Die Debatte um die Ende September verschobenen Stadtratsanträge geht weiter, der OB-Kandidat der Linken, Martin Malcherek, fordert nun eine gemeinsame Initiative in Sachen 365-Euro-Ticket. Da sich ohnehin inzwischen alle Kandidaten für die Wahl zum Oberbürgermeister für ein 365-Euro-Ticket im Öffentlichen Nahverkehr ausgesprochen hätten, könnten die Fraktionen doch auch gleich einen gemeinsamen Antrag stellen, schlug Malcherek vor – das könne doch ein Zeichen für eine zukunftsfähige Politik sein. Unterdessen kritisierte die SPD den Antrag mehrerer Fraktionen für eine Sondersitzung des Stadtrats als Wahlkampf-Manöver und betonte zugleich, Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sei „bereits auf allen Ebenen im Gespräch“ für ein 365-Euro-Ticket.
Die Fraktionen der bisherigen Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatten vergangene Woche im Mainzer Stadtrat mit ihrer Mehrheit dafür gesorgt, dass alle Anträge der Sitzung von der Tagesordnung genommen wurden. Betroffen waren davon ausschließlich Anträge der Oppositionsfraktionen, darunter ein Antrag der CDU für ein 365-Euro-Ticket, ein Antrag der ÖDP zum Verbieten von Schottergärten sowie ein Antrag der Freien Wähler für ein Bürgerbegehren in Sachen Rathaussanierung. Am selben Tag hatte der Mainzer Stadtrat den Klimanotstand ausgerufen, trotzdem sorgte die Ampel für ein Absetzen der Anträge – angeblich aus zeitlichen Gründen.
CDU, ÖDP und Freie Wähler kritisierten das Vorgehen scharf und beantragten daraufhin am Dienstag eine Sondersitzung des Stadtrats noch vor der OB-Wahl am 27. Oktober einzuberufen – die nächste reguläre Stadtratssitzung wäre erst Ende November. SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers sprach am Mittwoch von einem „Akt der Verzweiflung“, mit dem CDU, ÖDP und FW „versuchen, den OB-Wahlkampf in den Stadtrat zu ziehen, nachdem ihr eigener Kandidat sie schon lange nicht mehr mitspielen lässt.“ Die Anspielung gilt dem unabhängigen und parteilosen OB-Kandidaten Nino Haase, der für CDU, ÖDP und Freie Wähler in das Rennen um den Oberbürgermeisterposten gegangen ist, aber weiterhin als unabhängiger Kandidat auftritt.
Haase absolviert derzeit Termine in ganz Mainz, bei denen er wechselweise mit der jeweiligen Partei gemeinsam verschiedene Themen vorstellt. Gleichzeitig plakatiert aber auch der amtierende Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) seine Plakate zur Wiederwahl ohne jegliche Parteizugehörigkeit – ein SPD-Logo sucht man auf den Plakaten vergeblich. Gill-Gers warf derweil den Oppositionsfraktionen vor, einerseits über die hohe Arbeitsbelastung im Rat zu klagen, andererseits aber „keine Mühe zu scheuen, wenn es um die Show im Rahmen des Oberbürgermeisterwahlkampfs geht.“ Die SPD hatte das Absetzen der Anträge mit dem Argument begründet, die Stadtratssitzung dauere sonst zu lang – das Gremium beendete um 20.00 Uhr seine Arbeit.
Auch der Grünen-Stadtrat Jonas-Luca König sprach auf Facebook von „Show-Anträgen“ der Opposition, was diese prompt zurückwies: Es sei doch „unglaublich zu unterstellen, dass alle Anträge der Opposition nur Show-Anträge seien“, schimpfte Gerhard Wenderoth von den Freien Wählern auf Facebook. Die SPD und ihr Oberbürgermeister seien momentan doch selbst dauernd auf Wahlkampfveranstaltungen unterwegs, wenn es aber ernst werde mit den Themen, „schickt man das Parlament in die Zwangspause.“
Gill-Gers betonte hingegen, bei der SPD sehe man „keine Notwenigkeit“ für eine Sondersitzung. Die Prüfung der Bebauung der Supermärkte laufe bereits, „da die Verwaltung sich diese Aufgabe schon selbst gestellt hat“, betonte sie. Den Beschluss zur Rathaussanierung wiederum habe der Stadtrat selbst im Februar 2018 gefällt. Die CDU hatte einen Antrag im Stadtrat gestellt, Wohnbebauungen über Supermärkten noch einmal intensiv zu prüfen, nachdem die Verwaltung vor einigen Wochen genau eine solche Anfrage des Discounters Aldi für einen Standort in Mainz-Bretzenheim abgelehnt hatte – das Mainzer Zentrenkonzept spreche dem entgegen.
Die CDU hatte daraufhin einen Antrag gestellt, das Zentrenkonzept so anzupassen, dass es zukünftig möglich wird, Geschäfte des Lebensmitteleinzelhandels aufzustocken und so zusätzlichen Wohnraum in Mainz zu schaffen. Das mochten die Ampel-Fraktionen aber ebensowenig behandeln wie einen Antrag der Freien Wähler, doch noch einen Bürgerentscheid zur Rathaussanierung durchzuführen. Die Freien Wähler hatten ihren Antrag unter anderem damit begründet, dass Ebling selbst ein solches Bürgerbegehren vorgeschlagen habe, das dann aber nie gekommen sei.
Gill-Gers wiederum hatte behauptet, im Ältestenrat sei beschlossen worden, keine Anträge für die Klima-Sitzung des Stadtrats zu stellen, dem widersprach die CDU vehement: Einen Beschluss dazu habe es nie gegeben. Gill-Gers präzisierte nun, sie habe „einen Antrag auf Vertagung der Anträge“ angekündigt, Widerstand dagegen habe es nicht gegeben. Eine Zustimmung der Opposition zu dem Vorstoß der SPD gab es damit aber ganz offensichtlich auch nicht – was die SPD zuvor aber behauptet hatte.
Da CDU, ÖDP und Freie Wähler gemeinsam genug Stimmen haben, wird es aber in jedem Fall eine Sondersitzung geben müssen – und für die schlug OB-Kandidat Malcherek nun ein gemeinsames Vorgehen in Sachen 365-Euro-Ticket vor: Er plädiere nachdrücklich für eine zügige Entscheidung zur Einführung eines solchen Tickets in Mainz, sagte Malcherek: „Das wird nicht nur den Öffentlichen Personennahverkehr attraktiver machen, sondern einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes mit sich bringen.“ Nachdem der Stadtrat mit großer Mehrheit die Ausrufung des Klimanotstands beschlossen habe, müssten nun auch Taten folgen.
Alle OB-Kandidaten hätten sich inzwischen für ein 365-Euro-Ticket ausgesprochen, deshalb schlage er vor, einen gemeinsamen Antrag zur Einführung in den Stadtrat einzubringen – also von Grünen, CDU, SPD, Linken, ÖDP, Volt/Piraten, DIE PARTEI und Freien Wählern. „So kann sichergestellt werden, dass dieses wichtige Thema nicht zu einem parteipolitischen Geplänkel im OB-Wahlkampf wird“, sagte Malcherek und fügte hinzu: „Es wäre ein gutes Zeichen für die Glaubwürdigkeit der Kommunalpolitik, wenn wir uns im Stadtrat fraktionsübergreifend auf eine zukunftsfähige Politik verständigen könnten.“
Von der SPD dürfte dagegen eher keine Zustimmung zu erwarten sein: Gill-Gers kritisierte mit Blick auf den CDU-Antrag, das 365-Euro-Ticket sei doch „keine Erfindung der CDU“, nur weil diese sich das „jetzt ohne Konzept und Finanzierung einfach mal in einem Stadtratsantrag so wünschen.“ Im Übrigen sei Oberbürgermeister Ebling „hier bereits auf allen Ebenen engagiert und im Gespräch.“ Bislang lehnt man im Mainzer Verkehrsministerium von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) allein schon ein 365-Euro-Ticket für Schüler in Rheinland-Pfalz als zu teuer ab – auch auf Landesebene regiert zurzeit eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den verschobenen Anträgen im Mainzer Stadtrat lest Ihr hier auf Mainz&, die Begründung der Opposition zum Antrag auf eine Sondersitzung könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.
Kommentar: Mehrheit ist Wahrheit?
Kommentar& auf Mainz&: Das ist ja interessant: Erst verkündet die SPD vollmundig, das Absetzen der Anträge von der Tagesordnung des Stadtrats sei „im Ältestenrat beschlossen worden“, jetzt heißt es plötzlich, der Antrag auf Absetzung sei nur angekündigt worden – das lässt tief blicken. Wenn die SPD etwas ankündigt, ist das also gleichbedeutend mit einem gemeinsam getragenen Beschluss? Man fragt sich wirklich, welches Demokratieverständnis hier herrscht: Wer die Mehrheit hat, bestimmt – und dann verkauft man das als „Beschluss“, gegen den die böse Opposition angeblich mutwillig verstößt? Das ist schon ein starkes Stück und nährt die Vermutung, dass es SPD, Grünen und FDP schlicht darum ging, unliebsame Anträge vor der Oberbürgermeisterwahl zu verhindern.
Immer wieder wurde in den vergangenen Monaten und Jahren von Seiten der Ampel-Fraktionen argumentiert, im Ältestenrat sei dies oder jenes „beschlossen“ worden – der Rat tagt indes nicht öffentlich, wie dort Beschlüsse zustande kommen, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Ältestenrat gerne mal benutzt wird als Rechtfertigungsgrund für taktische Manöver im Rat, das ist weder transparent, noch hat es etwas mit einem fairen Umgang miteinander zu tun. Im Ältestenrat wird traditionell die Tagesordnung abgeklärt, hier soll sachlich die Arbeitsweise des Rates besprochen werden. Wenn das für Wahlkampfmanöver im Hinterzimmer missbraucht wird, ist das nicht nur schlechter Stil im Umgang mit dem politischen Mitbewerber, sondern beschädigt auch die demokratischen Gremien und ihre Arbeit.