Wenn heute Abend die große Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz über die Bühne geht – es wird ein rauschendes Fastnachtsfest. Nach zwei Jahren nur eingeschränkter Narretei ist die Sitzung zurück im Normalzustand: Voller Saal, gut aufgelegte Redner und tolle Gruppen auf der Bühne. Tusch und Narrhallamarsch – die Fastnacht feiert, wie nur die Fastnacht es kann. Doch Mainz wäre nicht Mainz würde es nicht auch mit beißender Politik-Kritik aufwarten – und das tun die Redner von Moguntia über Mutti-Merkel bis hin zu Lars Reichow. Neu dabei: Ein Frosch-Protokoll – und ein hoher royaler Besuch. Schwächen gab’s vor allem beim Ton.

„Lasst es heute Abend krachen, endlich wieder Fassenacht in Meenz“, rief am Mittwoch bei der Närrischen Generalprobe ein gut aufgelegter Sitzungspräsident Andreas Schmitt ins Publikum. Unten im Saal traf sich das „normale“ Narrenvolk, ohne Promis und zum Genießen. Geboten bekamen sie 3,5 Stunden geballte Narrenkunst, die vor allem zu Beginn furios aufspielte, gegen Ende allerdings etwas nachließ – aber dazu später mehr.

Der in diesem Jahr ausrichtende SWR setzt zu Beginn wieder auf das volle Bild der bunten Meenzer Narretei: Da drängeln sich Garden auf der Bühne und Schwellköppe im Saal, das Konfetti fliegt in Schwärmen und eigentlich könnte man gleich zu Beginn schon singen: „Oh, wie ist das schön!“ Genau das tut das Publikum denn auch – die ausgelassene Stimmung sagt es deutlich: Endlich wieder Fassenacht, endlich wieder Mainz bleibt Mainz!

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Märchenhaftes Frosch-Protokoll mit scharfen Spitzen

Zur guten Laune trägt fraglos Oliver Mager bei: Der Sänger vom GCV heizt dem Saal gleich zu Beginn mit Hits wie „Wir sind Mainzer“ oder seinem Ohrwurm „Moguntia“ ein, am Mittwoch erstarb der Moguntia-Chor erstaunlich schnell – unvergessen die Sitzung, wo das Publikum mit seinem Moguntia-Chors fast einen Rekord wie weiland beim „Humba“ anstrebte, und Sitzungspräsident Schmitt das kaum in den griff bekam. Am Mittwoch erwies sich das Publikum als deutlich zahmer – mal sehen, wie es heute Abend reagiert.

Als erster Hingucker kommt dann kein traditioneller Protokoller auf die Bühne – sondern ein Frosch. Traditions-bewusste Fastnachtsfans müssen da erst einmal schlucken, doch der Mann im Kostüm heißt eben tatsächlich Bardo Frosch, und so liest der Mann vom KCK als „Froschkönig“ der Politik die Leviten. Das tut der „Frosch“ denn auch vor allem zu Beginn in breitem Meenzerisch – für Freunde aus dem hohen Norden dürfte das eine echte Herausforderung werden, und für die sonst so ängstlich um ihr Publikum bemühten Fernsehmacher ein ziemliches Wagnis.

Doch inhaltlich nimmt Frosch mit jeder Minute mehr Fahrt auf: Ob Fifa-Boss Gianni Infantino oder Bumm-Bumm Boris, Robert Habeck oder Christine Lambrecht – Frosch legt den Finger gnadenlos in die Wunden. „Spieglein, Spieglein and er Wand, das ist beschämend, eine Schand“, reimt der Frosch zu Infantino – gekonnt streut er immer wieder Märchen-Analogien ein. Hart ins Gericht geht Frosch auch mit Kanzler Olaf Scholz, seinen verzögerten Panzer-Entscheidungen und seiner ewigen Nicht-Kommunikation: „So was geht mir auf den Zeiger – er hieß besser Olaf Schweiger“, schimpft der Narr.

Grandioser Gardist mit Unterhopfung: Schwalbach rockt den Saal

Frosch vergisst auch nicht den Kriegs-Despoten im Osten: „Dieser Zwerg mit Machtsyndrom will Europa niederringe – doch das, das wird ihm nicht gelinge“, ruft der Narr in den Saal, und erntet donnernden Applaus. Grandios auch sein Waffen-Panzer-Rap – zurecht erntet der Froschkönig in der Bütt am Ende seines Einstands bei „Mainz bleibt Mainz“ stehende Ovationen.

Direkt auf das Protokoll setzen die Fernsehmacher dann den ersten Kokolores -Vortrag: „Gardist“ Marcus Schwalbach kommt wegen der Energie-Sparmaßnahmen mit Russen-Fellmütze, und präsentiert sich in absoluter Hochform. Sein Kumpel ist PCR, der Verdacht lautete „Praktisch Karneval Resistent“, doch Gott sei Dank stellen die Ärzte nur „eine akute Unterhopfung“ fest – das lässt sich auf Station 11 nun wirklich korrigieren.

Schwalbach präsentiert närrische Vortragskunst vom Allerfeinsten, und schafft es auch noch, politische Seitenhiebe einzustreuen – so etwa, wenn sie im „Goldenen Schwellkopp“ neuerdings mit den Aktivisten vom Bündnis „Letzte Runde“ kämpfen: Die kleben sich mit Sekundenkleber am Barhocker fest und fordern „freien Durchfluss für alle Zapfhähne!“ Grandios und Zwerchfell-erschütternd bis zur letzten Sekunde – Chapeau.

„Mutti“ sitzt allein Zuhaus: Brillanter Vortrag von Florian Sitte

Eine Pause lassen die Fernsehmacher dem Publikum danach nicht: „Dobbelbock“ alias Andreas und Matthias Bockius rocken den Saal mit ihrem Sensationshit vom vergangenen Jahr. „Alles wieder gut“ singt der Saal“ selig, bevor gleich das nächste Highlight die Bühne entert: Die ewige „Mutti der Nation“ sitzt jetzt allein Zuhaus‘ im Ruhestand, und bekommt doch einen Anruf nach dem anderen.

Florian Sitte gibt noch einmal die Angela Merkel, dieses Mal im rosaroten Cindy-Kostüm – es wird eine urkomische und höchst bissige Persiflage auf die Altkanzlerin und die Politiker der vergangenen 16 Jahre. Die Energiewende verschlafen, die russische Kriegskasse gefüllt? „Das kann ja mal vorkommen“, näselt die Kanzlerin – der Plan nach den Bananen der Einheit war ohnehin, „Deutschland zur Bananenrepublik zu machen.“ Und ihrem Nachfolge, dem „kleinen Übergangskanzler“ bescheinigt Mutti noch: „Nein, die Latte im Kanzleramt liegt nicht zu hoch, du bist einfach zu klein.“

„Es geht in der Fastnacht um das freie Wort“, belehrt schließlich „Mutti“ Sitte noch den Saal und die Welt im Allgemeinen – es ist wahrhaftig große und kluge Narrenkunst, was der Präsident des MCC da auf die Bretter legt: Ohne Beleidigungen oder Angriffe unter der Gürtellinie, hält er gleichwohl den Mächtigen den Spiegel vor und stellt bloß, was schief läuft. Und Sitte wird in guter alter Narrentradition durchaus auch moralisch: „Wenn Du wirklich ein richtiger Mann bist, und keine Diktatur möchtest“, schreibt er Querdenkern mit Maskenprotest und Reichsbürgern ins Stammbuch: „Dann flieg in den Iran, und sei eine Frau!“ Der Saal feiert den Redner und den Ausspruch gleichermaßen.

Grandiose Moguntia, unruhiges Publikum

Eine Schnaufpause zum Durchatmen und noch einmal genussvoll Nach-Lachen? Nicht mit den Fernsehmachern: Anstatt den Zuschauern jetzt ein Ballett oder etwas Musik zu Gönnen, schieben sie gleich die „Moguntia“ hinterher – und das geht zu Lasten des Redners. Johannes Bersch setzt seine Pointen absolut grandios auf den Punkt, jeder Satz ist ein Treffer – das erinnert erneut an den einstigen „Boten vom Bundestag“ Jürgen Dietz.

Auch Bersch geißelt die große Politik, vergisst aber auch den Mainzer Lokalkolorit nicht – etwa wenn er dem Grünen OB-Kandidaten ins Stammbuch schreibt: „Viering ist durch und durch Grün, nicht nur hinter den Ohren…“ Nun bahne sich aber eine andere Richtung an: „Ein Haase für Mainz, gut, warum nicht – einen Fuchs hatten wir schon“, konstatiert die „Moguntia“: „Gut, dass das schon etwas her ist, sonst hieße es, in Meenz sagen sich Fuchs und Haase gute Nacht.“ Wenigstens stehe kein Igel zur Wahl, „dann wär’s von vorneherein eine Stichwahl“, stichelt der Narr.

Doch je länger der Vortrag dauerte, desto mehr litt zumindest am Mittwoch der Redner unter Schwäche – im Publikum. Im Saal raunte und raschelte es zunehmend, die Konzentration ließ deutlich nach – kein Wunder, bei zwei so starken Politik-Vorträgen hintereinander. Beim SWR wollte man da aber kein Problem sehen: Ja, es habe Phasen gegeben, „wo das Publikum unaufmerksam war, aber wir führen das nicht auf das Programm zurück“, sagte SWR-Redakteur Günter Dudek im Anschluss bei einem Pressegespräch.

Verneigung vor „Grande Dame“ Margit Sponheimer

„Wir glauben, dass wir das Publikum eher mit Vorträgen binden“, sagte Dudek auf die konkrete Nachfrage, ob man nicht dem Publikum zwischen solchen Vorträgen eine Durchschnauf-Pause binden zu können. Tatsächlich setzen die Fernsehmacher Vortrag auf Vortrag, um vor den Fernsehern nur ja den Griff zur Fernbedienung zu verhindern – doch dabei drohten sie am Mittwoch glatt den Saal zu verlieren. Ja, man habe „noch ein Beschallungsproblem im Saal zu lösen“, räumte Dudek ein – das war allerdings milde ausgedrückt.

Bei mehreren Vorträgen waren Redner im Saal nur mit großen Schwierigkeiten zu verstehen, und bei einer Einlage, die eigentlich zum Highlight werden sollte, ließ man das Saalpublikum gar ganz im Ratlosen stehen: Mit einem schwungvollen Medley ihrer Hits wird in der zweiten Hälfte Fastnachts-Ikone Margit Sponheimer zum 80. Geburtstag gratuliert. Dafür bittet der SWR nicht nur die Schnorreswackler auf die Bühne – also doch! -, sondern verteilt weitere Sänger im Saal, und die RotRockRapper gar auf die Zuschauertribüne.

Was am Fernseher sicher super wirkt, sorgte im Saal hingegen für Köpfe drehen und ratlose Gesichter: Wo singt da wer was? fragten sich die Zuschauer – sie sahen nix und auch zu hören bekam man sehr wenig. Ergebnis: Das Highlight verpuffte. Überhaupt litt die Sitzung nach der starken „Moguntia“ zumindest am Mittwoch unter einem Durchhänger: Jürgen Wiesmann als „Ernst Lustig“ lieferte grandiosen Narren-Kokolores ab, aber danach kamen Thomas Becker und Kati Greule mit ihrer witzigen Büttenkleber-Nummer nicht Recht in Fahrt.

King Charles und Queen Camilla als Highlight

Am Mittwoch überlegten die SWR-Redakteure, das grandiose „Engel und Teufel“-Ballett vorzuziehen, um mehr Abstand zu Wiesmanns großer Kokolores-Nummer zu schaffen. Zum umjubelten Highlight des Abends aber werden zwei andere Akteure: Johannes Bersch und Martin Krawietz geben mit großer Kostümierung und noch größerer Schauspiel-Leistung King Charles und Queen Camilla – und spätestens bei „Ich bin ein Krebbel“ oder der „OB-Wahl“ liegt der Saal gröhlend am Boden.

Danach haben es sogar Stars wie Martin Heininger und Christian Schier mit ihrer „Fastnachts-Battle“ schwer, und das obwohl die Humbas zwischendurch mit ihrem „Im Schatten des Doms“ für traumhafte Mainz-Stimmung sorgen – die Lichtorgel tut das ihre dazu. Die Mainzer Hofsänger wiederum lassen sich erstmals auf ein etwas gezwungenes Zwiegespräch mit dem Sitzungspräsidenten ein, arbeiten auch den Reichsbürger in dein eigenen Reihen auf, und liefern ein schwungvoll-modernes Medley ab, das noch besser wäre, wenn man es denn auch im Saal verstehen würde…

Andreas Schmitt präsentiert sich erneut als schwungvoll-kraftvoller Sitzungspräsident, doch den Obermessdiener lässt er in diesem Jahr weg. Man sei mit Schmitt seit Wochen darüber im Austausch gewesen, sagte SWR-Redakteur Dudek dazu auf Mainz&-Nachfrage: „Wir haben uns gegenseitig verständigt, dass wir abwarten, wie sein Vortrag in der Kampagne kommt, und ob er sich dieser Herausforderung aus ganz unterschiedlichen Gründen stellen will.“ Vor gut einer Woche habe man gemeinsam entschieden, dass Schmitt nicht als Schlussredner an den Start gehe – offenbar war die Konkurrenz der anderen Redner auch zu groß.

Große Politik-Narrenschelte mit Lars Reichow

So fällt es einem anderen politischen Redner zu, den furiosen Schlusspunkt zu setzen: Lars Reichow ist bissig und zuweilen auch ernst wie nie, und der Kabarettist nimmt wahrlich kein Blatt vor den Mund – erst recht nicht, wenn er der Geburtstag feiernden AfD ins Stammbuch schreibt: „Das ist eine undemokratische, rassistische Partei, geführt von gescheiterten Persönlichkeiten“, die finanziert werden „von Regierungen und Personen, die das Ziel haben unsere Gesellschaft zu spalten“, ruft Reichow in den Saal – da gibt es donnernden Applaus.

Klartext spricht Reichow nicht nur bei Panzerlieferungen und schlumpfig grinsendem Kanzler, sondern auch in Sachen Fastnachts-Finanzierung: Ein Fußballer wie Ronaldo verdiene in seinem neuen Vertrag 400.000 Euro am Tag, „ist das nicht genau die Summe, die der Rosenmontagszug kostet? Warum dieses Geschacher?“, fragt Reichow, und fordert:  Der Umzug sei so ein großartiges Aushängeschild, „warum wird dieser Umzug nicht von der Stadt Mainz finanziert, fertig aus?“

Im Saal wird das am Freitagabend die Polit-Prominenz zu hören bekommen, ob Reichow allerdings seine starke Passage zur Flutkatastrophe im Ahrtal wiederholt, die er beim Gonsenheimer GCV vortrug, ist fraglich: Am Mittwoch war die Passage aus seinem Vortrag verschwunden. Solidarität fordert er dagegen mit den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien, den Frauen im Iran und „unseren Freunden in der Ukraine“ ein – ein ganz starker Schlussspurt. Wie sagte Reichow doch so schön: „Wir feiern unaufhaltsam die Ausbreitung des Frohsinns – You‘ll never Helau alone!“

Info& auf Mainz&: Die große Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird heute Abend ab 20.15 Uhr live aus Mainz in der ARD gesendet. Mehr zum Programm könnt Ihr auch noch einmal hier nachlesen, über das Duo Charles und Camilla haben wir ausführlich hier berichtet.