Die Stadtratsfraktion von Piraten und VOLT will autofreie Bereiche in der Mainzer Innenstadt erproben. In einem Antrag für den Stadtrat kommende Woche fordern die beiden Parteien ein Modellprojekt, mit dem bestimmte Bereiche der Innenstadt testweise und erst einmal für ein Jahr autofrei gestaltet werden sollen. “Mainz hat sich vorgenommen, bis 2035 klimaneutral zu werden”, sagte Fraktionschef Maurice Conrad (Piraten): “Ohne den Mut, unsere Städte mit einer positiven Vision grundsätzlich umzugestalten, und die Innenstadt schnellstmöglich autofrei zu gestalten, ist dieses Ziel unerreichbar.” In dem Antrag werden sieben Bereiche der Innenstadt als Testbereiche vorgeschlagen, darunter der Gartenfeldplatz, der Frauenlobplatz und die Große Bleiche.
Aktuell nähmen Autos sehr viel Platz in der Stadt ein, gleichzeitig sei ein Großteil der innerstädtischen CO2- und Feinstaubemissionen auf den Autoverkehr zurückzuführen, argumentieren Piraten und Volt. ÖPNV, Fuß- und Radverkehr seien dagegen wesentlich effizienter und umweltfreundlicher. “Langfristiges Ziel einer ambitionierten Klimaschutz- und Verkehrspolitik muss die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs in der Mainzer Innenstadt sein”, betonten die Parteien. Der dabei gewonnene Platz solle je nach Gegebenheiten für Grünflächen, Gastronomie und Einzelhandel, Fuß- und Radverkehr sowie den ÖPNV freigegeben werden.
Als Testbereiche schlagen Piraten und Volt die Straßen um den Gartenfeldplatz und um den Feldbergplatz vor, die Große Bleiche, die Tangente Flacksmarkt – Schusterstraße – Quintinstraße, die Neutorstraße in der Altstadt sowie Neubrunnenstraße und Zanggasse und die Heidelbergerfassgasse vor. Die Verwaltung solle hier die Möglichkeit von temporären Umwidmungen mit Testzeiträumen von 6 bis 12 Monaten nach Hamburger und Wiesbadener Vorbild prüfen, heißt es im Antrag. Für die Prüfung sollten auch “sinnvolle oder notwendige Ausnahmen berücksichtigt werden” wie zeitliche Freigaben, die generelle Freigabe für ÖPNV, öffentlichen Dienst, Radverkehr, Taxis, Lieferverkehr und Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung.
Die Verwaltung wird ferner gebeten zu prüfen, “ob und in welcher Form sich die Auswirkungen von autofreien Bereichen messen und wissenschaftlich begleiten lassen”, heißt es weiter. Hierbei sollten insbesondere die Auswirkungen auf Lebensqualität, Einzelhandel, Lärm-, Feinstaub- und Stickoxidemissionen, innerstädtischen Verkehr und Mikroklima berücksichtigt werden. Ziel des Antrags sei nämlich zum einen eine Aufwertung der Lebensqualität an bereits stark von Fußgängern frequentierten Bereichen, andererseits einen konkreten Beitrag zur Umsetzung des ausgerufenen Klimanotstands zu liefern. Die frei werdenden Flächen könnten temporär für Radabstellplätze, Außengastronomie, lokale Wochenmärkte, temporäre Begrünung (Hochbeete) und kreative Ideen von Bürgern freigegeben werden.
Bislang fehle der Mainzer Stadtpolitik der Mut, konkrete Maßnahmen in Richtung einer positiven Vision umzusetzen, kritisierte Conrad. Stattdessen werde “in einem viel zu langsamen Tempo viel zu wenig getan: Wir müssen die Globuli-Klimapolitik der Stadt Mainz beenden”, forderte er. “Noch in den 60er Jahren wurde die Augustinerstraße von Autos befahren, was heute kaum vorstellbar ist”, argumentierte Tilman Potthof von Volt. Mehr Platz für Menschen und umweltfreundlichen Verkehr steigerten die Lebensqualität und leisteten einen Beitrag zum Klimaschutz. “Daher muss Mainz mit testweise autofreien Bereichen Erfahrungen sammeln, um eine gute Datenlage für weitere Maßnahmen zu schaffen”, betonte Potthof. Das Modellprojekt solle deshalb auch die Auswirkungen von autofreien Bereichen auf Einzelhandel, Lebensqualität, Feinstaubbelastung und Mikroklima erforschen.
Piraten und Volt betonen zudem, auch die Mainzer Bürger hätten sich bereits für mehr autofreie Bereiche in der Innenstadt ausgesprochen – so etwa am 9. Juni 2018 im Bürgerforum. Zeitgleich gehe auch Wiesbaden mit dem Pilotprojekt “Fußgängerzone in der Wellritzstraße” vorbildlich voran, gebe den Menschen ihren Lebensraum zurück und analysiere dabei die Auswirkungen auf Anwohner und ansässige Geschäfte. “Egal ob Oslo in Norwegen, Gent in Belgien oder Madrid in Spanien: Zahlreiche Städte in Europa machen vor, dass autofreie Innenstädte ein Gewinn für die Lebensqualität der Menschen sind, die Attraktivität des Einzelhandels steigern und klimafreundlich sind”, betonten Conrad und Potthof.
Eine Reduzierung des Autoverkehrs müsse aber Schritt für Schritt erfolgen, denn damit sei auch die Schaffung alternativer Parkmöglichkeiten für die Anwohner oder der Ausbau des ÖPNV verbunden. “Einen ganzen Stadtteil von heute auf morgen autofrei zu gestalten, ist kaum möglich und erfordert ein schrittweises, auf einen längeren Zeitraum zielgerichtetes Vorgehen”, betonten beide Parteien. Das Ziel müsse sein, den Wechsel zu einer verkehrsberuhigten Stadt für alle Verkehrsteilnehmer “so einfach, durchdacht und angenehm wie möglich zu vollziehen.” Mit dem Modellprojekt könnten die Weichen hin zu einer Verkehrswende gestellt und Maßnahmen dazu erprobt werden, heißt es weiter: “Daher rufen wir alle Fraktionen dazu auf, unseren Antrag im Stadtrat am 18. Dezember zu unterstützen.” Bislang hat noch keine weitere Fraktion Unterstützung signalisiert.
Im Oberbürgermeisterwahlkampf hatte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) die Prognose gewagt, in zehn Jahren fahre in der Mainzer Innenstadt kein Verbrennungsmotor mehr – mehr dazu lest Ihr hier. Auch der Linken-Kandidat Martin Malcherek hatte sich für eine autofreie Innenstadt ausgesprochen, im Kommunalwahlkampf hatten die Grünen für eine autofreie Große Bleiche geworben – es dürfte spannend sein, ob diese Parteien jetzt dem Antrag von Piraten und Volt zustimmen oder erneut einen Antrag einer kleinen Fraktion ablehnen. Bislang gibt es im Mainzer Stadtrat übrigens weiter keine Regierungskoalition: Grüne, SPD und FDP sind weiter in Verhandlungen über eine Neuauflage der Ampel-Koalition, ein Ergebnis gibt es aber noch nicht.
Info& auf Mainz&: Mehr zum vom Mainzer Stadtrat beschlossenen Klimanotstand lest Ihr hier bei Mainz&.