„Ausgefallen“ – das ist das Motto auch im Jahr 2022 für den Mainzer Rosenmontagszug. Kein buntes Fastnachtstreiben in den Straßen, keine politischen Motivwagen, „es ist sehr traurig für alle, dass wir so wenig Fastnacht auf der Straße feiern können“, sagte MCV-Präsident Reinhard Urban am Freitag in Mainz. Doch sang und klanglos soll die politische Mainzer Fastnacht nicht untergehen, deshalb lädt der MCV nun einfach zur Indoor-Variante eines Motivwagens-Zuges „to go“: Im LuLu im alten Karstadt gibt es nun die „Galerie der Motivwagen“ zu sehen, und die neuesten närrischen Karikaturen nehmen höchst bissig die Biontech-Goldgrube, den Tanz um den Rathaus-Tempel und die Berliner Politik aufs Korn.

MCV-Kreativkreis-Vertreter mit dem Motiv zur Biontech-Goldgrube im LuLu. - Foto: gik
MCV-Kreativkreis-Vertreter mit dem Motiv zur Biontech-Goldgrube im LuLu. – Foto: gik

„Ausgefallen“ heißt die Motivgalerie im zweiten Stock des LuLu, und ausgefallen ist auch die Idee zur Galerie: Auf großen Bauzäunen präsentieren sich die närrischen Motive für die Motivwagen 2022, denn Themen und Motive hatte der MCV-Kreativkreis schon im Herbst 2021 entwickelt. „Als wir uns Gedanken gemacht haben, ahnten wir nicht, dass wieder eine Absage drohte“, sagte Boris Henkel, Leiter des MCV-Kreativkreises.

Neun Motive waren entworfen und gezeichnet – doch Motivwagen wird es nicht geben: Zum ersten Mal seit 60 Jahren werde er für den MCV keine Motivwagen bauen, obwohl die Motive da seien, sagte MCV-Wagenbauer Dieter Wenger betrübt gegenüber Mainz& – ein echtes Novum für den Meisterbauer.

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Zeichner Michael Apitz entwirft die Karikaturen

Professionell gezeichnet werden die Karikaturen seit den Zeiten des legendären Mainzer Zugmarschalls Ady Schmelz, seit 2018 ist dafür der Rheingauer Comic-Zeichner Michael Apitz zuständig, Erfinder des „Spätlesereiters“. Und Apitz bekannte, mit den Entwürfen für die Motivwagen sei er noch einmal ganz anders und viel tiefer in die Mainzer Fastnacht eingetaucht: „Von einem Job ist das zur Herzenssache geworden.“ Das merkt man den Motiven auch an: Detailreich gezeichnet und bissig hätten die gezeichneten Karikaturen „inzwischen einen eigenen Stellenwert bekommen“, betonte Henkel. Der Humor sei gerade in diesem Jahr hin und wieder besonders sarkastisch, „das hat bei den Motivwagen aber auch seine Berechtigung.“

Anbetung der Denkmalpflege vor dem Jacobsen-Tempel - ein Top-Motiv. - Foto: gik
Anbetung der Denkmalpflege vor dem Jacobsen-Tempel – ein Top-Motiv. – Foto: gik

Das fällt ganz besonders bei der Karikatur zum Ringen um die Rathaussanierung auf: Da kniet ein Kirchenmann andächtig vor dem Arne-Jacobsen-Tempel und betet inbrünstig, „des Denkmalschutzes Wille geschehe“: „Und verhindere jede Änderung, sondern erlöse uns von den Wünschen der Bürger…“

Die Narren geißeln damit die Debatten mit der Denkmalpflege, die sich gegen Modernisierungen wie ein modernes Bürgerfoyer im denkmalgeschützten Rathaus oder eine große Treppe zum Rheinufer daneben wehrte – Verständnis fanden sie dafür bei den Mainzer wenig. Man wolle „die ultrakonservative Politik des Denkmalschutzes aufs Korn nehmen“, hieß es vom MCV – die rückständige Haltung der Kirche kritisieren die Narren damit gleich mit.

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Fax im Gesundheitsamt, Todes-Skelett am Grill

Auch ein anderer Bürokratie-Hengst kommt reichlich altbacken daher: Im Gesundheitsamt freut sich der Mitarbeiter in der angestaubten Stube wie Bolle über ein Faxgerät, im Hintergrund hängt ein Konrad Adenauer-Plakat mit der Aufschrift „Keine Experimente“ – das ist der Zustand von „Deutschland digital“, wie die Narren finden: „Für Fortschritt sind wir weit bekannt, denn Deutschland ist das Hightech-Land“, reimen die Narren dazu – Anlass für die bissige Satire sei natürlich der Zustand der Gesundheitsämter in der Corona-Pandemie gewesen, sagte Apitz.

Närrische Karikatur zu den a-sozialen Medien: Motivwagen-Galerie 2022. - Foto: gik
Närrische Karikatur zu den a-sozialen Medien: Motivwagen-Galerie 2022. – Foto: gik

Auch die Energiewende bekommt ihr Fett ab, oder eher: ihren Wind weg – denn der Mainzer Michel treibt das Windrad einfach mit den Ausdünstungen des Mainzer Handkäs an, da freut sich sogar die schwedische Greta. Der Klima-Weltenbrand wiederum kommt in düsterer Apokalypse-Manier daher, wenn das Todes-Skelett am Grill der ohnehin schon Hölle-ähnlichen Landschaft weiter einheizt. „Die Idee kam beim Gang durch den Mainzer Dom“, bekannte Henkel: Die mittelalterlichen Skelette, die als „Memento Mori“ den Gläubigen vor Tod und Hölle mahnen sollten, hätten für das Motiv Pate gestanden.

Bei den Karikaturen des Jahres darf aber natürlich auch die Biontech-Goldgrube nicht fehlen, und die beschert dem Meenzer Bauer Michel nun gleich goldene Kartoffeln. EU-Chefin Ursula von der Leyen wiederum reitet wie einst die Europa den Stier, nur dass der gerade in zwei Hälften zerfällt, weshalb der Ritt zwischen Ost und West zunehmend zum Spagat wird… die Mainzer Narren sind wahrlich hochaktuell und hochgradig bissig dazu. Das gilt ganz besonders für das Motiv zu den „asozialen Netzwerken“: Dort wird der Facebook-Like-Daumen zur Pistole, die die Menschenwürde im Grundgesetz durchlöchert. „Wer die Feinde der Freiheit zu lang toleriert“, reimen die Narren dazu, darf sich später nicht wundern, wenn er sie verliert.“

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Seeräuber, Jamaika-Friedenspfeifchen und natürlich die Zugente

Und auch die hohe Politik bekommt natürlich ihre Breitseiten ab: Da kommen die Unions-Seematrosen mit Galionsfigur „Angela“ als Seeräuber in Asterix-Manier daher, die ständig dabei sind, ihr eigenes Boot zu versenken… Vor Jamaika sinkt der Kahn, derweil auf der Insel die Ampel-Insulaner ein fröhliches Friedenspfeifchen rauchen. Die beiden Motive seien als zwei Doppelwagen geplant gewesen, die hintereinander im Rosenmontagszug laufen sollten, verreit Henkel noch, „vielleicht mit einer Reggae-Band dazwischen…“

Zeichner Michael Apitz mit dem CDU-Motiv "Vor Jamaika abgesoffe". - Foto: gik
Zeichner Michael Apitz mit dem CDU-Motiv „Vor Jamaika abgesoffe“. – Foto: gik

Den Schluss der Motiv-Galerie macht natürlich die Zugen(d)te, wenn auch sie nur auf Papier gebannt ist. Die Besucher können nun an dem „Rosenmontagszug“ vorbeiflanieren, kostenlos und im Warmen, immer zu den Öffnungszeiten des LuLu. Das sei passend, schließlich sei die LU „ein pulsierender Anziehungspunkt der Mainzer Fastnacht“, sagte Tina Badrot von der Boulevard LU GmbH als Hausherrin. Im Internet unter lu-erleben.de kann man zudem für seinen Favoriten abstimmen, als Gewinn winkt eine Fahrt auf einem MCV-Komiteewagen – sobald mal wieder ein Rosenmontagszug durch Mainz rollt. „Wir hoffen natürlich darauf, im nächsten Jahr wieder in die dreidimensionale Dimension gehen zu können“, sagte Henkel noch.

Info& auf Mainz&: Alle Motive der Galerie Motivwagen 2022 sowie das Voting findet Ihr hier im Internet, die Galerie zum Vorbeilaufen im 2. Stock des Lulu im alten Karstadthaus, Öffnungszeiten gibt es hier im Internet. Ein Video zur Galerie samt Interviews mit Wagenbauer Dieter Wenger könnt Ihr Euch hier auf unserem Mainz&-Facebookaccount ansehen. Einen Rückblick auf die drei Sonder-Motivwagen 2021 könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Unsere eigene Fotogalerie darf aber natürlich auch nicht fehlen – bittesehr: