Das innovative Lüftungssystem des Mainzer Max-Planck-Instituts (MPI) für Chemie macht Karriere: Beim Land Rheinland-Pfalz will man ein Modellprojekt mit rund zehn verschiedenen Schulen starten, die Stadt Mainz macht derweil bereits Nägel mit Absaugschirmen: Alle 22 Mainzer Grundschulen sollen mit dem kostengünstigen und offenbar hoch effektiven Lüftungssystem ausgestattet werden, mehr als 300 Klassenzimmer will die Stadt in mehreren Schritten umrüsten, auch 58 Räume an weiterführenden Schulen sind darunter. Derweil gab es Anfang der Woche Verwirrung um die Martinusschule in der Mainzer Oberstadt: Der Einbau des Lüftungssystems sei vom Land untersagt worden, klagten Eltern – das Ministerium widerspricht.

Montage eines Abluftschirms für das Lüftungssytem des MPI Chemie. – Foto: MPI Chemie
Montage eines Abluftschirms für das Lüftungssytem des MPI Chemie. – Foto: MPI Chemie

Bereits im Sommer hatte der Physiker Frank Helleis vom Mainzer MPI Chemie in Eigenbau ein einfaches Lüftungssystem für die IGS Mainz-Bretzenheim entwickelt, das Ziel: Die winzigen Luftpartikel der Aerosole aus dem Klassenraum absaugen, denn über diese Aerosole wird das Coronavirus maßgeblich übertragen. Helleis konstruierte dafür einfache Plastikschirme, die in Deckenhöhe über jedem Sitzplatz im Klassenzimmer installiert werden, und die mit einem Rohrsystem verbunden sind. Ein Ventilator am Ende des Rohrs saugt die Luft an und leitet sie durch ein gekipptes Fenster nach draußen – das Ganze sei so effektiv, dass mehr als 90 Prozent der Aerosole kontinuierlich entfernt werden könnten, ermittelte Helleis mit Messungen.

Das verblüffend einfache System ist zudem noch kostengünstig und kann mit Materialien in Höhe von rund 200 Euro aus dem Baumarkt hergestellt werden – die Stadt Mainz zeigte sich begeistert: Die Stadt werde alle 22 Mainzer Grundschulen mit diesen Abluftanlagen ausstatten, das seien 315 Klassenräume, kündigte Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) Mitte November an. Die Umsetzung werde in drei Stufen erfolgen: In der 1. Stufe würden in jeder Schule zwei Klassenräume als sogenannte Musterklassenräume ausgewählt, dort eine Mustersitzordnung festgelegt und auf deren Grundlage dann die Abluftanlage konzipiert.

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Skizze der MPI-Lüftungsanlage im Klassenzimmer. – Grafik: Andrea Kloppenborg
Skizze der MPI-Lüftungsanlage im Klassenzimmer. – Grafik: Andrea Kloppenborg

Im zweiten Schritt werde die Gebäudewirtschaft Mainz dann die zwei Klassenräume mit der Abluftanlage ausstatten, anhand dieser Musterklassenzimmer könnten dann die Schulleitungen abschätzen, wie weit in Eigeninitiative und Eigenregie die weiteren Klassenräume ausgestattet werden könnten. „Anhand der Musterräume sollen die notwendigen Arbeitsschritte dargestellt werden“, heißt es bei der Stadt, danach dann alle weiteren Klassenräume in den Grundschulen mit solchen Abluftanlagen ausgestattet werden.

Die Stadt konzentriert sich auf die Grundschulen, weil an ihnen keine Maskenpflicht gilt und die jüngeren Klassen auch nach dem Willen von Bund und Ländern unbedingt im Präsenzunterricht verbleiben sollen. Virologen gehen inzwischen davon aus, dass Kinder bis 12 Jahren deutlich weniger Infektionen mit dem Coronavirus bekommen oder das Virus völlig symptomfrei abhandeln – doch auch bei jüngeren Kindern hat es schon schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19 gegeben. Das Mainzer Bildungsministerium setzt als Gegenmaßnahme vor allem auf Stoßlüften alle 20 Minuten, doch gerade jetzt, im Winter, sorgt das für zum Teil eiskalte Klassenzimmer.

Ausgangskonstruktion des Abluftsystems des MPI Chemie am Fenster. - Foto Elena Klimach
Ausgangskonstruktion des Abluftsystems des MPI Chemie am Fenster. – Foto Elena Klimach

Das Lüftungssystem des MPIC kommt da wie ein Geschenk des Himmels, der Städtetag Rheinland-Pfalz und auch das Umweltbundesamt hätten die Abluftanlage für gut befunden und den Schulträgern den Einbau empfohlen, betont man bei der Stadt. Neben den Grundschulen soll deshalb nun auch 58 Räume an weiterführenden Schulen geprüft werden, die wegen mangelnder Lüftungsmöglichkeiten derzeit nicht genutzt werden können – dabei handele es sich etwa um Werkräume mit Oberlichtern. „Für diese Räume haben sich zwei weitere Teams aus je einem Ingenieur und einem Fachtechniker gebildet, die sich aktuell die Räume vornehmen und jeweils individuell anhand der örtlichen Gegebenheiten prüfen, wie diese Räume künftig ausreichend belüftet werden können“, sagte Grosse weiter – man prüfe, ob hier die Abluftanlage des MPI zum Zuge kommen könne oder ein Lüftungsgerät verwendet werde.

Zudem bemühe sich die Gebäudewirtschaft Mainz in enger Abstimmung mit dem Max-Planck-Institut auch zusätzlich um Firmenkontakte, das Ziel: möglichst viele Einzelteile des Lüftungssystems vorfertigen lassen oder sogar ganze komplette Bausätze für jede Klasse anfertigen zu lassen, „der dann den helfenden Händen etwa aus der Elternschaft überreicht werden kann.“ Für das Gesamtprojekt veranschlagt die GWM derzeit Materialkosten von gerade einmal rund 130.000 Euro, die genaue Dauer der Einbaumaßnahmen sei momentan noch nicht abzuschätzen, heißt es weiter. „Wir arbeiten mit Hochdruck an den Organisationsstrukturen für den Einbau“, versprach Grosse.

Eingebaute Lüftungsanlage des MPIC in der Brunnenschule in Mainz-Marienborn. - Foto Elena Klimach
Eingebaute Lüftungsanlage des MPIC in der Brunnenschule in Mainz-Marienborn. – Foto Elena Klimach

Irritationen gab es hingegen Anfang der Woche an der Martinusschule des Bischöflichen Ordinariats in der Mainzer Oberstadt: Auch hier wollten Eltern und Schulleitung das Abluftsystem in den Klassenräumen installieren, am 24. November habe man dazu auch die Zusage vom bischöflichen Ordinariat und dem Schulamt erhalten, berichteten Eltern der Schule gegenüber Mainz&. Doch dann habe das Bildungsministerium am 27. November auf einmal den Einbau untersagt – angeblich wegen noch offener versicherungsrechtlicher Fragen.

Im Ministerium zeigte man sich auf Mainz&-Anfrage zunächst höchst überrascht, dann räumte eine Sprecherin ein: Es habe „leider ein Missverständnis“ gegeben, das nun aber zwischen Ministerium und Schulleitung ausgeräumt worden sei. Der Schulträger entscheide natürlich selbst über die Maßnahmen an seinen Gebäuden, und ausgerechnet im Fall des Abluftsystems habe man ja auch gar nichts dagegen: „Im Gegenteil, wir begrüßen das ja“, betonte eine Sprecherin: Das Projekt an der IGS Mainz-Bretzenheim und die Ergebnisse des MPIC seien „sehr vielversprechend“, deshalb habe sich das Ministerium auch dazu entschieden, ein gemeinsames Modellprojekt mit zehn ausgewählten Schulen zu starten. „Wir freuen uns ja, wenn Schule auf Forschung trifft, und dabei so etwas Tolles herauskommt“, fügte die Sprecherin hinzu.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Text zu dem Abluftmodell des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie findet Ihr hier bei Mainz&. Mehr zu der Studie zur Ausbreitung von Aerosolen in Räumen könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen, einen ausführlichen Bericht zum Thema Lüften, mobile Luftreiniger und wie die Wissenschaft das Thema sieht, lest Ihr hier auf Mainz&.

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