In Mainz kennt man ihn als „Fräulein Baumann“, am Freitag steht er als Chansonnier der 1920er und 1930er Jahre in Nierstein auf der Bühne: Markus Weber, seines Zeichens Apotheker aus Weinheim, präsentiert in seinem Programm „Die Zwei von der Klangstelle – Mit der leichten Muse gegen das Vergessen“ Lieder aus der Zeit der Weimarer Republik.  Doch was auf den ersten Blick leicht und fröhlich daherkommt, hat einen dunklen Hintergrund: „Die Chansons spiegeln die glitzernde Oberfläche der damaligen Zeit“, sagt Weber, darunter aber lauere die Verfolgung und Ausdünnung einer ganzen Künstlerszene durch die Nazi-Diktatur. Sein Programm sei eine „mahnende Warnung vor den Keimzellen des heutigen Antisemitismus“, sagt Weber: „Wir machen musikalische Stolpersteine.“

Markus Weber als "Fräulein Baumann" beim Karneval Club Kastel auf der Bühne in Mainz. - Foto: gik
Markus Weber als „Fräulein Baumann“ beim Karneval Club Kastel auf der Bühne in Mainz. – Foto: gik

Markus Weber ist im Hauptberuf Apotheker in Weinheim, im Nebenberuf aber leidenschaftlicher Sänger und Kabarettist. In Mainz kennt man ihn als „Fräulein Baumann“, jene „Grande Dame“ mit dem rosa Kleid, mit der Weber jedes Jahr die Narrenherzen in den Fastnachtssälen verzaubert. „Fräulein Baumann“ bringt die Menschen zum Lachen, doch die Figur hat immer auch etwas leicht melancholisch-nachdenkliches – das ist typisch für die Figuren Webers. Nun kommt er mit „Die Zwei von der Klangstelle“, mit Strohhut und Hosenträger und mit scheinbar leicht-fröhlich-frivolen Liedern nach Nierstein.

Veranstalter ist der Geschichtsverein Nierstein, das Konzert findet im Niersteiner Stadtpark im Rahmen des Jubiläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ statt – Schirmherr ist der rheinland-pfälzische Antisemitismusbeauftragte Dieter Burgard. „Dieser Abend mit Liedern, die vor rund 100 Jahren entstanden sind, ist hochaktuell“, betont der Vorsitzende des Niersteiner Geschichtsvereins, Hans-Peter Hexemer in einer gemeinsamen Erklärung mit Burgard: Der Liederabend mache „einerseits auf eine besondere Art deutlich, dass jüdisches Leben eine jahrhundertealte bereichernde Tradition in Deutschland hat, und andererseits, dass jüdisches Leben immer wieder bedroht wird.“

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Startenor Richard Tauber mit Monokel 1935 als Zigarettenbild der englischen Firma Ardath Tobacco. - Foto via Wikipedia
Startenor Richard Tauber mit Monokel 1935 als Zigarettenbild der englischen Firma Ardath Tobacco. – Foto via Wikipedia

Auf dem Programm stehen die leichten, heiteren Lieder der Weimarer Republik, jener Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die von Ausschweifung und Dekadenz, von unbändigem Lebenshunger und Leichtigkeit, von Frivolität und Sehnsucht geprägt war. „Es war ein Tanz auf dem Pulverfass“, sagt Weber im Interview mit Mainz&, denn unter der heiteren Oberfläche breitete sich der Nationalsozialismus aus.

Es war das Jahr 1933, als der berühmte Operntenor Richard Tauber auf der Straße angepöbelt wurde: „Du Judensau, raus aus Deutschland“, fuhren ihn die Männer der SA-Truppe an. „Mit demselben Satz wurde ein jüdischer Gastronom 2018 in Chemnitz angepöbelt“, sagt Markus Weber, „zwischen diesen Sätzen liegen 80 Jahre – aber geändert hat sich nichts: Dieser Antisemitismus ist immer noch da.“

Tenor Richard Tauber war Star der Lieblingsoperette des Führers, „Das Land des Lächelns“, erzählt Weber, „von heute auf morgen war er nicht mehr präsent.“ Tauber wurde praktisch über Nach mit dem Lied „Dein ist mein ganzes Herz“ aus eben jener Operette zum Weltstar – geschrieben hatte das Lied der Textdichter Fritz Löhner-Beda, Librettist von Franz Lehar, dem Komponist der Operette. „Fritz Löhner-Beda, diesen Menschen kennt man heute gar nicht mehr“, sagt Weber. Auch Löhner-Beda war jüdischen Glaubens, „er wurde mit dem Prominententransport von Wien aus nach Ausschwitz deportiert und dort mit seiner ganzen Familie ermordet“, berichtet Weber. An seiner Seite: seine Frau Helen, für die er das Lied schrieb.

Marlene Dietrich in der berühmten Filmszene in "Der Blaue Engel", mit dem sie weltberühmt wurde. - Foto via Wikipedia
Marlene Dietrich in der berühmten Filmszene in „Der Blaue Engel“, mit dem sie weltberühmt wurde. – Foto via Wikipedia

„Wir geben diesen Menschen wieder einen Namen“, sagt Weber – wie etwa Robert Gilbert, einst einer der begehrtesten Textdichter für Komponisten und Textfilmer, der Musicals wie „My Fair Lady“, „Cabaret“ oder „Annie get your Gun“ in ihre deutsche Fassung übersetzte. Oder wie Fritzi Massary, damals eine gefeierte Operettendiva, die 1932 nach Amerika floh. „Die war so berühmt, dass sie bei ihrer Ankunft in New York von Charlie Chaplin und Greta Garbo persönlich abgeholt wurde“, berichtet Weber: „Ich singe das Lied, das für sie komponiert wurde: ‚Warum sollte eine Frau kein Verhältnis haben‘.“

Nur zweimal habe Massary das Lied in Deutschland gesungen, berichtet Weber, „in der zweiten Vorstellung saßen SA-Leute und skandierten ‚Juden raus‘.“ 22 solcher Geschichten erzählt Weber in seinem Programm „Die zwei von der Klangstelle, mit der leichten Muse gegen das Vergessen“, er will zeigen, was der Rassismus der Nazis in der Kunst und Kulturwelt angerichtet habe. „Diese Menschen haben uns schöne Dinge hinterlassen“, betont Weber, die Wissenschaft mit Größen wie Albert Einstein, der Film, die Kultur, „das war alles geprägt von Deutschen jüdischen Glaubens.“

Vor drei Jahren rief Weber die „Klangstelle“ ins Leben, Anlass war der 90. Geburtstag des Capitol Kinos in Mannheim. Weber wollte Lieder aus der Gründungszeit präsentieren, recherchierte – und stieß auf immer dieselbe Geschichte: „Emigriert, ermordet, verfolgt“, zählt er auf, „da habe ich gesagt: wir machen ein politisches Musikkabarett.“ Das Programm solle „sensibilisieren für die Keimzelle des heutigen Antisemitismus“, betont er, „das ist keine einfache Kost, und keine ungefährliche. Wir werden leider Gottes mit jedem Anschlag immer aktueller.“

"Die Zwei von der Klangstelle": Markus Weber (rechts) mit seinem Pianisten Dieter Scheithe. - Foto: Weber
„Die Zwei von der Klangstelle“: Markus Weber (rechts) mit seinem Pianisten Dieter Scheithe. – Foto: Weber

Und so erinnern Weber und sein Pianist Dieter Scheithe an die Anfänge von Antisemitismus, Verfolgung und Mord, und an Größen wie Friedrich Holländer, dem Komponisten für Marlene Dietrich, der das Lied schrieb „An allem sind die Juden Schuld“. Eigentlich gedacht „als augenzwinkernde Übertreibung“, berichtet Weber, „zwei Jahre später musste er die Koffer packen und fliehen.“ Die Lieder, die jene Stars hinterließen, für Weber sind sie wie Zeitzeugen. „Die Chansons spiegeln die glitzernde Oberfläche der damaligen Zeit“, sagt er, doch in den Köpfen seiner Zuschauer entstehe währenddessen durch Einwürfe seiner Moderation das andere Bild der Zeit: „Gejagt, verfolgt und entsorgt“, das geschah Weltstars wie Marlene Dietrich oder den Comedian Harmonists.

„Wir wollen zeigen, wie grausam die Machthaber des „Dritten Reichs“ im deutschen Namen mit denen verfuhren, die anders glaubten, anders liebten oder anderer politischer Meinung waren“, betont Weber: „Meine Generation, die meiner Kinder, wir sind nicht Schuld an dem, was ’33 passiert ist – aber wir haben die verdammte Verpflichtung, dass das nicht in Vergessenheit gerät.“

Foto: Markus Weber
Foto: Markus Weber

Und so singt er „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“ von Paul O’Montis, der wegen seiner Homosexualität von den Nazis im KZ ermordet wurde, oder „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ von Zarah Leander. Geschrieben habe es Bruno Balz in einer Nacht, als ihn die Nazis verhafteten und ins KZ schicken wollten, berichtet Weber: Nur durch das Einschreiten von Zarah Leander sei er freigelassen worden – unter der Voraussetzung, dass er in der gleichen Nacht zwei Hits schreibe. Balz schrieb „Davon geht die Welt nicht unter“ und den Welthit „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“. Balz wurde später vorgeworfen Durchhaltelieder für die Nationalsozialisten geschrieben zu haben, „für ihn waren es Anti-Nazi-Lieder“, betont Weber.

In sein Programm seien zuerst die Alten gekommen, der schönen Lieder wegen, jetzt kämen vermehrt die Jungen. „Wir spielen dieses Programm auch in der Reichspogromnacht in der Synagoge“, sagt Weber, da werde es sehr still im Publikum. Sogar ein AfD-Anhänger saß schon bei ihm im Publikum, mit versteinertem Gesicht, erzählt der Kabarettist, sein Programm sei auch ein Bollwerk gegen das Leugnen des Holocausts – denn wie wolle man leugnen, dass es diese Künstler tatsächlich gegeben habe? „Wir machen musikalische Stolpersteine“, sagt Weber, und natürlich gilt einer davon auch Richard Tauber: „Ich singe das letzte Lied, das er in Deutschland gesungen hat“, sagt Weber: „Das Lied ist aus.“

Info& auf Mainz&: Der Liederabend „Die Zwei von der Klangstelle – Mit der leichten Muse gegen das Vergessen“ findet am Freitag, den 9. Juli 2021, um 19.00 Uhr im Stadtpark Nierstein statt, der Eintritt kostet 16,- Euro. Karten und Infos gibt es beim Geschichtsverein Nierstein hier im Internet. Mehr zu Markus Weber und seinen Programmen als Kabarettist findet Ihr hier im Internet.

 

 

 

 

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