2021 verkaufte die Zollhafen Mainz GmbH den neuen Yachthafen im alten Hafenbecken, Mitte Mai warfen die Freien Wähler im Mainzer Stadtrat die Frage auf: Wurde diese Marina weit unter Wert verkauft, und entgingen der Stadt Mainz damit Millionen Euro an Steuergeldern? Mainz& erfuhr nun exklusiv: Der tatsächliche Kaufpreis für die Marina lag weit unter ihrem potenziellen Verkehrswert. Die Staatsanwaltschaft in Koblenz sieht trotzdem keinen Anhaltspunkt für Straftaten wie Untreue und argumentiert: Der Verkauf sei von den zuständigen Aufsichtsgremien ordnungsgemäß beschlossen worden. Die Mainzer Stadtwerke bestätigen derweil: Der Verkauf wurde bereits 2017 geplant und vorbereitet – wohl unter dem damaligen Stadtwerke-Chef Detlev Höhne, heute Miteigentümer der Marina.

Mitte Mai hatte diese Internetzeitung exklusiv von zwei Anzeigen berichtete, die der Staatsanwaltschaft Koblenz sowie dem Finanzamt Kusel vorliegen. Der Inhalt der brisanten Schreiben: Beim Verkauf der Marina Zollhafen GmbH seien im Jahr 2021 Verkaufsbeträge geflossen, die weit unter dem wirklichen Marktwert des Yachthafens lagen. Hauptanteilseigner der Marina Zollhafen GmbH war zu diesem Zeitpunkt die Zollhafen Mainz GmbH, die wiederum zu 50,1 Prozent der Firma CA Immo und zu 49,9 Prozent den Mainzer Stadtwerken gehört – eine 100-prozentige Tochter der Stadt Mainz.
Der Vorwurf in den Anzeigen: Der Verkauf der Marina erfolgte erstens an den Stadtwerken nahestehende Personen – was ein Verstoß gegen Compliance-Richtlinien wäre -, und zudem weit unter Marktwert, womit den Mainzer Stadtwerken und letztlich der Stadt Mainz erhebliche Erlöse entgangen sein könnten. „Der Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG hätten im Jahr 2021 Zug um Zug für die Übertragung der Geschäftsanteile ein signifikanter Millionenbetrag zufließen müssen“, heißt es in der Anzeige wörtlich: „Ein solcher Mittelzufluss ist dem Jahresabschluss und dem Lagebericht der Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG für das Jahr 2021 aber nicht zu entnehmen.“
Stadtwerke: Verkauf der Marina bereits 2017 geplant
Das begründe den Verdacht auf Steuerhinterziehung und Veruntreuung von Geldern der öffentlichen Hand in Millionenhöhe, so die Anzeigesteller weiter, die sich von der renommierten Frankfurter Rechtsanwaltskanzlei Squire Patton Boggs vertreten ließen. Zur Untermauerung legte die Anwaltskanzlei zudem eine Verkehrswerteberechnung vor, die den Wert der Marina auf zwischen 6 und 11,6 Millionen Euro taxierte – diese Summe sei „aller Voraussicht nach“ den Mainzer Stadtwerken und damit letztlich der Stadt Mainz entgangen.

Den Vorgang hatten Mitte Mai die Freien Wähler mit zwei Anfragen im Mainzer Stadtrat öffentlich gemacht, die Beantwortung wurde auf die reguläre Stadtratssitzung Ende Juni verschoben. Die Staatsanwaltschaft hatte Mitte Mai gegenüber Mainz& die Aufnahme von Vorermittlungen bestätigt, zeitgleich hatten wir am 16. Mai die Mainzer Stadtwerke um Stellungnahme gebeten. Die Antwort erreichte uns allerdings erst 12 Tage später – einen Tag, bevor auch die Allgemeine Zeitung über den Vorgang berichtete. In der Antwort der Mainzer Stadtwerke heißt es nun: „Die von den Freien Wählern erhobenen Vorwürfe können wir nicht nachvollziehen“, das gelte erst Recht für „die kolportierten Werte von 6 Millionen bis 11 Millionen Euro“.
Gleichzeitig räumt man bei den Stadtwerken Überraschendes ein: Der Verkauf der Marina sei nämlich bereits im Jahr 2017 geplant und vorbereitet worden – und zwar mit „den Mechanismen“, zu denen der Verkauf 2021 dann auch tatsächlich erfolgt sei. Der Bau der Marina und die Gründung der Betriebsgesellschaft seien 2016 beschlossen worden, das Marina-Engagement der Zollhafen Mainz GmbH aber „von Anfang an auf Zeit angelegt“ gewesen, so die Stadtwerke in ihrer Antwort auf Mainz&-Anfrage. „In Umsetzung dieser Strategie wurde 2021 der Verkauf der Geschäftsanteile der Marina Zollhafen GmbH an den Minderheitsgesellschafter beschlossen.“
„Abgestimmte Mechanismen“ zum Marina-Verkauf 2021 realisiert
Die Zollhafen GmbH habe zunächst die Mehrheit der Anteile an der Betriebsgesellschaft der Marina halten sollen, „um maßgeblichen Einfluss auf die Qualität der Anlage ausüben zu können“, erläutern die Stadtwerke weiter. Dafür habe man sich zudem einen „externen Partner mit operativer Erfahrung“ ins Boot geholt – den Winterhafenbetreiber Jochen Hener. Im Jahr 2017 hätten dann die Gesellschafter der Marina Zollhafen GmbH „die Einzelheiten und vertraglichen Bestandteile ihrer Partnerschaft näher ausgestaltet“ – dazu gehörten auch „detaillierte Regelungen zum Ausstieg der ZM als Gesellschafterin“. Diese „im Jahr 2017 abgestimmten Mechanismen“ des Ausstiegs seien dann „im Jahr 2021 realisiert“ worden.

Im Klartext heißt das: Der spätere Verkauf der Marina sowie die Mechanismen des Verkaufs wurden bereits im Jahr 2017 bei den Mainzer Stadtwerken abgestimmt und beschlossen. Vorstandsvorsitzender der Mainzer Stadtwerke aber war bis Oktober 2017 – Hanns-Detlev Höhne. Der wiederum war seit der Gründung der Marina Zollhafen GmbH deren Geschäftsführer, leitete also Höhne als Vorstandschef den Verkauf der Marina in die Wege? Vollzogen wurde der Verkauf der Marina am 30. März 2021 bei einem Notar in Frankfurt, dabei gingen die Geschäftsanteile der Zollhafen Mainz GmbH in Höhe von 74,9 Prozent an den Marina-Geschäftsführer Jochen Hener über.
Allein dieser Vorgang wirft Fragen auf, denn im Jahresbericht der Stadtwerke Mainz für das Jahr 2021 heißt es explizit: „Es wurden keine wesentlichen Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen und Personen zu nicht-marktüblichen Bedingungen durchgeführt.“ Dass der Marina-Geschäftsführer Hener eine „nahestehende Person“ war, dürfte indes nicht zu bestreiten sein – viel mehr noch gilt das für eine zweite Person: Nur einen Tag später nämlich, am 31. März 2021, übertrug Hener 50 Prozent der Geschäftsanteile der Marina an niemand anderen als Detlev Höhne – und zwar bei einem anderen Notar in einer anderen Stadt.

Mainz& exklusiv: Marina zum Preis von 86.000 Euro verkauft
Zu welchem Preis der Verkauf erfolgte, wollten die Stadtwerke Mainz nicht beantworten: Einzelheiten des Verkaufs unterlägen der Vertraulichkeit, heißt es hier. Trotzdem teilt man zugleich mit: „Über die Veräußerung der Gesellschaftsanteile und der Steganlagen nebst Zubehör hinaus wurde eine jährliche Zahlung der Marina Zollhafen GmbH an die Zollhafen GmbH vereinbart“, dazu habe es „eine Einigung über unentgeltliche Leistungen“ gegeben. Auch erziele die Zollhafen Mainz GmbH „durch die Vermietung der Wasserflächen an die Marina nach wie vor jährlich erhebliche Erträge“ – wie hoch diese Erträge sind, wollten die Stadtwerke auf Nachfrage indes nicht sagen. Durch den Verkauf der Steganlage sowie des Unternehmens selbst sei aber „ein Buchgewinn erzielt worden, der im Jahresabschluss der Zollhafen Mainz GmbH ausgewiesen ist.“

Wurde der Yachthafen also lediglich zum „Buchwert“ verkauft – also zu einem reinen Mindestgrundpreis? Tatsächlich ist genau das geschehen, wie Unterlagen belegen, die Mainz& nun exklusiv vorliegen: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Koblenz ist nicht nur der Verkaufsweg über Hener an Höhne bestätigt, sondern auch die Verkaufssumme. Demnach zahlte Hener am 30. März 2021 einen Kaufpreis von 86.000 Euro für die Gesellschafteranteile der Marina an die Zollhafen Mainz GmbH – die Staatsanwaltschaft verwendet selbst dafür das Wörtchen „nur“. Gleichzeitig wurde auch die 2018 gebaute Steganlage der Marina mitverkauft, und zwar zu einem Kaufpreis von 1,42 Millionen Euro.
Den Unterlagen zufolge verkaufte Hener dann einen Tag später, am 31. März 2021, die Hälfte der Geschäftsanteile der Marina an Höhne, und zwar für 47.137,50 Euro. Damit steht fest: Die Marina wurde tatsächlich an eine den Stadtwerken nahestehende Person – Hener – verkauft, und zwar zu einem Bruchteil des Wertes, den der Yachthafen bei einer Ausschreibung am Markt erzielt hätte. Eine Ausschreibung des Verkaufs aber gab es nicht, eine Ermittlung des Marktwertes aber offenbar auch nicht – und damit auch keinen „Verkauf zu marktüblichen Konditionen.“

Was wäre die Marina im Zollhafen am Markt Wert gewesen?
Einen Anfangsverdacht der Untreue mochte die Staatsanwaltschaft Koblenz darin trotzdem nicht sehen, obwohl es heißt: „Ein Schaden läge in der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert der Geschäftsanteile und dem bezahlten Kaufpreis.“ Damit lautet die Gretchenfrage: Was wäre die Marina am Markt tatsächlich Wert gewesen? Bei der Staatsanwaltschaft beauftragte man dafür „einen Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft“ in Koblenz, der kommt zu dem Schluss: Der Unternehmenswert betrage „einen unteren sechsstelligen Betrag“, auch weil nur ein Mitarbeiter beschäftigt sei, und demzufolge niedrige Lohnkosten anfielen.

Berufen wird sich dabei auf eine Methode zur Schätzung des Ertragswerts eines Unternehmens nach IDW-Standard, dabei werden die zu erwartenden Überschüsse des Unternehmens abzüglich der Investitionen errechnet. Die Staatsanwaltschaft errechnet damit einen Betrag zwischen 100.000 und 300.000 Euro, das deckt sich mit einem Gutachten, das die Anzeigeerstatter vorgelegt hatten – mit einem wesentlichen Unterschied. Nach den Berechnungen in der Anzeige könnte die Marina mit ihren 140 Liegeplätzen nämlich einen potenziellen Umsatz von rund 4.200 Euro erzielen – pro Tag. Das wären allein im Monat rund 126.000 Euro und damit bis zu 1,5 Millionen Euro im Jahr. Abzüglich von Kosten und Investitionen ergäbe sich ein ähnlicher Betrag an Überschüssen.
Nur: Bei der renommierten Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte im Auftrag der Anzeigesteller müsste nun aber der Gewinn vor Steuern mit einem weiteren Faktor multipliziert werden, um den tatsächlichen Verkehrswert zu ermitteln – und dieser Multiplikationsfaktor liege in Deutschland bei Unternehmen aus dem Bereich der Tourismus und Freizeitindustrie im relevanten Zeitraum bei 9,7. Damit ergäbe sich ein potenzieller Verkehrswert in Höhe von rund 14,6 Millionen Euro – und der passt zu den errechneten 6 bis 11,6 Millionen Euro, die Deloitte als Verkehrswert für die Marina errechnet hatte – wie genau, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.
Staatsanwaltschaft sieht keine Anhaltspunkte für Untreue
Unabhängige Bankexperten haben diese Methode gegenüber Mainz& als übliches Verfahren zur Ermittlung eines Verkehrswerts bestätigt, Multiplikationsfaktor inklusive – die Staatsanwaltschaft mochte der Berechnung indes nicht folgen: Eine „rechtlich bindende Methode“ gebe es nicht, wehrt man dort ab. Ein pflichtwidriges Verhalten oder auch nur ein Vermögensschaden seien denn auch nicht zu erkennen, und damit auch weder Missbrauch noch Untreue. Das Hauptargument der Staatsanwaltschaft neben dem Preis: der Verkauf der Marina sei ja von den Aufsichtsgremien der Stadt Mainz genehmigt worden.

„Aufgrund der erteilten Einwilligung der Aufsichtsgremien ist jedoch von einer wirksamen Berechtigung auszugehen“, der Kaufpreis sei sogar „innerhalb der Aufsichtsgremien Gegenstand einer umfassenden Auseinandersetzung gewesen“, und zudem durch die Rechtsabteilung der Stadt Mainz geprüft worden. Zu den Aufsichtsgremien gehörten 2021 natürlich zum einen die Geschäftsführung der Mainzer Stadtwerke – also Höhne selbst, sowie sein Nachfolger Daniel Gahr – sowie der Aufsichtsrat der Mainzer Stadtwerke unter dem Vorsitz des damaligen Oberbürgermeisters Michael Ebling (SPD).
Wurde also im Aufsichtsrat der Mainzer Stadtwerke der Verkauf der Marina zum niedrigen Buchwert von 86.000 Euro genehmigt? Von den Stadtwerken heißt es dazu: „Alle Entscheidungen bzgl. Gründung der Marina Zollhafen GmbH wie zur Veräußerung der Anteile wurden mit Zustimmung der zuständigen Gremien der Zollhafen Mainz GmbH & Co. KG gefasst. Auch der Aufsichtsrat der Mainzer Stadtwerke AG wurde (mehrfach) umfassend informiert und eingebunden.“ Ob damit auch eine förmliche Beschlussfassung im Aufsichtsrat verbunden war, bleibt indes unklar. Bei der Staatsanwaltschaft heißt es: „Sollte keine wirksamen Einwilligung der Aufsichtsgremien vorliegen“, könnte dies ein zivilrechtlich unzulässiges Verhalten bedeuten – konkret: Untreue.
Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht über die Anzeige in Sachen Marina-Verkauf könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen – darunter auch die Antworten der Zollhafen Mainz GmbH sowie von Detlev Höhne persönlich.