Wer auf der Mainzer Zitadelle ganz hinten zu den Hängen schlendert und um die Ecke am Stadthistorischen Museum biegt, steht unvermittelt vor einem gewaltigen Steinturm. Roh sieht die Oberfläche aus, eine Tür in der Mitte führt ins Nirgendwo. Das steinerne Denkmal ist eines der markantesten Denkmäler der Römerzeit in Mainz – und eines der geheimnisvollsten. Denn der „Drususstein“ gibt Rätsel auf: War der steinerne Turm wirklich ein Ehrengrabmal für den legendären Feldherrn Drusus – oder vielleicht doch „nur“ ein Siegesmonument? Unser Mainz&-Adventskalender-Türchen Nummer 24.

Der Drususstein auf der Mainzer Zitadelle: Ehrengrabmal oder Siegesdenkmal? - Foto: gik
Der Drususstein auf der Mainzer Zitadelle: Ehrengrabmal oder Siegesdenkmal? – Foto: gik

Es war im Jahr 13 vor Christus, als Drusus, Stiefsohn des römischen Kaisers Augustus, auf der Anhöhe über Mainz hielt, die Blicke über die Rheinebene bis zur Mündung des Mains schweifen ließ, und sagte: „Baut hier!“ Nun, zumindest darf man sich die Situation gerne so vorstellen, Asterix & Obelix würden sie mit Sicherheit so zeichnen. Tatsache ist: Drusus, geliebter und bevorzugter Stiefsohn von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, gründete in der Tat das römische Legionslager, aus dem die Stadt Mogontiacum wurde – Drusus darf sich deshalb mit Fug und Recht Stadtgründer von Mainz nennen.

Der gerade einmal 25 Jahre junge Drusus war bereits ein erfolgreicher und hoch geachteter Feldherr, der allein in seinem Alpenfeldzug im jahr 15 vor Christus gemeinsam mit seinem BVruder Tiberius 46 Stämme unterwarf. Drusus zog den gesamten Rhein hinab und eroberte das Rheinland für Rom, er gelangte bis zur Nordseeküste und überquerte die Weser, zog gegen Usipeter und Chatten, Aresaken und Cherusker, immer im Auftrag von Kaiser Augustus. Der war seit 16 vor Christus mit der Sicherung und Umstrukturierung der Provinz Gallien beschäftigt, tatkräftig unterstützt von seinen Stiefsöhnen Drusus und Tiberius.

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Als Augustus eine Volkszählung in Mogontiacum in Auftrag gab

Augustus war auch jener Kaiser, der im Jahr 0 eine Volkszählung im Lande Davids in Auftrag gab, weswegen ein gewisser Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass sie vom Hause und Geschlechte Davids waren, auf dass sie sich schätzen ließen mit Maria, seinem vertrauten Weib – die war schwanger. Nun, Joseph und Maria fanden keine herberge in der Stadt und mussten in einem Stall bei Ochs und Esel nächtigen – was daraus wurde, wisst Ihr: Die Geburt Jesu.

Der Blick von der Mainzer Zitadelle reicht weit über Mainz und die Rheinebene . - Foto: gik
Der Blick von der Mainzer Zitadelle reicht weit über Mainz und die Rheinebene . – Foto: gik

Augustus war offenbar ein Fan von Volkszählungen, denn als er nach drei Jahren – also im Jahr 13 vor Christus – nach Rom zurückkehrte, ließ er Drusus als Statthalter in Mogontiacum zurück – und beauftragte ihn damit, einen Census durchzuführen. Die Aufgabe sei „nicht überall auf Beifall gestoßen“, schreibt Bernd Funke in seinem Buch „Das Römische Mainz“ – im Gegenteil: Die Bewohner des noch unbesetzten Rheinlands protestierten heftig, die rechtsrheinisch lebenden Germanen wagren sogar Einfälle über den Rhein – womöglich war dies die Initialzündung für die Gründung des Legionslagers am Zusammenfluss von Main und Rhein.

Als der Feldzug gegen die Germanen im Jahr 11 vor Christus begann, war Drusus der Feldherr, der die Truppen Roms in die tiefen Wälder im Osten führte – zu einem regelrechten Zerstörungsfeldzug. Im Jahr 9 vor Christus wurde Drusus Konsul im Rom und zog dennoch erneut zu einem Feldzug gegen die Chatten los, der ihn bis an die Weser führte. Doch als Drusus bei Magdeburg die Elbe erreichte, soll ihm eine riesenhafte Frau erschienen sei – womöglich eine nordische Walküre – die ihm verkündete „Kehre um, unersättlicher Drusus, denn das Ende Deiner Tage und Deiner Taten ist da!“

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Drusus: Tod im Jahr 9. nach Christus nach einem Sturz vom Pferd

Die Prophezeiung erfüllte sich nur allzubald: Irgendwo zwischen Saale und Rhein stürzte Drusus vom Pferd und brach sich den Oberschenkel, wie Funke berichtet – und für den Feldherrn sollte sich die Wunde als tödlich erweisen. Es muss ein langsamer Tod gewesen sein, denn Drusus Bruder Tiberius schaffte es tatsächlich noch, von Rom aus so rechtzeitig das Sommerlager zu erreichen, dass sein Bruder in seinen Armen starb – man schrieb den 14. September des Jahres 9 vor Christus.

Wie sah der Drususstein einmal aus, falls er denn wirklich ein Ehrengrabmal für Drusus war? Diese Rekonstruktion von Lehne stammt aus dem Jahr 1811 und gilt als durchaus wahrscheinlich. - Foto: von Kamée via Wikipedia, upload von Martin Bahmann
Wie sah der Drususstein einmal aus, falls er denn wirklich ein Ehrengrabmal für Drusus war? Diese Rekonstruktion von Lehne stammt aus dem Jahr 1811 und gilt als durchaus wahrscheinlich. – Foto: von Kamée via Wikipedia, upload von Martin Bahmann

Die Leiche wurde in einem wohl einmaligen Trauerzug quer durch das Reich nach Rom gebracht, wo Drusus im Mausoleum des Augustus mit einem Staatsakt beigesetzt wurde. An der Via Appia wurde dem Helden und Germanen-Bezwinger gar ein Ehrenbogen errichtet – und nicht nur dort: Auch in Mogontiacum hatte der Trauerzug Halt gemacht, die hier stationierten Legionen XIV Gallica und XIIII Gemina wollten nicht hintenan stehen: Es ist überliefert, dass Kaiser Augustus ihnen gestattete, ein Leergab für den verstorbenen Feldherrn zu errichten – einen „tumulus honorarius“.

Und hier wird die Geschichte nun zum Rätsel, denn als genau dieses Ehrengrab galt lange Jahre das Steindenkmal auf der Zitadelle – der Drususstein. An dem Ehrengrabmal fanden alljährlich Gedenkfeiern zu Ehren des verstorbenen Feldherrn statt, 800 Meter trennten das Ehrengrabmal vom römischen Legionslager – genug Platz für Reiterspiele und Kulthandlungen. Die großen Staatsfeiern zu Ehren des Verstorbenen hielt man hingegen im benachbarten römischen Bühnentheater ab, dessen Rund man einst vom Drususstein aus aufragen sah.

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Ummantelt einst mit glattem Marmor, geschmückt mit Zierabsätzen

Etwa 20 Meter hoch ragt der Drussusstein heute am Rande der Mainzer Zitadelle empor, ein roh aussehender Turmbau mit einem flachen Dach und einer Türöffnung im oberen Drittel. Doch so sah der Drussusstein früher beileibe nicht aus, erhalten ist lediglich die Innenmauer. Der Turm war – da sind sich die Forscher sicher – einmal ummantelt von einer glatten Mauerfassade, die mit Zierabsätzen und anderem schmückenden Beiwerk versehen war. Der runde Oberbau des Turms hatte einen quadratischen Unterbau, auf seiner Spitze trug der Turm wohl eine kuppelartige Spitze, gekrönt vielleicht mit einem römischen Adler.

Ein zweiter Rekonstruktionsversuch des Drusussteins von Müller im Jahr 1839. - Foto von Kamée, upload von Martin Bahmann
Ein zweiter Rekonstruktionsversuch des Drusussteins von Müller im Jahr 1839. – Foto von Kamée, upload von Martin Bahmann

30 Meter hoch war das Ehrengrabmal einst und ragte „wie ein Zeigefinger auf dem Hügel hier auf, schon von Weitem sichtbar“, sagte einmal Hans Marg, Vorsitzender der Initiative Römisches Mainz. Marg war überzeugt: Der Drususstein sei älter als die Ubiermauer in Köln, und mithin das älteste römische Steindenkmal in Deutschland, doch daran gibt es heute Zweifel: Denn in dem Mauerwerk finden sich auch Steine jüngeren Datums, und als die Stadt Mainz 2018 endlich den Startschuss für eine umfassende Sanierung des Steindenkmals gab, fanden die Archäologen Überraschendes.

„Wir können nicht erklären, warum das Denkmal so weit in den Boden reicht“, sagte Landesarchäologin Marion Witteyer 2021 bei der Vorstellung der Ergebnisse, doch das war es nicht allein: Bei einer vollständigen Schadenskartierung fanden sich zudem Quadersteine im Sockel, Sandsteine in der Fassade, die nicht aus der Antike stammen konnten – und eine dicke Mörtelschicht im Sockelbereich. Ist der Drususstein also eigentlich jüngeren Datums und vielleicht gar kein Grabehrenmal?

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Ein Hügel als Ehrengrab? Ein Siegesmonument über die Germanen?

Die Überlieferung spreche von „Tumulus“, also von einem „Hügel“ und keineswegs von einem Monument oder Ehrengrabmal, sagte Witteyer, vom Bautyp her komme noch etwas anderes in Frage: Ein Siegesmonument, mit dem die Römer den Sieg über die unterworfenen Germanen feierten. Vergleichbare Monumente fand man im Alpenraum, und schließlich wäre das Mainzer Siegesdenkmal auf der Anhöhe über Mainz weithin sichtbar gewesen, gerade auch von der rechten Rheinseite.

Der Drususstein mit neu gestaltetem Umfeld im September 2025. - Foto: gik
Der Drususstein mit neu gestaltetem Umfeld im September 2025. – Foto: gik

Allerdings ist ein Ehrengrabmal für Drusus eben auch bezeugt, Mogontiacum wurde gar zur Wallfahrtsstätte, zu den jährlichen Feiern reisten die Abgeordneten der drei gallischen Provinzen nach Mainz an – es waren regelrechte Staatsakte, die hier begangene wurden. Und schließlich erwähnen nicht nur die antiken Autoren Sueton und Eutropius ein Ehrengrabmal für Drusus, sondern schon 19 nach Christus bezeugt eine in Südspanien gefundenen Bronzetafel den Beschluss des römischen Senats über die Gedenkfeiern für Germanicus, den Sohn des Drusus – inklusive eines Ehrenbogens in Mogontiacum.

Aber ob Ehrengrabmal oder Siegessäule, Eichelstein oder Drususstein – fest steht: Das steinerne Monument auf der Zitadelle ist eines der wichtigsten Zeugnisse der Römerzeit in Mainz, das die hohe Bedeutung des antiken Mogontiacums unterstreicht: Provinzhauptstadt und Militärzentrum, Ausgangspunkt für Feldzüge und regelmäßige Station für Kaiser und hochrangigste Heerführer, quirlige Metropole am Rhein mit gigantischen Tempeln, Theater, Thermen und nicht zuletzt einem Hafen für Rheinflotte der Römer. Und dem jungen Feldherrn Drusus verdanken wir das alles.

Info& auf Mainz&: Das war’s mit unserem Römischen Adventskalender – die 24 Türchen sind vollbracht. Wir hoffen, es hat Euch gefallen, uns haben die Streifzüge durchs römische Mainz jedenfalls viele Spaß gemacht. Wer die Türchen noch einmal komplett nachlesen möchte, kann das hier auf Mainz& tun. Auch für diesen Text haben wir – Ihr habt es gemerkt – auf die Erkenntnisse des Buches „Das Römische Mainz“ von Bernd Funke zurückgegriffen. Und wer in Zukunft keinen Mainz&-Artikel mehr verpassen möchte: Mit dem Mainz&-Solidarabo von ganzen 9,- Euro im Monat bekommt Ihr unseren Newsletter und damit jeden neuen Artikel ins Haus! Hier steht, wie es geht:

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