Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz protestiert gegen die Pläne der Deutschen Flugsicherung, die Anflughöhen über dem Raum Bingen im kommenden Jahr deutlich abzusenken. Das Land habe am 1. Oktober in Gesprächen mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) „die geplante neue Luftraumstruktur vehement abgelehnt“, sagte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Dienstag im Mainzer Landtag. Damit legte Rheinland-Pfalz tatsächlich sein Veto gegen die Pläne ein – das Problem dabei: Die Haltung des Landes hat keine rechtlich bindende Wirkung. Wissing betonte, Rheinland-Pfalz fordere eine Änderung des Luftverkehrsrechtes, die Gesundheit der Menschen müsse geschützt werden, das Vorgehen der DFS sei „nicht nachvollziehbar.“ Redner von CDU, SPD und den Grünen aus Mainz und der Region flankierten den Minister mit breiter Mehrheit.

Weinberge bei Appenheim in Rheinhessen. - Foto: gik
Idylle in den Weinbergen bei Appenheim im nördlichen Rheinhessen – droht hier 2020 deutlich mehr Fluglärm? – Foto: gik

Mainz& hatte Mitte August über die Warnung der rheinhessischen Initiative gegen Fluglärm berichtet, die Deutsche Flugsicherung wolle den westlichen Luftraum über der Region Bingen und Bad Kreuznach erheblich absenken, um mehr Platz für den Gegenanflug auf den Frankfurter Flughafen zu schaffen. Nach den Plänen der DFS solle der Luftraum für die großen Verkehrsjets um fast 1.000 Meter auf bis zu rund 1.200 Meter Höhe abgesenkt werden, berichtete die Bürgerinitiative – so niedrig, wie die Flugzeuge jetzt schon über Mainz und dem südlichen Rheinhessen fliegen dürfen. Dazu solle der Luftraum für den Gegenanflug bis nach Bingen, Bad Kreuznach, den Soonwald und das Untere Mittelrheintal ausgeweitet werden, warnten die Fluglärmgegner, der Region drohe erheblich mehr Fluglärm – Mainz& hatte als erstes Medium darüber berichtet.

Die Deutsche Flugsicherung wehrte indes ab: Es handele sich lediglich um erste Überlegungen, es gehe um die Sicherheit im Luftraum und darum „Mischverkehr“ zwischen Passagierjets und kleineren Flugzeugen zu vermeiden. Gleichzeitig führte die DFS aber Gespräche zur Luftraumneuordnung mit Luftsportverbänden sowie mit der Politik – den „Überlegungen“ lagen dabei offenbar sehr konkrete Pläne zugrunde. Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) kritisierte die Luftraumgespräche am 10. Oktober als „Farce“: Nicht einmal bei einem solch massiven Eingriff würden die betroffenen Kommunen „in irgendeiner Form ernsthaft gehört“, das sei „eine Schräglage im Beteiligungsgeflecht“, schimpfte Ebling. Anfang Oktober lehnte der Stadtrat von Bingen in einer Resolution die Absenkung des Luftraums und die Ausweitung des Gegenanflugs vehement ab – kurz vor neuerlichen Luftraumgesprächen am 10. Oktober. Die Initiative gegen Fluglärm forderte daraufhin das Land auf, sein Veto gegen die Pläne einzulegen.

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Am Dienstag debattierte nun sogar der Mainzer Landtag über das Thema – und Verkehrsminister Wissing bestätigte die Planungen der DFS in vollem Umfang. Anstatt der angestrebten größeren Flughöhen solle nun „genau das Gegenteil erfolgen“ – eine erhebliche Absenkung der Flughöhen, die mit größerer Lärmbelastung verbunden sei, sagte Wissing. Die DFS „begründet das mit Problemen bei erhöhtem Flugaufkommen und verschärften internationalen Sicherheitsbestimmungen“, teilte der Minister weiter mit, und betonte umgehend: „Die Pläne der DFS hält die Landesregierung für inakzeptabel.“

Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor dem Landtag in Mainz. - Foto: gik
Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) kritisiert die Pläne der DFS zur Absenkung des Luftraums über Bingen scharf. – Foto: gik

Es sei doch „nur sehr schwer nachvollziehbar“, warum ein Flugzeug in 50 Kilometer Entfernung vom Frankfurter Flughafen „schon in Stromberg auf derart niedrigen Höhen fliegen soll“, sagte Wissing. Das aktuelle Flugroutenkonzept für Frankfurt „offenbart damit erneut erhebliche Schwächen und ist offensichtlich nicht geeignet, lärmärmere Anflugverfahren zu etablieren.“ Damit bestätigte Wissing auch die Darstellung der Fluglärmgegner, die DFS wolle den Flugraum prophylaktisch für eine weitere Steigerung der Flugkapazitäten in Frankfurt erweitern, das Hauptproblem sei eigentlich der Personalmangel bei den Fluglotsen. „Mit mehr Fluglotsen könnte man höher anfliegen“, sagte der 2. Vorsitzende der Initiative, Roland Beckhaus, Anfang Oktober gegenüber Mainz& – fehlten diese, brauche man mehr Fläche, um die Flugzeuge gleichzeitig abwickeln zu können.

Auch Redner von CDU, SPD und Grünen lehnten die Pläne der DFS einhellig und sehr deutlich ab und sorgten damit für eine breite Mehrheit im Landtag gegen die Pläne – auch über Koalitionsgrenzen hinaus. Der Binger Abgeordnete Michael Hüttner (SPD) kritisierte, die neuerliche Verlärmung trete „die Bedürfnisse der Menschen mit Füßen“, das werde „eine dramatische Einschränkung“ in der Region bedeuten. Gleichzeitig würden aber berechtigte Bedenken und Bedürfnisse von Bürgern und auch Regierungen „einfach zur Seite gewischt – so geht es nicht“, schimpfte Hüttner weiter: „Wir haben in all unseren Rechtssystemen immer Beteiligungsverfahren zur Einbindung der Menschen und ihrer Einwände – nur in diesem Fall nicht.“

Anflugverkehr auf den Frankfurter Flughafen in den Abendstunden des 22.10.2019 mit Eindrehen über Ingelheim. - Foto: gik via DFLD
Anflugverkehr auf den Frankfurter Flughafen in den Abendstunden des 22.10.2019 mit Eindrehen über Ingelheim – Livestream des Deutschen Fluglärmdienstes. – Foto: gik via DFLD

Schon jetzt aber flögen die Maschinen im Landeanflug auf Frankfurt über dem Selztal und anderswo so niedrig, dass man meinen könne, sie blieben an den Höhen vor Mainz hängen, sagte Hüttner weiter. „Die schaffen es bis Frankfurt – aber nur, weil sie richtig Gas geben, und das bedeutet Lärm“, betonte Hüttner. Zur Abhilfe verwies Hüttner aber nach Berlin: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dürfe eine neue Luftraumordnung und die damit verbundene Lärmbelastung nicht genehmigen. Auch könne Scheuer andere Landeverfahren anordnen, mit denen man „aus ganz anderen Höhen kommen und bis Frankfurt gleiten“ könne.

Der Mainzer Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner (CDU) plädierte hingegen für eine Verpflichtung der DFS auch auf Lärmschutz: Die DFS sei derzeit nur der Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, das müsse auch für Lärmschutz gelten, forderte Schreiner, auch müssten die Grenzwerte neu in den Blick genommen werden. Der Grüne Daniel Köbler, ebenfalls Mainzer, berichtete von der Dauerbeschallung durch Fluglärm im Mainzer Süden und verwies, wie die anderen Redner auch, auf die jetzt schon hohe Belastung der Fluglärmbelastung über der Mainzer Uniklinik.

Fluglärmmessstation auf der Mainzer Uniklinik, hier werden bereits Spitzen von bis zu 68 Dezibel Fluglärm gemessen. - Foto: gik
Fluglärmmessstation auf der Mainzer Uniklinik, hier werden bereits Spitzen von bis zu 68 Dezibel Fluglärm gemessen. – Foto: gik

„In Deutschland hat jeder Rasenmäher aus guten Gründen Lärmschutzauflagen zu erfüllen, und das, was am Himmel über uns passiert, ist scheinbar ungezügelt und dient den wirtschaftlichen Interessen nur einiger weniger“, kritisierte Köbler. 2012 habe es eine Anhebung der Flughöhen gegeben, diese werde nun „offenbar scheibchenweise von der DFS zurückgenommen.“ Transparent informiert worden sei darüber aber nicht, auch Gremien würden erst im Nachhinein informiert. „Es wird Zeit, dass endlich die Sicherheit der Bevölkerung und der Lärmschutz eine zentrale Rolle auf der Bundesebene spielen“, forderte Köbler.

„Wir teilen die großen Sorgen der Bevölkerung, ich halte sie für berechtigt“, unterstrich auch Minister Wissing explizit. Die Landesregierung habe deshalb am 1. Oktober in Gesprächen mit der DFS „die geplante neue Luftraumstruktur vehement abgelehnt.“ Das Problem dabei: eine rechtliche Handhabe gegen die Pläne der DFS hat das Land nicht. Anflugrouten und Luftraumverfahren werden allein von der DFS in Zusammenarbeit mit dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherheit festgelegt, das wiederum dem Bundesverkehrsministerium untersteht. Rheinland-Pfalz wiederum sei an den Verfahren zur Gestaltung der Flugrouten oder Lufträume weder unmittelbar beteiligt noch könne die Landesregierung „die Einrichtung von Flugrouten mit rechtlichen Mitteln beeinflussen oder verhindern“, stellte Wissing klar.

Mitwirkungsrechte könne man nur durch eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes erreichen, „und genau das fordern wir ein“, betonte Wissing. Der Schutz vor Fluglärm müsse im Luftverkehrsgesetz verankert werden, insbesondere bei der Änderung von Flugrouten, Öffentlichkeit und die betroffene Bevölkerung müssten stärker beteiligt werden. „Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass man so vorgeht, wie wir es gegenwärtig erleben“, kritisierte Wissing.

Ausdehnung des Fluglärms rund um den Frankfurter Flughafen nach einer Grafik des Deutschen Fluglärmdienstes im Jahr 2018. - Foto: gik
Ausdehnung des Fluglärms rund um den Frankfurter Flughafen nach einer Grafik des Deutschen Fluglärmdienstes im Jahr 2018. – Foto: gik

Tatsächlich hatten die Länder Rheinland-Pfalz und Hessen eine entsprechende Gesetzesinitiative im Bundesrat auf den Weg gebracht – eine Mehrheit fanden sie dafür aber bislang nicht. „Es gibt eine breite Mehrheit gegen diese Gesetzesinitiative, wir haben zu wenig Unterstützung“, räumte Wissing ein: Die Interessenlage zwischen den Bundesländern sei zu heterogen. Gleichzeitig kritisierte der Minister, unterschiedliche Interessen im Föderalismus dürften „nicht dazu führen, dass die Menschen an einer Stelle die Folgen einer wirtschaftlichen Tätigkeit an einer anderen Stelle tragen müssen, schon gar nicht wenn die Folgen gesundheitliche Beeinträchtigungen sind.“ Wissing forderte deshalb ein gemeinsames „Werteverständnis, dass wir jenseits unserer regional unterschiedlichen Betroffenheit immer eine klare Mehrheit finden, um dem Gesundheitsschutz der Menschen Rechnung zu tragen.“

Welche Auswirkungen das Nein aus Rheinland-Pfalz auf die Planungen der DFS haben wird, ist unklar – rechtlich gesehen muss die DFS die Haltung des Landes nicht berücksichtigen. Das Nein aus Rheinland-Pfalz kommt aber einem Veto gleich, es ist zudem das erste Mal, dass sich die Landesregierung so vehement und öffentlich gegen DFS-Pläne wehrt – dass eine Einrichtung des Bundes ein solches Votum komplett ignorieren kann, ist schwer vorstellbar.

Info& auf Mainz&: Unseren ersten Bericht über die Pläne der DFS zur Ausweitung und Absenkung des Luftraums über Bingen und Bad Kreuznach findet Ihr hier bei Mainz&, die Forderung der BI gegen Fluglärm Rheinhessen für ein Veto des Landes sowie die Resolution in Bingen könnt Ihr hier nachlesen. Alle Redebeiträge aus dem Landtag zu diesem Thema könnt Ihr Euch auch selbst anschauen: Der Landtag stellt neuerdings Videoclips von jeder Rede zu dem Thema gut einsehbar auf seine Webseite – ein großartiger Service. Zu den Reden der Landtagssitzung am Dienstag geht es hier entlang – einfach unter dem Thema Fluglärm auf „Redner“ klicken.

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