Am heutigen Mittwoch trägt Mainz seinen verstorbenen Kardinal Karl Lehmann zu Grabe, und für ein paar Stunden am Nachmittag wird die Stadt innehalten und still stehen. Eines Großen gedenken, der diese Stadt geprägt und den diese Stadt getragen hat, wie es nur selten einem der führenden Menschen in dieser Stadt zuteil wurde. Wenn heute der Trauerzug durch die Altstadt zum Dom zieht, werden sicher Tausende den Zug säumen. Und auch wenn wir Journalisten natürlich professionell berichten, fotografieren, schreiben – dieser Tod ist anders. Er bewegt auch uns, er bewegt uns tief. Unser Nachruf: Ein paar persönliche Gedanken zum Tod von Kardinal Karl Lehmann, 1983 bis 2016 Bischof von Mainz.

So kannten, so liebten ihn die Mainzer: Lehmann mit Humor, Intelligenz und mitten zwischen den Menschen, hier beim Festakt zu seinem Abschied als Bischof von Mainz im Mai 2016. – Foto: Screenshot gik

Als es geschah am Sonntagfrüh, dem 11. März, um 4.45 Uhr, ging ein Beben durch die Stadt. Man konnte es spüren: Karl Kardinal Lehmann, Alt-Bischof von Mainz, verließ diese Welt. Seither hat Mainz getrauert, wie ich es in 25 Jahren noch nie erlebt habe, nicht einmal beim Tod des geliebten Alt-Bürgermeisters Jockel Fuchs. Über der Stadt lag in den Tagen nach dem Tod des Kardinals eine Decke aus Melancholie, ein Gefühl des Schocks und des herben Verlustes.

Mit nur 81 Jahren, nicht einmal zwei Jahre nach seinem Ruhestand, einfach zu früh – starb Kardinal Karl Lehmann. Tausende Menschen pilgerten in den Tagen danach in die Augustinerkirche, nahmen Abschied am aufgebahrten Leichnam, trugen sich in die Kondolenzbücher ein, nahmen Anteil – Tausende pro Tag wohlgemerkt.

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Noch nie habe ich erlebt, dass der Tod eines Menschen, auch wenn er ein Großer war, ein Bekannter, ein Promi, die Menschen so bewegt, ja, erschüttert hat.

Karl Kardinal Lehmann hat.

Anteilnahme in der Mainzer Altstadt Viele Geschäfte rund um die Augustinerkirche schmückten Schaufenster, gedachten des verstorbenen Kardinals. – Fotos: gik

Er hat die Menschen berührt mit seinem klaren Verstand, mit seinem Intellekt und mit seiner schnörkellosen Direktheit, die nie Plattheit war. Mit seiner menschlichen Aufmerksamkeit und seiner ungekünstelten Anteilnahme. Kardinal Lehmann hörte zu, und er hörte WIRKLICH zu. Er war ganz da, wenn er einen anderen Menschen traf, er war zutiefst neugierig, und er nahm Anteil. Er urteilte nicht vorschnell, er verurteilte schon gar nicht. Seine Wärme machte nicht viele Worte, aber man spürte sie, unmittelbar, ehrlich, kraftvoll.

Und er war unglaublich intelligent, differenziert und auch scharfzüngig, sezierend, analysierend, einordnend. Manchmal schien er weitschweifig zu sein, doch immer spürte man: Das lag an seinem reichen Wissen, an den vielen Verknüpfungen, die er zog und die eben nicht in ein, zwei kurze Sätze passten. Inhaltsleer war nie das, was aus seinem Munde kam, jedes Wort ein wohlüberlegtes.

Und gleichzeitig hatte er viel Humor, der Herr Kardinal.

Ich erinnere mich gut, wie ich ihn bei einer großen Open Air-Fastnachtssitzung vor dem Mainzer Dom auf der Bühne sah, Narrenkappe auf dem Kopf, Fastnachtsschal um den Hals. Und ich dachte: Wow, hier steht ein Kirchenmann mit zwei Beinen mitten im Leben, mitten unter den Menschen. So sollte Kirche sein.

Kondolenzbuch für Kardinal Karl Lehmann in der Augustinerkirche. – Foto: gik

Es war genau das, was viele an Kardinal Lehmann bewundert haben, was sie zum Staunen brachte, was ihm die Liebe der Mainzer einbrachte. In eben der Stadt Rheinhessens, wo Toleranz und Weltoffenheit sich paaren mit Bodenständigkeit und dem bissigen, satirischen Volksmund, da passte Karlchen Lehmann, das bodenständige Schlitzohr wie kein zweiter. Karlchen, Lehmännchen – wen die Mainzer verehren, dem geben sie Spitznamen. Karl Kardinal Lehmann hatte viele.

 

Auch ich bin ihm mehrfach begegnet, als Journalistin zumeist. Durfte ihn interviewen. Habe viele Porträts über ihn geschrieben. Ich bin keine Katholikin, sondern als kritische Protestantin aufgewachsen, mit viel Distanz zur katholischen Kirche, deren Vertreter mir noch als Kind eingeredet haben, ich sei als Evangelische unrein, eine Heidin, die in der Hölle schmoren wird – eine Verräterin. Ich habe das der katholischen Kirche zutiefst übel genommen.

Kardinal Lehmann zeigte mir eine katholische Kirche, die anders war: Offen, tolerant, auf den Menschen zugehend, akzeptierend. Wertschätzend und zugleich streitbar. Und unverrückbar wie ein Fels in der Brandung. Sein Einsatz für die Schwangerenkonfliktberatung machte ihn bekannt, auch mir. Als Journalistin schrieb ich sachlich über den Konflikt und seine Wendungen, als Frau fieberte ich mit in dem Kampf um elementare Rechte, um Hilfe für Frauen in Notsituationen – und sah einen Kardinal, der sich nicht verbog, der nicht leugnete, was er glaubte und was er für richtig hielt. Der sich nicht scheute, sich mit dem Höchsten anzulegen, über das, was er auf Erden glaubte. Der rang und argumentierte und zu überzeugen versuchte. Der verlor und dennoch am Ende als Sieger dastand.

In der Rückschau heute, am Ende von vielen Tagen des Erinnerns, des Schreibens, der Hunderte von Reaktionen auf Karl Kardinal Lehmann sehe ich ihn vor mir sitzen, in einem Stuhl im Erbacher Hof, vor Mikrofonen und vor allem vor Menschen. Nachdenklich, abwägend und bestimmt. Klar in seiner Haltung und seinem Streben. Ein Mann wie ein Fels, den alle Stürme und alle Brandungen nicht verbiegen und nicht erschüttern konnten.

Lehmann als Einmischer, Mahner, Sprachrohr, hier bei seiner letzten Pressekonferenz als Bischof von Mainz im Frühjahr 2016. – Foto: Bistum Mainz

Ihn im Mainzer Bischofshaus, auf dem Mainzer Bischofsstuhl zu wissen war wie die Versicherung, dass Welt und Kirche in guten Händen sind. In liebevollen, erfahrenen, kompetenten und sehr kraftvollen Händen. Dass doch noch nicht alles in dieser Welt aus den Fugen ist, dass es eine Instanz gibt, die Humanismus, Toleranz und Wachsamkeit für die Demokratie und das wahre Wohl der Gesellschaft im Blick behält.

„Seid wachsam!“, sagte Kardinal Lehmann in seinem letzten Gottesdienst als Bischof von Mainz, es klang schon da wie ein Vermächtnis: „Seid wachsam, seid mutig, seid stark – und alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe.“

Ja, am 11. März ist ein Felsen in Mainz für immer zerbrochen. Und auch mir ist, als hätte ich einen Freund verloren. Ruhet in Frieden, Karl Kardinal Lehmann, möget Ihr die Herrlichkeit und Güte Gottes schauen, an die Ihr geglaubt habt. Wir werden Euch vermissen.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Ablauf der Beerdigungsfeierlichkeiten für Kardinal Karl Lehmann mit Trauerzug und Trauergottesdienst lest Ihr hier bei Mainz&. Von der Beisetzung Lehmanns werden wir in Wort und Bild hier, auf Facebook und auf Twitter berichten.

 

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