Die Mainzer Ranzengarde feiert traditionell nicht nur die erste Sitzung der Mainzer Kampagne immer am 2. Januar, sondern auch die letzte: Am Sonntagabend schloss die 3. Prunkfremdensitzung im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die Saalfastnacht der Kampagne 2025 in Mainz ist damit Geschichte, und zum Abschluss wurde es noch einmal ein rauschendes Fest: mehr als sechs Stunden lang feierten die Narren ausgelassen hervorragende Redner, fetzige Musik und natürlich die „Mutter aller Garden“ und das Fest der Feste selbst – mit 1111 Prozent.

„Wir feiern unser Leben, da kann man all die bunten Narren sehen, wir feiern unser Leben – zu 111 Prozent“, heißt ein Hit der Band „Handkäs und sei Mussigg“, und eigentlich könnte man damit jetzt den Text schon wieder beenden: über die 3. Prunkfremdensitzung der Mainzer Ranzengarde am Sonntagabend im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz war damit fast schon alles gesagt: Mehrere Hundert bunte Narren feierten ausgelassen und unbändig das Fest der Feste in Mainz – und lauschten politischen Reden, feierten die Redner, Musiker und Ballettfrauen und agierten überhaupt, als gäbe es kein Morgen mehr.
Kein Wunder: Es war die ultimativ letzte Sitzung der Saalfastnacht in der Kampagne 2025, und damit schloss sich der Kreis. Am 2. Januar hatte die Ranzengarde mit der ersten Sitzung die neue Kampagne eröffnet, traditionell verleiht die älteste aller Mainzer Garden dann den „Ranzengardisten“, ein Bronzemodell des von der Künstlerin Lisel Metten gestalteten Ranzengardebrunnen, das Menschen verliehen wird, die anpacken, um zu verbessern, und dies mit klaren Worten tun – zum Wohle von Mainz.
Wenn Trommeln und Fanfaren das Schloss zum Beben bringen
Die Mainzer Ranzengarde wurde bereits 1838 gegründet, damals als Parodie auf die „Langen Kerls“ von Preußenkönig Friedrich dem Großen. 1837 war erstmals eine Art Narrenumzug, der „Krähwinkler Landsturm“ durch das Mainzer Narrentreiben marschiert, ein Jahr später ließ der Mainzer Unternehmer und Politiker Johann Maria Kertell an Fastnachtssonntag 1838 zum ersten Mal die Mainzer Ranzengarde aufmarschieren: „Beeindruckende 37 Mann stark, überwiegend brave Handwerker, aber auch Geschäftsleute“, vermerkt die Chronik der Mainzer Ranzengarde. Die kämpfte fortan mit Holzgewehren gegen „Mucker und Philister“ und stattete ihre Mannen mit „Ranzen“ aus: dicken Bäuchen.

Heute ist die Mainzer Ranzengarde eine der größten Garden in Mainz, bei der „Parade der Garden“ marschierten in diesem Jahr an Fastnachtssonntag mehr als 800 Gardisten der Ranzengarde auf. Und so wird auch auf den Sitzungen im Saal das Gardetreiben zelebriert: Allein der Einmarsch dauert rund 11 Minuten, gleich mehrfach enterten im Verlauf der Sitzung Trommler- und Fanfarencorps die Bühne – geplant natürlich. Dann beben die Bretter im Kurfürstlichen Schloss und die Wände wackeln, und die Trommeln der Fastnacht klingen bis nach Rio und nach Trinidad.
Doch älteste Garde und Moderne schließen sich beileibe nicht aus: Zum Eröffnungsspiel verwandelte eine Truppe aus Gardeoffizieren den Saal in eine Hommage an Oranje: In orangenen „Uniformen“ rockten sie den Saal in Erinnerung an die schon legendären Märsche der Niederländer bei der Fußball-WM 2024 „nach links“ und „“nach rechts“ – eine echte Gaudi. Wer durchhielt, für den hielten die folgenden sechs Stunden dann genau das parat, was die Mainzer Fastnacht ausmacht.
Klinikathleten, Shining Motions: Verneigung vor getanzter Fastnacht
Da servierte „Pizzabäcker“ Ciro Visione Kokolores mit Politeinschlag, die „Altrheinstromer“ brachten mit ihrem gesungenen Wahlkampf, vor allem aber mit Fastnachtsevergreens den Saal zum Kochen und Achim Heigert probierte als „Rudi Mentär“ KI in der Bütt aus. Es ist eben vor allem die Mischung aus Musik, Tanz und eben Vorträgen, die die Mainzer Fastnacht so einmalig machen, und da griff die Ranzengarde in die Vollen.

Die „Bänkelsänger“ lästerten musikalisch über Mainzer Straßenbahnen, die bei Kälte zuverlässig ihren Dienst einstellen und Innenminister, die so gerne Mainzer Stadträte sind. Die „Klinikathleten“ wiederum bauten atemberaubende Pyramiden bis zur Decke, und das bereits im 5 x 11.ten Jahr. „Eines kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben“, schallte es dazu aus den Boxen. Zum Schluss verneigte sich die Truppe noch vor ihrem Coach, der 48 Jahre lang die Athleten trainiert hatte – ein bewegender Moment.
Die Mainzer Fastnacht, sie hat schon immer Nachdenkliches mit Ausgelassenem und Politik mit Kokolores vereint, die Höchstform davon: die politischen reden. Gunther Raupach ließ noch einmal in seinem Protokoll das Politjahr Revue passieren, von Ampel-Aus und Über Roberts dreiste Test-Umgebung bis hin zum D-Day der FDP und schließlich seiner Friedensglocke am Schluss: So geht fein gereimte politische Narrenschau.
Meister der literarischen Fastnacht: Bajazz und Deutscher Michel
„Musk und Weidel, die gestalten Deutschlands neues Grundprofil“, reimt da der „Bajazz“, und gibt auch gleich die Antwort dazu: „Was sollen wir davon halten? Abstand – und zwar möglichst viel.“ René Pschierer schlüpft bereits seit Jahren in das Gewand der ältesten Symbolfigur der Mainzer Fastnacht, und seziert mit so fein gedrechselten Reimen und hoher Wortkunst die Politik, dass der Saal für den Moment mucksmäuschenstill dem Redner lauscht.

Der geißelt Lug und Täuschungen in Politik und Gesellschaft, sorgt sich um Frieden, Freiheit, Werte, und mahnt: „Wo die Lethargie am Ende, freien Geisteswillen lähmt, spielt das Desponten in die Hände, weil man am Ende Schäfchen zählt.“ Das Publikum belohnt das Meisterstück politisch-literarischer Fastnacht mit donnernden Ovationen, kaum, anders geht es zu späterer Stunde dem „Deutschen Michel“.
Bernhard Knab gibt mit heiserer Stimme am Ende der Kampagne noch einmal alles, auch er blickt tief in Untiefen von Putin bis Trump, auch er baut „mal eben“ die jüngste Eskalation im Weißen Haus gegen den ukrainischen Präsidenten in seine Rückschau ein: „Was im Verbandskasten im Weißen Haus noch fehlt: Damit die Anstalt ist komplett, gibts‘ Zwangsjacken fürs Kabinett“, konstatiert der Narr. „Die Augen zu, auf blind gestellt, überlässt man Irren die Welt“, warnt der „Michel“, und bringt mal eben zwischendurch mit ein paar treffsicheren Fußball-Reimen den Saal zum Kochen.
Der Narr, der dem Volke aus der Seele spricht: Typisch Fastnacht
Die meisten Ovationen aber gibt’s wenn der Narr dem Volke aus der Seele spricht: „Drei Dinge, hoff ich, man schnell wieder entdeckt: Intelligenz, Moral, Respekt“, spricht der Michel, und das Narrenvolk im Saal erhebt sich und donnert Zustimmung – ebenso wie bei den fantastischen Shining Motions mit ihrer Harlekin-Shownummer. Und es fragt sich der Beobachter: Warum nur sieht man dies alles nicht im Fernsehen?

Da war am Freitag noch „Ernst Lustig“ zu sehen, doch Jürgen Wiesmann fand offenbar so manches hinter den Kulissen der Fernsehsitzung gar nicht so lustig: Seinen fantastische Kokolores-Nummer mit den spitzen Beobachtungen zu Nachbarn, Opern und Amazon garnierte Wiesmann bei der Ranzengarde mit allerlei Anspielungen auf die Kürzungen seines Vortrags durch die Fernsehgewaltigen – und wie das dazu führte, dass ausgerechnet der sonst so textsichere Wiesmann in der Livesendung aus dem Takt geriet.
„Den Vortrag habt Ihr noch nie gehört, gell?“, lästerte „Ernst Lustig“: „Wenn ich den Text vergessen kann, könnt Ihr auch den Vortrag vergessen.“ Tosender Applaus aus dem Saal zeigte, wie sehr Wiesmann den Nerv getroffen hatte – die diesjährigen Pleiten und Pannen bei „Mainz bleibt Mainz“ dürften noch für so einige Nachwehen sorgen. Denn auch die Mainzer Hofsänger zeigten, welche hintersinnigen Anspielungen aus ihrem Politik-Medley verschwinden mussten, was die Nummer im TV nicht besser, sondern nur unverständlich machte.
„Der Vorhang fällt, das Licht geht aus“
Tonprobleme gab es jedenfalls am Sonntagabend im Schloss – vom Mikrofon des Sitzungspräsidenten zu Beginn – einmal abgesehen – jedenfalls keine, und „Handkäs und sei Mussigg“ konnten ungehindert die bunte Narrenschar zum Feiern bringen. Und wie sollte man eine solche Party anders toppen als mit Oliver Mager? Wie eine solche fantastische (und lange) Kampagne anders beenden als mit dem Song, der für diesen Moment einfach gemacht ist wie kein zweiter?

„Der Vorhang fällt, das Licht geht aus, die Show ist vorbei, und ich geh nach Haus: Hier, bei der Fassenacht, war es wunderschön“, heißt es in dem Lied von Oli Mager, das von den Tränen des Clowns beim Abschied berichtet, und von dem Trost des Neuanfangs: „Schließe Deine Augen, hab Geduld und wart darauf, denn irgendwann geht ganz bestimmt der Vorhang wieder auf: Dann ist Fassenacht in Meenz. Wenn die 5. Jahreszeit beginnt, dann erwacht in mir das Kind – dann ist wieder Fassenacht in Meenz.“
Das war sie, die Saalfastnacht in der Kampagne 2025, und die Mainzer Ranzengarde hatte sie noch einmal mit 1111 Prozent gefeiert. Wie gut, dass es noch den Rosenmontag gibt. Und dass Oli Mager wieder auf der Bühne steht.
Info& auf Mainz&: Die Fotogalerie wird aus Zeitgründen nach Rosenmontag nachgeholt…