Der 11.11. ist zwar schon eine Weile vorbei, doch im Hintergrund bereiten sich die Narren seitdem mit Hochdruck auf die Kampagne 2019 vor. Nur: wie machen die das eigentlich? Der Gonsenheimer Carnevals-Verein (GCV) gab nun einen Einblick in seine Vorbereitungsweisen – und nahm die Zuschauer bei den Kammerspielen 2018 mit auf höchst närrische Pilgerfahrt. In der Gonsenheimer Turnhalle gaben sich Jakobspilger und französische Liedermacher, Hippster Hostel-Betreiber, Jakobsmuscheln, dadaistische Wegweiser und grillende Grillen die Ehre, und am Ende war dem Besucher vor allem eines klar: So viel närrischer Unsinn war nie. Wenn der Narr Einkehr sucht, dann steht der Jakobsweg Kopf.
„Es ist nicht gerade einfach, ein Narr zu sein“, seufzt der Präsident höchstselbst: „Bei der aktuellen Dichte an Lügnern, Brandstiftern und Wahrheitsverdrehern, die versuchen, das Volk zu verwirren und Angst zu machen“, da drohe der Narr angesichts der Realsatire schon mal die Nerven zu verlieren. Das koste so viel Kraft, „dass man im Vorfeld der Einkehr bedarf“, sagt Martin Krawietz, der GCV-Präsident. Nun könnte man als Gegengift zu übermäßigem Alkoholgenuss oder Klangschalensitzungen greifen – der GCV schnürt lieber die Wanderschuhe, und begibt sich auf den Jakobsweg.
„Das ist hier kein Betriebsausflug“, sagte Sitzungspräsident Sebastian Grom streng: „Wir müssen raus aus dem Hamsterrad des stressigen Alltags. Früher hätte man gesagt, es zählen nur noch Wein, Weib und Gesang – das muss aufhören!“ Wenn das so einfach wäre: Neben dem Jungstar wandert nämlich Altpilger Hans-Peter Betz, und der nimmt die ganze Sache nicht so wirklich ernst: Mit Minirucksack und kurzen Hosen schlägt der sich pfeifend über 2.000 Kilometer nach Santiago de Compostela, immer auf der Suche nach der nächsten Herberge samt Bett, Weizenbier und holder Schankmaid. Die wird wieder einmal wunderbar verkörpert von Lea Heymann, an deren Seite Peter Büttner als Pilgerwirt ein wahres Feuerwerk an Mundart- und Charakter-Studien abbrennt – großes Kino.
Und so kalauern sich die Narren quer durch die Pfalz zur deutsch-französischen Grenze, beschwingt durch ein pfiffiges Wanderlied der Gebrüder Werum – die zwei singenden Klavierspieler gaben 2017 ihren Einstand auf der GCV-Bühne nach ihrer Entdeckung bei der Narrenschau des GCV. Überhaupt gab der GCV an diesem Abend in Sachen Nachwuchsförderung Gas: gut ein halbes Dutzend Newcomer der GCV-Kammerspiele 2017 festigten in diesem Jahr ihre Bühnenpräsenz.
Da gab Marius Hohmann – Denkmalsdieb aus 2017 – einen sehr entspannten Tankwart auf dem Jakobsweg mit vier Radlern in dreieinhalb Jahren. Vor allem aber brillierte erneut die weibliche Vertreterin der Familie Grom, Christina mit Namen – in diesem Jahr als herrlich abgedrehte Hipster Hotel-Wirtin, die ganz „locally managed und ecofriendly“ voll in Harmony zum Cooldown an die Bar lädt und vorher noch schnell die Toilet-Sharing-Code-App auf dem Smartphone erklärt. Großartig.
Quasi als Gegengift stemmen die Fleischworschtathleten die Fleischworscht mit einer Hand und kreieren damit en passant einen schmissigen neuen Fastnachtshit – gekonnt ist halt gekonnt. Die GCV-Pilger haben mittlerweile die deutsch-französische Grenze erreicht, wo sich Grenzer Rudi alias Rudi Hube und Jacques alias Johannes Emrich ein herrlich närrisches Grenzduell liefern. „Wo wart Ihr denn bei der WM?“, fragt der Franzos‘. „Oh… wir hatten keine Lust“, antwortet Rudi, und auch sonst hat der Deutsche schlechte Karten: Opel gehört zu Peugeot, der deutsche „Minister Bescheuert“ kriegt das Dieselchaos nicht vom Eis, und zu allem Unglück muss er auch noch mit einem uralt-Vorderlader aus der Gewehrkammer seiner Chefin Ursula von der Leyen hantieren, während der französische Gegner seine hochmoderne Kanone zückt.
Emrich Junior gibt dabei einen grandiosen französischen Schutzmann mit allen Stereotypen, da merkt man: die Schauspielkunst muss in der Familie liegen. Und ganz nebenbei verarzten Hube und Emrich auch damit noch die große Weltpolitik, die an diesem Abend ansonsten ein bisschen am Wegesrand liegen bleibt – aber sei’s drum. Deutscher und französischer Grenzer lösen ihre Streitigkeiten um Schwarzbrot und Gartenzwerg schließlich mit dem Schraubenschlüssel und sagen den Ersten Weltkrieg einfach ab – „da kannste mal sehen, wie nah Krieg und Frieden beieinander liegen“, sagt Hube.
In Frankreich erleben die GCV-Pilger ein wahres Feuerwerk an Musik, guter Laune und Lebensart: Das Ballett der Füsiliergarde verzaubert mit französischer Pantomime, GCV-Newcomer Tobias Meyer – bekannt sonst als Holländer Frederik van de Sonne – rockt als herrlich verdrehter französischer Liedermacher den Saal. „Warum habt Ihr Euch das angetan, warum müsst Ihr denn immer mit dem Auto fahr’n?“, liest Christophe Hinz als französischer Pianist sehr charmant den Wanderern die Leviten.
Hinz präsentiert eine Art gesungenes Mini-Protokoll mit Klimawandel, Dieselskandal und neuen deutschen Gauleitern und kommt doch französisch-leicht und spritzig daher – vor allem mit seinem „Kallstädter Wein, hier darfst du ewig saufen!“ Wenn doch nur Donald Trump auf ihn hören, und in der Heimat seiner Vorfahren den Weinfässern einen Besuch abstattete – und das am besten dauerhaft, findet Hinz: „Such dir ein Fass, und steig dort übertief hinein, so ist es fein…“
Der inzwischen zum Franzosen mutierte Herbergsvater Büttner wird derweil von hyperaktiven Startup-Erfindern Jens Ohler und Andreas Müller gepeinigt, während Thorsten Spengler und Torsten Schäfer den Jakobsweg als Meenzer Radler unsicher machen – der eine mit Hofsänger-Kondom auf dem Rennrad, der andere mit einem Diesel-Bike von VW, und man ahnt, wo die Reise hingeht: „Mit habbe uns getroffe, erst geschennt, dann gesoffe“, lautet das Motto. Unterwegs ist auch Erhard Grom mit Hund Willi, der heimlich eine Kerze für das einstürzende Rathaus anzündet und wunderbar gereimte Wandernarretei zum Besten gibt. Wer auf dem Jakobsweg übrigens die Orientierung verliert, dem wird vom musikalischen Wegweiser Christoph Seib geholfen – in großer „Dada“-Manier.
Niemand aber geht so närrisch zu Bett, wie die vier Alten auf dem Jakobsweg. Michael Emrich, Benno Hellmold, Christian Schier und Martin Heininger brillieren erneut als vier närrische Alte, die nach großer Narrenkunst grummeln, was die Satire hergibt, und die von Marktfrühstück bis Bibelturm niemanden ungeschoren davon kommen lassen. Erst recht nicht die „feine Leut'“ vom Mainzer Zollhafen – „guck doch emol, wie schee sich Mainz entwickelt hat…“ – die sich gegen Schiffsanleger vor der Haustür wehren. „Die meisten von denen sind doch selbst Anleger“, lästern die Alten: „Ich dachte immer, Geld stinkt nicht.“ Eine echte Strapaze für die Lachmuskeln wird es aber, wenn die vier zu Bett gehen in der Pilgerherberge, das ist unbeschreibliches Narren-Kino der Machart: „Ist die Arktis inkontinent?“
Wir wissen es nicht, was wir aber wissen: Wenn Doppelbock zu grillenden Grillen werden, dann drehen die Kammerspiele so richtig ab und verheizen speckulierende (sic!) Veganer und Heilkräuter-grillende Braune aus Chemnitz gleichermaßen. Nur die Bockius-Brüder Andy und Matthias schaffen es, mit einem Lied namens „Wenn ich mit der Drahtbürst/ Die Bratwurst aus dem Bart bürst“ einen Hit zu machen und den Saal damit auch noch zum Kochen zu bringen.
Wobei – die Jungs könnten Konkurrenz kriegen: Eine der Entdeckungen dieses Abends sind die mauschelnden Muscheln der „Herpes House Band“, die einen grandiosen Nonsens-Einstand auf der großen GCV-Bühne geben. Wenn die vier Jungs jetzt noch singen, wie sie es bei der Narrenschau getan haben, dann könnte daraus eine neue Kultgruppe der Meenzer Fastnacht werden…
Die GCV-Pilger sind inzwischen in Spanien angekommen, und der Betz hat sich eine Rollator besorgt, nachdem er Frankreich auf den SPD-Krücken Andrea und Nahles absolviert hat. Der Pilgerherbergsvater ist mittlerweile kurz vor dem Burnout und stöhnt, „es war so ruhig hier, dann musste der Hape Kerkeling dieses Scheißbuch schreiben“.
„Ich bin dann mal weg“ wurde zum geflügelten Wort, und weg knipst das GCV-Ballett das Licht und präsentiert eine zauberhafte Choreographie aus leuchtenden Lichtpunkten. Weg allerdings ist an vielen Stellen auch das Mikrofon – was die Schnorreswackler bei ihrem Saunagang mit Schwitzerdütsch und Jakobsweg-Blues so singen, ist deshalb im Publikum leider nicht zu vernehmen. Schade.
Und auch die ökumenische Wandergruppe hat Probleme: „Ommm“, sagt der buddhistische Mönch, „ommm Arsch ist das Mikro…“ Der Buddhist wandert hier mit dem Nudisten auf der Suche nach Erleichterung und dem Baptist mit dem bappigen grünen Schleim und dem Gardist, der Gott Jokus dient, und nie war mehr Nonsens auf dem Jakobsweg und der närrischen Rostra unterwegs. Am Ende sind die Zuschauer mit ihren Lachmuskeln genauso fertig, wie die Pilger Betz und Grom am Ende ihres Weges in Santiago de Compostela. „Endlich seid Ihr hier“, singen die Mönche, die große Ähnlichkeit mit den Schnorreswacklern haben.
Ist das zu Toppen? Klar doch: Die zwei Almerindos Frank Brunswig und Thomas Becker kalauern sich erst mal musikalisch durch Don Quichotte und die Finka im See – und verneigen sich am Ende vor Freddy Mercury und der jüngst verstorbenen Montserrat Caballé. Unnachahmlich, unbeschreiblich, und das auch noch mit ziemlich großer Stimme. Eine wahre Pilgerfahrt in den Narrenhimmel.
Info& auf Mainz&: Unseren reichlich verspäteten Blick auf die GCV-Kammerspiele 2018 verdankt Ihr einem gewissen Herrn von Sitte und seiner politischen Bombe. Mehr zur Nachwuchsshow des GCV. der Narrenschau 2018könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen, oder aber auf die närrischen Kammerspiele 2017 mit der genialen Kriminalstunde im Gonsbachrevier hier zurückschauen. Auch ein Video haben wir wieder mitgebracht – in unserem Mainz&-Videokanal könnt Ihr das Drahtbürst-Bratwürst-Bartpflegelied aus dem Hause Bockius genießen. Und wie immer darf unsere Mainz&-Bildergalerie nicht fehlen – bitteschön: