworden sein soll. Gleichzeitig aber stieg im Süden dann der Lärm um 1,5 bis 4,5 Dezibel an, weil hier eben die landenden Flugzeuge in der Luft gebündelt werden. Al-Wazir betont, das sei „eine Entlastung für Zehntausende.“

„Lärm wird nur verschoben, nicht pausiert“

Doch die Bürgerinitiativen gegen Fluglärm widersprechen vehement: Al-Wazir blende „unverändert aus, dass der Lärm nicht vermindert wird oder pausiert, sondern nur verschoben wird“, kritisiert Thomas Scheffler, Sprecher des Bündnisses der Bürgerinitiativen. So oft der Minister das Loblied „mantrahaft“ wiederhole: „Quark, den man ständig breit tritt, wird nicht zur Sahne.“

Denn nach dem nun dauerhaft installierten Lärmpausenmodell wird nun morgens auf der Nordwestbahn und der Centerbahn gelandet, nicht aber auf der Südbahn, abends dafür nur auf der Südbahn gelandet. Doch Centerbahn und Südbahn liegen ganze 500 Meter voneinander entfernt, die Anflugschneisen in der Luft dementsprechend dicht beieinander. Und ausgerechnet die neue Nordwestlandebahn, die seit Oktober 2011 für massiven Lärm sorgt, war für die DFS in den Morgenstunden unverzichtbar.

Mainzer fordern echte Nachtruhe, Nordwestbahn überflüssig

Modell Lärmpausen Frankfurt
So wird bei den Lärmpausen geflogen – Grafik: Hessisches Verkehrsministerium

Der Vorsitzende der Mainzer Initiative gegen Fluglärm, Jochen Schraut, fordert deshalb von den Hessen, „keine Nebelkerzen wie die sogenannten Lärmpausen zu zünden, sondern die Bevölkerung durch Einhaltung der gesetzlichen Nachtruhe von 22.00 bis 6.00 Uhr am Frankfurter Flughafen zu entlasten.“ Die Lärmpausen seien reiner „politischer Aktionismus“ à la „wir tun etwas gegen Fluglärm“, tatsächlich werde der Lärm lediglich verschoben.

Im Übrigen sei das Beharren auf der Nordwestlandebahn „Unfug“, sagt Schraut weiter: Im Jahr 2007 sei es durchaus möglich gewesen, 492.000 Flugbewegungen im Zweibahnensystem abzuwickeln – dieses Jahr aber wird es am Frankfurter Flughafen sogar nur rund 465.000 Flugbewegungen geben. „Es ist politisch nicht gewollt, die zwei Milliarden Euro teure Landebahn Nordwest zu entlasten, da sonst offensichtlich würde, dass bei dem nachlassenden Verkehrsvolumen die Bahn eigentlich nicht gebraucht würde“, kritisiert Schraut.

Studie: Depression und Angst verdoppeln sich bei Lärmbelastung

Lärmpausen-Clowns Al-Wazir und Bouffier - Plakat BI Fluglärm
Von „Lärmpausen-Clowns“ Al-Wazir und Volker Bouffier, Ministerpräüsident von Hessen, spricht deshalb die Mainzer Initiative gegen Fluglärm

Dazu legten die Mainzer Mediziner gerade neue Ergebnisse der Gutenberg Gesundheitsstudie vor, nach denen Depression und Angst mit steigender Lärmbelästigung stark zunehmen – vor allem durch Fluglärm. Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz untersuchten an einer repräsentativen Stichprobe von rund  15.000 Teilnehmern aus den Kreisen Mainz und Mainz-Bingen im Alter zwischen 35 und 74 Jahren den Zusammenhang von Lärmbelästigung und Angst und Depression.

Das Ergebnis: „Bei extremer Lärmbelästigung sind Depression und Angst immerhin doppelt so häufig  wie bei geringer Lärmbelästigung“, sagt der Studienleiter, der Professor Manfred Beutel von der Klinik für Psychosomatische Medizin. Insgesamt waren 27,8 Prozent der Teilnehmer, also mehr als jeder vierte, in der Region stark oder extrem durch Lärm belastet – mit 62 Prozent stand der Fluglärm dabei an erster Stelle, gefolgt von Straßenverkehr mit 18 Prozent, Nachbarschaftslärm draußen mit 12 Prozent, Bau- und Gewerbelärm und Nachbarschaftslärm im Haus mit je 8 Prozent sowie Bahnlärm mit 7 Prozent.

Denkbar sei, kommentierte Beutel die Ergebnisse, dass Lärmbelästigung Stress hervorrufe, der zu Depression und Angst führe. Es sei aber auch möglich, dass Depression und Angst zu erhöhter Lärmempfindlichkeit führten, und dass eine starke Lärmbelästigung eine psychische Erkrankung verschlimmern könne. Die Ergebnisse sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „PLOSone“ erschienen und sollen nun weiter ausgewertet werden.

Flieger neben Dom
Tief, tiefer – Flieger neben dem Mainzer Dom – Foto: gik

Lärmobergrenze vielleicht im Juni

Trotzdem hat die Politik aus solchen Studien bisher kaum oder gar keine Konsequenzen gezogen. Echte Entlastung würde nur echte Ruhe bringen, eine Lärmdeckelung ist aber bisher noch immer nicht realisiert. Al-Wazir kündigte nun erneut an, seine lange anvisierte Lärmobergrenze nun „noch im Sommer“ vorstellen zu wollen. Im kommenden Jahr soll es zudem ein zweites Maßnahmenpaket „Aktiver Schallschutz“ geben – was immer darin sich verbergen wird. Die Lärmpausen, räumte Al-Wazir noch ein, seien „natürlich kein Allheilmittel gegen den Fluglärm in der Region“, sie seien dennoch „ein wichtiger Baustein in unserer Strategie, die Belastungen Schritt für Schritt zu verringern.“ Und sein Ziel sei es, betonte der Minister ausdrücklich noch, „dass auch die Menschen in Raunheim, Flörsheim, Rüsselsheim und Mainz zusätzlich insbesondere in den Randstunden entlastet werden.“ Er hat tatsächlich Mainz gesagt 😉

Und so feierte der Minister denn vor allem eines: Die Tatsache, dass es die Lärmpausen überhaupt gibt, und dass sie umgesetzt werden. Die Gegenwehr von Deutscher Flugsicherung (DFS), Flughafenbetreiber Fraport sowie den Fluglinien war nämlich heftig, als Al-Wazir im Herbst 2014 seine Lärmpausen-Modelle vorstellte. Nicht umsetzbar, nicht machbar, eine Einschränkung des Betriebs, so lauteten die Befürchtungen. In den Probebetrieb gelangte deshalb am Ende nur besagtes Minimalmodell. Nun präsentierte Al-Wazir stolz neue Zahlen, die zeigten, dass die Umsetzungsquote 92 Prozent am Abend und 96 Prozent am Morgen betrug.

Fluglinien: Flugbetrieb kann reibungslos weiter laufen

Grafik Umsetzungsquote Lärmpausen
Die Umsetzungsquoten der Lärmpausen von April 2015 bis April 2016 – Grafik: Hessisches Verkehrsministerium

Und immerhin unterzeichneten am Montag Vertreter von Fraport, Lufthansa, Condor, Deutscher Flugsicherung und weiterer Fluglinien gemeinsam die Vereinbarung zur dauerhaften Installation der Lärmpausen. Eine Garantie ist das dennoch nicht: Vor allem DFS und Fraport können die Pausen wegen Wetterbedingungen, Erfordernissen der Flugsicherheit oder einfach aus betrieblichen Gründen jederzeit aussetzen.

„Für uns ist entscheidend, dass durch die getroffenen Vereinbarungen sichergestellt ist, dass sich mit den Lärmpausen die aktuelle Kapazität des Frankfurter Flughafens nicht verringern wird“, sagte dabei Michael Hoppe, Vertreter der internationalen Fluggesellschaften. Und Condor-Geschäftsführer Ulrich Johannwille freute sich, wichtig sei für Condor gewesen, „dass der Flugbetrieb reibungsfrei für unsere Kunden weiterlaufen kann.“ Und so verwies denn auch der Vertreter der Lufthansa darauf, was für die Lufthansa das wichtigste Instrument in Sachen Schallschutz ist: Leisere Flugzeuge.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Lärmpausen und ihren Modellen findet Ihr auf der Internetseite www.laermpausen.de des Hessischen Verkehrsministeriums, darunter auch das aufschlussreiche Lärmpausen-Monitoring mit Zahlen und Umfrage. Aktuelle Lärmkarten mit dem sehr realen Lärm über den Köpfen findet Ihr auf der Seite des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD) aus Mainz www.dfld.de, einen Mainz&-Bericht über neue Lärmkarten und deren Berechnung hier. Eine Mainz&-Analyse zu den Lärmpausen findet Ihr hier, unseren Bericht zum Start des Probebetriebs hier. Die Homepage der Mainzer Initiative gegen Fluglärm mit vielen Infos findet Ihr hier.

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