Der bekannte Mainzer Obdachlosenarzt Gerhard Trabert kann nach seinen schweren Schlaganfällen sein altes Leben nicht wieder aufnehmen: Trabert werde sein Bundestagsmandat nicht antreten können, teilte der Verein Arbeit und Gesundheit am Dienstag mit. Auch seine Arbeit bei dem von ihm gegründeten Verein könne er nicht fortsetzen. Die Politik in Mainz verliert damit einen hoch-engagierten Kämpfer für Arme, Obdachlose und Benachteiligte. Die Entwicklung ist tragisch, der späte Rückzug durch die Linke hat indes ein Geschmäckle: Die Schlaganfälle geschahen bereits Ende 2024, trotzdem warb die Linke im Bundestagswahlkampf weiter mit dem beliebten „Arzt der Armen“.

30 Jahre lang setzte sich Gerhard Trabert unermüdlich für Arme und Obdachlose ein und gründete mit der „rollenden Ambulanz“ in seinem Arztmobil in Mainz ein Vorzeigeprojekt, das bundesweit Nachahmer fand. Vor 27 Jahren gründete der Mainzer Mediziner den Verein „Armut und Gesundheit“, dessen Ziel es war, für eine bessere Gesundheitsvorsorge von sozial benachteiligten Menschen zu streiten – was Trabert unermüdlich tat. „Armut macht krank, und Krankheit macht arm“, lautete sein Credo. In seinem Buch „Der Straßen-Doc“ gab er denen eine Stimme, die er in seiner Ambulanz traf: Obdachlose, misshandelte Frauen, Menschen, die den Halt verloren.
2013 richtete Trabert auf der Mainzer Zitadelle die „Ambulanz ohne Grenzen“ ein, in der neben Obdachlosen auch Flüchtlinge behandelt wurde. Mehrfach reiste der Mediziner auch in Flüchtlingscamp in alle Welt, schlug Alarm über die Zustände im Lager auf Lesbos und war bei Seerettungsmissionen im Mittelmeer mit an Bord. Vor 22 Jahren hatte er zudem mit Flüsterpost e.V. einen Verein zur Unterstützung von Kindern krebskranker Eltern gegründet. Zuletzt setzte sich Trabert noch im Oktober 2024 für einen Gedenkort für von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Wohnungslose in Mainz ein – der erste Gedenkort dieser Art in Deutschland.
„Rückkehr in das Leben, wie es bisher war, nicht möglich“
Immer wieder trat Trabert auch bei Wahlen für die Linke in Rheinland-Pfalz an, unter anderem bei der Europawahl 2024 und 2021 für den Bundestag, Parteimitglied wurde er aber nie. Bundesweit bekannt wurde Trabert, als ihn die Linke Anfang 2022 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten nominierte – ein echter Coup. Trabert hatte zwar nie eine Chance auf das Amt, aber mit seiner Kandidatur erreichte er bundesweit hohe Aufmerksamkeit für seine Themen. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zeigte sich von seinem „Konkurrenten“ so beeindruckt, dass er Trabert im Juni 2022 in seiner Ambulanz in Mainz besuchte.

Ende 2023 wurde Trabert als Professor für Sozialmedizin an der Wiesbadener Hochschule emeritiert, danach wollte sich der heute 69-Jährige noch mehr auf politisches Engagement konzentrieren – und ließ sich von der rheinland-pfälzischen Linken als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl im Februar 2025 aufstellen. Am 3. Januar dann aber die Schock-Mitteilung: Trabert hatte Ende 2024 überraschend mehrere Schlaganfälle erlitten. Schnell war klar: Der Gesundheitszustand des Arztes war so prekär, dass er keinen Wahlkampf würde führen können. Ob Trabert überhaupt sein Bundestagsmandat würde annehmen können – Fragen dazu ließ die Linke monatelang unbeantwortet.
Nun, sechs Monate nach der Bundestagswahl, die erschütternde Nachricht: Gerhard Trabert wird in sein altes Leben nicht mehr zurückkehren können. „Nachdem unser Vater Gerhard Trabert mehrere schwere Schlaganfälle erlitten hatte, war er mehrere Monate in einer Reha“, teilte Traberts Familie am Dienstag über die Linke mit. Diese Zeit ende nun, Gerhard Trabert könne nach Hause zurückkehre – doch es ist eine bittere Rückkehr: „Trotz einiger kleiner Fortschritte in der Reha, muss unser Vater weiterhin mit schweren Einschränkungen leben“, so die Familie weiter: „Eine Rückkehr in das Leben, wie es bisher gewesen ist – und das vom Einsatz für die Menschen geprägt war – ist nicht möglich.“
Trabert kann Bundestagsmandat nicht annehmen
Das Bundestagsmandat, das Trabert trotz Krankheit bei dem überraschenden Erfolg der Linken am 23. Februar 2025 errang, werde er „leider nicht wahrnehmen können.“ Eine laute Stimmen für soziale Gerechtigkeit und Menschlichkeit könne Gerhard Trabert nicht mehr sein. Man habe deshalb „aus Verantwortung gegenüber den Bürgern und deren Stimmen alle Schritte eingeleitet, um das Mandat zeitnah zurückzugeben.“

„Es ist ein schwerer Schlag für uns alle, und wir sind alle sehr traurig, dass Professor Trabert seine Arbeit für Armut und Gesundheit nicht mehr fortführen kann“, teilte der Verein selbst mit: „Er fehlt uns allen sehr.“ Der Verein habe aber bereits 2024 „erfolgreich strukturelle Veränderungen umgesetzt, und die praktische Arbeit effektiv organisiert“, so die Mitteilung weiter. Darauf aufbauend sei man in der Lage, die Arbeit in vollem Umfang fortzuführen.
„Für Professor Trabert war der Einsatz für Menschen, die Unterstützung benötigen, eines der wichtigsten Dinge in seinem Leben“, betonen die beiden Vereine A+G und Flüsterpost weiter: „Ganz in diesem Sinne werden wir alles dafür tun, diese Gedanken, Werte und tatsächliche Unterstützung weiterzuführen.“

Trierer Linke Lin Lindner zieht statt Trabert in Bundestag ein
Die Linke teilte mit, für Trabert werde nun die Trierer Politikerin Lin Lindner das Bundestagsmandat übernehmen. Lindner identifiziert sich als Trans-Person, ist erst seit 2023 Mitglied der Linken und trat bei der Bundestagswahl auf Platz drei der Landesliste an. „Ich habe mich sehr gefreut, dass Gerhard Trabert für uns in den Bundestag einziehen sollte, dass er das Mandat nicht wahrnehmen kann ist ein großer Verlust für uns alle“, sagte Lindner: „Nun liegt es an mir, das Mandat für unsere Wählerinnen und Wähler mit Leben zu füllen.“

Sie freue sich darauf, „mit den vielen tollen Menschen in unserer Bundestagsfraktion etwas zu bewegen“, sagte die 31-Jährige weiter. Sie wolle jetzt „viele Gespräche führen, um abzuklären, was und wie ich am besten beitragen kann. Ich bin mit dem Anspruch angetreten, dem Wort ‚Lindnern‘ eine neue Bedeutung zu geben – nämlich die Dinge von Anfang an richtig zu machen. Und das werde ich einlösen.“
Die Linke betonte, man freue sich, dass mit Lin Lindner nun „eine starke junge Person in den Bundestag einzieht, die sich den Kampf gegen Armut und Diskriminierung auf die Fahnen geschrieben hat.“ Zugleich sei die Partei aber immer noch „stolz und dankbar, dass Gerhard Trabert mit uns zur Bundestagswahl angetreten ist. Als ‚Arzt der Armen‘ ist er eine moralische und fachliche Autorität. Im Bundestag wäre er eine starke Stimme für eine Gesundheitspolitik gewesen, die gute gesundheitliche Versorgung für alle garantiert, nicht nur für die, die sich private Extras leisten können.“ Man bleibe Trabert tief verbunden und wünsche ihm weiter gute Genesung.
Linke schwieg lange zur Frage nach Traberts Mandat
Die zeitliche Abfolge wirft allerdings Fragen auf: Offenbar war bereits Ende 2024 klar, dass Traberts Gesundheitszustand so schwer eingeschränkt war – und wohl auch bleiben würde -, dass man in Traberts Vereinen bereits zu diesem Zeitpunkt die Umstrukturierung der Arbeit organisierte. Die Linke hielt trotzdem an ihrem beliebten Zugpferd fest – obwohl die Frist zur Einreichung der Vorschläge der Wahlkreiskandidaten sowie der Landeslisten für die Bundestagswahl erst am 20. Januar 2025 endete. Bis zum 24. Januar hätten die Parteien sogar noch Änderungen bei Wahlvorschlägen einreichen können.

Trotzdem, hieß es von der rheinland-pfälzischen Linken noch am 10. Januar, die Kandidatur Traberts werde „durch seine Krankheit nicht berührt“ – obwohl bereits da nach Mainz&-Informationen die Prognosen über Traberts Gesundheit schlecht standen. Auch als im März der Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat, schwieg die Linke zu der Frage, ob Trabert sein Mandat überhaupt würde antreten können. Man sei „gerade dabei die Situation zu klären“, wünsche gute Genesung und würde sich „freuen, ihn bald im Bundestag begrüßen zu können“, teilte Linken-Geschäftsführer Fabian Bauer mit.
Nun ist klar: Mainz sowie die Politik in Deutschland verliert einen aktiven Kämpfer für Gerechtigkeit, Armut und die Schwächsten in der Gesellschaft. In Mainz ist die Betroffenheit seit dem Bekanntwerden der Erkrankung groß, der „Straßen-Doc“ wird von vielen vermisst – vor allem wird seine Stimme fehlen, für Flüchtlinge, Obdachlose und die Kurden in der Region Rojava. „Es gibt keine Obergrenze an Humanität“, sagte Trabert einmal im Gespräch mit Mainz&. Sich einmischen, Menschenrechte verteidigen, Stellung beziehen – Trabert hatte das 30 Jahre lang zu seinem Lebensmotto gemacht. „Je dichter ich Armut begegnete“, sagte er noch, „umso näher war ich bei den Menschen.“
Info& auf Mainz&: Ein Porträt über den „Straßen-Doc“ Gerhard Trabert und sein Arztmobil aus dem Dezember 2019 lest Ihr hier auf Mainz&.