Mainz hat akuten Wohnungsmangel, seit Jahren sucht die Politik nach Wegen, mehr Wohnraum in der Stadt zu schaffen. Eine Lösungsmöglichkeit der neueren Debatte: Wohnungen über Supermärkte schaffen. Bis zu 5.000 neue Wohnungen könnten laut einer aktuellen Berechnung des Regionalverbands Frankfurt auf Supermarktdächern im Rhein-Main-Gebiet entstehen, mehrere Kandidaten im OB-Wahlkampf setzen ebenfalls auf dieses Instrument. In Mainz-Bretzenheim will der Discounter Aldi Süd nun genau so ein Projekt mit Einkaufen, Wohnen und Büros verwirklichen – die Stadt Mainz lehnte das ab. Grund: Das Mainzer Zentrenkonzept. Die Entscheidung stößt auf Unverständnis bei der Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU).

Der Aldi Süd-Mark an der Essenheimer Straße in Mainz-Bretzenheim - Foto: gik
Der Aldi Süd-Mark an der Essenheimer Straße in Mainz-Bretzenheim. Aldi würde diesen Markt gerne modernisieren und hier auch Wohnungen schaffen – die Stadt lehnte das ab. – Foto: gik

Wohnen über Supermärkten gilt als neue Zauberformel für die Schaffung von mehr Wohnraum in den Städten. In Hessen fand dazu gerade ein „Supermarktgipfel“ statt, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) betonte bei dem Treffen mit rund 50 Vertretern von Supermärkten, Immobilienentwicklern und städtischen Planungsämtern, die Aufstockungsmöglichkeiten seien „vielversprechend“: „Supermärkte sind oft gut gelegen, sie haben häufig noch viel Platz obendrüber und für die neuen Wohnungen müssen keine neuen Flächen versiegelt werden“, sagte Al-Wazir. Hessen wolle solche Projekte „in Zukunft verstärkt auch mit unseren Stadtentwicklungsprogrammen fördern.“

In Mainz-Bretzenheim wollte nun der Discounter Aldi Süd genau ein solches Projekt realisieren: Die Filiale an der Essenheimer Straße soll modernisiert werden, das dort seit vielen Jahren bestehende Geschäft ist in die Jahre gekommen. Aldi habe bei der Stadt mündlich eine Erweiterung der Filiale angefragt, das habe man abgelehnt, teilte die Stadt auf Mainz&-Anfrage mit. Grund der Ablehnung: Der Aldi-Markt liege in einer Randlage, und dort seien laut dem Zentrenkonzept der Stadt Mainz nur Einzelhandelsbetriebe bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche zulässig. „Die Filiale der Firma Aldi hat diese Größe bereits erreicht“, heißt es in der Antwort weiter.

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Das Pikante an der Ablehnung: Aldi wollte an der Essenheimer Straße nicht nur seinen Einkaufsmarkt erweitern, sondern gleichzeitig Raum für Wohnungen, Gewerbe oder auch eine öffentliche Nutzung wie etwa durch eine Kita schaffen. Man bemühe sich „seit geraumer Zeit“, den Standort in Mainz-Bretzenheim weiter zu entwickeln, teilte Aldi Süd-Sprecher Tobias Neuhaus nun auf Mainz&-Anfrage mit. Man strebe einen mehrgeschossigen Neubau mit einer Aldi-Filiale im Erdgeschoss an. „Neben Parkmöglichkeiten könnten in den Obergeschossen – je nach Bedarf – zwischen 60 und  80 Wohnungen, Büroraum oder beispielsweise auch eine Kita Platz finden“, sagte Neuhaus weiter. Ein solcher Neubau wäre „nicht nur realistisch, sondern unsererseits auch sehr gewünscht.“ Die Stadt Mainz habe man bisher aber „mit unseren Neubaukonzepten nicht überzeugen können.“

Auch andere Supermärkte, hier ein Lidl in der Mainzer Neustadt, böten Flächen für Aufstockung zur Schaffung von Wohnraum. - Foto: gik
Auch andere Supermärkte, hier ein Lidl in der Mainzer Neustadt, böten Flächen für Aufstockung zur Schaffung von Wohnraum. – Foto: gik

Bei der Stadt heißt es dazu, man begrüße „grundsätzlich den flächensparenden Ansatz“, der Markt an der Essenheimer Straße liege aber nicht in einem der zentralen Versorgungsbereiche, wie sie das Mainzer Zentrenkonzept definiere. Danach solle die Nahversorgung „nicht an peripheren Standorten“ stattfinden, sondern in den gewachsenen Ortskernen und definierten zentralen Versorgungsbereichen. „Aus diesem Grund dürfen großflächige Einzelhandelsbetriebe – also Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche – auch nur in eigens ausgewiesenen Sondergebieten oder der Innenstadt angesiedelt werden“, heißt es in der Antwort der Stadt weiter: „Eine Erweiterung des Marktes an der Essenheimer Straße würde möglicherweise zu einer Attraktivitätssteigerung und damit eventuell zu einer Kaufkraftumlenkung aus dem Ortskern führen.“

Tatsächlich würde Aldi Süd den Markt in Mainz-Bretzenheim gerne großflächig erweitern: Man würde gerne eine Filiale mit größerer Verkaufsfläche errichten, „die uns ermöglicht, Frischeprodukte wie Obst, Gemüse, Frischfleisch und Fisch in den Mittelpunkt unseres Sortiments zu rücken“, sagte Neuhaus weiter. Damit könnten die Aldi-Kunden „in den Vorteil des „One-Stop-Shoppings“ kommen“ und hätten die Möglichkeit, unterschiedliche Einzelhandels- oder Dienstleistungsbetriebe an einem Standort zu nutzen. Auch die Bereitstellung von Flächen für weitere  Fachgeschäfte im Erdgeschoss sei denkbar. Beide Standorte im Stadtteil Mainz-Bretzenheim entsprächen „hinsichtlich der Verkaufsfläche nicht mehr den Anforderungen an einen modernen Einzelhandelsstandort“, betonte Neuhaus. Man strebe grundsätzlich eine Vergrößerung der Verkaufsfläche an, auf eine konkrete Zahl sei man aber nicht festgelegt.

Blick von der Christuskirche auf die Mainzer Neustadt. - Foto: gik
Mainz braucht dringend mehr Wohnraum, in der dicht bebauten Innenstadt sind dafür kaum noch freie Flächen. – Foto: gik

Die Antwort der Stadtverwaltung sorgt denn auch für Erstaunen bei der Wirtschaftsdezernentin: „Es stößt auf völliges Unverständnis, warum man hier nicht eine Modernisierung zulässt“, sagte Manuela Matz (CDU) auf Mainz&-Anfrage. Aldi wolle ja keinen komplett neuen Markt bauen, „da steht ja schon einer“, betonte Matz. Mit einem aufgestockten Gebäude „könnten wir größere Kundenzufriedenheit erreichen und zusätzlich einen Benefit für die Stadt schaffen, sei es durch Wohnen, sei es durch Gewerbe“, sagte sie. Das bietet doch Chancen für beide Seiten. Die Ablehnung sei deshalb auch nicht durch ihr Dezernat erfolgt. Mainz habe nach einer aktuelle Studie an Zustrom aus dem Umland verloren, die Stadt müsse wieder attraktiver werden, gerade für Einkaufende aus dem Umland, betonte die Dezernentin.

„Ich habe jüngst eine Email bekommen von einem Bürger aus Mainz-Hechtsheim, der mir schrieb: Macht weiter so, man muss nicht in Mainz einkaufen“, berichtete Matz. Immer mehr Mainzer setzten sich ins Auto, um im Umland, in Heidesheim, Ingelheim oder in der Äppelallee einzukaufen. „Wir sollten dafür sorgen, dass die Leute in Mainz einkaufen können“, betonte Matz, das habe auch etwas mit Ökologie und Nachhaltigkeit zu tun. Matz plädiert deshalb erneut dafür, das Mainzer Zentrenkonzept anzupassen: „Trotz Zentrenkonzept geht der Einzelhandel in den Innenstädten oder Stadtteilen ja zurück“, sagte Matz, „dann muss ich mir überlegen, ob das Zentrenkonzept noch das richtige Instrument ist.“

Tatsächlich findet sich inzwischen im inneren Ortskern von Mainz-Bretzenheim nur noch eine einzige Einkaufsmöglichkeit für Lebensmittel sowie ein Bäcker – alle anderen Lebensmittel-Geschäfte sind bereits abgewandert oder geschlossen worden. Bei der Stadt heißt es indes, das Zentrenkonzept Einzelhandel könne „nicht so angepasst werden, dass zentrenrelevante Einzelhandelsbetriebe in Gewerbegebieten oder sonstigen peripheren Standorten stehen.“ Das stehe schon den Zielen des Landesentwicklungsprogramms (LEP) IV des Landes Rheinland-Pfalz entgegen. Tatsächlich schreibt das LEP den Kommunen vor, ein Zentrenkonzept zu erlassen, um ihre Innenstädte vor der Konkurrenz auf der grünen Wiese zu schützen und listet auch einen Katalog von zentrenrelevanten Waren auf.

Modell für Wohnraumentwicklung der Stadt Mainz im Mainzer Rathaus. - Foto: gik
Modell für Wohnraumentwicklung der Stadt Mainz im Mainzer Rathaus. – Foto: gik

Eine Größenordnung von maximal 800 Quadratmeter Fläche für Lebensmittelmärkte schreibt das LEP hingegen nicht vor: „Die 800 Quadratmeter stehen im LEP so nicht drin“, sagt auch Matz, entstanden sei die Größenordnung in der Abwägung innerhalb der Stadt Mainz. Das LEP wiederum gebe den Städten ja gerade Abwägungsmöglichkeiten vor, „starr festgelegt ist das nicht“, betonte Matz. Das bestätigt man im rheinland-pfälzischen Innenministerium: Das Zentrenkonzept weiter zu entwickeln, sei Aufgabe der Stadt, heißt es dort, wolle Mainz sein Zentrenkonzept ändern, müsse es einen Antrag bei der Planungsgemeinschaft stellen. Dass begründete Änderungswünsche abgelehnt würden, sei bislang nicht bekannt.

Matz betonte zudem, bei der Erneuerung des Aldi-Marktes stünden rund 200 Quadratmeter mehr im Raum und damit eine Größe von 1.000 Quadratmetern, das halte sie für eine verträgliche Größe. Die Dezernentin kündigte an, mit Aldi entsprechende Gespräche zu führen, und das noch in dieser Woche. Bei Aldi heißt es derweil, man sei bestrebt, in enger Kooperation mit der jeweiligen Kommune genau passende Konzepte für den jeweiligen Standort zu entwickeln. Die Stadt Mainz habe allerdings tatsächlich „durch das Zentrenkonzept besonders hohe Hürden zur Entwicklung von Einzelhandelsstandorten geschaffen“, sagte Neuhaus weiter.

Die Gespräche mit der Stadt bezüglich Bretzenheim würde man aber gerne wiederaufnehmen. „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, gemeinsam mit den zuständigen Stellen eine Lösung finden zu können“, betonte Neuhaus, und fügte hinzu: „Sofern uns die Stadt 1.000 Quadratmeter anbieten würde, wären wir sicherlich bereit, die angesprochenen Konzepte umzusetzen.“

Info& auf Mainz&: Zum Flächenpotenzial von Wohnungen über Supermärkten gibt es eine deutschlandweite Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Insituts, die Details dazu sowie die Studie selbst findet Ihr hier im Internet. Oberbürgermeister Michael Ebling und der frühere Wirtschaftsdezernent Christopher Sitte (FDP) hatten eine grundlegende Änderung des Mainzer Zentrenkonzepts stets abgelehnt, mehr dazu findet Ihr hier bei Mainz&.

 

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