Vergangenen Donnerstag beschloss der Wiesbadener Stadtrat die Entwicklungsplanung für den neuen Wiesbadener Stadtteil Ostfeld/Kalkofe – und das trotz zahlreicher offener Fragen: Bis heute etwas ist unklar, welche Auswirkungen der neue Stadtteil auf den Flächen rund um Fort Biehler auf die Kaltluftzone und damit auch die Frischluftzufuhr für die Mainzer Innenstadt haben wird – trotzdem stimmten in Wiesbaden nun auch die Grünen für den neuen Stadtteil. Scharfe Kritik an den Plänen kommt dagegen aus Mainz: die Mainzer Sorgen würden nicht Ernst genommen. Die Stadtverwaltung räumte nun auf Anfrage der ÖDP ein: Bis heute sind wichtige Fragen zur Kaltluft nicht beantwortet.

Karte mit Lufttemperaturen zum gebiet des Wiesbadener Ostfelds (umrandet), unten der Rhein. - Grafik: Ökoplana, Foto: gik
Karte mit Lufttemperaturen zum gebiet des Wiesbadener Ostfelds (umrandet), unten der Rhein. – Grafik: Ökoplana, Foto: gik

Wiesbaden will auf dem Ostfeld zwischen Wiesbaden-Erbenheim und dem kleinen Stadtteil Fort Biehler einen neuen Stadtteil für 8.000 bis 12.000 Menschen bauen – verkehrsgünstig an der Bundesstraße 455 gelegen. An dem Projekt gibt es indes scharfe Kritik: Das Ostfeld ist das zweitwichtigste Kaltluftentstehungsgebiet für die hessische Landeshauptstadt, der Kaltluftsee versorgt aber auch das rechte Rheinufer von Kostheim bis Amöneburg mit frischer Luft – die Kaltluftströme reichen sogar bis über den Rhein in die Mainzer Neustadt und in Teile der Mainzer Altstadt.

Die Bürgerinitiative „Hände weg von Os/Ka“ kritisiert das Bebauungsprojekt deshalb scharf, Landwirte klagen, sie sollen ihr Land für einen Bruchteil der Preise abgeben – und ein Gutachten bescheinigt der Stadt Wiesbaden gar schwere Versäumnisse in Sachen Lärmschutz: Wegen der Landebahn des nur zwei Kilometer entfernten Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim dürften wahrscheinlich ein Drittel der geplanten Fläche gar nicht bebaut werden. Trotzdem beschloss der Wiesbadener Rat vergangenen Donnerstag mit großer Mehrheit die Entwicklungsplanung für das Ostfeld – auch die Grünen stimmten mehrheitlich zu, nachdem zuvor einer ihrer eigenen Stadtverordneten aus der Versammlung ausgeschlossen worden war.

- Werbung -
Werben auf Mainz&
Kaltluftanalyse des Deutschen Wetterdienstes für Mainz-Wiesbaden im Rahmen von Klimprax, deutlich sichtbar: Der lila Kaltluftstrom aus dem Ostfeld Richtung Rhein. - Foto: gik
Kaltluftanalyse des Deutschen Wetterdienstes für Mainz-Wiesbaden im Rahmen von Klimprax, deutlich sichtbar: Der lila Kaltluftstrom aus dem Ostfeld Richtung Rhein. – Foto: gik

Aus Mainz kommt derweil scharfe Kritik an dem Projekt: Die Ortsvorsteher der Mainzer Neustadt und der Mainzer Altstadt, Christopher Hand und Brian Huck (beides Grüne), warfen der Stadt Wiesbaden kurz vor der Abstimmung vor, wichtige Fragen zur Kaltluftschneise bis heute unbeantwortet zu lassen: Wiesbaden sei bis heute den von der Stadt Mainz erbetenen Nachweis schuldig geblieben, dass die Kaltluftströmung durch die Neubebauung um nicht mehr als 10 Prozent verringert werde.

„Die letzten Sommer haben uns gezeigt, der Klimawandel geschieht schon jetzt“, sagte Hand: „Gerade unsere dicht bebauten Stadtteile der Innenstadt wärmen sich stark auf. Umso wichtiger für die Bevölkerung ist die nächtliche Abkühlung und Frischluftzufuhr.“ Genau diese Frischluftzufuhr von den Hängen des Ostfelds sei aber nun durch die Bebauungspläne des Ostfelds bedroht, das werde gravierende Auswirkungen auf die Mainzer Innenstadt haben, warnten Hand und Huck. „Dennoch treibt die Stadt Wiesbaden den Planungsprozess voran, und hat eine städtebauliche Entwicklungssatzung in ihre Gremien eingebracht, die eine ‚zügige Durchführung der Maßnahme‘ gewährleisten soll“, kritisierte Huck: „Wir blicken besorgt über den Rhein und fragen uns, ob unsere Nachbarn unsere Sorgen ernst nehmen.“

Die Grünen-Ortsvorsteher Brian Huck (Altstadt, links) und Christopher Hand (Neustadt, rechts) warnen vor den Auswirkungen der Bebauung des Ostfelds für Mainz. - Foto: gik
Die Grünen-Ortsvorsteher Brian Huck (Altstadt, links) und Christopher Hand (Neustadt, rechts) warnen vor den Auswirkungen der Bebauung des Ostfelds für Mainz. – Foto: gik

Die beiden Grünen sind nicht die einzigen, die sich sorgen, auch der Vorsitzende des Mainzer Klimaschutzbeirats warnt vor den Folgen des Ostfelds: „Die Anzahl der Tropennächte steigt seit Jahren“, sagte Volker Wittmer auf einer Veranstaltung des Arbeitskreises Umwelt und Frieden (AUF) in Mainz-Kastel, „wir müssen alles tun, dass es nicht noch schlimmer wird.“ Die Zusammenhänge zwischen dem Kaltluftentstehungsgebiet im Ostfeld und der Frischluftzufuhr für Mainzer Altstadt und Neustadt seien eindeutig und unstrittig, sagte Wittmer, das habe das Klimaschutzprojekt Klimprax eindeutig gezeigt.

Die Stadt Mainz hatte hingegen den hessischen Nachbarn im Rahmen des Beteiligungsverfahrens im Februar 2019 mitgeteilt, man habe keine Bedenken gegen die Pläne – allerdings mit einer Einschränkung: Wiesbaden müsse die offenen Fragen vor allem zu den klimatologischen Auswirkungen im weiteren Verfahren zufriedenstellend beantworten. Das aber ist bis heute nicht geschehen: Die Stadt Mainz schickte im September 2019 eine weitere Stellungnahme an die Stadt Wiesbaden, am 31. Oktober kam es zu einem persönlichen Gespräch bei der Stadtentwicklungsgesellschaft in Wiesbaden.

Darstellung des Mainzer Umweltamtes der Kaltluftströme vom Ostfeld nach Mainz. - Foto: gik
Darstellung des Mainzer Umweltamtes der Kaltluftströme vom Ostfeld nach Mainz. – Foto: gik

Thema des Austauschs: Mainz verlangte einen Nachweis, dass eine Bebauung des Ostfelds den Kaltluftstrom zum Rhein um nicht mehr als zehn Prozent verringert. Am 23. März 2020 berichtete Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) im Stadtrat schriftlich auf Anfrage der ÖDP: „Eine von allen Gesprächsteilnehmern akzeptierte Niederschrift zu diesem Gespräch konnte nicht erreicht werden.“ Im Klartext: Die Differenzen zwischen der Mainzer Delegation und den Verantwortlichen der Wiesbadener Stadtentwicklungsgesellschaft waren so groß, dass man sich nicht einmal auf ein gemeinsames Gesprächsprotokoll einigen konnte.

Offenbar konnten die Wiesbadener Verantwortlichen die Bedenken der Mainzer in keinster Weise ausräumen, öffentliche Kritik der Mainzer Stadtspitze an dem Projekt Ostfeld hörte man trotzdem bislang keine. Der Stadtteil Ostfeld wurde als Projekt von dem ehemaligen Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) geboren, sein Nachfolger Gert-Uwe Mende (SPD) verteidigt die Pläne als „Meilenstein“ für Wiesbadens Stadtentwicklung.

Luftfeld des Ostfelds bei Wiesbaden-Erbenheim. - Foto: SEG Wiesbaden
Luftfeld des Ostfelds bei Wiesbaden-Erbenheim. – Foto: SEG Wiesbaden

In einer schriftlichen Antwort für den Stadtrat an diesem Mittwoch räumt die Stadt nun erneut ein: Dieser Nachweis sei bis heute nicht erbracht worden. Die ÖDP – bislang die einzige Partei, die sich offiziell in Mainz gegen das Ostfeld positioniert hat – hatte nachgefragt, in der Antwort von Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) heißt es: „Die von der Stadt Mainz angeforderten Nachweise liegen nicht vor. Ein Grund hierfür ist nicht bekannt. Die Forderungen bestehen weiterhin und werden im Rahmen der nächsten Beteiligung erneut vorgebracht.“

Die Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden behauptet derweil, eine Beeinträchtigung der Kaltluftströme durch eine Bebauung des Ostfelds sei nicht gegeben. Das dafür vorgelegte Gutachten beziehe aber wichtige Faktoren gar nicht ein, kritisiert derweil Klimarats-Vorsitzender Wittmer: „Uns fehlt in Mainz eine zusammenhängende Betrachtung“, sagte er, das Gutachten bilde die Zusammenhänge in dem gesamten Kaltluftgebiet nicht umfassend ab. So würden Kaltluftströme vom Taunushang in Richtung Ostfeld und von dort weiter gar nicht berücksichtigt, Summenwirkungen würden nicht berechnet. „Und wenn ich eine Quelle versiegele“, fügte Wittmer mit Blick auf den Kaltluftsee Ostfeld hinzu, „kommt dahinter nichts mehr an – dann ist der Bach trocken.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Plänen für das Stadtquartier Ostfeld/Kalkofe sowie über die Kritik daran insbesondere auf klimatischen Gründen lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zu den Ergebnissen der Klimafolgenstudie Klimprax könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen, unseren Bericht über die fehlende Fluglärmstudie für das Ostfeld findet Ihr hier – und den Bericht über das Kaltstellen von Ostfeld-Kritikern im Ortsbeirat Mainz-Kastel sowie in der Stadtverordnetenversammlung vergangene Woche gibt es hier.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein