Am Mittwochnachmittag könnte es für den Verkehr in Mainz ungemütlich werden: Die Mainzer Polizei kündigte am Dienstag „Verkehrsbehinderungen aufgrund mehrerer Versammlungslagen“ an. Damit ist Mainz offenbar wieder einmal Ziel mehrerer Demonstrationszüge, betroffen ist die Innenstadt, vermutlich zwischen Hauptbahnhof, Christuskirche und eventuell auch der Ludwigsstraße. Eine der Demos: ein Protestzug der sogenannten „Letzten Generation“. Und um die rankt sich seit der Razzia vergangene Woche eine heiße Debatte: wie kriminell ist die Gruppierung?

Rund um die Christuskirche kommt es am Mittwochnachmittag zu Staus - wegen mehrere Demos. - Foto: gik
Rund um die Christuskirche kommt es am Mittwochnachmittag zu Staus – wegen mehrere Demos. – Foto: gik

Am Mittwochnachmittag könne es zu Verkehrsbehinderungen in der Mainzer Innenstadt kommen, warnte die Polizei Mainz am Dienstag. Mit Behinderungen sei insbesondere ab dem nachmittäglichen Berufsverkehr zu rechnen. Welche Demonstrationszüge zu erwarten sind, sagte die Polizei nicht, fest steht aber: Die sogenannte „Letzte Generation“ kündigte am Dienstag einen Protestmarsch am Mittwochnachmittag durch Mainz an.

Man wolle sich am Mittwoch, den 31. Mai 2023, um 16.00 Uhr vor der Christuskirche auf der Kaiserstraße treffen und von dort einen Protestmarsch starten, teilte die „Letzte Generation“ am Dienstag mit. „Unser Protestmarsch ist friedlich, aber entschlossen“, heißt es weiter: „Wir wollen widerständig sein, um zu zeigen: Wir sind nicht einverstanden. Wir treten ein für ein sozial-gerechtes Ende des fossilen Zeitalters. Und gemeinsam können wir das erreichen.“

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„Letzte Generation“ – eine kriminelle Vereinigung?

Die Gruppe hatte erstmals im Dezember 2022 in Mainz eine wichtige Einfallstraße blockiert: Die Alicenbrücke am Hauptbahnhof wurde im morgendlichen Berufsverkehr lahmgelegt, weil sich mehrere Personen am Asphalt festklebten. Seither folgten vier weitere Aktionen, davon eine Anfang Januar und drei weitere im Februar, bei drei davon kam es ebenfalls zu Straßenblockaden. Die selbst ernannte „Letzte Generation“ will mit der Blockade von Straßen und zuweilen auch Flugplätzen der Dringlichkeit einer besseren Klimapolitik Nachdruck verleihen.

Die sogenannte "Letzte Generation" bei einer Klebe- und Blockadeaktion auf der Alicenbrücke in Mainz. - Foto: Letzte Generation
Die sogenannte „Letzte Generation“ bei einer Klebe- und Blockadeaktion auf der Alicenbrücke in Mainz. – Foto: Letzte Generation

„Die Regierung missachtet das Grundgesetz, zerstört unsere Lebensgrundlagen und jetzt kriminalisieren sie auch noch friedlichen Protest, um von ihrem Versagen abzulenken“, klagte die Mainzer Gruppe nun. Das zeige, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „und seine Fortschrittskoalition nicht gewillt sind, Klimaschutz zu machen. Doch den brauchen wir, denn ohne stabiles Klima gibt es keine Demokratie, keinen Rechtsstaat, keine Menschenwürde“, so die Klimaaktivisten weiter.

Die Gruppe fordert bislang aber lediglich ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, ein Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr sowie die Einrichtung von Bürgerräten, die Klimaschutzmaßnahmen beschließen sollen – Kritiker werfen der „Letzten Generation“ genau deshalb vor, demokratische Prozesse aushebeln zu wollen. Tatsächlich sehen manche Extremismusforscher die Gruppierung auf dem Weg in eine kriminelle Vereinigung – die Strafverfolgungsbehörden kennen inzwischen sogar eine Rubrik „politisch motivierte Kriminalität: Unterthemenfeld ‚Klima'“.

1,4 Millionen Euro an Spenden: Straftaten finanzieren

Genau deshalb hatten vergangene Woche rund 170 Beamte in sieben Bundesländern bei einer Razzia Wohnungen und Geschäftsräume von Mitgliedern der Letzten Generation durchsucht – Bayern sieht den Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung als gegeben an, weil die Mitglieder sich träfen, um gezielt Straftaten zu begehen. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt inzwischen gegen sieben Mitglieder der Gruppierung, Bayern geht besonders hart gegen die „Klimakleber“ vor. Bei der Razzia ging es dem Magazin Focus und der Tagesschau zufolge auch darum, die finanziellen Hintergründe der Gruppierung aufzuklären.

Einer der Protestler in Mainz berichtete, er stamme eigentlich aus Mannheim - und widme sich inzwischen "Vollzeit" den Störaktionen der "Letzten Generation". - Foto: Letzte Generation
Einer der Protestler in Mainz berichtete, er stamme eigentlich aus Mannheim – und widme sich inzwischen „Vollzeit“ den Störaktionen der „Letzten Generation“. – Foto: Letzte Generation

Die Ermittler sehen offenbar in umfangreichen Spendenströmen den Anfang einer Bildung einer kriminellen Vereinigung: Mindestens 1,4 Millionen Euro an Spenden seien bereits eingesammelt worden, berichtete die FAZ nun – mit dem Ziel, weitere Straftaten zu begehen. Tatsächlich werden mit den Geldern Aktivisten finanziert, die sich Vollzeit der Aufgabe widmen, auf Straßen festzukleben, mithin: Straftaten zu begehen. Auch werden Gerichtsverfahren mit den Spenden finanziert. Mehrere Mitgliede der Letzten Generation wurden bereits verurteilt, unter anderem wegen Nötigung: Eine Kritik lautet, die Protestler würden billigend in Kauf nehmen, dass Straßenblockaden auch Rettungseinsätze verhindern oder verzögern.

In Rheinland-Pfalz wurden Anfang März insgesamt 19 Personen der „Letzten Generation“ im „Beschuldigtenstatus geführt“, wie das Mainzer Innenministerium im März auf eine Anfrage der AfD-Fraktion mitteilte. Den Personen werde Nötigung und Sachbeschädigung, Zerstörung von Bauwerken und wichtigen Arbeitsmitteln, aber auch Hausfriedensbruch sowie „Missbrauch von Notrufen und Beeinträchtigung von Unfallverhütungs-und Nothilfemitteln“ vorgeworfen. Acht der Beschuldigten waren Wiederholungstäter – die Polizeimaßnahmen rund um die Aktionen der Gruppierung summierten sich auf rund 56.000 Euro Kosten, weil 324 Polizeibeamte bei den fünf Mainzer Aktionen zum Einsatz kamen.

Ideologie über Menschenleben, Gewalt als akzeptables Mittel

„Wo Ideologien – unabhängig von der Wichtigkeit der dahinterstehenden Ziele – über Menschenleben gestellt werden, und wo die Rechtsordnung bewusst mit Füßen getreten wird, ist ein entschiedenes Einschreiten des Staates notwendig“, hatte deshalb im Dezember 2022 schon der Rechtsexperte der Freien Wähler im Mainzer Landtag, Stephan Wefelscheid, betont. Die Klimabewegung müsse „aufpassen, dass sie nicht in Klimaextremismus abrutscht“, warnte Wefelscheid zudem.

Straßenblockade der "Letzten Generation" in Mainz am Landtag im März 2023. - Foto: Letzte Generation
Straßenblockade der „Letzten Generation“ in Mainz am Landtag im März 2023. – Foto: Letzte Generation

Tatsächlich sind Merkmale von Extremismus unter anderem der Versuch, den Staat durch Straftaten zu erpressen sowie das Ablehnen demokratischer Prozesse – so agierte etwa die „Rote Armee Fraktion“ in den 1970er Jahren, die sich aus der friedlichen Studentenbewegung der 68er heraus radikalisiert hatte. Das Merkmal: Wenn „der Staat“ als Feind gesehen wird, gegen den jedes Mittel Recht ist, um die eigenen Ziele zu erreichen – dann ist die Grenze zum Extremismus überschritten. „Der politische Extremismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt oder ihn einschränken will“, heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Extremismus beruhe ferner „auf einem hohen Maß an ideologischem Dogmatismus und in der Regel auf einem Missionsbewusstsein: Wer vom Glauben an ein objektiv erkennbares und vorgegebenes Gemeinwohl beseelt ist, und sich im Besitz vermeintlich objektiver Gesetzmäßigkeiten wähnt, kann die Legitimität unterschiedlicher Meinungen und Interessen schwerlich dulden.“ Der eigene Misserfolg werde dann oft „mit der Manipulation durch finstere Mächte erklärt“ – und Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung der eigenen  Ziele gerechtfertigt. Mehr noch: „Wer politische Gewalt systematisch einsetzt, ist ein Terrorist“, heißt es bei der Bundeszentrale sogar.

In Juristenkreisen ist die Einstufung der „Klimakleber“ als kriminelle Vereinigung hingegen umstritten – ihre Forderungen seien dafür schlicht nicht radikal genug. Zuletzt warnten mehrere Extremismusforscher zudem: Ein zu repressives Vorgehen gegen die Klimaaktivisten wie eben gerade durch die Razzia könne erst recht Radikalisierungseffekte auslösen. Tatsächlich hatte man sich bei der „letzten Generation“ schockiert von den Durchsuchungsmaßnahmen gezeigt und eine „Kriminalisierung“ beklagt. In Mainz heißt es nun: „Wir lassen uns nicht entmutigen. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir bringen unseren Protest auf die Straße.“

Von Straßenblockaden durch Festkleben ist in der Ankündigung allerdings erst einmal nicht die Rede – sondern von einem Protestmarsch. Der allerdings werde zwar öffentlich angekündigt, aber nicht bei den Versammlungsbehörden angemeldet, betonte die Gruppierung weiter. Die Polizei Mainz kündigte an, man werde „mit Einsatzkräften die Durchführung der Versammlungen und die Sicherheit des Verkehrs gewährleisten.“

Info& auf Mainz&: Über die erste Blockadeaktion der „Letzten Generation“ in Mainz und ihre Forderungen haben wir hier bei Mainz& berichtet. Die Autorin des Textes hat sich in ihrem Geschichtsstudium übrigens intensiv mit der Radikalisierung der 68er Generation und den Anfängen des RAF-Terrorismus auseinander gesetzt