Ganze vier Wochen ist es her, da versank die Demokratische Partei in den USA tief in Depressionen: Ein greiser Präsident stotterte und taumelte durch einen Wahlkampf, während sein Konterpart den virilen Angreifer in Hochform gab – der Ausgang der US-Wahl im November schien klar, die Welt rüstete sich für die Wiederkehr eines Poltergeistes: Donald Trump.
Vier Wochen danach schweben die Demokraten auf einer Wolke der Euphorie, zieht ihre Präsidentschaftskandidatin mit strahlendem Lächeln und maximalem Optimismus durch die Lande, im Schlepptau einen sympathischen älteren Mann, Typ Highschool-Coach, der mit breitem Lächeln und viel Angriffslust Klartext über Amerika redet und zupackende Aufbruchstimmung verbreitet. Und auf einmal sieht Donald Trump ganz, ganz alt aus. Die Mainz&-Politik-Kolumne „Mainz& politisch“ über den US-Wahlkampf und den am Montag gestarteten Parteitag der US-Demokraten.
Es ist ein wahres Politikwunder, was da gerade in den USA zu besichtigen ist, unvorhersehbar war es nicht: Vor vier Wochen schrieb ich auf Facebook: „It‘s over, Joe“ und prophezeite: Würde ein neuer, jüngerer Kandidat ins Rennen gehen, er würde die Artihmetik völlig auf den Kopf stellen – Amerika könnte sich hinter einer jüngeren, energetischen Person versammeln, die aus dem Desaster der zwei Greise im Wahlkampf heraus, und das Land in eine bessere Zukunft führt. Amerika dürstet danach.
Kamala Harris: Blitzstart mit coolen Memes und klaren Ansagen
Genau so kommt es nun offenbar gerade: Der Wechsel zu Kamala Harris hat schier alle Dämme brechen lassen. Binnen Stunden versammelte sich die sonst gerne mal so streitfreudige Demokratische Partei hinter der neuen Kandidatin. Kamala Harris warb binnen 24 Stunden 81 Millionen Dollar an Spenden und in 36 Stunden genug Stimmen ein, dass man nur so staunen konnte. Binnen zwei Tagen war klar: Sie würde die Mehrheit der Wahlleute bekommen, sämtliche wichtigen Leute der Partei stellten sich hinter Kamala – die Clintons, Nancy Pelosi, und schließlich auch die Obamas.
Und was dann kam, überraschte noch mehr: Kamala Harris, die als Vize-Präsidentin so blass und erfolglos geblieben war, ja gescheitert schien – machte auf einmal alles richtig. Binnen Tagen hatte sie eine Kampagne auf den Beinen, die nicht nur einfach die Fortsetzung von Bidens Wahlkampf ist, sondern ganz auf Harris zugeschnitten ist.
Es hagelte coole Internet-Memes, also Minifilmchen, die Harris als coole, toughe und humorvolle Frau zeigten. Kamala Harris sagte auf einmal die richtigen Dinge – über die Inflation in den USA, die wankende Mittelschicht, die Angst der Amerikaner um ihr Häuschen und die Gesundheitsversorgung. Kamal sprach die Probleme der Leute an, ohne die Erfolge Bidens zu schmälern. Sie zeigte Mitgefühl, wo Donald Trump nur Häme kennt, sie zeigte Sachlichkeit, wo er nur Schimpftiraden loslässt – und sie zeigte Humor, wo Trump verbiestert wirkte.
Die drei Erfolgsgeheimnisse der Kamala Harris
Vielleicht sind das die drei wichtigsten Dinge, die Kamala Harris gerade so unglaublich richtig macht:
Sie und ihr Team haben einen Weg gefunden, die Angriffe und Hasstiraden von Donald Trump einfach an sich abtropfen zu lassen. Mit Coolness, Humor und Souveränität eben nicht über die Stöckchen zu springen, die er ihnen hinhält, sondern ihn als wirren Sonderling einfach in die Ecke zu stellen, und zur Tagesordnung überzugehen: der Sorge um die Zukunft des Landes.
Das Ergebnis: Donald Trumps Attacken werden immer irrationaler. Erst schwadronierte er, er würde viel besser aussehen, als sie (who cares?), dann erklärte er sie pauschal für „fake“, als unehrlich, unecht, eine Erfindung (was ihm niemand abnahm), und gerade hat er sich auf die Schiene verlegt, sie als „Communist“ zu beschimpfen – in den USA ein Vorwurf, der gerne all denen gemacht wird, die scheinbar radikale linke Ideen vertreten – wie zum Beispiel Obama, als er erstmals in der Geschichte der USA eine grundlegende Krankenversicherung einführte.
Nur: Es verfängt nicht mehr. Kamala Harris war eine führende Staatsanwältin, sie hat schwere Jungs hinter Gitter gebracht (was sie gerne und oft betont) – dass sie eine „Kommunistin“ sein soll, verfängt einfach nicht. Stattdessen hat sie einfach den Spieß umgedreht, und gesagt: Ich kenne solche Typen wie Donald Trump, ich habe sie eingebuchtet – und ging zur Tagesordnung über: dem Kampf um die Zukunft des Landes. Das kann man nur genial nennen.
Kamalas Anleihe bei Barack Obama: Zuversicht & Zukunft
Was mich zum zweiten Punkt bringt: Kamala Harris hat sich die Wahlkampf-Berater von Barack Obama gesichert, und genau das zahlt sich gerade aus. Denn wie einst Obama auf „Hope“ setzte, setzt Kamala jetzt auf Zuversicht. Auf Zukunft. „A new way forward“ steht auf ihrem Tourbus. Und Kamala ist ernsthaft und energiegeladen, auf einmal hält sie hervorragende Reden und füllt Hallen und Arenen, sie sagt kluge Sachen zu Außenpolitik und Krisen. Und sie verzaubert alle mit ihrem breiten, ehrlichen, strahlenden Lachen. Wo immer sie hinkommt, fühlen sich Menschen mitgerissen, inspiriert, begeistert – und laufen in Scharen zu Kamala über.
In den Umfragen in den USA steigt ihr Stern stetig – gerade am gestrigen Sonntag sahen Gleich drei US-weite Umfragen renommierter Medien und Institute Kamala Harris klar vor Donald Trump – mit bis zu 3 Punkten Vorsprung. Ein Hammer, ein Erdrutsch – zu schön, um wahr zu sein? Kamal jedenfalls reagierte mit dem Satz: „Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“ Und wieder genau die richtige Reaktion, der richtige Satz zur richtigen Zeit.
Die positive Stimmung aber hat ganz massiv eine weitere Ursache, und das ist Punkt Nummer drei. Der hat einen Namen: Tim Walz. Den Gouverneur von Minnesota zu ihrem Running Mate gemacht zu haben, war der Glücksgriff schlechthin. Walz ist nicht nur ein extrem sympathischer Mann mit der Aura eines liebevoll-strengen Highschool Teachers und Football Coaches (der er ja wirklich mal war) – er hat es offenbar auch faustdick hinter den Ohren.
Die Geheimwaffe Tim Walz: Der unwiderstehliche Highschool-Coach
Es ist Tim Walz, der auf Twitter beständig die coolen Videos und Selfies postet, die eine unwiderstehliche Aura von Spaß und Charme verbreiten, der man sich einfach nicht entziehen Kann. Tim Walz postet Videos von der Snackpause im Supermarkt, wo er Kamala eine Tüte Doritos Chips rüberreicht. Tim Walz macht die Selfies, auf denen alle in die Kamera strahlen wie Leute, die gerade irgendwas Wichtiges gewonnen haben. Es ist Tim Walz, der die Bilder postet, wo alle die Arme in die Höhe schmeißen, sich abklatschen und grinsen, als hätten sie gerade die Zeit ihres Lebens.
Es ist eine Aura des Glücks, der Begeisterung und des Aufbruchs, die geradezu süchtig macht in einer Zeit voller Krisen und Probleme. Aber Tim Walz kann noch mehr: Er kann Attacke. Mit wenigen schlichten Sätzen stellt er Donald Trump und seinen irrlichternden Vize JD Vans komplett ins Abseits, krempelt die Ärmel hoch und macht glasklar: Hier steht jemand, der weiß, wie es geht, der es überhaupt nicht nötig hat, mit Lügen, wirren Anwürfen oder Beschimpfungen zu punkten – und der dabei auf Augenhöhe mit dem ganz normalen amerikanischen Mann agiert. Samt Baseball-Cap.
„It‘s the honor of a lifetime to join Kamala Harris in this campaign“, schreibt Walz auf Twitter/X: „I‘m all in.“ In der Tat.
Democratic Convention: Krönungsmesse mit drei (Ex-)Präsidenten
Sein Counterpart JD Vance steht derweil wie ein Frauen-hassender Volltrottel da, der es sich gerade mit Schwarzen, Juden und kinderlosen Frauen verscherzt – Glückwunsch. Diese Gruppen, aber vor allem auch die jungen Leute laufen gerade in Scharen zu Kamala Harris über – das ist eine Erdrutschbewegung, wie man sie zuletzt nur bei Obama gesehen hat. Und wer weiß, wie weit das noch geht?
Denn Harris und Walz haben das Momentum klar auf ihrer Seite. Heute Abend beginnt die Democratic Convention, der Parteitag der Demokraten in Chicago – die Krönungsmesse für Kamala Harris. Die Delegiertenstimmen hat sie schon im Sack, jetzt kann die Partei vier Tage lang glänzen und strahlen und positive Energie verbreiten.
Bei Donald Trump haben ein abgehalfteter Wrestler und ein paar republikanische Ex-Gegner gesprochen – bei Kamala Harris werden nicht weniger als drei (Ex-)Präsidenten auftreten: Am Montagabend wird Joe Biden selbst seine Partei auf Kamala einschwören, flankiert von seiner höchst einflussreichen Frau Jill Biden und Hillary Clinton. „Pass on the torch“, ist hier das Motto: Die Fackel weiter reichen an die nächste Generation.
Redner: Clinton, Obama, Pelosi – und Taylor Swift?
Am Dienstag wird Ex-Präsident Barack Obama seinen Auftritt haben, ebenso Michelle Obama, am Mittwoch soll Bill Clinton folgen – mehr Spitzenpower geht nicht. Mittwoch stehen auch noch Nancy Pelosi und der beliebte und schwule Verkehrsminister Pete Buttigieg auf der Rednerliste, bevor die große Stunde von Tim Walz schlägt. Kamala Harris soll dann am Donnerstag mit einer großen programmatischen Rede den Schluss- und Höhepunkt setzen.
Und da sind die ganzen anderen Promis noch gar nicht mitgerechnet: Größen aus Hollywood werden erwartet, ich tippe mal schwer auf George Clooney. Mit Beyoncé wird fast schon fest gerechnet, ein Song von ihr ist Harris‘ Wahlkampfhymne. Und sogar über einen Auftritt von Taylor Swift wird spekuliert – wenn das passiert, kann Donald Trump einpacken. Erinnert sich noch jemand an diese selbstverliebte Republican Convention – oder gar an das Attentat auf Donald Trump? Vergessen, versunken, überlagert, hinweggefegt.
Es sind noch knapp 80 Tage bis zur US-Wahl, und es dürfte das spannendste Finish werden, was ein Präsidentenrennen je erlebt hat. Es geht um Respekt und Würde, es geht um Freiheit, es geht um Chancen für die Zukunft – Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Demokratie. Alles das, was die USA im besten Sinne ausmacht.
„When we fight – we win.“
„Do we believe in the promise of America?“ fragte Kamala Harris in diesem Wahlkampf; Glauben wir an das Versprechen von Amerika? Das Versprechen des American Dream, des Aufstiegs, des Erfolgs, der unbegrenzten Möglichkeiten? Und sagte am Montagabend in einem kurzen Überraschungsauftritt auf dem Parteitag:
„In November, we will declare with one voice, as one people: We will move forward. Let us fight for the ideas we hold dear – and let us always remember: When we fight, we win.“
Im November werden wir mit einer Stimme und als ein Volk sagen: Lasst uns vorwärts marschieren. Lasst uns für die Werte kämpfen, an die wir zutiefst glauben – und lasst uns immer daran denken: Wenn wir kämpfen, dann werden wir gewinnen.
Info& auf Mainz&: Mit der neuen Politik-Kolumne „Mainz& politisch“ widmen wir uns Themen, die über Mainz hinausreichen, aber gleichwohl wichtig für politische Entwicklungen sind. Dabei analysieren wir, ordnen ein, kommentieren auch ein wenig – eben eine Kolumne, die aber gleichwohl auf intensiver Recherche beruht – wie immer bei Mainz&. Denn via Facebook haben wir gemerkt: Auch diese politischen Kolumnen stoßen auf großes Interesse bei Mainz&-Lesern. Dem kommen wir gerne nach. Die erste Kolumne „Mainz& politisch“ findet Ihr hier. Die Autorin ist studierte Amerikanistin und hat selbst insgesamt 1,5 Jahre in den USA gelebt.